6. On the run
Kurze Zeit später klopften sie an der Tür von Alex` und Kyles Suite. Alex
öffnete.
„Hallo, Alex. Dürfen wir reinkommen?", begrüßte Liz ihn.
Alex warf einen Blick über die Schulter in Richtung Schlafzimmer.
„Äh, ja, kommt rein!"
Die verteilten sich auf die Sofas und Sessel. María sah sich um.
„Wo ist denn Kyle?", fragte sie.
Alex seufzte. „Er ist vor ca. zwei Stunden hier reingekommen und hat sich im Schlafzimmer eingeschlossen. Irgendwann hab ich ihn dazu gebracht, aufzusperren und mich reinzulassen. Er sagte, Leandra hätte ihn verlassen, weil sie der Meinung wäre, sie beide passten nicht zusammen. Er ist völlig am Boden. Dann habt ihr geklopft, und als ich aufmachte, hat er sich wieder eingeschlossen."
María rutschte unruhig auf dem Sofa herum.
„Das tut mir leid!", sagte Liz aufrichtig und wahrheitsgemäß.
Alex nickte. „Tja, jetzt sind wir komplett: Alle haben Liebeskummer!"
Stille
breitete sich über dem Raum aus. Alle hingen ihren Gedanken an ihre Liebsten
nach.
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Am nächsten Morgen weckte Leandra schon früh ihre beiden Herrinnen. Sie zeigte
ihnen, in welchen Koffer sie die Utensilien, die sie für eine Flucht
benötigten, getan hatte. Kurz nach dem Frühstück erreichte die 'Olympe' den
Hafen von Huelva. Eine Kutsche brachte sie in ihr Hotel. Leandra kümmerte sich
darum, dass DER Koffer immer greifbar war. Dann ging sie zur Hafenauskunft. Das
Schild der Hafenauskunft war schon von weitem zu sehen. Als Leandra eintrat, kam
ihr ein Schwall angenehm kühler Luft entgegen, was sie nach dem Weg zur
Auskunft bei 34° C Hitze ein wenig erfrischte. Hinter dem Tresen , der fast den
ganzen Raum einnahm, saßen einige Männer in Matrosenkleidung. Einer der Männer
war damit beschäftigt, einen aufgebrachten Seemann zu beruhigen. Da der Seemann
Spanisch sprach und sehr schnell, konnte Leandra ihn kaum verstehen, auch wenn
sie eigentlich recht gut Spanisch konnte. Sie ging zum Tresen.
„Guten Tag! Ich würde gerne wissen, wann das Schiff 'Alesaia' hier ankommt!"
Der Mann sah hinter dem Tresen sah hoch.
„Von wo aus kommt das Schiff denn?", wollte er wissen.
„Oh, es kommt aus Dunkerque."
Der Mann begann, in einigen Papieren zu blättern.
„Ah, hier: Die Alesaia kommt übermorgen Abend hier an, da das Schiff wegen eines schweren Sturmes in Lissabon vor Anker gehen musste!"
Er
grinste schief. Leandra bedankte sich und ging im Schnellschritt zurück zum
Hotel. Dort angekommen, erklärte sie Liz und María die Lage. Sie beschlossen,
kurz nach dem Abendessen zu verschwinden.
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Liz legte die Briefe an Alex und Kyle auf ihr Bett. Dann griff sie nach dem
Zofenumhang und warf ihn sich über. Er war schwer, da Leandra den meisten Schmuck
und das meiste Geld in das Futter eingenäht hatte. María und Leandra warteten
schon vor der Tür. Als Liz zu ihnen gekommen war, gingen sie leise die
Hotelgänge entlang und zum Angestelltenausgang hinaus. Da stellte sich ihnen
eine Wache in den Weg.
„Wer seid ihr und was wollt ihr ?", fragte er.
Der Schein seiner Fackel suchte ihre Gesichter, die unter den Kapuzen verborgen waren. Leandra schlug die ihre zurück.
