Kapitel 3: P2X-983

Alisea hatte nicht viel Gepäck und das wenige, das sie hatte, war von ihr und Sam schnell aus dem Auto geholt. Die anderen hatten sich bereits im Gate-Raum versammelt, als die beiden Frauen mit zwei Reisetaschen eintraten. Sie stellten sie ab und Alisea trat neben ihren Mann, der Cordelia auf dem Arm hatte. Sie wandte sich denen zu, die sie nun verlassen würde.

Ohne dass sie es wollte, schlichen sich Tränen in ihre Augen. Wortlos umarmte sie Sam und Jack. Dann strich sie Madeleine, die von ihrem Großvater gehalten wurde über die Wange. „Ich werde euch schrecklich vermissen," flüsterte sie heiser.

„Wir dich auch," erwiderte Sam.

„Hey," meinte Jack in aufmunterndem Tonfall. „Ihr seid doch nur einen Schritt durch das Stargate entfernt. Ihr könnt uns immer besuchen – oder wir euch."

„Richtig," stimmte Jacob zu.

„Ich habe eine wunderbare Idee," erklärte Yosuuf mit einem plötzlichen Lächeln. „Warum begleitet ihr uns jetzt nicht durch das Stargate? Nur für ein paar Stunden. Wir würden euch gerne unsere neue Heimat zeigen."

Sam und Jack sahen sich erst gegenseitig fragend an, dann gleichzeitig den General, der ihnen zunickte.

„Okay," meinte Sam lächelnd.

Jack beugte sich zu seiner Tochter auf Jacobs Arm hinunter. „Hey Maddy, das wird gleich deine erste Stargate-Reise. Ist das nicht toll?"

Madeleine blinzelte ihren Vater an, dann erhellte ein fröhliches Babylachen den Torraum. Man hätte fast meinen könne, dass die Kleine ihn haargenau verstanden hatte.

Hammond gab Sergeant Davis im Kontrollraum ein Zeichen und dieser startete den Wahlvorgang mit den Koordinaten, die er von Yosuuf und Jacob erhalten hatte.

„Wie ist der neue Planet so?" fragte Jack neugierig.

„Wundervoll," entgegnete Yosuuf. „Er hat weite Meere, wunderschöne Wälder und weite Dünenwüsten. Der Nachthimmel mit den drei Monden ist atemberaubend."

„So atemberaubend wie vor hundert Jahren," erklang plötzlich die tiefe Stimme von Selmac.

Sam runzelte die Stirn. „Vor hundert Jahren?"

„Ja. Bei euch ist der Planet unter der Bezeichnung P2X-983 verzeichnet. Wir kennen ihn als Orenda. Und vor etwas mehr als hundert Jahren war er die Heimatwelt der Tok'ra," meldete sich der schweigsame Darius zu Wort.

Jack sah ihn ungläubig an. „Soll das ein Scherz sein? Die Tok'ra siedeln sich auf einem Planeten an, der den Goa'uld schon als Tok'ra-Planet bekannt ist?"

„Nun ja," setzte Yosuuf zu einer Erklärung an. „Es ist zwar wahr, dass wir auch einst von dort vor den Goa'uld geflohen sind, aber Orenda ist eine der schönsten und sichersten Welten, auf denen wir je lebten. Und außerdem – würden uns die Goa'uld auf einem Planeten vermuten, von wo wir einst geflohen sind?"

„Wohl kaum," stimmte Sam zu.

„Ja," nickte Hammond ebenfalls. „Auf bereits verlassenen Tok'ra-Planeten würden sie wohl zuletzt suchen."

„Nun lasst uns aber gehen," sagte Jacob schließlich und ging als erster auf das aktivierte Stargate zu.

Yosuuf neigte ihren Kopf um sich von General Hammond zu verabschieden. Alisea hauchte ihm einen Kuss auf die Wange und nahm Darius dann Cordelia ab, damit dieser die beiden Taschen nehmen konnte. Sam und Jack folgten ihnen als letzte nach.

