Kapitel 1: Träume
11 Monate vorher
Als Samantha Carter erwachte, lag ihr kalter Schweiß auf der Stirn. Ihr Puls raste, ihr Atem ging unregelmäßig. Sie setzte sich im Bett auf und brauchte erst einige Sekunden um sich zu orientieren. Ein schwaches, sanftes Licht erleuchtete den Raum. Tok'ra, fiel es Sam dann wieder ein und sie wurde ruhiger. Sie war auf Arrakis, dem derzeitigen Heimatplaneten der Tok'ra. Seit nunmehr fünf Wochen.
Sam schwang die Beine über die Bettkante und stützte sich mit den Armen ab. So dasitzend starrte sie einfach nur vor sich hin und versuchte ihre Gedanken zu ordnen. Ihr gingen seltsame Bilder im Kopf herum. Träume… oder Erinnerungen. Sie war sich da nicht sicher. Sie wusste nur, dass es etwas mit ihrer Anwesenheit auf Arrakis zu tun haben musste. Schon in der ersten Woche hatte es begonnen. Sie war eines Nachts aus einem merkwürdigen Traum erwacht. Sie hatte verschwommene Bilder gesehen, die in den letzten Wochen immer klarer geworden waren. Nacht für Nacht. Immer der gleiche Traum. Sie sah eine fremde Welt mit drei Monden am Himmel. Sie sah Personen – Tok'ra, nahm sie an –, die sich in einer Art Palast aufhielten. Eine Gesellschaft, eine Party, vielleicht. Und es kam Sam so vor, als wäre sie eine dieser Personen. Sie nahm Gesprächfetzen wahr, hörte eine Stimme, die zu ihr gehörte – und auch nicht. Manchmal war ihr während des Traums sogar klar, dass es nur ein Traum war. Dann versuchte sie einen Spiegel zu finden um herauszufinden, wer sie war. Aber sie fand keinen. Und dann erwachte sie – schweißgebadet. So wie jetzt auch.
Sam fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. Dann legte sich ihre rechte Hand auf ihren nicht mehr so flachen Bauch. Sie war Ende des vierten Monats schwanger. Man sah es zwar noch nicht wirklich, aber der Ansatz eines Babybauchs war da.
Sam legte die linke Hand auf die rechte und schloss die Augen. Sie saß in letzter Zeit oft einfach so da. Es half ihr zu entspannen und sie brauchte das manchmal um ihre Schwangerschaft zu begreifen. Sie wusste es nun seit genau fünf Wochen und vier Tagen. Und vor fünf Wochen und zwei Tagen hatte sie die Erde auf unbestimmte Zeit verlassen. Es war für sie damals und auch jetzt der einzige Weg gewesen. Nachdem Janet Fraiser die Schwangerschaft festgestellt hatte und Sam herausgefunden hatte, wie es dazu gekommen war, hatte sie keinen Augenblick länger auf der Erde bleiben können. Wodan und Eggar, Opfer von Ni'irti, hatten ihr das in der Absicht zu helfen, angetan. Und Jack O'Neill war der Vater des Kindes.
Sie fragte sich, was er wohl gerade machte. Sie vermisste ihn schrecklich und der Schmerz ihn zurückgelassen zu haben, ohne richtigen Abschied, war fast so groß, wie die Ängste, die sie von ihm fortgetrieben hatten. Aber jetzt war sie hier. Sie hatte eine Entscheidung getroffen und musste nun damit leben. So sehr sie sich auch nach der Erde und ihren Freunden sehnte, wusste sie auch, dass eine jetzige Rückkehr für sie schwerer sein würde, als so weiterzuleben. Sam hatte hier auf Arrakis endlich ein neues inneres Gleichgewicht gefunden. Auf neutraler Erde konnte sie sich in ihre Rolle als Mutter einfinden – ohne seltsame Blicke und Getuschel hinter ihrem Rücken. Hier unter den Tok'ra hatte sie neben ihrer SGC-Familie eine neue Familie gefunden. Nicht dass sie auf der Erde nicht auch von allen Seiten unterstützt worden wäre, doch die emotionalen Verknüpfungen – vor allem die zu und von Jack O'Neill – waren im Augenblick zuviel für Sam. Sie hatte es in seinem Blick gesehen – wenn sie auf der Erde geblieben wäre, hätte er vermutlich alles getan, um mit ihr zusammenzukommen und dem Baby eine Familie zu geben. Und es wäre bald zerbrochen. Dessen war Sam sich sicher. Ebenso sicher war sie, dass nicht nur sie Abstand von Jack brauchte, er brauchte auch Abstand von ihr. Sam hatte sich wohl unzählige Male ausgemalt, wie es wohl wäre, mit ihm zusammen zu sein, eine Familie zu haben. Die Voraussetzung – Liebe – war bei beiden vorhanden. Aber ein Kind als Auslöser für eine Beziehung?
