Kapitel 7: „Abschied"

Abschied

(von Hans Kruppa)

Ich hab dich lieb

und muss wohl blind vor Liebe sein,

sonst sähe ich ein,

was unumgänglich ist aus deiner Sicht.

So kann ich nur den Ort verlassen,

an dem ich mich verlassen fühle

und meines Weges gehen –

Hand in Hand mit der Hoffnung,

dass wir uns hinter

der nächsten Biegung wieder sehen.

Es war 5:21 Uhr, als Samantha Carter das SGC betrat. Sie trug Zivil. Eine schwarze Hose, schwarze Stiefel und ein beiges Oberteil unter einem langen schwarzen Mantel. In ihrer rechten Hand hielt sie eine kleine dunkelrote Reisetasche. Sie traf keinen einzigen Menschen, während sie die beiden Fahrstühle bis auf die Stargate-Ebene hinunter fuhr. Dafür hatte wohl General Hammond gesorgt und sie war ihm dafür sehr dankbar. Langsam betrat sie schließlich den Kontrollraum. Sergeant Walter Davis saß am Kontrollpult des Stargates. Sam lächelte und fragte sich einmal mehr, ob Davis dort festgewachsen war oder ob er tatsächlich auch mal von diesem Stuhl aufstand.

„Guten Morgen, Sergeant Davis," grüßte sie ihn mit einem freundlichen Lächeln.

Davis drehte sich um und ihm war deutlich die Müdigkeit nach seiner Nachtschicht anzusehen. „Guten Morgen, Major Carter."

„Sie sehen müde aus. Wann ist Ihr Dienst beendet?"

„In zwei Stunden."

Sam nickte. „Gehen Sie sich doch einen Kaffee holen. Ich passe hier so lange auf."

Davis stand auf und erwiderte ihr Nicken. „Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder," flüsterte ihr im Vorbeigehen zu.

Sam sah ihm verblüfft hinterher. Der General hatte ihn offensichtlich ins Vertrauen gezogen. Erleichtert setzte sie sich an den Wahlcomputer und tippte einige Befehle ein, die dafür sorgten, damit es keinen Aktivierungsalarm gab und die Koordinaten, die sie anwählte, sofort nach Zusammenbrechen des Wurmlochs gelöscht würden.

Sie wartete, bis der dritte Chevron aktiviert war, dann stand sie auf und zog aus ihrer Manteltasche einen kleinen weißen Briefumschlag, auf dem in ihrer Handschrift 'Jack O'Neill' stand. Sam legte ihn auf die Computertastatur und verließ den Raum, als gerade der fünfte Chevron einrastete. Auf dem Weg in den Gate-Raum griff sie ihre kleine Reisetasche, die sie dort schon vor der großen, automatischen Schiebetür platzierte hatte. Dann trat sie schließlich ein. Der siebte Chevron wurde gerade aktiviert und das Wurmloch baute sich auf.

Sam holte tief Luft und schloss einen Augenblick die Augen. Noch vor wenigen Stunden, ja vor wenigen Minuten, war sie so sicher gewesen, dass dies der richtige Weg war. Doch jetzt, wo sie auf der Rampe zum Stargate stand, überkam sie Unsicherheit – oder vielleicht war es auch eher schon ein frühes Auftreten von Heimweh. Sam war sich nicht sicher. Sie wusste nur, dass ihr die Erde, die Stargate-Reisen, Jonas, Teal'c, Jack und all die anderen furchtbar fehlen würden. Jack am meisten.

Schließlich nahm sie all ihren Mut zusammen und ging die Rampe hoch. Kurz vor dem Ereignishorizont warf sie noch einen Blick zurück und sah, dass Davis gerade wieder am Wahlcomputer Platz nahm. Er hatte eine Kaffeetasse in der Hand und auch schon den Briefumschlag gesehen. Er nickte ihr zum Abschied zu. Dann durchschritt sie das Tor. Der Planet, der sich nun wenige Sekunden später vor ihr erstreckte hieß Nelora. Eine friedliche, erdähnliche Welt, die im Einflussbereich der Tok'ra lag.

Sam ging einige Schritte und genoss die frische Luft. Wie auf der Erde war auf diesem Planten früher Morgen. Der Himmel erstrahlte in einem zarten Violett und Orange. Am Horizont waren zwei Sonnen zu erkennen. Eine, die schon zur Hälfte aufgegangen war und eine, deren Ansätze gerade hinter den entfernten Bergen erschienen.

Sam stand einige Minuten unbewegt da und beobachtete den Sonnenaufgang. Sie fühlte abermals die Zweifel in sich aufsteigen, die sie noch vor wenigen Minuten im Torraum gehabt hatte. Und für einen kurzen Augenblick spielte sie sogar mit dem Gedanken wieder zurückzukehren. Dann schüttelte sie jedoch den Kopf. „Ich habe mich entschieden!" machte sie sich selbst klar.

