Kapitel 3: „Kopf und Herz"


Kopf und Herz

(von Hans Kruppa)

Das Herz denkt
anders als der Kopf.
Der Kopf
nennt das Herz naiv.
Das Herz nennt
den Kopf einen Diktator.

Als Jack O'Neill am nächsten Morgen mit Jonas und Teal'c in den Briefing-Raum eintrat, saß Samantha Carter bereits an ihrem üblichen Platz am Konferenztisch. Teal'c und Jonas setzten sich wie immer ihr gegenüber, O'Neill zögerte aber noch einige Augenblicke, bevor er sich gewohnheitsmäßig neben sie setzte.

„Geht es dir heute morgen wieder besser, Major Carter?" erkundigte sich Teal'c.

Sam schreckte aus ihrer Nachdenklichkeit auf und versuchte etwas zu Lächeln. „Ja, danke, Teal'c."

Jonas musterte Sam genauer, denn so kurz angebundene Antworten in einem so seltsamen Tonfall war er von ihr nicht gewohnt. Und O'Neill, der inzwischen an Carters Seite Platz genommen hatte, war ebenfalls ungewöhnlich schweigsam und bedrückt. Er wollte gerade zu einer Frage ansetzen, da betrat General Hammond den Raum.

„Bleiben Sie sitzen," sagte er, als das Team aufstehen wollte. „Und guten Morgen erst einmal… Zu der Mission nach P4X-359 ist ja bereits alles gesagt. Der Planet ist kartographiert und SG-9 wird weiteren Kontakt mit den Bewohnern halten."

„Gibt es eine neue Mission für SG-1?" erkundigte sich Colonel O'Neill.

„Ich weiß, dass Sie sich mal wieder etwas Interessanteres als das Kartographieren von bereits kontaktierten Planeten wünschen, aber ich denke SG-1 tut diese Ruhe ganz gut. Und der Erde auch."

Nicht einmal Sam konnte sich jetzt ein leichtes Grinsen verkneifen. Es war ja tatsächlich so, dass SG-1 das Talent besaß, in große Schwierigkeiten zu geraten – meist aber auch Schwierigkeiten, in die die Erde geriet, zu entdecken und alles noch mal zum Guten zu wenden. Inzwischen hatte dieses vierköpfige Team den Planeten Erde mindestens acht Mal vor der totalen Vernichtung bewahrt. Aber abgesehen von der Anspielung auf die Leistungen von SG-1 deutete die Bemerkung des Generals aber auch auf die Verfassung von Samantha Carter hin. Auf sie richtete sich nun sein Blick. Er wusste, dass es Neuigkeiten gab, aber noch nicht was. Und er wusste auch, dass es etwas sein musste, was ihm sicher nicht gefallen würde, denn selbst während ihrer gesundheitlichen Tiefphasen in den letzten Monaten war Sam Carter fröhlich und euphorisch wie immer in die morgendlichen Besprechungen gekommen. Nur an diesem Morgen saß sie ganz ruhig, ernst und schweigend da – ja, er konnte sogar ängstliche Züge an ihr erkennen. „Major Carter?"

Sam rutschte etwas unruhig auf ihrem Stuhl herum und faltete die Hände auf dem Tisch. „Es ist nicht einfach für mich…" begann sie zögerlich. „Wir hatten ja angenommen, dass mein Körper erst wieder in seinen normalen Rhythmus zurückfinden muss, nachdem meine Gene verändert und die Veränderung wieder rückgängig gemacht worden ist. Das war immerhin auch ein empfindlicher Eingriff. Aber meine körperliche Verfassung machte in den letzten Monaten keine Anstalten, sich wirklich zu bessern… Und wie sich gestern herausgestellt hat, ist die DNS-Umprogrammierung nicht der Grund für meinen Zustand. Tatsächlich ist es so, dass ich völlig gesund bin, aber…" Sam schloss einen kurzen Augenblick die Augen, als sie fühlte, dass ihre Stimme schwach und zittrig wurde. „…dennoch ist mein Körper einer Veränderung unterworfen. Dr. Fraiser hat festgestellt, dass ich in der 14. Woche schwanger bin."

Sam hielt unwillkürlich den Atem an, als sie das gesagt hatte. Kollegen – Freunden – eine Schwangerschaft mitzuteilen war oder besser sollte eigentlich eine freudige Angelegenheit sein, aber im Augenblick fühlte sie sich sowohl körperlich als auch gefühlsmäßig einfach nur schrecklich. Erst ganz langsam traute sie sich weiter zu atmen und ihrem Blick kaum merklich durch die schweigsame und schockierte Runde schweifen zu lassen.

