Inzwischen war es abend geworden und die Dämmerung brach über Le Havre herein, als Norrington Felicity schließlich allen seinen Offizieren und Mannschaftsmitgliedern vorgestellt hatte. Anfangs hatte er einige Zweifel gehabt, sie überhaupt der ganzen Mannschaft vorzustellen, da er nicht wusste, wie sie auf diese teilweise ziemlich rauhen Burschen reagieren würde. Sie schien aber eher erfreut als verschreckt, ihr Selbstbewusstsein schien um einiges gewachsen zu sein, seit sie das Internat verlassen hatte. Norrington betrachtete sie fast stolz und musste sich in Erinnerung rufen, dass sie nicht seine Tochter war, sondern nur seine Nichte, aber was hinderte ihn daran, auf die Tochter seines Bruders stolz zu sein? James wunderte sich etwas, weil die kleine überhaupt nicht den Anschein machte, ihre Eltern zu vermissen, aber schließlich war sie auch seit ihrem sechsten Lebensjahr von ihnen getrennt gewesen. Der einzige, der sie hin und wieder in Frankreich besucht hatte, war er selbst gewesen, da sein Bruder, der in seiner Militärkarriere nicht so sehr erfolgreich gewesen war als er, weil er sich immer zu waghalsigen Unternehmungen hinreissen lies, ein Jahr, nachdem er seiner Tochter den Internatsaufenthalt ermöglicht hatte, bei einem zweifelhaften Duell von seinem Gegner erdolcht worden war. Ihre Mutter hatte ihren Gatten schon lange Zeit vorher verlassen, da ihre Ehe fast nur noch aus Streitereien bestand, deshalb sprach man in Norringtons Familie nicht mehr sehr nett über diese Frau. So auf sich alleine gestellt und dazu noch in einem fremden Land, war der Commodore der einzige Mensch gewesen, durch den Felicity noch eine Verbindung zu ihrem früheren Leben hatte, aber auch er hatte sie höchstens ein einziges mal im Jahr besuchen können. Da das Internat sie nun nicht länger behalten wollte, weil sie ihr anscheinend nichts mehr neues beibringen konnten ( Norrington vermutete eher, dass sie keine Lust mehr verspürten, ein weiteres Maul zu stopfen), war es wieder James gewesen, der sie nun mit nach Port Royal zu nehmen gedachte. Nachdem sie zusammen mit den Offizieren zu abend gegessen hatten, nahm Norrington Felicity an der Hand und ging mit ihr zu seiner Kabine. Er erinnerte sich dummerweise erst nachdem er die Tür aufgestoßen hatte an seine anderen Gäste. Fast panikartig wollte er Felicity wieder aus der Kabine herausschieben, aber sie hatte die beiden Piraten, die sich die Zeit anscheinend mit dem Lesen seiner Bücher und dem Vollkritzeln seines ziemlich kostbaren Papiers vertrieben hatten, schon entdeckt und rief begeistert :" Wer seid ihr denn und wieso habt ihr so lustige Sachen an? Solche Leute habe ich noch nie gesehen, Onkel Norrington, wer ist das?" Nun wurde Norringtons Gesichtsfarbe etwas rötlicher, als Anamaria und Jack auch noch schallend zu lachen begannen. "Onkel Norrington?", kicherte Jack ungläubig. "Das ist ja eine Überraschung, dass du so liebenswürdige Verwandte hast, Norrington.", meinte Anamaria und zwinkerte Felicity freundlich zu. James begann so langsam wirklich die Beherrschung zu verlieren, aber das dürfte den zwei Piraten vor ihm um so mehr gefallen und er wollte seine Nichte nicht erschrecken, deshalb gelang es ihm mühsam, sich zu beherrschen. " Felicity...darf ich dir Captain Jack Sparrow und die überaus reizende Anamaria vorstellen? Das hier ist meine Nichte Felicity.",begann er die drei einander Vorzustellen. In dem Moment zupfte Felicity ihn am Arm. "Weshalb haben die beiden Fesseln an den Händen? Das muss ihnen doch weh tun, kannst du sie denn nicht frei machen?", wollte sie mit dem Unschuldsblick eines Kindes wissen. Norrington knirschte unweigerlich mit den Zähnen, als nun Jack auch noch seinen Hundeblick aufsetzte und meinte :" Ja, diese Eisen sind wirklich nicht sehr angenehm und wo wir doch nun einmal Eure Gäste sind, Commodore, könntet Ihr uns doch auch freilassen..." Er kam ziemlich nah an Norrington heran und meinte :"Außerdem möchtest du sicher nicht, dass dein kleines Unschuldslamm von Nichte erfährt, dass wir uns gerade auf direktem Weg zum Galgen befinden, damit möchtest du ihre arme Kinderseele doch nicht belasten, oder?" Ein beinahe teuflisches Grinsen huschte über Jacks Gesicht. James nickte nur unmerklich und holte dann selbst die Schlüssel für die Handfesseln hervor, um sie Jack und auch Anamaria eigenhändig abzunehmen. Er hatte ja nun leider keine Wahl mehr, aber ihre persönlichen Sachen hatten seine Offiziere den Piraten Gott sei Dank angenommen, sodass weder er noch Felicity befürchten mussten, von ihnen hinterrücks überfallen zu werden. Wobei James hoffte, dass sie wenigstens soviel Anstand besaßen, um nicht ein elfjähriges Mädchen zu überfallen, aber man konnte ja nie wissen...

Ein paar Stunden später sah es so aus, als wäre in der Kabine des Commodores Ruhe und Frieden eingekehrt, aber das hatte, wie sich herausstellte keinerlei Vorteile für den Besitzer der Kabine, sondern nur für seine Gäste. James Norrington hatte nämlich festgestellt, dass ihnen als Schlafmöglichkeiten nur ein Sofa, ein äußerst unbequemer Sessel und sein Bett zur Verfügung stand. Da es nicht schicklich war, wenn eine Frau in seiner Kabine schlief, lies er das Sofa und den Sessel in eine angrenzende Kabine bringen und Felicity, die sich mit dieser mutigen und intelligenten Frau schon angfreundet hatte, machte es überhaupt nichts aus, mit Anamaria in einer Kabine zu nächtigen. Das Problem bestand eher darin, dass sich Jack und James nun wohl oder übel James Kabine teilen mussten, denn James brachte es nicht übers Herz, ihn in eine der Gefangenenzellen zu sperren, auch wenn er das seiner Mannschaft und Jack gegenüber nie zugegeben hätte. Er breitete eine Decke auf dem Boden aus und meinte :"So Sparrow, du kannst von mir aus hier schlafen, ich werde mich jedenfalls nicht wieder aus meinem warmen und bequemen Bett vertreiben lassen. Zum Glück bemerkte der Commodore nicht Jacks selbtszufriedenes und listiges Grinsen, als er nach einer Weile seelig einschlummerte.