Kapitel 6: Erkenntnisse
Als Sam die Augen aufschlug, konnte sie die vertraute Decke der Krankenstation erkennen und sie erinnerte sich wieder, was vorgefallen war. Langsam richtete sie sich auf und schwang die Beine über den Rand des Krankenbettes. Erleichtert registrierte sie, dass Madeleine in einer Wiege neben ihr lag und sie blieb sitzen, während Janet zu ihr kam.
„Er ist nicht aufgetaucht," sagte Sam und es war keine Frage, sondern eine Feststellung.
Die Ärztin nickte. „Wir versuchen gerade mit Hilfe der Tok'ra herauszufinden, was passiert ist und wo er gelandet ist."
Sam schloss einen Augenblick die Augen. „Er ist auf Orenda."
Janet sah sie verwirrt an. „Nein. Die Tok'ra haben ihn dort nicht gefunden. Er muss auf irgendeinem anderen Planeten gelandet sein oder…"
„Janet," unterbrach Sam ihre Freundin. „Er ist noch auf Orenda. Aber nicht in unserer Zeit."
„Was?"
Sam senkte den Blick. „Ich… ich habe seit Monaten diese Träume. Sie kamen und gingen ganz unregelmäßig. Der Tok'ra-Arzt der meine Schwangerschaft betreut hat, meinte, es wäre vielleicht ein Alarmsignal meines Unterbewusstseins, dass ich zu sehr unter Stress stehe… Aber jetzt hatte ich diese Träume wieder und auf Orenda habe ich mit Hilfe von Yosuuf und Dad herausgefunden, was dahinter steckt. Es sind Erinnerungen von Jolinar. Ich erkannte den Planeten in den Traumbildern wieder und…" Sam blinzelte, als sie merkte, dass ich Wasser in ihrem Augen sammelte. „Als ich mit Maddy aus dem Stargate trat und Jack nicht da war… ich sah die Bilder wieder vor mir und plötzlich wurden sie ganz klar… Ich sah die Menschen, die Tok'ra, die damals auf Orenda lebten – Jack war unter ihnen." Sam sah der Ärztin direkt in die Augen. „Er ist in die Vergangenheit gereist."
Janet reagierte sofort und griff zum Telefon an der Wand. Keine zwei Minuten später standen General Hammond, Teal'c und Jonas vor Sam.
„Hey, Sam," begrüßte Jonas sie. „Ist ja ganz schön was passiert, während wir mit SG-7 unterwegs waren."
Sam nickte langsam.
„Also," begann der General. „Colonel O'Neill ist in der Vergangenheit? Sind Sie sicher?"
„Vollkommen sicher," bestätigte Sam. „Ich habe es Janet gerade erklärt. Ich erlebe seit einiger Zeit immer wieder die gleiche Erinnerung von Jolinar, doch erst heute sind die Bilder ganz klar geworden. Ich sah Orenda wie es vor hundert Jahren war – und Jack war dort."
„Wenn Sie so sicher sind, glaube ich Ihnen natürlich," erwiderte Hammond besorgt. „Die Frage ist nur, wie wir ihn zurückholen."
Sam seufzte. „Einiges von dem, was ich gesehen habe, ist mir noch nicht ganz klar, aber ich weiß genau, dass wir absolut gar nichts tun können… Es muss eine Sonneneruption stattgefunden haben, als Jack das Tor passiert hat."
„Wie damals, als wir im Jahr 1969 gelandet sind," fügte Teal'c hinzu.
„Ja, so ist es," nickte Sam. „Es kann nicht anders sein. Ich bin eine Minute nach ihn durch das Stargate. Darum hat es nur ihn getroffen."
„Ich habe alle SG-1-Berichte gelesen," mischte sich Jonas ein. „Und wenn ich mich recht erinnere, konntet ihr damals nur aufgrund der Notiz von General Hammond zurückkehren."
Teal'c nickte. „Du fragst dich, wie O'Neill nun zurückkehren soll."
„Ja. Immerhin können weder wir, noch die Tok'ra Sonneneruptionen berechnen."