Jack O'Neill, der neben ihr saß, war ganz ruhig, da er die Situation bereits kannte. Teal'c zeigte fast nie Gefühlsregungen und auch jetzt war alles, was er an Reaktion zeigte ein Blinzeln und das Hochziehen seiner Augenbrauen. Jonas Quinn blickte mehr verwirrt, denn schockiert zu Sam und schien schon tausend Fragen auf den Lippen zu haben und General Hammond, ihr Befehlshaber, sah sie mit einer Mischung aus Schock und Mitgefühl an.

Ja, Mitgefühl war in diesem Moment in der Tat das, was er ihr entgegenbrachte. Er war schon oft genug mehr väterlicher Freund, denn Vorgesetzter für SG-1 gewesen, vor allem auch für Sam, deren Vater George schon sehr, sehr viele Jahre kannte, und so sagte er erst einmal gar nichts, was er eigentlich aufgrund seiner Position als Befehlshaber des SGC sagen sollte. Ihm fiel nun auch plötzlich auf, dass er immer noch vor seinem Stuhl an seinem Platz am Tischende stand und setzte sich hin.

„Da Major Carter im dritten Monat ist, vermuten wir, dass die Schwangerschaft auf 367 entstanden ist," brach Jack O'Neill das Schweigen.

„Du wusstest es schon?" fragte Jonas.

„Ich war gestern Nachmittag auf der Krankenstation, als die Testergebnisse kamen."

„Wir glauben, dass Ni'irti dahinter steckt," fuhr Sam fort. „Vermutlich hat sie das irgendwie mit ihrer DNS-Manipulationsmaschine hingekriegt."

„Das heißt, sie hat deine DNS mit der eines anderen, der in der Maschine war, verbunden und eine Schwangerschaft herbeigeführt," vermutete Teal'c.

„Etwas in der Art muss wohl geschehen sein," nickte Sam.

„Und wer kommt als Vater in Frage?" schaltete sich General Hammond nun vorsichtig in das Gespräch ein.

„Einer der Planetenbewohner… Colonel Ivanov… oder Jonas…" dachte Sam laut und versuchte das Zittern aus ihrer Stimme zu verbannen.

„Nein," widersprach Jonas, nachdem sich einige Sekunden bedrückendes Schweigen im Briefing-Raum ausgebreitet hatte. „Ich komme nicht in Frage. Ich war nach dir in der Maschine. Sie hatte meine DNS noch nicht gescannt, als du in der Maschine warst und folglich auch meine Muster nicht gespeichert. Und abgesehen von der Sache mit dem Tumor und den Visionen, von denen wir ja nicht völlig sicher sein können, dass sie auf ihr Konto gehen, hat sie meine Gene nicht verändert… stattdessen hat sie mir Avancen gemacht."

„Nett," erwiderte O'Neill in seiner typisch sarkastischen Art.

„Letztendlich," fuhr Sam leise fort, „bleibt nur eine Möglichkeit um herauszufinden, was genau geschehen ist – ich muss nach Vengara zurückkehren."

General Hammond nickte. „In Ordnung. Sie haben grünes Licht, SG-1."

„Nein, General… bitte," widersprach Sam. „Ich… ich muss das alleine tun."

Hammond wollte ihre Bitte ablehnen und auf jeden Fall das ganze Team schicken, doch als er diesen verzweifelten, ängstlichen und unsicheren Ausdruck in ihren Augen sah, wusste er, dass sie das wirklich alleine tun musste. „Also gut," meinte er schließlich. „wann immer Sie bereit sind, Sam."

Sie nickte dankbar und stand auf.