Sam stellte ihre kleine Reisetasche ab und griff in linke Manteltasche. Sie zog ein handyähnliches, silbernes Gerät heraus, aktivierte ein Signal und ließ es wieder in die Tasche gleiten. Sie stellte sich darauf ein, dass es den ganzen Tag oder auch länger dauern könnte, bis die Tok'ra auftauchen würden.

Keine zwei Minuten nahm sie das vertraute Geräusch von Ringtransportern war. Sie drehte sich zum Stargate um und sah, dass ein Ringtransporter vor dem DHD zwei Personen materialisierte.

Im ersten Moment war sie furchtbar erschrocken und erkannte augenblicklich, dass sie keine Möglichkeit hatte, sich zu verstecken, falls es Goa'uld sein sollten. Als die Ringe jedoch verschwunden waren, atmete Samantha Carter erleichtert auf. Vor dem DHD standen ihr Vater und ein ihr unbekannter Tok'ra.

„Sam! Verdammt, was machst du hier?" begrüßte Jacob Carter seine Tochter mit einer Mischung aus Verärgerung und aufrichtiger Freude.

Sam packte ihre Tasche, lief zu ihrem Vater, ließ sie dort unachtsam auf den Boden fallen und umarmte ihn. Ein ersticktes „Dad…" war alles, was sie rausbrachte.

Jacob Carter erwiderte ihre Umarmung. „Was ist passiert?"

Sam löste sich von ihm. „Warum nimmst du nur immer an, dass etwas passiert sein muss?"

Jacob sah sie mit einem schiefen Blick an, der Sam unwillkürlich ein Lächeln entlockte. „Darf ich erst mal vorstellen? Das ist meine Tochter Major Samantha Carter – das ist Andros, der Wirt des Tok'ra Brakos."

Sam nickte dem Tok'ra zu und wandte sich dann an ihren Vater. „Äh, Dad, das mit dem Major… Also weißt du…"

Jacob sah sie irritiert an und registrierte erst jetzt bewusst, dass sie nicht ihre SG-1-Uniform, sondern Zivil trug – und eine Reisetasche bei sich hatte. „Sam?"

„Bevor ich dir alles erzähle – sollten wir nicht an einen anderen Ort? Oder ist es hier sicher genug?"

Zur Antwort nickte Jacob seinem Begleiter zu, der nun augenblicklich den Ringtransporter betätigte. Wenige Sekunden später fanden sich alle drei auf einem Tok'ra-Schiff im Orbit des Planeten wieder.

„Du hast übrigens Glück, dass wir gerade in der Gegend sind. Wir waren vorhin auf einem der Monde und gerade auf dem Heimweg, als dein Signal kam," erklärte Jacob und bedeutete seiner Tochter sich auf den Co-Pilotensitz zu setzen.

Andros deutete wortlos eine Verneigung an und verschwand im hinteren Teil des Schiffs.

Jacob setzte sich an das Kontrollpult des Schiffes neben seine Tochter. „Also, was ist los? Warum bist du hier und hast Gepäck dabei?"

„Na ja, die kurze Version lautet – ich bin weggelaufen."

Jacob zog sie Augenbrauen hoch. „Weggelaufen. Und wie ist die lange Version?"

„Weißt du, seit du vor fünf Monaten das letzte Mal auf der Erde warst, ist einiges passiert. Einige  Wochen nach deinem Besuch waren wir auf einem Planeten namens Vengara. Wir sind dort auf Ni'irti getroffen, die an der Bevölkerung genetische Experimente durchgeführt und sie im Glauben gehalten hatte, sie würde ihnen helfen. Uns hat sie auch nicht verschont. Colonel Ivanov, der Leiter des russischen Teams ist dabei ums Leben gekommen und Ni'irti hat auch meine DNS verändert. Die Bewohner haben sich gerade noch rechtzeitig auf unsere Seite geschlagen und einer von ihnen, Eggar, schaffte es, meine Gene wieder in Ordnung zu bringen. Mir ging es in den letzten Monaten dann ziemlich schlecht, ich habe aber trotzdem weitergearbeitet. Wir dachten die ganze Zeit, es läge alles noch an den Nachwirkungen der DNS-Veränderung, aber vorgestern… Ich hatte wieder einen Schwächeanfall und Dr. Fraiser hat dann festgestellt, dass ich schwanger bin."

Jacob sah überrascht auf. „Schwanger?" echote er in einem Tonfall, als ob dieses Wort in Sams Wortschatz gar nicht existierte.

„Ja," erwiderte sie schlicht. „Im dritten Monat. Es war auch für mich ein Schock. Vor allem, da ich schon lange keine Beziehung mehr hatte. Die einzige Erklärung, die wir finden konnten, war der Aufenthalt auf Vengara. Ich bin gestern dorthin zurückgereist. Wir dachten erst, Ni'irti sei dafür verantwortlich um einen Hok'tar zu erschaffen, aber… na ja, ich hab dann herausgefunden, dass dieser Eggar verantwortlich ist. Er konnte aufgrund seiner Veränderung Gedanken lesen und dachte, er würde mir damit einen Gefallen tun."

