Kapitel 4: Erinnerungen
Es war spät geworden. Am Nachthimmel von Orenda leuchteten drei Monde und verliehen der Landschaft um den verlassenen Palast ein märchenhaftes Aussehen. Samantha Carter konnte von diesem Anblick nicht genug bekommen. Sie stand ganz alleine unter dem Sternenhimmel. Sie hatte Madeleine nach dem Essen ihren Großeltern überlassen, die ganz vernarrt in das Baby waren. Jack hatte Sam erst folgen wollen, doch ein wortloser Blickwechsel hatte genügt und er hatte sie alleine gehen lassen.
Nun stand Sam also alleine auf der großen Ebene. Ihr Blick lag schon lange allein auf dem Palast, der vom Mondlicht eingehüllt wurde. Sam hatte die Arme um sich geschlungen. Sie fröstelte, obwohl es eigentlich eine laue Frühlingsnacht war. Trotzdem blieb sie unbewegt stehen. Sie war unfähig sich von diesem Anblick abzuwenden. Sie presste die Lippen aufeinander und dachte angestrengt nach. Die Bilder ihres Traumes kamen wieder in ihr hoch. Sie wusste plötzlich, dass Padme nächtelang alleine hier gestanden hatte. So wie sie nun. Aber das war auch schon alles, was in Sam durch ihre Umgebung an neuen Erkenntnissen gewann. Die Traumbilder wollten sich einfach nicht aufklaren.
Sam hatte geglaubt, sie müsse nur lange genug die einstmals vertraute Umgebung betrachten und die unklaren Bilder würden sich verdeutlichen – das war ein Irrtum. Natürlich bestand auch die Möglichkeit das Erinnerungen mit Hilfe der Tok'ra-Technologie hervorzurufen. Auf Neetu hatte das schon einmal funktioniert, aber es war auch sehr schmerzhaft gewesen. Sam wollte das nicht ein zweites Mal machen.
„Du weißt doch, dass du Jolinars Erinnerungen nicht erzwingen kannst."
Sam drehte sich erschrocken um. „Yosuuf."
Die Tok'ra trat neben Sam. „Machst du dir Sorgen?"
„Ja… nein… ach, ich weiß nicht," versuchte Sam zu antworten. „Ich bin verwirrt. Ich verstehe einfach nicht, was es mit diesen Erinnerungen auf sich hat."
„Und du dachtest, es würde dir helfen, hier eine Weile alleine zu sein," stellte Yosuuf fest.
Sam nickte stumm.
„Komm mit mir zurück," sagte Yosuuf in fürsorglichen Tonfall. „Es ist spät. Man wird euch auf der Erde längst zurückerwarten. Und Madeleine gehört ins Bett."
Sam folgte ihrer Stiefmutter wortlos zu den Ringen, die sie wieder in die Kristalltunnel unter die Erde brachten. Jacob und Jack erwarteten die beiden bereits. Madeleine lag völlig erschöpft und tief schlafend in Jacks Armen. Dieser vertraute und doch immer wieder rührende Anblick entlockte Sam ein glückliches Lächeln. Vorsichtig legte Jack das Baby in ihre Arme und ging zum Stargate um die Erde anzuwählen. Sam sah ihm nach und wurde beim Anblick des Stargates plötzlich nachdenklich.
„Früher war es nicht unter der Erde," murmelte sie vor sich hin.
„Früher stand es vor dem Palast," bestätigte Jacob.
Sam nickte vor sich hin. „Erinnerungen sind schon seltsam," schüttelte sie dann den Kopf.
„Es wurde damals zerstört," erklärte Yosuuf leise. „Dieses hier haben wir mitgebracht. Aber damit man uns nicht aufgrund eines überirdischen Tores entdeckt, ist es hier unten. Darum benutzen wir auch den Palast nicht mehr."
Das blaue Leuchten des aktivierten Stargates begann an den Kristallwänden zu schimmern und Jack hatte sich schon vor dem Ereignishorizont aufgebaut. Sam verabschiedete sich mit vorsichtigen Umarmungen wegen Madeleine von ihrem Vater und Yosuuf, dann ging sie auf das Stargate zu, in dem Jack bereits mit einem Winken verschwunden war.
