James Norrington erwachte von den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne,
die unverschämt hell in sein Gesicht schienen. Als er probeweise beide
Augen aufschlug, wünschte er sich schon, er hätte dies nicht getan. Ein
höllischer Schmerz schoss durch seinen Kopf und er sah nur verschwommene
Umrisse, wusste also nicht so genau, wo er sich befand. Die Welt schien zu
einem undeutlichen, sich drehenden Farbenmeer geworden zu sein und als er
seine Füße aus dem Bett schwang, schwankte der Boden unter seinen Füßen. Er
sah beinahe sehnsüchtig zurück zu seinem Bett - aber halt! Das war gar
nicht sein Bett, dass war ein sehr kleines Sofa, auf dem er da genächtigt
hatte!
Der Blick des Commodores schweifte nun durch das gesamte Zimmer und er
musste feststellen, dass er sich keineswegs in seinem Schlafzimmer im Haus
seiner Tante befand, sondern auf seinem Schiff, der Dauntless. Durch das
Bullauge konnte er das Hafenwasser sehen, das träge gegen die Scheibe
schwappte. Als seine Augen ihre Funktion wieder vollständig aufgenommen
hatten, merkte er, dass er ein seltsames Schnarchen vernahm.
Dieses schrecklich klingende Geräusch kam geradewegs aus seinem Bett und
Norringtons Gesicht nahm eine rote Farbe an, als er unter seiner Bettdecke
die Spitzen von einem Paar schwarzer Stiefel hervorluken sah. Einem Paar
nicht sehr sauberer Piratenstiefel. James näherte sich leise dem Bett und
war gerade ganz in der Empörung darüber, dass Captain Jack Sparrow, ein
Pirat, der eigentlich an den Galgen gehörte, es gewagt hatte, sich mitsamt
seiner Straßenkleidung in sein Bett zu legen, als leise gemurmelte Worte
aus einer anderen Ecke des Zimmers an sein Ohr drangen.
Fast erschrocken fuhr Norrington herum und entdeckte eine in sich
zusammengesunkene Gestalt, die auf seinem Schreibtischstuhl saß. Die
dunkelhäutige Frau hatte den Kopf auf die Tischplatte gelegt und schlief
anscheinend tief und fest. Dabei bewegten sich allerdings ihre Lippen und
sie murmelte unverständliche Wortfetzen vor sich hin. Kopfschüttelnd
betrachtete Norrington die junge Frau und allmählich stahl sich ein Lächeln
auf sein Gesicht. Sie sah einfach bezaubernd aus, wenn sie schlief, eine
schwarze Locke hatte sich aus ihrer Frisur gelöst und hing nun über ihrem
Piratentuch hinaus. Er wäre am liebsten zu ihr gegangen, hätte ihr sanft
über die Wange gestreichelt und es gewagt, diese eine Locke zu berühren...
Aber was waren das für Gedanken ! Er rief sich innerlich energisch zur
Ordnung. In seiner Kabine auf seinem Schiff hatten zwei Piraten genächtigt,
die eigentlich an den Galgen gehörten! Sie hätten ihn unbemerkt töten
können, während er seinen Rausch ausschlief und was waren das überhaupt für
Wachtposten, die er aufgstellt hatte, wenn die beiden unbemerkt mit ihm im
Schlepptau in seine Kabine gekommen waren?
Aber erstens konnte er sich an nichts mehr erinnern, was letzte Nacht
geschehen war, nachdem Anamaria zu ihnen gestoßen war und zweitens machten
ihm seine quälenden Kopfschmerzen immernoch zu schaffen...Ein träumerischer
Ausdruck erschien in seinem Blick, als ihm der Name des schönen Geschöpfes,
dass da auf seinem Schreibtisch lag und schlief, wieder einfiel.
Doch er konnte nun nicht einfach tatenlos hier herumstehen, deshalb
versetzte er Sparrow, der so ziemlich dreist in seinem Bett lag, einen
unsanften Fausthieb in die Rippen.
Jack fuhr blitzschnell aus dem Schlaf hoch und wollte gerade mit einer
langsameren Bewegung als sonst nach seinem Säbel greifen, als ihm dieser
auch schon von Norrington aus der Hand getreten wurde.
" Aufstehen und raus aus meinem Bett !", befahl eine ziemlich gereizte
Stimme. In dem Moment fühlte Norrington, wie er den Halt unter den Füßen
verlor, weil ihm jemand in die Kniekehlen trat. Einen unfeinen und gar
nicht seiner Art entsprechenden Fluch aussstoßend, landete er unsanft auf
dem Boden, von wo aus er allerdings eine Pistole aus seinem Gürtel zog und
sie auf Jack und Anamaria richtete. " Wie ihr seht, kämpft auch ein
Commodore nicht immer mit fairen Mitteln.", meinte er dann, fast schon
wieder grinsend. " Wenn ich mir nun die Bitte erlauben dürfte, dass ihr
eure Beine in die Hand nehmt und euch von meinem Schiff bewegt?"
Die beiden sahen ihn nur verständnislos und geschockt an, deswegen seuftzte
Norrington und steckte die Pistole weg. Draußen waren aufgeregte Stimmen zu
hören, dazu gesellte sich Leutnant Gillettes Stimme, die befahl,
nachzusehen, was in der Kabine des Commodores vor sich ging. Nachdem
Norrington seinen Männern Entwarnung gegeben hatte, hörte man, wie sich die
Gruppe langsam wieder von der Kabinentür entfernte.
Zumindest Jack hatte sich inzwischen wieder von seinem Schock erholt und
kam nun in der gewohnt torkelnden Gangart auf James zu. Dieser fragte sich,
ob es dem Piraten gar nichts ausmachte, einen ganze Nacht durchzuzechen,
denn sein Kopf fühlte sich unnatürlich groß an und er hatte den Wunsch,
sich einfach wieder hinzulegen und für den Rest des Tages nicht mehr
aufzustehen. Jacks Worte fanden deshalb auch nur langsam den Weg zu
Norrington.
" Nun...wir können leider nicht mehr auf mein eigenes Schiff zurückkehren,
Commodore."
"Weshalb?", wollte Norrington nun schon etwas resigniert wissen.
" Die Black Pearl ist uns bei einem kleinen...Unfall abhanden gekommen",
meinte der Pirat und sah den Commodore dabei mit einem mitleidigen Blick
an, " und da wir beide Piraten sind, müssten Sie uns doch eigentlich hier
behalten, damit wir auch unsere Verabredung mit dem Galgen einhalten
können, nicht wahr?"
Sein Gegenüber und auch Anamaria zuckten zusammen. Das Denken fiel James im
Moment noch sehr schwer, aber er musste einsehen, dass der Pirat mit seinem
Einwand recht hatte. Wie sollte er das seiner Mannschaft erklären,wenn zwei
Piraten sein Schiff vollkommen unbeschadet wieder verlassen konnten? Er
hatte wohl keine andere Wahl, als sie erst einmal hier zu behalten.
Ohne irgendeine Erklärung abzugeben, verließ er schleunigst seine Kabine
und wies zwei verdutzte Mitglieder der Crew an, den beiden Piraten in
seiner Kabine Handfesseln anzulegen und sie zu bewachen, bis er wiederkam.
Dann stellte er sich an die reling und lies sich die sanfte Brise ins
Gesicht blasen. Gerade heute musste ihm so etwas passieren! Heute, wo er
nach Le Havre segeln musste, um seine Nichte abzuholen, die nun, nachdem
sie ein paar Jahre in Frankreich in ein Internat gegangen war, bei ihm in
Port Royal unterkommen sollte. Das konnte ja heiter werden...
