Kapitel 8: Jegliches hat seine Zeit

Ein Jegliches hat seine Zeit,

und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde.

Geboren werden hat seine Zeit, Sterben hat seine Zeit (…)

Weinen hat seine Zeit, Lachen hat seine Zeit (…)

Suchen hat seine Zeit, Verlieren hat seine Zeit,

Behalten hat seine Zeit (…)

Schweigen hat seine Zeit, Reden hat seine Zeit;

Lieben hat seine Zeit, Hassen hat seine Zeit,

Streit hat seine Zeit, Friede hat seine Zeit.

Prediger, 1-8

Als Colonel Jack O'Neill um 7:03 Uhr den Kontrollraum des SGC betrat, bot sich ihm eine seltsame Szenerie. Jonas Quinn und Teal'c standen bei Sergeant Davis, der wie immer am Wahlcomputer des Stargates saß. Davis war den beiden zugewandt und auf der Tastatur lag ein weißer Briefumschlag, auf dem in Sam Carters Handschrift sein Name geschrieben stand – Jack O'Neill.

Jack blickte verwirrt drein, während Davis ihm wortlos den Umschlag reichte. Gerade als der Colonel ihn öffnete und ein einzelnes gefaltete Blatt herauszog, betrat General Hammond den Raum. Er war im Begriff nach Colonel O'Neill zu fragen, da erblickte er ihn auch schon und wusste sofort was er in Händen hielt. Schweigend trat Hammond neben Teal'c und Jonas.

O'Neill registrierte das Hereinkommen des Generals, faltete aber in aller Seelenruhe das Papier auseinander und begann zu lesen. Sein Atem ging dabei schneller und sein Gesicht nahm einen Ausdruck von Unverständnis und Entsetzen an. Als er die wenigen Zeilen auf dem Papier zu Ende gelesen hatte, ließ er es sinken und fuhr sich mit der anderen Hand über das Gesicht.

Teal'c und Jonas, die ihn neugierig anblickten, sagten kein Wort.

O'Neill warf einen weiteren ungläubigen Blick auf den Briefbogen in seiner Hand. Er suchte den Blick des Generals. „Das hat sie nicht getan…" schüttelte er ungläubig den Kopf. „Bitte Sagen Sie mir, dass Sie das nicht getan hat!"

„Sie hat getan, was sie für sich, für Sie und für uns alle als das Beste erachtet hat," erklärte Hammond ruhig.

„Wo ist sie hin?" fragte Jack ungeduldig. „Zu ihrem Bruder? Zu anderen Verwandten? Nach Europa vielleicht?"

„Sie ist nicht mehr auf der Erde," antwortete Hammond sachlich.

Teal'c zeigte kein Reaktion, während Jonas' irritierter Blick erst zu O'Neill, dann zu Hammond wanderte. „Wo ist sie dann hin?" fragte er und kam O'Neill damit nur Sekunden zuvor.

„Ich habe ihr gestattet zu gehen, aber nicht verlangt, das genaue Ziel zu erfahren. Das konnte sie wohl auch selbst noch nicht genau bestimmen."

Jack funkelte den General böse an. „Davis, schauen Sie im Computer nach, zu welchen Koordinaten sie gereist ist!" befahl er energisch.

„Tut mir Leid Sir," erwiderte der Sergeant ohne sich zu bewegen. „Im Computer sind keine Koordinaten gespeichert. Major Carter wollte nicht, dass Sie ihr folgen."

„Verdammt!" fluchte Jack. Er zerknüllte das Papier und warf es zu Boden. „Warum tut sie mir das an? Und warum zur Hölle unterstützen Sie sie?!" Er wartete gar nicht erst eine Antwort ab, sondern stürmte aus dem Raum.

„Okay…" meinte Jonas langsam und musterte die drei mit ihm im Kontrollraum Verbliebenen. „Ich scheine hier der einzige zu sein, der keine Ahnung hat, was hier los ist."

