Teil 2: Soulmates
Will we burn in heaven
Like we do down here?
Will the change come
While we´re waiting?
And when we´re done
Soul searching
As we carried the weight
And died for the cause
Is misery made beautiful
Right before our eyes?
Will mercy be revealed
Or blind us where we stand?
(Witness - Sarah MacLachlan)
Okita Soujis ewig lächelnder Blick, der den intelligenten, scharfsinnigen Verstand des jungen Mannes zunächst kaum vermuten ließ, glitt guter Dinge über die Menschenmenge, die sie umgab. Trotz seines gebrochenen Arms, den er immer noch in einer Schiene tragen musste, genoss er es, wieder mit den Shinsengumi durch Kyoto patroullieren zu können. Er war immer schon der Ansicht gewesen, dass man das Beste aus jedem einzelnen Tag - oder in diesem Fall der einbrechenden Nacht - herausholen sollte, insbesondere in dieser Zeit, in der der Tod in wechselnder Gestalt an jeder Straßenecke lauerte, und störte sich daher nicht an der Furcht und dem Argwohn, der in so vielen Gesichtern der Schaulustigen zu sehen war. Stattdessen sonnte er sich in dem Hochgefühl, Recht und Ordnung in dieser Stadt zu repräsentieren. Ein Blick auf den hochgewachsenen, angsteinflößenden Mann an seiner Seite, verriet ihm jedoch, das nicht jeder seine gute Laune teilte.
Saitou Hajimes Blick war starr nach vorne gerichtet, und seine ganze, auf viele Menschen unerträglich arrogant wirkende, Haltung drückte ein: `Ich habe mit meiner Zeit wirklich besseres anzufangen, als ziellos durch die Straßen zu irren, nur um ein paar Idioten zu zeigen, dass es mich auch noch gibt´ aus.
Okitas Lächeln vertiefte sich. Man mochte die Shinsengumi die Wölfe von Mibu nennen, doch kaum jemand nahm diesen Spitznamen allzu ernst. Der Kapitän der 3. Einheit jedoch schien tatsächlich eins dieser wilden, unzähmbaren Tiere zu sein. Grausam und skrupellos, erklärter Misanthrop und Zyniker aus Leidenschaft, hielt er die Menschen um sich herum auf Abstand, vertraute nur sich selbst und seiner schier unglaublichen Willenstärke und hatte für Tugend und andere moralische Werte meist nicht mehr übrig als ein abwertendes Achselzucken. Ja, Saitou war ein echter Wolf, der sich mit einem amüsierten Lächeln und einer Zigarette im Mund ansehen konnte, wie Menschen vor seinen Augen ins Verderben rannten - und er war Okitas bester Freund.
Der junge Kapitän schmunzelte. Auch wenn der Ältere ihm immer die Stimme verbot, wenn er die Rede auf dieses Thema brachte, wusste er nur zu genau, dass er ohne den Kapitän der 3. Einheit und seinen Zuspruch niemals zu den Shinsengumi gekommen wäre. Einen weichen Kern mochte man in Saitou vergebens suchen, aber unter seiner rauen Schale steckte mehr Menschlichkeit als die meisten ahnten, unbedingte Loyalität und ein zutiefst ausgeprägter Gerechtigkeitssinn. Okita würde Saitou bedenkenlos sein Leben anvertrauen, es ihm sogar schenken, sollte dieser jemals darum bitten und er war sich sicher, dass es seinem Freund, trotz aller Zynismen und spöttischen Kommentare, ebenso ging.
Plötzlich traf ihn ein Blick aus schmalen bernsteinfarbenen Augen. "Hast du plötzlich deine Vorliebe für Männer entdeckt, Okita-kun, oder starrst du mich einfach nur zum Spaß an wie die Katze die Maus?"
Der Kapitän der 1. Shinsengumi Einheit grinste nur breit. "Schlechte Laune, Saitou-san?"
Der Gesichtsausdruck, mit dem Saitou ihn bedachte, war durchaus imstande, andere Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen, machte auf den Jüngeren nicht den geringsten Eindruck. "Ich hätte nicht fragen sollen. - Was ich dich noch fragen wollte, hast du mittlerweile ei schon etwas bezüglich des Todes deiner Männer ausfindig machen können?"
Sofern dies überhaupt noch möglich war, verfinsterte sich Saitous Blick weiter. "Mache ich den Eindruck?!" gab er sarkastisch zurück. "Wirke ich wie ein zufriedener, mit sich und der Welt im Einklang befindlicher Mann?!"
"Na ja, nicht, dass du jemals tätest..."
Dem genervten Rollen seiner bernsteinfarbenen Augen zu Folge, hatte sein Begleiter für diese Art von Humor heute nicht allzu viel übrig. "Tu mir einen Gefallen und..." Plötzlich stockte der Wolf.