„Ist er der Vater?" entgegnete der ehemalige General schockiert.

„Nein. Jack O'Neill ist der Vater," erklärte sie so ruhig es ihr möglich war und wartete darauf, dass ihr Vater gleich losbrüllen würde.

Jacob blinzelte und saß einige Augeblicke schweigend da. „O'Neill?" flüsterte er schließlich.

Sam nickte wortlos und war von der Gelassenheit ihres Vaters positiv überrascht. „Darum bin ich hier. Ich musste es natürlich dem General, Jonas, Teal'c, Janet und ihm sagen. Und der General hatte auch ein Gespräch mit dem Präsidenten und dem Pentagon. Aufgrund der besonderen Umstände dieser Schwangerschaft würden weder mir, noch dem Vater Konsequenzen drohen…" Sam blinzelte und hatte Mühe nicht zu wieder loszuheulen, als die Ereignisse des vergangenen Tages erneut in ihr hochkamen. „Jack hat mir auch versichert, er würde sich um das Kind kümmern… aber… Dad, ich konnte einfach nicht bleiben. Ich musste einfach weg. Ich kann nicht hochschwanger im SGC rumlaufen und so tun, als sei das völlig normal… und ich kann Jack jetzt auch nicht sehen." Die Tränen liefen nun wie ein Wasserfall ihren Wangen hinter und ihr Vater nahm sie einfach nur in die Arme.

„Wir werden auf dich und das Baby aufpassen," versprach er. „Ihr könnt bleiben, so lange ihr wollt. Ich bin sicher, der Hohe Rat wird keine Einwände haben." Er hielt Sam noch eine ganze Weile in seinen Armen, dann löste er sich aber schließlich von ihr. Er lächelte sie plötzlich an. „Ich hatte schon fast nicht mehr geglaubt, dass du mich noch zum Großvater machst. Ich dachte, du wolltest das ganz alleine deinem Bruder überlassen."

Sam erwiderte sein Lächeln und wischte sich die Tränen aus den Augen. „Na ja, ich dachte, zwei Enkelkinder würden dir reichen," scherzte sie.

„Ganz bestimmt nicht," erwiderte er leise und sah sie durchdringend an. „Und über den Vater dieses Enkelkindes bin auch nicht gerade unerfreut."

„Dad?"

Jacob lachte leise. „Ich bin nicht blind, Sam."

„Das Gleiche hat der General auch gesagt."

„Auf die Gefahr hin wie ein Glückskeks zu klingen: Liebe ist wie Husten – sie lässt sich nicht verbergen."

Sam ließ sich in tiefer ihren Sitz gleiten und versuchte sich zu entspannen. Sie starrte auf die typischen Hyperaumschlieren, die sich ihr durch die Front-„Scheibe" zeigten. „Ich wünschte, es wäre nicht alles so kompliziert."

Jacob nickte langsam. „Du wirst ihn aber nicht aus deinem Leben ausschließen, oder?"

„Das könnte ich nie," erwiderte Sam überzeugt. „Aber im Augenblick muss ich es tun, bis ich selbst mit allem klarkomme… Sonst würde vielleicht etwas passieren, was ich später bereuen würde."

„Wäre es so schlimm, wenn du dich nach den sechs Jahren, die ihr nun umeinander herumschleicht, auf ihn einlassen würdest? Er ist immerhin der Vater deines Kindes."

„Da gibt es immer noch so ein paar dumme, kleine Regeln," erinnerte sie ihn. „Und außerdem – was wäre das für ein Beginn für eine Beziehung? Ich will nicht, dass er sich mir wegen eines Kindes verpflichtet fühlt und deshalb bei mir bleibt."

Jacob schloss die Augen. „Weiß jemand, wohin du gegangen bist?" erklang die tiefe Stimme von Selmak.

„Nein – nur General Hammond weiß, dass ich zu dir wollte. Und Sergeant Davis. Aber sie werden beide nichts verraten."

Selmak nickte und berührte eine kleine Schaltfläche. Wenige Augenblicke später erschien Andros im Cockpit.

„Bring Sam bitte in ein Quartier," bat er Andros. „Sie sollte sich jetzt etwas ausruhen."

Andros nickte und Sam stand wortlos auf und folgte ihm. Selmak/Jacob blieb an der Steuerungskonsole des Schiffes sitzen und starrte vor sich hin. Er hatte es sich vor seiner Tochter nicht anmerken lassen, doch sie hatte ihn ganz schön durcheinander gebracht. Schwanger. Von ihrem Vorgesetzten. Den sie liebte, aber mit dem sie keine Beziehung haben durfte. Und nun war sie hier und würde auch eine ganze Weile bleiben.

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