Sam nickte bei Jonas' Worten vor sich hin und überlegte fieberhaft, welche Lösung es gab. Sie sah die Bilder wieder vor sich. Sie sah Jack bei den Tok'ra auf Orenda. Sie wusste, dass er Kontakt zu Padme hatte, aber obwohl die Erinnerungen klarer geworden waren, wusste Sam nur einen Bruchteil von dem, was damals geschehen war. Die Tatsache, dass Padme die Leiterin eines Wissenschaftsteams der Tok'ra war, gab ihr Anlass zur Hoffnung. Und sie war fest davon überzeugt, dass Jack damals zurückgeschickt werden konnte. Sie konnte es zwar in den Bildern noch nicht sehen, aber sie wusste es einfach. „Padme wird einen Weg finden."
„Wer ist Padme?" erkundigte sich Hammond.
„Jolinars damalige Wirtin. Sie war die wissenschaftliche Leiterin auf Orenda… Jack und ich haben heute einiges über sie erfahren."
„Wollen Sie damit sagen, dass wir nichts weiter tun können, als die Hände in den Schoß zu legen?"
„Ja, General."
Hammon seufzte. Jonas verzog den Mund. Teal'c zog die Augenbrauen hoch. Sam hob entschuldigend die Hände. Janet gab ihr Madeleine.
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„Du glaubst mir immer noch nicht."
Padme verschränkte die Arme. „Nicht wirklich."
„Woher sollte ich denn sonst kommen? Und wie sollte ich sonst wissen, dass dieser Planet von den Tok'ra bewohnt ist? Dass er Orenda heißt? Dass du die Wirtin von Jolinar bist? Und ich könnte dir noch das ein oder andere über Yosuuf oder Selmac erzählen. Oh, und über Khanan natürlich… Oder Martouf…"
Padme sah Jack verständnislos an. „Wer ist Martouf?"
„Du kennst ihn nicht?" erwiderte Jack überrascht. „Aber er ist doch… Oh, halt, ich bin schon wieder dabei, zuviel zu sagen." Jack seufzte. „Wie kann ich dir nur beweisen, dass ich wirklich durch die Zeit gereist bin?"
„Beweisen vermutlich gar nicht," meinte Padme und ihr Gesicht wurde plötzlich durch freundlichere Züge erhellt. „Aber ich könnte es dir vielleicht glauben."
„Könnest du oder würdest du?"
Padme lächelte. „Vielleicht tue ich es auch schon. Garshaw würde eine solch ungewöhnliche Geschichte vermutlich für eine Lüge halten, aber die Wahrheit ist manchmal ungewöhnlicher als alle Lügen der Welt zusammen."
Jack erwiderte ihr Lächeln. „Dann hilfst du mir?"
Padme sah ihn einen Augenblick schweigend an und musterte ihn auf eine Art, die Jack fast etwas unangenehm war. Und er erinnerte sich an einige Frauen, die ihn schon so angesehen hatten. Drei von ihnen trugen die Namen Sarah, Laira und Samantha.
„Wenn ich wüsste, wie – ja, dann würde ich dir helfen."
„Oh, schön… ähm, ich dachte, du als Wissenschaftlerin hättest da bereits eine Idee."
Padme schüttelte lachend den Kopf. „Soll ich das so verstehen, dass ich als Wissenschaftlerin automatisch für alles eine Lösung parat haben muss?"
„So war das nicht unbedingt gemeint, aber ich kenne da jemanden, der das Talent dazu hat, im richtigen Augenblick die richtige und rettende Idee zu haben."
Padme trat einen Schritt näher an ihn heran und sah ihm direkt in die Augen. „Eine Frau."
„Ja."
„Deine Frau?"
„Das wird sich noch zeigen…"
Padme runzelte die Stirn. „Was ist denn das für eine Antwort? Teilst du das Bett mit ihr?"
„Ja, schon. Aber nicht so wie du jetzt vielleicht denkst."
„Ich glaube, ich verstehe nicht."
„Ich manchmal auch nicht…" murmelte Jack kaum hörbar vor sich hin. „Sie ist die Mutter meiner Tochter," sagte er etwas lauter. „Ihr Name ist Samantha. Sie ist wunderschön, klug, ich liebe ihr Lachen, ich liebe einfach jede Kleinigkeit an ihr. Aber… na ja, wir sind ein wohl eher… unkonventionelles Paar."
