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"Vater!", entsetzt sah Legolas seinen Vater an.

"Nenne mich nicht Vater. Du bist eine Schande." Thranduil funkelte Legolas mehr als nur wütend an.

"Lass dir erklären!", versuchte der Elbenprinz einzugreifen.

"Was willst du mir erklären? Ich habe genug gesehen!" Der König spuckte ihm ins Gesicht. Haldir, der bis jetzt kein Wort gesagt hatte, sondern nur geschockt da saß, fragte sich, wie viel er wohl wirklich gesehen hatte.

"Nein Vater, du verstehst nicht. Ich liebe Haldir. Ich kann nichts dagegen tun."

"Was weißt du schon von der Liebe? Du willst mir weiß machen, dass du einen Elben einer Elbin vorziehst? Er hat dich behext! Ich wusste schon immer, dass den Elben Loriens nicht zu trauen ist. Ich hätte ihn nie an meinen Hof lassen sollen!". Thranduil redete sich in rage und der Elb aus Lorien wurde immer kleiner neben Legolas.

"Nein, das stimmt nicht. Ich habe Haldir schon geliebt, bevor er die Grenzen des Waldlandreiches überhaupt jemals überschritten hatte!" Der Prinz stand auf und baute sich jetzt ebenfalls wütend vor seinem Vater auf. "Ich liebe ihn und wenn es sein muss, werde ich dafür alles aufgeben."

Haldir sah, wie Thranduil zurückzuckte. Damit hatte er nicht gerechnet. Er sah, wie die Wut kurzzeitig etwas anderem wich, doch er konnte nicht sagen, was es war. Er wagte einfach das Wort zu ergreifen.

"Mein König, wir lieben uns, und wir können nichts dafür. Es war Schicksal das wir uns begegnet sind. Legolas hat mir mehr als einmal das Leben gerettet!"

"Und dafür hast du ihn zu dir ins Bett gezerrt!", unterbrach ihn der Elbenkönig barsch. Haldir wurde rot und verstummte. Legolas hingegen wurde nur noch wütender.

"Nein, das hat er nicht. Ich hab nichts von allem was passiert ist, gegen meinen Willen getan, und ich bereue nichts. Ich liebe ihn, und ich werde ihn nicht aufgeben. Ich werde NICHT die Prinzessin heiraten, die DU für MICH ausgesucht hast. Ich werde Haldir nicht verstoßen, bloß weil du und deine verstaubten Ansichten von Tradition und Pflicht es so wollen. Ich will dein Leben nicht!!" Das letzte hatte Legolas geschrien, ohne dass er es gemerkt hatte. Haldir hatte ihm schon beschwichtigend die Hand auf die Schulter gelegt. Dankbar für dieses Zeichen der Unterstützung küsste der Elbenprinz die Finger, die auf seiner nackten Haut lagen. Das war zu viel für Thranduil.

"Bei den Valar, wie komme ich zu so einem Sohn? Du bist eine Schande für dieses Reich. Geh!!"

Legolas blickte erstaunt zu seinem Vater auf. Hatte er richtig gehört?

"Aber.."

"Ich sagte, GEH! Ich verbanne dich aus dem Reich Düsterwald, das unter MEINER Herrschaft steht. Noch vor Sonnenuntergang musst du die Grenzen des Reiches überschritten haben, oder du wirst sie mit deinem Geliebten..", bei diesem Wort spuckte er ihm mit Abscheu vor die Füße, "..nicht lebend verlassen."

Thranduil drehte sich um. Er ging gebeugt, als hätte er eine schwere Last zu tragen, oder wäre um Jahre gealtert. Verblüfft blickte Legolas seinem Vater hinterher, damit hatte er nicht gerechnet. Dann vernahm er Haldirs schwache Stimme. Es war kaum mehr als ein Flüstern. "Meint er das ernst?"

Legolas drehte sich um. "Ja, er meint es ernst."

Thranduil kochte vor Wut und es war wohl gut, dass dies ein sehr abgelegener Teil seines Reiches war. Er konnte es nicht fassen, was er gesehen hatte? Sein Sohn, der Prinz des Düsterwaldes, der Erbe dieses Reiches, trieb es mit einem Elben und als ob das nicht schon schlimm genug war, mit einem Elben aus Lorien, aus Galadriels Reich. Oh, er hatte es geahnt, dass es nur Unglück bringen würde, diesen Haldir hier leben zu lassen. Doch seine Freundlichkeit hatte gesiegt, denn sein Sohn schien diesem Elben zu vertrauen und ihn zu mögen. Thranduil schnaubte verächtlich. "Ja, zu mögen, wer konnte denn ahnen das MEIN Sohn so ein liebestoller Narr ist."

Thranduil verschwand zornig in seinem Thronsaal, die Palastwachen anweisend, niemanden, wirklich niemanden einzulassen.