„Das würde nie gut gehen," flüsterte Sam in Gedanken vor sich hin und stand auf. Ein wenig unschlüssig griff sie nach ihrem hellblauen Morgenmantel und streifte ihn sich über.
Das würde nie gut gehen, wiederholte sie in Gedanken. Sam schlang die Arme um sich selbst und richtete ihren Blick unbewusst auf ein Gruppenfoto von SG-1, das sie auf der Kommode ihres Quartiers aufgestellt hatte. Oh ja, sie vermisste alle sehr. Und es kostete sie in Augenblicken wie diesen enorme Kraft, nicht in Tränen ausbrechen.
Sam nahm das Bild in die Hand und strich mit den Fingerkuppen darüber. Sie erinnerte sich daran, wie sie ihnen im Briefing-Raum ihre Schwangerschaft mitgeteilt hatte und sie erinnerte sich daran, wie sie mit General Hammond gesprochen hatte. Sie wusste, dass er sie hätte zurückhalten können, aber er hatte sie einfach so gehen lassen und dafür gesorgt, dass sie unbemerkt durch das Stargate hatte gehen können. Darüber war sie unendlich froh.
Sam stellte das Foto wieder zurück und bettete erneut ihre Hände auf dem Bauch. Ihr Blick verharrte auf dem Foto, auf Jack. Sie dachte an den Ultraschall, bei dem er dabei gewesen war. Janet hätte ihr sagen können, ob es eine Junge oder ein Mädchen war, doch sie hatte es gar nicht wissen wollen. Sie hatte abgeblockt – aus Angst. Angst, weil sie gerade erst erfahren hatte, dass sie schwanger war und erst mal damit klarkommen musste, bevor sie zulassen konnte, dass dieses Kind schon zu sehr Gestalt für sie annahm. Jetzt, in dieser Nacht, war aber vieles anders. Milliarden Lichtjahre und fünf Wochen entfernt von der Erde und den Menschen, die Sam so sehr vermisste, fühlte sie sich bereit dafür. Nach dem anfänglichen Schock und der Angst, trat nun Neugier, begleitet von Vorfreude auf das Baby, die Vorherrschaft in ihr an.
Ein plötzliches Lächeln legte sich auf Sams Lippen, als sie nun mitten in der Nacht ihr Quartier verließ und zur Krankenstation ging, wo sie den Diensthabenden Tok'ra-Arzt mit ihrer neu gewonnenen Fröhlichkeit überraschte.
„Samantha," begrüßte sie der 186 Jahre alte Arhat. „Kannst du wieder nicht schlafen?"
„Ja, wieder diese Träume," nickte sie und merkte, dass sie diese über ihre Gedanken an die Erde, Jack und das Baby wieder völlig vergessen hatte.
„Ich kann dir etwas geben, damit du ruhig und traumlos durchschläfst," bot Arhat an.
Sam lächelte. „Danke. Aber deshalb bin ich eigentlich nicht hier."
„Nicht? Du siehst aber maßlos übermüdet aus. Diese Träume schaden dir – genauso wie zuviel Arbeit."
„Irgendwie muss ich mich doch beschäftigen," verteidigte sich Sam.
Arhat bedeutete ihr, sich zu setzen und nahm ihr gegenüber Platz. „Hast du schon mal daran gedacht, dass du schlecht träumst, weil du überarbeitet bist? Du solltest dich schonen! Du bist schwanger!"
„Aber es sind doch gar keine Alpträume," erwiderte Sam. „Zumindest denke ich, dass sie es nicht sind… Es ist immer der gleiche Traum, aber er ist noch so undeutlich… Ich kann nichts mit ihm anfangen."
„Glaub mir, du bist zur Zeit einfach überbelastet. Du solltest dir mehr Ruhe gönnen, lenk dich nicht mit Arbeit ab, mach einen Ausflug, lies etwas. Aber entspann dich!" Er legte seine Hand beruhigend auf ihre. „Dann wirst du auch besser schlafen. Das Unterbewusstsein benutzt die Träume oft als Ventil."
Sam nickte etwas widerwillig.
„Gut," nickte Arhat ebenfalls. „So, und warum bist nun hier?"
Sam zögerte einen Augenblick. „Ich möchte wissen, was es ist," sagte sie und legte wieder eine Hand auf ihren Bauch.
Ein breites Lächeln erhellte das Gesicht des Tok'ras. „Ah, die Neugier hat nun also doch gesiegt."
„Sieht so aus," gab Sam zu. „Du hast das Geschlecht doch bestimmt schon bei der ersten Untersuchung festgestellt, oder?"
„Ja, allerdings," nickte er und sah sie mit einem bedeutungsvollen Arzt-Blick an. „Es ist ein Mädchen."
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