„Unkonventionell? Inwiefern?... Oh, entschuldige, ich möchte dir mit meinen Fragen nicht zu nahe treten."
„Schon gut. Ich hab ja immerhin schon angefangen zu erzählen, da muss ich es wohl auch zu Ende bringen," erwiderte Jack und wunderte sich, dass es ihm gar nicht so schwer fiel darüber zu reden. Das lag wahrscheinlich daran, dass sie eine Unbeteiligte war. Und manchmal war es einfacher mit Unbeteiligten zu sprechen, als mit Freunden und Vertrauten. „Da wo ich herkomme, bin ich beim Militär und da gibt es gewisse Regeln. Ich habe den Rang eines Colonels. Sam ist Major. Wir sind beide Soldaten, doch sie ist auch Wissenschaftlerin, Astrophysikerin. Seit etwa sieben Jahren bin ich ihr Vorgesetzter. Wir sind ein eingespieltes Team."
„Aber es ist mehr daraus geworden," flüsterte Padme.
„Irgendwie schon… Ich glaube… ich weiß, ich habe mich im ersten Augenblick in sie verliebt…" Jack blickte vor sich ins Leere und erinnerte sich an ihre erste Begegnung. „Zu einer richtigen Beziehung oder Ehe ist es aber bis heute nicht gekommen."
„Aber du sagtest doch eben, dass ihr eine Tochter habt."
„Ja, ihr Name ist Madeleine. Sie ist jetzt sieben Monate alt," antwortete Jack und seine Augen leuchteten dabei reglerecht auf. „Ist ne komplizierte Geschichte."
„Erzähl sie mir," forderte Padme interessiert. „Du kannst nicht einfach nach der Hälfte aufhören zu erzählen."
Jack lächelte. „Okay. Dann aber die Kurzfassung," stimmte er zu und überlegte, wie er es am besten erzählen konnte, ohne zuviel Wissen um die Zukunft preiszugeben. Eigentlich, so dachte er, sollte es reichen, Ni'irti nicht zu erwähnen. „Tja, wir waren auf einem Planeten, auf dem mit menschlichem Erbgut herumgespielt wurde. Mein Team und ich gerieten in Gefangenschaft und ein paar von uns wurden in eine Maschine gesteckt, die die Gene durcheinander gebracht hat. Nachdem wir uns befreien konnten, musste Sam noch mal in die Maschine, um wieder normal zu werden. Einer von den Planetenbewohnern hat uns dabei geholfen. Er konnte Gedanken lesen und dachte, er würde uns einen Gefallen tun, wenn er Sam von mir schwanger werden lässt. Wir haben es erst drei Monate später festgestellt. Sam zog sich daraufhin längere Zeit zurück. Damals war ich wütend, aber heute kann ich verstehen, dass sie gehen musste, um mit der Situation klarzukommen… Sie kehrte noch vor der Geburt zu mir zurück und wir ziehen Madeleine nun zusammen auf. Wir sind uns in den letzten Monaten auch sehr viel näher gekommen, wir sind sogar gerade dabei zusammenzuziehen, aber…"
Padme lächelte. „Aber ihr seid ein unkonventionelles Paar."
„Ja." Jack sah Padme direkt in die Augen und versuchte ihre Stimmung zu deuten. Zu dem, was er zuvor in ihrem Blick gesehen hatte, hatte sich etwas Neues dazugesellt, was er nicht richtig zu erkennen vermochte. Eifersucht war es nicht, auch keine Wut – es ging eher ich Richtung Mitgefühl. Genauer fokussieren konnte er es aber nicht.
„Komm," forderte sie ihn nach einer Weile auf. „Wir gehen in mein Labor. Vielleicht finde ich am Computer eine Möglichkeit dich zurückzuschicken."
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Unter Tränen stand Sam Carter an diesem Abend an der Wiege ihrer Tochter in Jack O'Neills Haus. Madeleine schlief tief und fest. Es war auch schon weit nach Mitternacht, doch für Sam war an Schlaf nicht zu denken. Sie hatte sich bereits hingelegt gehabt, sie war auch eingenickt – und sie hatte geträumt. Es waren genau diese Träume, die ihr nun die Tränen in die Augen trieben und die ihr sämtliche Fassung geraubt hatten.
