Kapitel 4: „Definitionssache"

Definitionssache
(von Kristiane Allert-Wybranitz)

Wenn wir einander
verstehen, umarmen,
zusammen lachen und
traurig sind…

Wenn wir unsere Nähe
als wohltuend empfinden
und manchmal den
Weg auseinander
nicht gerne gehen...

Du
und ich...
was ist das?

Liebe darf es nicht sein,
da wir offiziell
anderweitig verliebt
zu sein haben.

Das Stargate lag hinter Samantha Carter und sie hatte Ni'irtis ehemaligen Palast schon fast erreicht, als ihre Schritte immer langsamer wurden. Schließlich blieb sie sogar stehen und zwang sich tief durchzuatmen. Jetzt war sie also wieder auf P3X-367. Ein seltsames Gefühl. In ihr brannte immer noch die Wut über ihren Zustand, aber diese Wut lieferte sich gerade ein Duell mit der Angst vor dem, was sie hier nun erfahren könnte, über die Vorherrschaft in ihr. Dazu noch fürchtete sie, gleich wieder in Tränen auszubrechen. Alles was sie einem völligen Zusammenbruch entgegenzusetzen vermochte, war das Wissen, dass ihre Kollegen und Freunde  für sie da waren – und die Erinnerung an die tröstliche Umarmung von Jack O'Neill.

Schließlich lief Sam weiter und betrachtete den Palast, der völlig verlassen schien. Sie begab sich zögernd und zielstrebig zugleich in den Raum, in dem Ni'irtis DNS-Manipulationsmaschine stand – oder gestanden hatte, wie sie nun feststellte. Sie konnte schon beim Betreten des Raumes erkennen, dass das Kontrollterminal nur noch zur Hälfte existierte. Wodan oder ein anderer seines Volkes hatte es mit einer Stabwaffe unbrauchbar gemacht. Auch das sechseckige Podest, sowie die orangerote Kuppel, die senkrecht darüber an der Decke hing, trugen die Brandzeichen einer Stabwaffe. Sam hatte ein ähnliches Bild fast schon erwartet, aber dennoch gehofft, dass die Bewohner des Planeten die Maschine doch nicht zerstören würden.

„Es gab uns ein Gefühl der Sicherheit."

Sam drehte sich ruckartig um und sah neben dem Eingang einen Menschen stehen. Er war etwa in Jack O'Neills Alter, aber klein und abgemagert. Er trat ins Licht und Sam erkannte ihn lediglich an seinen Augen wieder, denn bei ihrer ersten Begegnung hatte sein Aussehen kaum noch etwas Menschliches gehabt. „Wodan."

„Willkommen, Samantha Carter," erwiderte er.

„Du hast mich erwartet?" folgerte sie aus seiner fehlenden Überraschung angesichts ihrer Anwesenheit.

„Ja, das haben wir." Ein weiterer Mann betrat den Raum. Er war größer als Wodan, hatte dunkelblondes Haar und einen Vollbart.

„Eggar," erkannte Sam ihn sofort. Sie war positiv überrascht, beide wieder vollkommen menschlich vorzufinden. Nichts, außer ihren Augen vielleicht, erinnerte noch an die schrecklichen Qualen, die sie aufgrund ihrer Mutation hatten durchmachen müssen.

„Wie du siehst, haben wir die Maschine zerstört," begann Eggar. „Sie wird nun nie wieder einem Menschen schaden können. Und Ni'irtis Leiche haben wir verbrannt, samt des Dämons in ihr."

„Du hast doch ihre Gedanken gelesen, kurz bevor Wodan ihr das Genick gebrochen hat," erwiderte Sam hoffnungsvoll. „Hast du da auch gesehen, welche Pläne sie mit mir hatte und was sie mir angetan hat?"

„Du meinst deine Schwangerschaft?" entgegnete Eggar.

„Ja."

„Das war nicht Ni'irti," erklärte er ganz frei heraus.

„Was?" entfuhr es Sam überrascht.

„Freust du dich denn nicht über deinen gesegneten Zustand, Samantha Carter?" fragte Wodan ganz ruhig.

„Meinst du das ernst? Mir ging es in den letzten Monaten furchtbar schlecht," erwiderte Sam aufgebracht. „Ich dachte die ganze Zeit, dass es noch an der Um- und Reprogrammierung mit dieser Maschine liegt," gestikulierte sie. „Ich habe jeden Abend darum gebetet, dass es endlich vorbei sein möge – und gestern wurde dann festgestellt, dass es gar nicht die Nachwirkungen von damals sind, sondern dass ich schwanger bin!" Sam war inzwischen so erzürnt, dass ihr fast schon die Tränen in den Augen standen. Sie atmete schwer und ließ sich schließlich keuchend auf dem Boden nieder.