„Major Carter hat die Erde verlassen, weil sie Zeit für sich braucht um mit der Situation klarzukommen," erklärte Teal'c sachlich.

Jonas konnte sich denken, dass es weitaus komplizierter war, aber er beschloss nicht weiter nach den Gründen zu fragen. „Und Sie alle wussten Bescheid?"

Hammond, Davis und Teal'c nickten.

Er deutete aus das von O'Neill zerknüllte Papier. „Und das war ihr Abschiedsbrief?"

Die drei nickten wieder.

„Allerdings," begann Teal'c und richtete seinen Blick auf General Hammond. „verstehe ich nicht, warum O'Neill so heftig reagiert hat. Er muss doch mit etwas Ähnlichem gerechnet haben, als er sie gestern gehen ließ."

Hammond nickte vor sich hin. „Damit gerechnet vielleicht schon, aber das heißt ja nicht, dass er deshalb nicht wütend über ihr tatsächliches Verschwinden ist."

„Hat Major Carter gesagt, wann sie zurückkommt?" erkundigte sich Jonas.

„Nein," antwortete der General. „Und ich hab ihr versichert, dass sie sich die Zeit nehmen kann, die sie braucht."

Ein Lächeln umspielte plötzlich Jonas' Lippen. „Jegliches hat seine Zeit."

„Was meinst du damit, Jonas Quinn?" entgegnete Teal'c verwirrt.

Er zuckte mit den Schultern. „Fiel mir grad so ein. Hab ich wo gelesen. ‚Jedes hat seine bestimmte Stunde, jedes Ding unter dem Himmel hat seine Zeit.' Oder so ähnlich… Ich glaub, das Buch nannte sich 'Die Bibel'. Ziemlich dick und unemanzipiert."

„Ich bin wirklich kein religiöser Mensch," begann Hammond, „Aber diese Passage ist mir noch ungefähr bekannt. Und ich denke, sie trifft zu. Die Zeit für manche Dinge ist einfach noch nicht gekommen."

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Samantha Carter erwachte in einem hellen, freundlichen Raum. Sie brauchte erst einige Sekunden um sich zu orientieren und sich daran zu erinnern, dass sie nicht mehr auf der Erde war. Genaugenommen wusste sie im Augenblick selbst nicht, wo sie war. Sie wusste nur noch, dass sie an Bord eines Tok'ra Schiffs eingeschlafen war. Da es vollkommen still und kein Schiffsantrieb zu hören war, nahm sie an, dass sie ihr Ziel erreicht hatten. Sie musste auf dem derzeitigen Heimatplaneten der Tok'ra befinden.

Sam schwang die Beine über den Rand des Bettes und stand auf. Sie sah sich um und erkannte die hellen Wände als die typischen Kristalltunnel der Tok'ra wieder. Der Raum war etwa gleich groß wie ihr Quartier im SGC. Es gab ein breites Bett, etwas, das wie ein Schrank aussah, ein Wandspiegel, eine Kommode. Auf letzterer stand ihre dunkelrote Reisetasche. Ihr schwarzer Mantel lag sorgfältig zusammengelegt darauf. Ihre schwarzen Stiefeletten standen auf dem Boden. Erst jetzt merkte Sam, dass sie nur Socken trug und ihr Oberteil ziemlich zerknittert war. Sie beschloss sich etwas anderes anzuziehen und dann ihren Vater zu suchen.

Gerade als Sam ihre Tasche öffnen wollte, überkam sie Neugier, was sich im Schrank befinden mochte. Sie ging auf ihn zu und suchte nach dem Öffnungsmechanismus. Sie musterte das Gebilde und fuhr schließlich über eine kleine Fläche in Brusthöhe. Die „Tür" dematerialisierte sich und gab die Sicht auf etliche Kleider und Kombinationen frei.