Auf der anderen Seite wurden sie von den typischen Kristallgängen der Tok'ra empfangen. Sam glaubte sich fast auf Arrakis zurück. Das lag aber nur daran, dass die Gänge immer nach dem gleichen Schema angelegt wurden. Während Darius und Alisea sich erst mal mit Cordelia zurückzogen, wollten Yosuuf und Jacob Jack, Sam und Madeleine zeigen, was über der Planetenoberfläche war. Es dauerte allerdings eine ganze Weile, bis sie bei den Ringtransportern ankamen. Sämtliche Tok'ra, die ihnen über den Weg liefen, wollten immer Sam begrüßen und die kleine Madeleine sehen.

Als der Ringtransporter die fünf schließlich auf der Oberfläche materialisiert hatten, keuchte Sam überrascht auf.

„Was ist?" erkundigte sich Jack verwirrt und besorgt.

„Ich kenne diese Welt," antwortete Sam ungläubig. Sie hatte plötzlich wieder den Traum vor Augen und sie wusste genau, dass es diese Welt war – Orenda.

„Schatz," wandte sich Jacob zu seiner Tochter. „Was redest du da? Du warst noch nie hier."

„Nein, war ich nicht," stimmte Sam verwirrt zu und sah sich um. Sie sah auf die weiten grünen Flächen hinaus, die sich vor ihr erstreckten. „Da hinten… hinter dem Hügel… da ist ein Palast." Sie drehte sich zu Yosuuf. „Nicht wahr?"

„Ja," erwiderte diese überrascht. „Das ist richtig. Einige der Tunnel führen bis dorthin. Damals, vor hundert Jahren, bewohnten wir neben den Tunneln auch ihn. Unsere Forschungseinrichtungen waren dort untergebracht."

Jacob sah seine Tochter verblüfft an. „Woher wusstest du das?"

Sam schüttelte den Kopf und Jack berührte ihrem Arm, als er sah, wie aufgeregt sie war. „Ich habe von diesem Planeten geträumt… und ich habe Menschen gesehen, Tok'ra." Sie schüttelte abermals den Kopf. „Ich dachte, es wären nur Träume. Ich dachte, es ist nur der Stress. Aber…"

„Aber was?" hackte Jacob nach, als Sam nicht weiter sprach.

„Auf Arrakis, als ich mit Madeleine schwanger war, hat das mit den Träumen angefangen. Anfangs waren sie ganz verschwommen. Aber sie kamen jede Nacht wieder und wurden zunehmend klarer. Arhat meinte, dass das wohl nur der Stress sei. Ich folgte seinem Rat, arbeitete etwas weniger und konzentrierte mich mehr auf Maddy. Er gab mir auch etwas, damit ich ruhig schlafen konnte. Die Träume kamen nicht wieder… bis vor zwei Wochen."

„Warum hast du mir nie davon erzählt?" entgegnete Jack vorwurfsvoll, aber auch mitfühlend.

„Ich dachte, wenn erst der Umzug hinter uns liegt und alles wieder ruhiger ist, verschwinden sie wieder."

„Na schön," meinte Jacob. „Das mit dem Stress mag ja vielleicht eine plausible Erklärung für schlechte Träume und Schlafstörungen sein, aber wie erklärst du dir, was genau du in diesem Träumen siehst? Warum siehst du immer Bilder dieser Welt?"

Sam nickte vor sich hin. Ihr Vater hatte Recht. Das konnte sie sich auch nicht erklären. Aber sie wusste, dass es eine Erklärung geben musste. Sie rief sich die Situation in Erinnerung, in der die Träume das erste Mal aufgetreten waren – einige Wochen nach ihrer Ankunft auf Arrakis… Mit einem Mal sah Sam auf. „Jolinar," entfuhr es ihr und sie verstand nicht, warum ihr das nicht schon früher eingefallen war. Oder vielmehr, warum diese Erklärung trotz einer dahingehenden Ahnung nicht wirklich in Betracht gezogen hatte.