Verdutzt folgte Okita überrascht seinem Blick und entdeckte ein junges Mädchen, das, jugendlich hübsch und auf einladende Weise verführerisch, in der Menschenmenge stand und den Kapitän der 3. Einheit mit dämmergrauen Augen unverwandt und völlig unbefangen musterte, als mache es ihr Spaß, als fände sie ihn interessant oder gutaussehend, oder sogar beides. Als sei Saitous Blickes gewahr wurde, lachte sie erfreut auf und erhob eine Hand zum Gruß. Ihre weichen vollen Lippen formulierten seinen Namen.
Okita starrte seinen Freund, der leise aufschnaubte und etwas von einem "dummen Weibsstück, das nicht hören will" murmelte, überrascht an. "Kennst du das Mädchen, Saitou-san?"
Dieser verzog nur kurz das Gesicht. "Das wäre wohl etwas übertrieben."
Okita lachte leise auf. "Das wirkt aber anders!"
Saitou reagierte nicht und betrachtete die Fremde mit einem Blick, wie Okita ihn an seinem Freund noch nie wahrgenommen hatte. Dann drehte er sich brüsk nach vorne.
"Wo lässt du deine Leute heute patrouillieren, Okita-kun?"
Der Angesprochene antwortete nicht, sondern starrte ihn weiter offenen Mundes an.
"Was? Bist du taub geworden?"
Alarmiert von dem ihm gegenüber ungewohnt barschen Tonfall, bemühte sich Okita eilig um eine Antwort, schüttelte innerlich aber weiter vehement den Kopf. Für einen Augenblick hatte er geglaubt... Unmöglich!
Während er sämtliche höhnischen Aussagen seines Freundes aus seinem Gedächtnis kramte, die in irgendeiner Weise das Thema Liebe betrafen (und davon gab es unzählbar viele...), drehte er sich, ohne genau zu wissen warum, nochmals kurz nach dem Mädchen um.
Vermutlich war er dabei verrückt zu werden, aber er hätte schwören können, dass Saitous Augen bei ihrem Lächeln für den Bruchteil einer Sekunde golden aufgelodert hätten.
Als Saitou seinen Blick wieder starr nach vorne richtete, lachte Tokio leise und zufrieden in sich hinein. "Also hast du mich doch nicht vergessen, Mibu no Okami", murmelte sie leise. Ihre Auge funkelten silbern auf, wie die eines Raubvogels in der Sonne und schwungvoll warf sie ihr volles Haar zurück. Eine kleine Melodie auf den Lippen wollte sie sich gerade aufmachen, um Sayuris Taverne noch einen kurzen Besuch abzustatten, bevor sie wieder nach Hause gehen würde, als sie plötzlich der Präsenz eines anderen Onmyoujis gewahr wurde.
Sie fuhr herum und obwohl sie niemanden entdeckte, wusste sie, um wen es sich handelte. Unter Tausenden von Menschen hätte sie seine Aura herauserkannt.
"Akai", begrüßte sie ihn.
Ein Schatten befreite sich aus der Menschenmenge und nahm Gestalt an. "Tokio."
Sumeragi Midori versuchte mit aller Mühe, sich einen Weg durch die Menschenmenge zu bahnen. Allmählich dämmerte es ihr, dass ihre Idee, ihre Cousine in all dem Gedrängel zu finden, nicht gerade zu ihren besten Einfällen gehört hatte und schon überlegte sie, ob sie nicht einfach zu Sayuri gehen sollte, um sich dort ein wenig zu erfrischen, und sich dann wieder auf nach Hause zu begeben als sie plötzlich spürte, wie die Luft began, vor geladener Energie zu knistern als stände ein Gewitter oder ein Sturm anderer, weitaus gefährlicherer Art bevor.
Aufgeregt sah sich das Mädchen um. "Tokio?" rief sie so laut, dass einige Leute sich ärgerlich nach ihr umdrehten. "Tokio?!"
"Bleib zurück, du kleine Närrin!"
Erschrocken vor dem scharfen Ton, fuhr Midori ein wenig zurück. "To..."
Da sah sie ihre Cousine. Doch sie war nicht allein. Neben ihr stand ein hochgewachsener schwarzhaariger Mann in dunkler Kleidung, dessen Aura ausschließlich aus blutdurchtränkter Finsternis zu bestehen schien. Instinktive Angst und spontaner Widerwillen ließen Midori einen Schritt zurückweichen, nicht beachtend, dass sie den dort stehenden Samurai dabei beinahe zu Boden stieß. Aus einem wunderschönen, aber grausamen Gesicht bohrten sich zwei eiskalte Augen von der Farbe frisch vergossenen Blutes tief in ihren Blick und nur mit Mühe unterdrückte das Mädchen den Impuls, laut aufzuschreien.