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Als Sam Carter wieder in ihrem Quartier und gerade dabei war, sich für ihre Reise nach P3X-367 umzuziehen, verharrte sie plötzlich vor dem Spiegel. Sie trug nur schwarze Unterwäsche und ihre silbernen Erkennungsmarken um den Hals. Wie ins Leere starrte sie in den Spiegel und hatte Mühe nicht in Tränen auszubrechen. Sie legte sich die rechte Hand auf den Bauch und versuchte ein weiteres Mal seit Janet ihr ihre Schwangerschaft mitgeteilt hatte, zu realisieren, dass da ein neuer Mensch in ihr heranwuchs. Sie hatte fast die ganze Nacht wach gelegen, auf das Ultraschallbild gestarrt und immer wieder versucht, sich an den Gedanken einer Schwangerschaft zu gewöhnen, doch irgendwie wollte es nicht in ihrem Kopf. Ihre körperliche Verfassung in den letzten Monaten mochte nun einen Sinn ergeben und im Nachhinein erschien auch alles so logisch – Müdigkeit, Schwindelanfälle, Übelkeit, das Ausbleiben ihrer Periode – und sie hatte sich schon so manches Mal ein Kind gewünscht… doch im Augenblick fühlte sich einfach nur alles so falsch an. Sie kam sich benutzt und übergangen vor – und sie fühlte eine enorme Wut und gleichzeitig auch Angst in sich aufsteigen. Sie wusste, dass tausend Möglichkeiten bestanden, wie es nun weitergehen könnte. Sie könnte ein gesundes Kind zur Welt bringen, sie könnte bei der Geburt sterben, sie könnte das Kind noch vor der Geburt verlieren, sie könnte es abtreiben… All diese Gedanken schossen völlig durcheinander in ihrem Kopf herum, völlig automatisch. Nur mit großer Mühe konnte sich Sam innerlich zur Ordnung rufen.

„Ich werde mich jetzt anziehen," sagte sie zu ihrem Spielbild. „Ich werde auf diesen Planeten gehen und herausfinden, was mir Ni'irti da angetan hat!"

Sie starrte weiterhin ihr Spiegelbild an und ballte unbewusst die Fäuste – dann sank sie weinend zu Boden. So blieb sie sitzen. Mal schluchzte sie laut und hätte am liebsten laut geschrieen, mal liefen ihr die Tränen stumm über die Wangen. Wie lange sie so dort saß und gesessen hatte, wusste sie nicht, aber irgendwann riss sie ein Klopfen an der Tür aus ihrer stummen Verzweiflung.

„Carter?" erklang Jack O'Neills Stimme von der anderen Seite der Tür.

„Ja," rief sie zurück, wischte sich hastig die Tränen aus dem Gesicht und stand schnell auf. „Augenblick." Sie schlüpfte schnell in ihre grüne Uniformhose und zog sich ein schwarzes T-Shirt über. Im Spiegel wollte sie sich noch schnell vergewissern, dass sie nicht zu verheult aussah – doch das tat sie. Und wie. Seufzend öffnete sie dem Colonel die Tür.

Als O'Neill eintrat, war er im Begriff etwas sagen zu wollen, aber als er sah wie Sam zitterte und wie rot und verheult ihre Augen waren, kam er einfach nur schweigend herein und schloss die Tür hinter sich. Er überlegte, was er ihr nun sagen sollte oder eher sagen konnte, ohne das Falsche zu sagen, aber ihm fiel nur eines ein. „Sie haben geweint," stellte er fest und sah sie sanft an.

„Sieht so aus," flüsterte sie.

„Sollen wir Sie vielleicht doch begleiten?" fragte er vorsichtig.

„Nein," erwiderte sie kaum hörbar. „Aber…" ihre Stimme zitterte und sie zögerte, es auszusprechen.

„Was?" fragte er behutsam und fast ängstlich. Er wusste, dass zu ihrer bestehenden Verwirrung und Angst über die Schwangerschaft mit seinem Erscheinen etwas anderes hinzugekommen war. Etwas, das er selbst nun auch spürte und ihn unsicher machte. Es war dieses Etwas, das seit Jahren zwischen ihnen existierte, das sie aber nicht zulassen konnten und durften.

„Was?" fragte er ein zweites Mal, doch so leise, dass sie es kaum hörte.

„Ich könnte jetzt jemanden brauchen, der mich einfach nur festhält," sagte sie leise und sah ihn ängstlich an.

Jack zögerte einen Moment. Es wäre nicht das erste Mal, dass er einfach nur für sie da war – das hatte er schon oft getan und sie ebenfalls – doch jetzt schien es anders zu sein. Sie waren wieder in einem dieser Momente gelandet, die ihrer beider ganze Willenskraft kostete, um ihre Freundschaft nicht für etwas auf's Spiel zu setzen, was ihnen verboten war. Dennoch und gerade weil sie ihm so viel bedeutete und ihn in diesem Augenblick mehr denn je brauchte, schloss er sie in seine Arme und sie blieben einfach so stehen. Diese Geste, die irgendwo zwischen Freundschaft und dem lag, was sie aufgrund ihrer Ränge nicht durften, war genau das was sie beide gerade brauchten.

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