„Ich bin es nur und noch zwei andere Zofen. Wir müssen noch ein wenig ...äh... Medizin besorgen. Du weißt ja, wie große Angst Lady Anelia vor Krankheiten hat!", fügte sie mit einem verführerischen Lächeln hinzu.
„Dürfen wir also bitte vorbei, Owen?"
Der grinste schief und ließ sie passieren. Owen sah nur noch, wie die drei Mädchen auf drei wartende Pferde aufsaßen, dann verschwanden ihre Silhouetten in der dunklen Nacht.
Langsam wurde es hell. Die ersten Vögel begannen zu zwitschern und es wurde wesentlich wärmer. Liz trabte langsam neben María und Leandra her. Wie lange waren sie jetzt schon unterwegs? Sie wusste es nicht. Ihre Beine waren taub und sie war langsam hungrig und durstig. Trotzdem mussten sie noch weiter, sie mussten..... Sie dachte an die vergangene Nacht zurück. Die meiste Zeit waren sie galoppiert, bis irgendwann weder die Pferde noch sie mehr konnten. Sie machten daher eine Stunde Pause, um dann wieder über die verlassene Straße zu jagen. Aber jetzt konnte sie nicht mehr, sie versuchte durchzuhalten, aber es war schwer....
Wie, als hätte sie ihre Gedanken erraten, sagte Leandra plötzlich: „Beim nächsten Bach machen wir Halt, und zwar für mehrere Stunden. Wir dürften ziemlich weit gekommen sein, und wir müssen ab jetzt zudem auf den Feldern und in den Wäldern reiten, da uns auf der Straße zu viele Leute sehen würden. Womöglich sogar Suchtrupps, die euer Vater ausgeschickt hat. Es dauert nicht mehr so lange!"
Und doch dauerte es noch ein-einhalb Stunden, bis sie einen Bach sahen. Inzwischen war die Sonne schon viel höher gestiegen und es wurde langsam immer heißer. Nachdem sie sorgfältig die Umgebung auf Dörfer und Straßen überprüft hatten, tränkten sie die Pferde, machten es sie sich am Bach auf einer Lichtung bequem und aßen ein wenig von den mitgebrachten Broten. Dann legten sie sich auf ihre Mäntel und schliefen ein. Leandra weckte Liz und María. Sie hatte die Feldflaschen bereits mit Wasser gefüllt und die Pferde abermals getränkt. Die Sonne stach unbarmherzig vom Himmel. Liz Korsett und Unterkleid waren bereits schweißgetränkt, obwohl sie eines ihre leichtesten und dünnsten Kleider anhatte. Sie sah zu María, der es anscheinend genauso ging. Ihr fiel auf, das sie seit sie auf der Flucht waren, kaum etwas miteinander geredet hatten. Aber dazu war ihr jetzt auch nicht zu Mute. Sie ging zu Leandra, die eine Karte auf den Knien hatte.
„Wir sind jetzt schon ungefähr 25 Meilen weit gekommen.", sagte Leandra ohne aufzusehen. „Wir sind jetzt irgendwo hier. Bis San Fernando sind es also noch gut 125 Meilen. Wenn wir die meiste Zeit nachts reiten, werden wir in vier, fünf Tagen da sein!"
Liz nickte nur. Was waren denn diese 125 Meilen gegen die Entfernung, die zwischen ihr und Max lagen? Und mit jeder Meile entfernet sie sich nur noch weiter von ihm. Was würde sie dafür geben, wenn er jetzt bei ihr wäre? Einfach nur seine Stimme hören, sein Lachen und in seine schokoladenbraunen Augen, in denen sie sich verlieren und alles unangenehme vergessen konnte?
Sie seufzte und ging zu ihrer Stute Joya.(Joya= Juwel) Joya, der Name passte zu ihr. Sie war ein Fuchs, und ihre Augen strahlten wie Juwelen.