Der König lies sich auf seinen Thron fallen, und plötzlich traf ihn die Erkenntnis wie einen Schlag. Er stützte den Kopf, der plötzlich so unglaublich schwer schien, in seine Hände. Was hatte er getan? Thranduil wollte schreien, so sehr tat seine Seele weh als er realisierte, was eben geschehen war. Er hatte ihn verstoßen, den einzigen, der von seiner Familie noch geblieben war, die Person, die er über sein Leben liebte. Wie war es nur so weit gekommen? Ja, er wollte schreien, doch er war nicht fähig dazu. Es schien, als hatte jegliche Form der Sprache seinen Geist verlassen. Aber er konnte die Verbannung jetzt nicht mehr rückgängig machen, oder? Er musste es doch tun, um sein Gesicht zu wahren. Er hatte ihn doch nur verheiraten wollen, um Legolas zu zeigen, welche Freude eine Ehe bringen konnte, selbst wenn sich die Parteien noch nicht kannten. Doch war dies wirklich der Grund gewesen. Hatte er tatsächlich deswegen auf die Vermählung bestanden? Schmerzhafte Erinnerungen überfluteten seine Gedanken.

Thranduil sah seinen eigenen Vater vor sich, am Tage seiner Vermählung. Auch er hatte bedenken gehabt, eine völlig unbekannte Elbin zu heiraten. Aber als er sie zum ersten Mal gesehen hatte, war alles anders gewesen. Sie war der Grund gewesen, warum er lebte. Wie sehr hatte Thranduil seine Frau geliebt. Wie glücklich war er, als sie ihm drei Söhne schenkte, auf die er immer stolz sein konnte. Sie waren eine vollkommene Familie gewesen, bis zu jenem dunklen Tag im Düsterwald. Ein ganzes Heer von Orks fiel über die Elben her. Viele Leben hatte dieser Kampf gekostet und Thranduils Preis für den seinen Sieg war sehr hoch gewesen. Die Angreifer hatten ihm das Liebste genommen. Er sah seine Frau vor sich, als wäre es gestern gewesen. Ihr Gesicht im Schrecken und in Angst verzerrt und ihr Körper durchbohrt von 4 Orkpfeilen. Es hatte den König zerrissen. Thranduil hatte in der darauffolgenden Zeit nicht auf den Schmerz seiner Söhne geachtet. Er trank, isolierte sich und wenn er einmal mit einem seiner Kinder sprach, dann waren es harte Worte gewesen. Vor allem Legolas litt sehr unter dem Tod seiner Mutter und der Ignoranz seines Vaters. Dabei war sein jüngster Sohn die einzige Verbindung Thranduils zur Schönheit seiner geliebten Frau. Er sah ihr so ähnlich. Manchmal, wenn der Prinz schlief, schlich der König in sein Zimmer, setzte sich neben sein Bett und betrachtete sein Gesicht die ganze Nacht, nur um sie zu sehen. Aber in anderen Augenblicken, in den Momenten, in denen der Schmerz zu groß war, hasste er seinen Sohn dafür, dass er allein durch sein Auftauchen die alten Wunden aufriss. Dennoch war es genau Legolas, der blieb, als seine älteren Brüder den Düsterwald verließen, weil sie Thranduils Launen nicht mehr ertrugen. Der Prinz harrte aus, trotz der Trunkenheit und des immer wiederkehrenden Jähzorns seines Vaters. Er hatte den König nicht aufgegeben und half ihm, seinen Hang zur Selbstzerstörung zu überwinden. Und dann? Dann musste Thranduil seinen Sohn nach Rivendell schicken und nachfolgend die größten Sorgen und Ängste ausstehen, die ein liebender Vater haben kann.

Aber Legolas war zurückgekehrt, zwar mit einem Elben aus Lorien, aber er war wieder zu Hause. Thranduil wollte ihn nicht wieder ziehen lassen. Dies war der Hauptgrund gewesen, warum er hatte Haldir an seinem Hofe wohnen lassen. Nein, er wollte Legolas nicht wieder hergeben, er wollte keine Nächte durchwachen und Ängste ausstehen. Er sollte heiraten und an der Seite des Königs im Düsterwald bleiben.

Thranduil fiel auf die Knie. Er wollte seinen Sohn doch nur halten, deswegen die Hochzeit, er konnte ihn doch nicht auch noch verlieren. Was hatte er nur getan. Er hatte ihn VERBANNT!!! Dieses Worte hallte in seinem Kopf wieder. "Verbannt...!" Der König schlug die Hände vor sein im Kummer verzerrtes Gesicht. Er weinte, vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben, denn beim Tod seiner Frau war er so leer gewesen, dass er damals nicht einmal Tränen hatte vergießen können. Aber jetzt hatte er Tränen. Die Verzweiflung schüttelte ihn. Er hatte Legolas verloren.