„Jolinar?" wiederholte Jack.

„Aber natürlich!" erwiderte Yosuuf. „Es sind ihre Erinnerungen. Sie war damals hier auf Orenda. Damals…" Yosuuf verstummte plötzlich und eine leichte Blässe machte sich in ihrem Gesicht breit.

„Was?" fragte Sam verwirrt. „Was war damals?"

„Damals griffen uns die Goa'uld an," berichtete Selmac mit tiefer Stimme. „Jolinar war mit einer jungen Wissenschafterin namens Padme vereinigt. Im Westflügel des Palasts waren ihre Labore eingerichtet und Padme arbeitete mit ihren Leuten gerade dort, als die ersten Todesgleiter kamen. Sie hatten uns überrascht, es war kaum Zeit zu fliehen. Damals starben sehr viele. Ich selbst war damals auf einer Mission und der Hohe Rat war ebenfalls zu einem Großteil nicht hier. Padme war unter jenen, die starben."

„Aber Jolinar wurde gerettet," stellte Sam fest.

„Ja, die überlebenden Wissenschaftler brachten Padmes Körper in Sicherheit. Jolinar konnte am Leben erhalten werden bis ihre neue Wirtin gefunden war – Rosha."

„Martoufs Frau," flüsterte Sam überrascht.

Yosuuf nickte und Garshaw erwachte mit glühenden Augen. „Rosha ist eine Sklavin auf dem Mutterschiff der angreifenden Goa'uld gewesen. Wir konnten es übernehmen und fanden sie und einige andere Sklaven im Sterben liegend. Jolinar war nicht die einzige, deren Wirt den Angriff nicht überlegt hatte. Und wir konnten auch nicht alle retten. Rosha war eine von fünf Sklaven, die bereit waren, Tok'ra zu werden."

Sam schluckte schwer. Sie konnte das alles nicht recht glauben. Ihre Träume waren also wirklich Erinnerungen. Das konnte erklären, warum sie sie auf Arrakis hatte – die Zeit bei den Tok'ra hatte in ihrem Unterbewusstsein Erinnerungen von Jolinar wachgerufen. Aber warum gerade diese Erinnerungen? Warum die vermutlich letzten Stunden Padmes auf Orenda?

„Deinem Gesichtsausdruck zufolge ist das das erste Mal, dass du Erinnerungen von Jolinar so wieder erlebst," vermutete Yosuuf.

„Allerdings," nickte Sam. „Hier und da erkannte ich zwar Tok'ra oder Funktionen von Geräten wieder, Namen, auch das eine oder andere Gefühl, aber so etwas… nein, Erinnerungen dieser Art habe ich noch nie erlebt. Nicht einmal, als wir versuchten, konkrete Erinnerungen für die Flucht von Neetu hervorzurufen."

„Nun, vielleicht gab es auf Arrakis einen Auslöser. Vielleicht hast du etwas oder jemanden gesehen, der auch damals da war und dein Unterbewusstsein hat in Form dieser Träume darauf reagiert."

„Ja, vielleicht…" meinte Sam nachdenklich, war sich aber sicher, dass mehr dahinter stecken musste. „Ich würde gerne mit jemandem reden, der damals mit Padme hier auf Orenda war."

„Das lässt sich machen," versicherte Jacob und richtete seine Aufmerksamkeit nun auf Madeleine, die auf seinem Arm allmählich unruhig wurde. „Was sagen die Experten – Windeln oder Hunger?"

Sam und Jack sahen Madeleine an, dann tauchten sie einen Blick. „Hunger," erklärten sie einstimmig.

 „Dann sollte die junge Dame auch was bekommen," lächelte Jacob und bewegte sich schon auf den Ringtransporter zu.

„Und ihr seid herzlich zum Abendessen eingeladen," fügte Yosuuf an Jack und Sam gewandt hinzu. „Dann könnt ihr uns alles über Madeleine erzählen.

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