María saß gerade auf Miel ( Miel= Honig) auf. Auch zu dem Rappen passte der Name, denn er war honigfarben und immer auf Zuckerstücke aus. Leider hatte María jedoch keine dabei. Als sie weiterritten, versuchte Leandras Pferd sich immer weiter nach vorne zu drücken, als die anderen beiden liefen. Liz wusste den Namen der Stute nicht. Vielleicht heißt sie ja Primera, die Erste, überlegte Liz schmunzelnd.
„Liz, glaubst du, wir schaffen das?", fragte María auf einmal.
Liz senkte den Blick. Sie wusste es ja selber nicht, sie konnte nur hoffen.
„Irgendwie habe ich das Gefühl, dass wir es nicht schaffen werden. Was sollen wir denn überhaupt machen, wenn wir in San Fernando ankommen? Ich glaube ich habe Angst.....", María klang verzweifelt.
Liz legte ihr die Hand auf den Arm. „Du vermisst Miguel, nicht wahr? Ich vermisse Max ebenso. Aber wir müssen das jetzt durchhalten! Ich weiß auch nicht, was wir einmal werden und was wir in San Fernando machen, aber wir können jetzt nicht zurück! Wenn wir zurück kämen, würden unsere Eltern uns ins Kloster stecken und uns verstoßen. Wenn wir erst einmal in San Fernando sind, beschaffen wir uns neue Pässe und dann werden wir uns einen tollen Beruf suchen und ein neues Leben anfangen. Aber dafür müssen wir jetzt durchhalten!!!"
„Liz hat Recht!", schaltete sich Leandra ein. „Wir müssen jetzt noch 125 Meilen reiten - ich gebe zu, dass das sehr, sehr viel ist- aber dann sind wir in San Fernando, und wir werden da eine neue Existenz aufbauen. Wir haben immer noch den Schmuck und das Geld, das wird uns alles ebenso viel weiterhelfen, wie eure Sprachkenntnisse und euer Wissen."
María grinste. „Danke für die tollen Reden!"
Sie grinste ironisch. Der Rest des Tages verlief um einiges entspannter als der erste Teil. Sie achteten immer darauf, dass sie möglichst wenig Leute trafen, und mit jeder Meile, die sie näher nach San Fernando brachte, wurden die drei zuversichtlicher. Sie kamen zudem schneller voran, als sie vermutet hatten, was ihre Stimmung zusätzlich hob. Gegen Abend erreichten sie einen abgelegenen Gasthof. Sie brachten die Pferde in den Stall (wobei Liz herausfand, das Leandras Stute 'Diva' hieß) und bestellten ein Doppelzimmer, wo sie, um Geld zu sparen, zu dritt in einem Doppelbett schlafen würden. Sie trugen sich unter den Namen Liza, Maríanne und Lena Fugazas ein und aßen dann in der Gaststube zu Abend. Als sie fertig waren, musste Liz noch einmal raus, während die anderen beiden schon einmal nach oben gingen. Als Liz auf dem Rückweg an der Gastube vorbeikam, hörte sie, wie einige Männer hereinkamen und nach einem Bier riefen. Sie lugte durch einen Spalt in der Tür und sah, dass diese Männer Uniformen trugen. Und auf denen prangte ein Wappen, auf dem zwei Adler und eine Seemöwe abgebildet waren. Das Wappen der Familie Socksley, ihrer Familie. Sie hörte, wie die Uniformierten in brüchigem Spanisch erklärten, dass sie zwei flüchtige Prinzessinnen und deren Zofe suchten. Als einer der Männer ihre Namen nannte, wich sie unwillkürlich einen Schritt zurück. Der Hauptmann von ihnen erklärte, sie würden morgen früh nach dem Frühstück weiterreiten sie hätten den Befehl, in einem Umkreis von 40 Meilen nach den Ladies zu suchen, da sie ja nicht weit gekommen sein konnten. Anscheinend hielt er Reiten für Männersache. Danach drehte sich das Gespräch um unwichtigere Sachen und Liz huschte nach oben zu María und Leandra.