Wodan trat auf sie zu und ging neben ihr in die Hocke. Er griff in einen der Beutel, die er um die Hüften trug und reichte Sam etwas, das aussah wie eine Kastanie, nur viel kleiner.

„Was ist das?" fragte sie angestrengt.

„Etwas, dass die den Schwindel und die Übelkeit nehmen wird."

Trotz ihrer Wut nahm Sam dankbar an, was Wodan ihr bot. Daraufhin herrschte eine Weile Schweigen, in der deutlich wieder Farbe in Sams Gesicht zurückkehrte und man ihr förmlich ansah, wie die Übelkeit langsam aus ihrem Körper verschwand. „Warum?" fragte Sam schließlich leise.

Eggar sah sie mit einem etwas verwirrten Gesichtsausdruck an. „Ich dachte, ich würde dir damit ein Gefallen tun?"

Jetzt war Sam verwirrt. „Was? Wie kommst du denn bitte darauf?"

„Nun, deine Gedanken…" setzte Eggar an, sprach aber nicht weiter. Er schüttelte verwirrt den Kopf. „Es tut mir Leid. Ich dachte, du wolltest es…"

Sam wandte sich mit einem hilflosen und fragenden Blick an Wodan.

„Wie du weißt, konnte Eggar nach Ni'irtis Behandlung Gedanken lesen," begann Wodan schließlich.

„Ja," nickte Sam.

„Er las die Gedanken eures Teams, als ihr hier im Palast wart. Meist dachtet ihr an Ni'irti und wie ihr sie aufhalten und vernichten könntet. Eggar nahm aber auch etwas anderes wahr."

Sam spürte, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte. Natürlich wusste sie längst nicht mehr, was sie während ihres ersten Aufenthaltes auf Vengara alles gedacht hatte, aber jetzt sie beschlich eine Ahnung worauf Wodan hinauswollte. Es gab Gedanken – und Gefühle – die sie ständig begleiteten. Sie vermochte sie lediglich zu ignorieren, nie aber sie zu vergessen oder abstellen zu können. So war es auch auf jener Mission gewesen, als sie die Superkräfte verleihenden Armschienen der Tok'ra ausprobiert hatten und sie selbst eigentlich unweigerlich den Goa'uld in die Hände gefallen wäre – Colonel O'Neill hatte sie jedoch nicht zurücklassen wollen. Später, während des Zat'arc-Tests war ihnen beiden das fast zum Verhängnis geworden… Sam begann nun zu begreifen, was Eggar wahrgenommen haben musste und ihr traten nun unwillkürlich Jack O'Neills Worte ins Bewusstsein. Sie erinnerte sich an das, was er während des Testes unweigerlich hatte zugeben müssen – Ich konnte nicht weg… Weil ich lieber gestorben wäre, als Carter zurückzulassen… weil sie mir etwas bedeutet. Viel mehr als sie mir bedeuten dürfte. Und sie erinnerte sich daran, wie O'Neill und sie in der einen Zelle, Teal'c und Jonas in der Nachbarzelle gesessen hatte, wie Wodan und Eggar gekommen waren um sie zu holen und sich O'Neill statt ihrer angeboten hatte.

„Ich weiß nicht, was du gerade denkst," sagte Eggar leise, als er Carters fernen Blick bemerkte. „Aber ich nehme an, du verstehst jetzt."

„Ich denke, ich… beginne zu verstehen…" antwortete sie zittrig.

„Du und O'Neill," nickte Eggar. „Ihr habt Gefühle füreinander."

Sam fühlte mit diesem Satz einen unsichtbaren Dolch in ihrem Herzen. Sie war unfähig etwas zu sagen, doch Wodans und Eggar Blick machten das auch völlig unnötig.

„Und sogar ohne Gedanken lesen zu können, ist das offensichtlich," fügte Wodan hinzu.

Sam presste die Lippen zusammen. „Es ist… kompliziert," setzte sie mit einer Erklärung an. „Ich weiß, dass er mir mehr als bloße Freundschaft entgegen bringt. Und umgekehrt ist es ebenso. Aber wir dürfen diese Gefühle nicht zulassen."