Sie trat ans Fenster und schob die Vorhänge etwas zu Seite, dann schlang sie ihre Arme um sich selbst und blickte in den Nachthimmel hinaus. Die Tränen flossen weiter stumm ihre Wangen hinunter. Und wie Sam so aus dem Fenster hinausstarrte, wurde ihr Blick ganz fern und vor ihrem geistigen Auge spielten sich abermals die Szenen ab, die sie an diesem Abend im Traum gesehen hatte. Jetzt war alles klar. Vielleicht zu klar… Sam fühlte wie sich ihr regelrecht die Luft abschnürte und jede Faser ihres Körpers begann zu schmerzen. Sie sank auf die Knie und schluchzte lautlos vor sich hin. Sie wusste genau, dass im Nebenzimmer, im Schlafzimmer, schon ihre ersten Umzugskartons standen und sogar schon halb ausgepackt waren – sie versuchte nicht daran zu denken. Sie versuchte an gar nichts zu denken. Gelingen wollte ihr das natürlich nicht. Tausend Gedanken stürzten in ihrem Kopf zusammen. Die Traumbilder schossen immer wieder dazwischen… Nicht, dass es schreckliche Bilder gewesen wären – es waren lediglich Erinnerungen an alltägliche Vorgänge auf Orenda und an Jack auf Orenda. Das, was Sam so zusetzte, waren die mit diesen Erinnerungen verbundenen Gefühle.
Noch nie hatte sie Erinnerungen von Jolinar so klar erlebt. Auch nicht Gefühle. Nicht einmal was Martouf anging. Sie hatte immer Jolinars Liebe für ihn wahrgenommen, doch sie hatte immer gewusst, dass sie der Tok'ra gehörten und nicht ihr selbst. Nun aber… Nun begriff Sam gar nichts mehr. Diese neuen Erinnerungen beschworen in ihr Zweifel über die vergangenen sieben Jahre ihres Lebens.
Jolinar… Padme… beide hatten sich in Jack verliebt. Es hatte nichts zwischen Jack und Padme stattgefunden. Sie hatte ihm lediglich geholfen, wieder nachhause zu kommen – würde dies aus Sams Sicht eigentlich erst noch tun –, aber sie hatte sich in ihn verliebt. Sie hatte es ihm nicht gesagt, sie hatte ihn einfach durch das Stargate zurück in seine Zeit gehen lassen. Sie hatte während des Goa'uld-Angriffs auf Orenda sich selbst geopfert um andere Tok'ra zu reden. Dann war Rosha Jolinars neue Wirtin geworden. Rosha hatte sich in Martouf verliebt, ihn später geheiratet. Und mit der Zeit war es nicht nur Rosha, es war auch Jolinar, die Martouf und Lantash über alles liebte. Doch in den hundert Jahren, die sie bis zu Roshas Tod zusammen waren, hatten Jolinars Gefühle für Jack nie an Intensität verloren. Sie waren stets da gewesen, doch Jolinar hatte sie tief in sich verborgen.
Und nun erinnerte sich Sam an alles, was damals vorgefallen war. Das tat unglaublich weh. Sie wusste jetzt nicht mehr, was sie in Bezug auf Jack und sich selbst denken sollte. Sie kannte ihn sieben Jahre lang, sie hatten eine gemeinsame Tochter, waren gerade dabei zusammenzuziehen, waren dabei eine Beziehung aufzubauen… aber worauf? Sam fragte sich nun, worauf sie diese Beziehung eigentlich aufbauten. Sie zweifelte keine Sekunde daran, dass Jacks Gefühle für sie echt waren. Der Zat'arc-Test hatte das eindeutig bewiesen – aber was war mit ihren eigenen? Sie mochte Jolinar von Malkshur nur wenige Stunden als Wirtin gedient haben, doch trug sie viele ihrer Erinnerungen noch immer in sich. Ja – bei Martouf hatte sei zu unterscheiden gewusst. Weil sie gewusst hatte, was ihn und Rosha verbunden hatte. Und Jack? Sie liebte ihn, ja – oder kam dieses Gefühl ebenfalls von Jolinar?
Sam wusste einfach nicht mehr, was nun echt war und was nicht. Sie fühlte sich betrogen. Von der Liebe betrogen. Und sie konnte einfach nur noch weinen.
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