Die beiden hörten sich ihren Bericht an, dann meinte Leandra: „ich gehe nach unten und sage dem Wirt, dass wir vor Sonnenaufgang geweckt werden wollen. Wir reiten dann ohne Frühstück weiter und versuchen, der Patrouille nicht in die Arme zu laufen."
Sie verließ den Raum und kehrte kurze Zeit später zurück. „Wenn Patrouille weiter so viel säuft wie bis jetzt, dann werden sie morgen erst spät los kommen! Aber darauf dürfen wir uns nicht verlassen! Wir müssen jetzt ins Bett gehen, damit wir morgen gut ausgeschlafen sind!"
Liz
lag noch einige Zeit wach neben María und dachte nach. Bevor sie Max kennen
gelernt hatte, hatte sie oft das Gefühl gehabt, dass in ihrem Leben etwas
fehle. Als sie Max das erste Mal gesehen hatte, war ihr klar geworden, das sie
bisher nur vor sich hin gelebt hatte. Die Tage mit Max waren die eindeutig
schönsten in ihrem Leben gewesen, da war sie sich sicher. Sie konnte sich nicht
vorstellen, dass sie ihn nie wieder sehen sollte. Sie MUSSTE ihn einfach wieder
sehen, ohne ihn fehlte ihr die Luft zum atmen. Das würde sich nie ändern,
soviel stand fest!
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Am nächsten Morgen wurden sie von der Wirtsfrau vor Sonnenaufgang geweckt. Noch
ein wenig verschlafen kletterten sie auf ihre Pferde. Ihre Müdigkeit verflog
jedoch, als sie über das taunasse Gras dem Sonnenaufgang entgegengaloppierten.
Wie schon am Vortag galoppierten sie bis zum Mittag und machten dann wieder an
einem Bach halt um sich auszuruhen und etwas zu essen und zu trinken. Nachdem
die Rast vorüber war, ritten sie weiter, allerdings nur im Trab und Schritt.
Sie kamen gelegentlich durch kleinere Dörfer und Orte. Liz genoss die Flucht
mittlerweile so, als sei es nur eine Vergnügungsreise. Sie übernachteten in
einem größeren Gasthof, in dem sich jede Menge Leute tummelten. Die drei Mädels
aßen gerade zu Abend, als eine Gruppe von Spaniern hereinkam. Voran ging eine
kräftige Dame, ganz in blau gekleidet. Sie setzte sich mit ihren Begleitern und
vor allem Begleiterinnen an einen Tisch in der Nähe von Liz, María und Leandra.
Viele Leute von den anderen Tischen drehten sich nach ihr um, und einige kamen
sogar an ihren Tisch. Eine Frau am anderen Ende des Raumes stand auf.
„Wir freuen uns so, dass du wieder da bist, Cecile Azul!", sagte sie laut um das Gemurmel der anderen Gäste zu übertönen, dass sich erhoben hatte, als Cecile Azul hereingekommen war.
„Wie war es in Cádiz?"
Alle Leute im Raum sahen Cecile an. Sie lächelte. Offenbar liebte sie es, im Rampenlicht zu stehen.
„Es war wirklich sehr schön!", schwärmte sie. „Ich bin einen Monat lang auf einem Kreuzfahrtschiff zwischen Cádiz und Barcelona angestellt gewesen. Die Schifffahrtsgesellschaften suchen händeringend nach Personal. Keiner will diese Jobs machen, abgesehen davon wird man aber auch nur genommen, wen man den Anforderungen entspricht, das heißt zum Beispiel, man muss höflich sein, über Sprachkenntnisse verfügen und sich in der Gesellschaft auskennen. Aber wer aus dem normalen Volk besitzt denn schon diese Kenntnisse und Eigenschaften? Aber ich habe die Arbeit trotzdem bekommen, obwohl ich ehrlich gesagt erst Zweifel und Angst hatte. Die Arbeit ist eigentlich ganz erträglich. Und: Man bekommt immer den neuesten Klatsch und Tratsch aus den adeligen Kreisen mit. Zum Beispiel habe ich erfahren, dass der Príncipe de Cataluña seine Kinder verheiraten will. Die kommen ja gerade zusammen mit ihrer Mutter bald aus Schottland wieder nach Hause, und dann will er sie verheiraten. Er wird in dreieinhalb Monaten einen Ball geben, zu dem er lauter Brautbewerberinnen und -bewerber eingeladen hat. Alle aus den besten Kreisen natürlich! Wer weiß, vielleicht heiratet einer der Söhne ja die Tochter unseres Príncipe de Sevilla?!"