´Eine Sumeragi kennt keine Furcht`, hörte sie Tante Ayekas Stimme in ihrem Kopf. `Keine außer einer einzigen...´
Und vor dieser einzigen Furcht stand sie nun.
"Sakurazukamori", flüsterte sie.
Sie hatte den Mann, den Tokio für gewöhnlich einfach nur respektlos Akai nannte, noch nie gesehen, doch der verzweifelte Schrei ihres Blutes ließ keinen Zweifel an seiner Identität aufkommen. Die Angst vor diesem Mann war ihr angeboren, war von Generation zu Generation in ihrer Familie weitergegeben worden, so dass sie stets fliehen konnte, wenn der Herr der Kirschblüten sich ihr zu nähern versuchte.
Doch es gab keine Fluchtmöglichkeit; es gab nichts mehr außer dem Feuer seiner Augen.
"Wen haben wir denn da?" Seine Stimme klang betörend sanft. Seltsam, dass der Tod eine so schöne Stimme hatte.
Unsichtbare Hände griffen nach ihr, umlullten sie, als plötzlich ein gleißender Blitz dazwischen ging.
"Lass sie in Frieden, Akai!"
Zitternd drehte sich Midori nach Tokio um, von deren Lippen der scharfe Befehl gekommen war, und erschrak abermals. Die Frau, die dort stand, hatte nicht im Mindesten mehr Ähnlichkeit mit der heiteren, zärtlichen Cousine, die sie kannte, sondern war eine Fremde mit Augen, die denen des Sakurazukamori sowohl im Grad ihrer Kälte als auch in ihrer Erbarmungslosigkeit in nichts nachstanden. Midori schauderte. Es waren die Augen eines Raubtiers in einem menschlichen Antlitz, unzweifelbar schön, aber ebenso grausam und unbarmherzig.
`Wage es nicht, sie anzurühren, Akai!´ Midori schauderte vor der abgrundtiefen Härte der Stimme, die in ihrem Kopf widerhallte.
`Du greifst mich nicht an, Tokio!` entgegnete ihr Gegner ihr stumm. ´Nicht wegen eines kleinen dummen Mädchens, das es noch nicht einmal wert ist, dir oder mir die Schuhe zu putzen.´
Anstatt der Drohung seiner Stimme eine Antwort zu geben, begannen Tokios Lippen, in dem mit einem Mal erschreckend bleichen Gesicht zu einer dünnen Linie verzogen, sich langsam und sorgfältig zu bewegen, Worte zu formulieren, bei dem sich ihrer jungen Cousine die Nackenhaare aufrichteten.
´Die Gabe dient dem Schutze da, nicht der Vernichtung`, hörte sie wieder Ayekas Stimme. Nun, der Fremden mit Tokios Gesicht war dies anscheinend egal.
Der Sakurazukamori betrachtete sie mit erbarmungsloser Aufmerksamkeit. `Und du behauptest immer noch auf der Seite des Lichts zu stehen`, spottete er. `Aber es sei, wie du es wünschst.´
Dann ließ sein mentaler Griff Midori los.
Heftig keuchend fiel das Mädchen auf die Knie, nur noch der entsetzlichen Pein ihres Körpers bewusst, die sie erst nun, da der Sakurazukamori seinen Fluch von ihr genommen hatte, fühlte.
Als sie endlich nach einer halben Ewigkeit wieder aufblickte, hielten sich Tokio und Akai immer noch mit ihren Blicken gebannt, und plötzlich durchfuhr der Gedanke das Mädchen, dass sich hier zwei Menschen gegenüber standen, die einander sehr ähnlich waren.
Dann wandten die beiden sich gleichzeitig voneinander ab und Tokio verwandelte sich wieder in der Frau, die sie kannte und liebte.
"Komm, wir gehen nach Hause, Kleines", schlug sie sanft vor.
Immer noch zitternd ergriff Midori ihre ausgestreckte Hand und sank dann schluchzend an die Brust ihrer Cousine. Eine zärtliche Hand fuhr ihr durch das zerzauste Haar. `Mein armes kleines Mädchen´, hörte sie Tokios Stimme in ihrem Kopf widerhallen und registrierte in all ihrer Aufgewühltheit, dass sie plötzlich die Gedanken der Älteren lesen konnte. `Ich wünschte, du hättest mich nicht so sehen müssen, Midori-chan...´
Sakurazuka Akai betrachtete sie beide mit einem spöttisch-amüsierten Lächeln. "Was gebt ihr doch für ein reizendes Paar ab. Aber irgendwann einmal werde ich nicht mehr einlenken, Tokio."
Tokios Lachen war so samtig weich wie stets und dennoch ließ es Midori erschaudern. "Nun, dann wird das der Tag sein, an dem du stirbst, Akai."
Der Sakurazukamori lächelte immer noch. "Wirklich?"