„Warum denn nicht?" entgegnete Eggar verwirrt. „Wenn zwei Menschen eine solch starke und reine Liebe empfinden – wie kann das falsch sein?"

Sam fühlte wie ihr Tränen in die Augen stiegen. „Falsch…" wiederholte sie. „Richtig und falsch sind eine Definitionssache… Natürlich ist es nicht falsch, wenn sich ein Mann und eine Frau ineinander verlieben – aber wenn sich ein Major in seinen vorgesetzten Offizier verliebt, dann ist das falsch. Es verstößt gegen die Regeln der Airforce… Das heißt natürlich nicht, dass wir diese Gefühle einfach so abschalten könnten, aber wir haben schon vor Langem beschlossen, alles so zu belassen, wie es ist."

„Oh," brachte Eggar leise hervor. „Weil ihr diese Uniform tragt, sind eure Gefühle also falsch…"

Sam nickte und wischte die Tränen, die ihren Blick verschleierten, aus den Augen.

„Das… konnte ich nicht wissen," begann er langsam und in seiner Stimme schwangen Unsicherheit, Bedauern und sogar etwas Verzweiflung mit. „Das konnte ich in euren Gedanken nicht sehen. Ich sah seinen Blick und deinen Blick. Ich sah wie ihr euch nacheinander sehntet. Ich spürte seinen Wunsch dich zu beschützen, dich in seine Arme zu schließen, zu küssen… und… und wie du dir wünschtest seine Hand zu nehmen und in seinen Armen zu liegen, seine Wärme zu spüren…" Eggar schüttelte verzweifelt den Kopf. „Verzeih mir, Samantha Carter, ich wollte euch nur helfen…" Er senkte reuevoll den Kopf und Wodan legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter.

Sam starrte Eggar einfach nur sprachlos an und bemerkte plötzlich, dass sie den Atem angehalten hatte. „Eggar," hauchte sie dann atemlos und sah ihn flehentlich mit einen Bitte-Sag-das-das-nicht-wahr-ist-Blick an, als ein Verdacht in ihr aufkam.

„Ich sah deine Gedanken," verteidigte er sich schwach und wiederholte Bekanntes. „Ich sah, dass du dir eine Familie, eine gemeinsame Zukunft, mit ihm wünschtest. Ich wollte euch nur helfen…"

Sams Gedanken überschlugen sich. Jack O'Neill war der Vater ihres Kindes? Sie glaubte Eggar und sie war entsetzt – in dieses Entsetzen schlichen sich aber auch plötzlich ganz andere Gefühle ein. Ihr Verstand schrie auf und machte ihr klar, dass sie nun in gewaltigen Schwierigkeiten steckte. Sie war von ihrem CO schwanger. Ob es eine Beziehung oder auch nur eine einzige gemeinsame Nacht gab, interessierte das Militärgericht da bestimmt herzlich wenig… Ihr Verstand malte sich schon alle möglichen Szenarien aus – von einer Verurteilung bis hin zu einem gemeinsamen Leben mit Jack O'Neill. Und sie hatte plötzlich furchtbare Angst, eine ganz andere Angst als die, die sie in den letzten Stunden gefühlt hatte. Und mit dieser Panik, die nun in ihr aufflammte, ging noch etwas anderes einher. Tatsächlich war da auch Gefallen an der Tatsache, dass sie ein Kind von Jack O'Neill in sich trug. Eggar hatte Recht – das hatte sie sich schon oft gewünscht. Ihr Herz hatte sich das gewünscht. Aber ihr Kopf hatte auch immer gewusst, dass das nur ein Traum war. Und jetzt, da er wahr geworden war, stand ihr die blanke Angst im Gesicht. Sie war unfähig sich auch nur einen Millimeter zu bewegen und hätte sie es sich nicht immer wieder selbst befohlen, hätte sie wohl aufgehört zu atmen.

„Samantha?" fragte Wodan vorsichtig, nachdem sie minutenlang nur so dagestanden hatte.

„Ja," antwortete sie mit schwacher Stimme.

„Es tut uns wirklich furchtbar Leid," entschuldigte auch er sich nun.

Sam nickte abwesend und holte tief Luft. „Was soll ich jetzt tun?" Diese Frage richtete sich nicht wirklich an Eggar und Wodan – und eigentlich nicht mal an sich selbst. Es war einfach ein ausgesprochener Gedanke, um sicherzugehen, dass ihre Stimme noch da war und dass sie wach war.