Sie lachte, während sich ein aufgeregtes Gemurmel erhob. Liz und María starrten sich an. Leandra senkte den Blick. Sie wusste nicht, was sie jetzt sagen oder tun sollte. Währendessen erzählte Cecile weiter von ihrer Reise, aber ihre Worte plätscherten an Liz und María vorbei. Sie beendeten ihre Mahlzeit und gingen von Leandra gefolgt auf ihr Zimmer. Dort stellte sich María vor das Fenster und lehnte ihre Stirn gegen da kühle Glas. Sie blickte nach draußen in die Dunkelheit. Liz hatte sich quer übers Bett geworfen und starrte an die Decke. Leandra stieg unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. Sie wusste, dass sie jetzt nichts tun konnte.
„Ähm, ich gehe mal nach draußen, ein wenig frische Luft schnappen, ok?"
Liz und María schienen sie nicht zu hören. Leise schloss Leandra die Tür hinter sich und lief die Treppe hinunter und hinaus auf den Hof. Dort setzte sie sich auf ein Gatter. Vor ihr lagen dunstige Wiesen, die vom Mond schwach erhellt waren. Sie musste an Kyle denken. Sie konnte seinen verletzten Gesichtsausdruck nicht vergessen, als sie Ihm sagte, sie wolle Schluss machen. Sein Bild quälte sie Tag und Nacht. Wo er jetzt wohl war? Machte er sich Sorgen um sie und seine Cousinen? Hatte er schon ein neues Mädchen gefunden? Oder dachte er immer noch an sie? War er schon zusammen mit Alex und der Lady und dem Lord auf dem Rückweg nach Schottland? Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie wischte sie mit dem Handrücken weg. Obwohl die Nacht lau war, fror sie. Plötzlich hörte sie Schritte hinter sich. Als sie sich umdrehte, sah sie direkt in die rabenschwarzen Augen von Cecile Azul.
„Na, was machen Sie denn so alleine hier draußen?", fragte Cecile sie erstaunt.
„Ach, ich schnappe nur ein bisschen frische Luft.", erklärte sie.
Dann fiel ihr etwas ein. „Sagen Sie mal, glauben Sie, es ist für uns drei möglich, in Cádiz zusammen Arbeit auf einem Schiff nach Barcelona zu bekommen?"
Cecile wiegte den Kopf. „Ja, ich denke, das wäre schon möglich, ihr müsst nur bei der richtigen Gesellschaft fragen. Ich würde euch die 'Bonita Mare' empfehlen! Allerdings müsst ihr wie gesagt, den Anforderungen entsprechen."
Leandra lächelte. „Oh ich denke, das ist kein Problem! Vielen Dank!"