Sam fragte sich im ersten Augenblick, ob man sie in das Quartier einer Tok'ra gebracht hatte, doch dann fiel ihr auf, dass die Sachen ungetragen waren. Offensichtlich waren sie für sie. Sam zögerte und überlegte, ob sie etwas von ihren eigenen Sachen oder etwas anderes anziehen sollte, schließlich entschied sie sich für eine beige-blaue Kombination. Eine beige Hose, zu der ein gleichfarbiges, langärmliges Oberteil mit V-Ausschnitt und blassblauen Aufnähverzierungen gehörte. Dazu fand sie noch helle Stiefel, die bis über die Knie gingen, sowie einen breiten Gürtel im Farbton der Aufnäher, an dem sich Waffen oder Kommunikationsgeräte befestigen ließen.

Nachdem sie alles angezogen hatte, musterte sie sich selbst im Spiegel. Es war nicht das erste Mal, dass sie nicht-irdische Kleidung trug. Doch meist war sie dazu gezwungen wurden. Hier hatte sie ganz eindeutig die Wahl gehabt. Und eigentlich war ihr die Entscheidung auch nicht schwer gefallen – bald brauchte sie eh ganz andere Kleidung. Aber sich so im Spiegel zu sehen und sich bewusst zu werden, was sie gerade alles hinter sich gelassen hatte und wie ihr Leben nun aussehen würde – das verursachte plötzlich großes Unbehagen in ihr. Bisher hatte sie eigentlich nur daran gedacht, dass sie einfach von Jack fort musste. Jetzt wurde ihr klar, dass sie sich für ein vorübergehend völlig neues Leben entschieden hatte. Es gab hier keine Airforce, sie hatte ihre Freunde hinter sich gelassen, sie würde nun in einer Kultur leben, mit der das SGC eigentlich recht wenig Kontakt in privatem Sinne gehabt hatte.

Natürlich war da auch noch der Aspekt, dass immer noch die Erinnerungen von Jolinar in ihr schlummerten. Diese vagen Erinnerungen, die ihr schon so oft Probleme bereitet hatten, würden ihr nun vielleicht helfen, sich schnell einzuleben.

Sam warf schließlich noch einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel und beschloss dann endlich ihren Vater zu suchen. Sie ging zur Tür, die sich automatisch öffnete. Draußen war niemand. Nach kurzem Überlegen folgte sie dem Gang nach rechts und kam nach wenigen Metern an eine Kreuzung. Von links kamen ihr zwei Tok'ra-Frauen entgegen.

„Willkommen, Samantha Carter," grüßte sie eine der beiden mit tiefer Stimme. „Ich bin Talera. Meine Wirtin trägt den Namen Ayescha Dahum. Das ist Alisea. Sie trägt die Tok'ra S'hera in sich."

„Es ist mir eine Ehre," nickte Sam.

„Wenn du es wünschst, werden wir dich zu deinen Vater führen."

Sam nickte erneut und folgte den Frauen durch die Gänge. Vor einer großen Türe hielten sie an und Alisea berührte eine Schaltfläche, woraufhin sich die Tür öffnete einen großen Konferenzraum freigab. Die Frauen deuteten Sam gegenüber eine leichte Verneigung an, dann gingen sie weiter.

Sam sah ihnen kurz hinterher und betrat schließlich den Raum. Vor ihr erstreckte sich ein langer Konferenztisch, an dem gut 12 Personen Platz finden konnten. Aber es war niemand da. Sam wollte den Raum schon wieder verlassen und Alisea und Ayesha nachlaufen, da betrat plötzlich eine ganze Gruppe von Tok'ra den Raum aus einer Nische auf der anderen Seite. Sam erkannte ein paar von ihnen als Mitglieder des Tok'ra-Rates. Yosuuf, die seit einigen Monaten Ratsvorsitzende war, nahm am Kopfende Platz, während sich die anderen an den Seiten verteilten.