„Wir besuchen euch bald wieder," versprach Sam.
„Und wir kommen so bald und so oft es uns möglich ist zur Erde um unsere Enkeltochter zu sehen," erwiderte Jacob.
Sam lächelte, wandte sich um und durchschritt den Ereignishorizont. Als sie auf der anderen Seite heraustrat, verblasste dieses Lächeln schlagartig und das Zusammenbrechen des Wurmlochs hinter ihr schien ihren Herzschlag für einen Augenblick aussetzen zu lassen. Verwirrt machte sie ein paar Schritte die Rampe hinunter und ließ ihren Blick zu General Hammond wandern, der gerade den Torraum betrat.
„Wo ist Jack?" brachte sie heiser und völlig durcheinander heraus.
Hammonds Gesichtsausdruck erstarrte, als sie diese Frage aussprach. „Major?"
Sam sah sich im Gate-Raum um und atmete unregelmäßig. „Er ist keine Minute vor mir durch das Stargate gegangen," flüstere sie zittrig und spürte, wie Tränen in ihre Augen stiegen.
Sam hatte ein ganz ungutes Gefühl in der Magengegend. Sie sah urplötzlich wieder die Erinnerungen Jolinars in sich aufsteigen. Sie wirbelten völlig durcheinander vor ihrem geistigen Auge – dann sah sie Jack. Sie keuchte auf und begann zu schwanken. Sie kippte nicht um, doch sie stand nur noch mit aufgerissenen Augen da – völlig erstarrt.
General Hammond nahm Sam vorsichtig Madeleine ab und Janet Fraiser wurde gerufen. Man brachte Sam auf die Krankenstation, wo die Ärztin ihr erst mal ein Beruhigungsmittel gab und sich während der Nacht um das Baby kümmerte.
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Tageslicht. Das erste, was Jack O'Neill wahrnahm, als er aus dem Ereignishorizont trat, war Tageslicht. Und er wusste sofort, dass etwas schief gelaufen war. In diesem ersten Augblick, als das Licht ihm diesen Schluss nahe legte, rasten tausend Gedanken durch seinen Kopf. Er fragte sich, ob er die falschen Koordinaten gewählt hatte – aber nein, er kannte sie in und auswendig. Sabotage – nein, unmöglich. Aber was dann?
Er drehte plötzlich ruckartig den Kopf, als das Wurmloch hinter ihm zusammenbrach. Sam, schoss es ihm durch den Kopf. Er sah sich um. Sie war nicht da. Und von Madeleine gab es auch keine Spur.
Sein Atem wurde unruhig. Es war nicht das erste Mal das etwas schief ging und zeitgleich mit dieser Erkenntnis erwachten in ihm Erinnerungen an Missionen, auf denen es Probleme mit dem Stargate gegeben hatte. Der Fund des zweiten Tors im ewigen Eis und die Reise ins Jahr '69 waren die beiden besten Beispiele dafür.
Während er so nachdachte, wanderte sein Blick unbewusst suchend herum. Es kam ihm bekannt vor… Als er das große Gebäude, von dem er nur wenige hundert Meter entfernt war, musterte, stutzte er plötzlich. Er kannte es. Er hatte es gesehen. Er… Seine Augen wurden ganz groß. Einen Augenblick erstarrte er, dann rollte er mit den Augen. Nicht schon wieder, dachte er.
Colonel Jack O'Neill mochte keine Ahnung von Wurmlochtheorien, Quantenmechanik und all den Dingen haben, die Sam Carter so oft, gerne und ausführlich erläuterte; ebenso verstand er nie mehr als zwei der Fremdwörter die sie selbst bei ihren 'einfachen' Erklärungen benutzte, doch auch er hatte seine starken Momente, in denen er sofort erkannte – wie jetzt. Und jetzt war ihm schlagartig klar geworden, dass er auf Orenda war. Noch – oder besser: wieder. Und angesichts der Position des Stargates, musste er sich nun vor allem fragen – wann.
Zu mehr kam er nicht. Einen Augenblick später leuchtete es blau um ihn herum. Ein grauenvoller Schmerz überflutete seinen Körper und ihm wurde schwarz vor Augen.
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