Sie lief schnell in ihr Zimmer. In ihrem Kopf formte sich ein Plan. Aber sie beschloss, Liz und María erst einmal nichts von ihm zu erzählen. Die beiden lagen bereits im Bett. Leandra zog sich leise aus und krabbelte in zu ihnen ins Bett. Sie war totmüde und ihr fielen schon bald die Augen zu. Ganz im Gegensatz zu Liz. Sie lag mit dem Gesicht zum Fenster gewandt und sah auf den Mond, dessen fahles Licht durch das Fenster auf ihr Bett fiel. Sie musste dauernd daran denken, dass eine andere Max berühren und küssen könnte. Wie dachte er überhaupt darüber? Hatte er sie nur für einen kleinen Reiseflirt gehalten? Nein, das konnte sie sich nicht vorstellen! Aber sie konnte auch nicht von ihm erwarten, dass er sein Leben lang auf sie warten würde. Wer weiß, ob sie sich überhaupt jemals wiedersähen! Er hatte ihr erzählt, dass er gerne einmal eine Familie haben wolle, aber wenn er nur auf sie wartete, dann konnte er sich diesen Wunsch nicht erfüllen. Nein, es war wirklich besser, wenn er eine andere heiratete, aber andererseits..... Mit solchen und ähnlichen Gedanken wälzte sie sich Stunde für Stunde im Bett herum. Irgendwann schlief sie von Müdigkeit übermannt ein. Am nächsten Morgen wurde sie von einem würgenden Laut geweckt. Sie drehte sich verschlafen im Bett um und sah, wie María sich in den Nachttopf übergab. Leandra sprang aus dem Bett und reichte María ein paar Tücher, um sich den Mund abzuwischen. Liz setzte sich auf.
„María....was ist denn los? Bist du krank?"
María antwortete erst, nachdem sie einen Schluck aus dem Wasserkrug genommen hatte, den Leandra ihr reichte.
„Nee, krank bin ich nicht. Ich glaube eher, dass ich gestern Abend etwas falsches gegessen habe!", erklärte sie gleichmütig.
Plötzlich verdunkelte sich ihr Gesicht. „Gestern Abend....",murmelte sie traurig und ließ sich auf einem Stuhl nieder.
Liz sah zum Fenster hinaus, wo der graue Himmel langsam immer heller wurde. Gestern Abend....sie dachte wieder an Max. Ob er wohl auch gerade an sie dachte? Nein, jetzt hör sofort auf, permanent an Max zu denken! befahl sie sich. Mit einem Seufzer stand sie auf und ging hinüber zum Waschtisch. Sie klatschte sich mit den Händen Wasser ins Gesicht. Dann drehte sie sich um und ging zum Fußende des Bettes, wo ihre Kleider lagen. Missmutig musterte sie ihre Kleider. Der Unterrock war schon ganz schwarz unten am Saum, genauso wie ihr Kleid, und das zierten außerdem noch einige Flecken. Heute Abend würde sie ihre Kleider erst einmal Gründlich waschen müssen! Abgesehen davon rochen sie auch nicht gerade wie ein Rosenbusch. Sie schnitt eine Grimasse, als sie ihr Korsett anlegte. Wenigsten saß es jetzt lockerer und nicht so eng geschnürt, wie es ihre Zofen immer gemacht hatten. María stand neben dem Fenster.
„Na, das wird ja ein toller Tag!", ließ sie verlauten. „Regen! Wir müssen unsere Mäntel anziehen!"
Sie schüttelte sich. Sie ritten jetzt schon Stunden. Liz wusste nicht, wie lange genau. Aber sie war sich sicher, dass es jetzt schon eine halbe Ewigkeit her sein musste, seit sie aufgebrochen waren. Der Regen klatschte mit dicken Tropfen auf ihre Kapuze und lief in langen Bahnen an ihrem Mantel herunter. Ihre Zehen fühlten sich wie Eiswürfel an. Um sie herum nur grau. Alles schien an diesem Tage grau zu sein, die Bäume und Pflanzen, die Wiesen, die Wege, der Himmel natürlich und ihre Stimmung. Davon konnte man ja richtig depressiv werden! Sie seufzte, wohl schon zum hundertsten Mal. Weder María noch Leandra sagten ein Wort. Alle drei saßen stumm auf ihren Pferden und ritten Stur gen Osten. Wenn doch wenigstens einige Tiere zu sehen oder zumindest zu hören gewesen wären! Aber nichts regte sich. Es war, als ritten sie durch eine Geisterlandschaft. Eine Windböe ließ ihren Mantel um ihre Beine flattern. Ein Schauer lief ihr den Rücken hinunter. Plötzlich hielt Leandra ihr Pferd an. Sie deutete nach vorne.