„Bitte," wies ihr einer der Ratsmitglieder den Platz am anderen Tischende zu.

Als Sam sich setzte, betrat ihr Vater den Raum und setzte sich an die linke Tischseite. Er nickte ihr ermutigend zu.

„Jacob hat uns berichtet, was geschehen ist," ergriff Yosuuf das Wort. „Das muss alles sehr schwer für dich sein."

Sam faltete ihre Hände auf dem Tisch wie sie es so oft während der morgendlichen Briefings im SGC getan hatte. „Das ist es," bestätigte und wunderte sich, wie sachlich ihre Stimme mit einem mal klang. „Aber es war leichter für mich, die Erde zu verlassen, als dort zu bleiben."

„Du begrüßt deine Schwangerschaft nicht?" fragte einer der Räte nach.

„Es ist nicht so, dass ich mir nie ein Kind gewünscht habe – aber nicht auf diese Art. Was mein Privatleben und meine Gefühle angeht, war in den letzten Jahren alles sehr kompliziert. Und diese Situation und die Entscheidungen, die ich treffen musste…" Sam presste die Lippen aufeinander. Sie fühlte sich plötzlich, als ob man ihr die Luft abschnüre.

„Ja, ich verstehe dich sehr gut," erwiderte Yosuuf. „Du hast um deiner Arbeit Willen vieles aufgegeben. Ich selbst habe vor langer Zeit als ich zur Tok'ra wurde, auch alles aufgegeben… Nun, wie dem auch sei – du bist uns willkommen, Samantha. Du kannst bleiben, so lange du willst. Wir werden dich in der Zeit, die dir bevorsteht, unterstützen."

„Vielen Dank, Hohe Rätin. Ich werde den Tok'ra natürlich mein Wissen und meine Fähigkeiten zur Verfügung stellen und helfen wo ich kann."

Yosuuf lächelte. „Unsere Wissenschaftler freuen sich schon darauf, mit dir zusammenzuarbeiten. Du solltest aber in erster Linie an dich und dein Kind denken. Dein Vater wird dich gleich nach diesem Zusammentreffen den Ärzten vorstellen, die dich während deiner Schwangerschaft begleiten werden."

Sam nickte dankbar.

„Nun, ich denke, viel mehr gibt es im Augenblick nicht zu sagen. Die Tok'ra sind über deine Ankunft und deinen Zustand informiert. Und bei etwaigen Kontakten mit den Ta'uri wird deine Anwesenheit bei uns natürlich nicht erwähnt."

„Das ist gut. Außer General Hammond und Sergeant Davis weiß keiner, wo ich hingegangen bin. Es wäre vielleicht möglich, dass mich der Vater des Kindes sucht, aber ich möchte nicht, dass er mich findet."

„Du sprichst von Colonel O'Neill?"

Sam zuckte unmerklich zusammen, als die Tok'ra seinen Namen nannte. „Ja," erwiderte sie zittrig.

Yosuuf nickte bedächtig vor sich hin. „Ich würde mich freuen, wenn du mit mir zu Abend essen würdest und wir uns ein wenig unterhalten könnten."

„Gerne," nickte Sam. Sie fühlte sich plötzlich sehr viel besser als sie es in den letzten zwei Tagen getan hatte. Sie fühlte sich, als wäre ihr eine enorme Last von den Schultern genommen. Und mit einem Mal freute sie sich trotz allem über ihre Schwangerschaft. Sie mochte Milliarden Lichtjahre von der Erde und ihren Freunden fort sein, doch spürte, dass sie endlich wieder etwas haben würde, wonach sie sich seit Jahren sehnte. Ruhe, Freunde, ein Privatleben. Keine ständigen Gefahren und die Sehnsucht nach Unmöglichem. Hier war sie nun nicht mehr länger der Major der Airforce und 2IC von Colonel Jack O'Neill. Hier konnte sie jetzt einfach Samantha Carter sein. Und schwanger.

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