Eggar und Wodan schwiegen, um Sam Zeit zu geben, ihre Gedanken zu ordnen.

„Man wird sich bald Sorgen um mich machen. Ich muss zurück," sprach Sam schließlich mit brüchiger Stimme weiter. Dann schüttelte sie den Kopf und eine Träne lief ihr über das Gesicht. „Was soll ich ihnen nur sagen? Sie haben mich auf meinen Wunsch alleine gehen lassen. Ich wollte erst für mich alleine herausfinden, was geschehen ist… Ich… ich dachte, es sei ganz allein meine Sache. Ich hatte angenommen, Colonel Ivanov oder einer eures Volkes sei der biologische Vater… oder dass dies ein im Computer generiertes Kind aus der DNS vieler ist… und jetzt…" Sie schüttelte abermals den Kopf und schloss die Augen. Gerade als sie weiter sprechen wollte, schlug sie abrupt die Augen auf und sah Eggar mit offenem Mund an. „Moment mal – Colonel O'Neill war doch gar nicht in Ni'irtis Maschine," fiel ihr plötzlich ein.

Diese Tatsache war in ihrer Panik völlig untergegangen. O'Neill hatte sich mehrmals an Sams und dann an Jonas' Stelle angeboten, aber als man ihn dann holen sollte, hatte Eggar es doch noch gewagt, die Gedanken der vermeintlichen Göttin zu lesen und die Wahrheit erkannt.

„Er war es," antwortete Wodan ohne Zögern.

„Ni'irti hat erst mich und dann Jonas holen lassen… und vor uns war noch Ivanov in der Maschine, O'Neill aber nicht!" erwiderte Sam und war sich völlig sicher, verstand nun aber was ihre Schwangerschaft betraf gar nichts mehr.

„Er war es," wiederholte Wodan ruhig.

„Du warst am Kontrollterminal der Maschine, als die Ringtransporter zwei Jaffa und die unsichtbare Ni'irti auf den Planten brachten," rief ihr Eggar die damaligen Ereignisse ins Gedächtnis. „Du hast die Jaffa überwältigt, doch dann betäubte dich Ni'irti. Während du bewusstlos warst, kam O'Neill und verlangte von Ni'irti deine Freilassung und unser aller Heilung. Als sie jedoch dein Leben bedrohte, ergab er sich. Sie betäubte ihn – wie dich zuvor – mit einem Schuss aus einem Zat'nickitel. Dich ließ sie in meiner Obhut, O'Neill jedoch wurde von Wodan in die Maschine gebracht. Sie scannte ihn und war gerade im Begriff, sich an seiner DNS zu schaffen zu machen, sie hatte auch schon seine Muster und alles entschlüsselt, seine Proben waren auch bereits im Computer – da brachten einige Jaffa Colonel Ivanov und sie ließ von O'Neill ab. Sie meinte, sie wolle sich später eingehender und in Ruhe mit ihm beschäftigen. Sie schien ein spezielles Interesse an ihm zu haben. Dann brachten wir den anderen Colonel in die Maschine und euch beide in die Kerker."

Sam ließ sich wortlos auf dem Boden nieder und versuchte das alles zu realisieren.

„Als ich Ni'irtis Erinnerungen an mich gebracht hatte und Wodan sie getötet hatte, blieben nur noch wenige Augenblicke um dich zu retten," fuhr Eggar fort. „Ich rief im Computer deine ursprüngliche DNS auf und startete das Programm zur Wiederherstellung. Als ich dann aber O'Neills Angst um dich sah und mir wieder einfiel, was ich in euer beider Gedanken gesehen hatte… da rief ich auch seine gespeicherten Muster auf und…" Er sprach nicht weiter. Er sah Sam an, dass das nicht nötig war. Sie wusste nun alles.

Wodan und Eggar wechselten einige Blicke.

„Wir werden dich nun alleine lassen, Samantha Carter," erklärte Wodan ganz behutsam. „Du brauchst jetzt bestimmt etwas Zeit für dich alleine, bevor du in deine Welt zurückkehrst… Wir würden uns freuen, wenn du uns mit dem Kind – und seinem Vater – einmal besuchst."

Sams Blick ging weiterhin ins Leere, doch sie nickte. Eggar und Wodan neigten ihre Köpfe zum Abschied und verschwanden leise. Sam zog ihre Knie an sich heran und umschlang sie mit den Armen. So blieb sie sitzen.

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