„Da ist der Guadalquivir!"
Knapp eine fünftel Meile vor ihnen floss ein grauer, tosender Fluss.
„Die Brücke ist im Süden, wir müssen uns jetzt also immer links halten!"
Sie galoppierte los, und María und Liz folgten ihr. Nach etwa einer Stunde erreichten sie eine riesige Brücke.
„Da müssen wir jetzt drüber! Dann haben wir ungefähr die Hälfte des Weges hinter uns!"
Leandra musste schreien, weil der Fluss ohrenbetäubend laut vor ihnen vorbei schoss. Mit ihm wurden Baumstämme und anderes Geäst mitgerissen. Nachdem sie einen Brückenzoll gezahlt hatten, überquerten sie die Brücke. Am anderen Ende atmete Liz kaum hörbar auf. Ein wenig mulmig war ihr schon geworden, als sie kaum zwei Meter über dem Fluss entlanggeritten waren...... María trieb ihren Rappen zu Leandra hin.
„Wann machen wir mal eine Pause?", fragte sie. Sie klang müde und erschöpft.
„Bei der nächsten Gelegenheit!", versprach Leandra.
Sie wandte Diva und ließ sie im Schritt weitergehen. Liz nahm Marías Hand und drückte sie. Einige Zeit später kamen sie an einen alten Heuschober. Der Regen war immer noch genauso stark wie zuvor, aber im Schober zwischen dem Heu war es schön trocken. María ließ sich ins Heu sinken. Sie war so müde und ausgezehrt. Hastig schlang sie das Brot, das Liz ihr reichte hinunter. Dann legte sie sich zurück und schloss die Augen. Miguel tauchte hinter ihren geschlossenen Lidern auf. Wenn es wahr war, was Cecile Azul erzählt hatte, wenn Miguel wirklich auf Wunsch seines Vaters heiraten sollte? Er durfte sich ja dann wenigstens eine Dame aussuchen, aber würde er dabei auch an sie denken? Er hatte ihr an dem Abend, als der Ball war versprochen, nie eine andere zu heiraten. Aber dieses Versprechen konnte er ja jetzt wohl nicht mehr einhalten! Oder? Wenn er sich weigerte, eine andere zur Frau zu nehmen? Spinn dich aus! dachte sie. Er kann jetzt jede haben, die er will.
„Aber wenn er nun ausgerechnet dich will?", sagte eine leise Stimme in ihrem Kopf.
„Er hat es dir doch versprochen!"
María seufzte tief. Wer weiß, ob sie ihn überhaupt jemals wieder sehen würde? Zu viele Fragen und zu wenig Antworten! entschied sie. Sie öffnete die Augen. Liz und Leandra unterhielten sich leise, um sie nicht zu stören. Sie hatten es sich im Heu bequem gemacht und die Karte von Spanien vor sich ausgebreitet. María rutschte zu ihnen hin. Die beiden sahen auf
„Bist du schon wach? Dann können wir ja bald weiter!"
Leandra sah sie prüfend an, sagte jedoch nichts. Stattdessen senkte sie wieder den Kopf und fuhr auf der Karte den restlichen Weg nach.
„Und wann sind wir dann in San Fernando?", fragte Liz.
„Schätzungsweise, morgen Mittag!", entgegnete Leandra und faltete sorgfältig die Karte zusammen. „Aber nur, wenn wir gut vorankommen!"
Sie verstaute die Karte in ihrem Mantel und machte sich auf den Weg zu den Pferden, die vor der Scheune angebunden waren.
„Sie vermisst Kyle!", stellte Liz fest. „Seit wir auf der Flucht sind, sind ihre Augen matt geworden. Früher haben sie richtig hell geleuchtet!"
María
nickte stumm.
