7. Seeking



Die Tür der Hafenauskunft ging auf, und ein Mann mit dunkelbraunen Haaren und einer mit hellbraunen stürmten herein. Der dunkelhaarige ging zum Tresen und trommelte nervös mit seinen Fingern auf der Tischplatte herum. Ein dicker, ungewaschener Matrose mit einer Zigarette im Mundwinkel erschien und sah ihn gelangweilt an.

„Was wollen Sie?"

Max war mit seinen Nerven fast am Ende.

„Irgendwann in diesen Tagen soll ein Schiff mit dem Namen 'Olympe' hier einlaufen! Wann ist der genaue Zeitpunkt?", fragte er ungeduldig.

Der Matzrose schlurfte im Schneckentempo zu einem der Schreibtische im hinteren Teil des Raumes. Er kam mit einer dicken Mappe zurück

„Wie haben sie gesagt? Olympe?", fragte er langsam.

„Ja! OLYMPE! Können sie sich nicht ein bisschen beeilen?", fauchte Miguel.

Der Matrose fixierte ihn mit seinen müden Augen.

„Immer schön mit der Ruhe, junger Mann! Oder halten sie sich für die Herederos (=Kronprinzen) de Cataluña persönlich?",

Bevor Max oder Miguel antworten konnten, flog die Tür auf und zwei junge Matrosen und ein Mann mit einer blauen Uniform und einem Wappen, das zwei Adler und eine Seemöwe darstellte. Max versuchte, sich daran zu erinnern, wo er das Wappen schon einmal gesehen hatte. Die Matrosen und der Soldat gingen hinter den Tresen zu einem Schrank. Einer der Matrosen holte eine bauchige Flasche heraus, die zweifellos Alkohol enthielt. Der alte Matrose wandte sich den Neuankömmlingen lachend zu.

„Na, schon wieder von der Prinzessinnenjagd zurück?",

Er grinste breit. „Habt ihr sie gefunden?"

Der Soldat schüttelte den Kopf.

„Nein, weder sie, noch ihre Pferde. Und das, obwohl wir in einem Umkreis von über 40 Meilen gesucht haben!"

Max und Miguel horchten auf.

„Prinzessinnenjagd?", fragte Max.

Eine leise Ahnung beschlich ihn. Er dachte daran, wie Liz gesagt hatte, sie wolle nie und nimmer in ein Kloster.

„Ihr seid wohl gerade erst angekommen, was? Die ganze Stadt spricht davon! Vor zwei Tagen ist ein Schiff aus Dunkerque hier angekommen, und mit ihnen die hohe Familie Socksley!"

Der Spott in der Stimme des Matrosen war nicht zu überhören.

„Sie hatten zwei Töchter dabei. Süße Dinger! Vor allem die blonde!"

Der Matrose leckte sich die Lippen. Miguel spürte, wie er wütend wurde.

„Na ja, die beiden sollten in ein Kloster gebracht werden. Aber sie wollten anscheinend nicht. Die Familie quartierte sich nämlich im Hotel 'Estrellas de la Noche' ein: Aber am nächsten Morgen waren die beiden mit ihrer Zofe und ihrem gesamten Schmuck verschwunden. Sofort wurden Patrouillen in alle Himmelsrichtungen ausgeschickt, um sie zu finden, aber sie waren alle erfolglos. Die Polizisten haben herausgefunden, dass die Zofe vorher noch hier gewesen war und sich nach der Ankunft der 'Alesaia' erkundigt hatte. Aber das hat sie bis jetzt auch nicht weitergebracht. Eigentlich schade um diese süßen Mädchen, zumindest die blonde hätte ich gerne einmal flachgelegt!"

Der Matrose grinste dreckig und machte eine eindeutige Geste. Miguels Hand schoss vor, packte den Matrosen am Kragen und riss ihn an seine Brust.

„Wage es, ja, nicht, noch einmal so von Princesa María zu sprechen!", zischte er.

Er schüttelte den Matrosen kräftig.

„Miguel!", sagte Max noch warnend, aber es war zu spät. Der Matrose flog, von Miguels Faust getroffen, quer durch den Raum.

„Entschuldigung!", sagte Miguel und verließ den Raum.

„Auf Wiedersehen!"

Max verbeugte sich höflich und folgte Miguel. Der hatte sich draußen an ein Geländer gelehnt und starrte auf das offene Meer hinaus. Max sah, wie Miguel um Fassung rang. Es war selten, dass sich Miguel so leicht gehen ließ. Die Geschichte mit María schien ihn mehr mitgenommen zu haben, als Max es bisher geahnt hatte. Er stellte sich stumm neben Miguel und sah ebenfalls auf das weite Meer hinaus. Er überlegte, was er jetzt tun sollte. Am Besten wäre es sicherlich, wenn Miguel und er Alex und Kyle einen Besuch abstatten würden. In der Nähe sah er einen Bauern. Er ging zu ihm.

„Entschuldigen Sie, können sie mir sagen, wo ich das Hotel 'Estrellas de la Noche' finden kann?"

Der Bauer musterte ihn mit zusammengekniffenen Augen.

„Immer diese Straße entlang. Irgendwann, auf der rechten Seite kommt es dann. Sie können es gar nicht übersehen, es ist das größte hier in der Stadt."

Max bedankte sich und lief zu Miguel. Er zog ihn die Straße entlang. Der Bauer hatte Recht gehabt, das Hotel war kaum zu übersehen, so groß war es. Sie liefen durch die große Empfangshalle zur Rezeption. Wenigstens lief Miguel jetzt von alleine. An der Rezeption stand ein schnöseliger Mann, der ein Monokel in sein rechtes Auge gezwickt hatte.

„Wir möchten zu Kyle und Alexander Socksley!", erklärte Max.

Der Mann sah sie hochmütig an. „Und wenn darf ich melden?", fragte er mit einer näselnden Stimme.

„Maximillano und Miguel Evanez de Cataluña!", knurrte Miguel.

Er war anscheinend wirklich schlecht drauf. Aber Max konnte ihn nur allzu gut verstehen. Der Mann zog erstaunt die Augenbrauen hoch, wobei sein Monokel herunterfiel und an der Schnur herumbaumelte. Hastig setzte er es wieder ein und schickte einen Portier mit nach oben. Der Portier meldete die Ankunft von Max und Miguel und verschwand dann schnell wieder. Kyle und Alex baten Max und Miguel einzutreten und boten ihnen einen Platz an. Max begann ohne Umschweife. Er berichtete, wie er und Miguel in der Hafenauskunft von der Flucht von Liz und María gehört hatte und fragte die beiden, ob sie irgendeinen Hinweis hätten, wo María und Liz sich jetzt aufhalten könnten. Alex und Kyle schüttelten den Kopf.

„Es tut uns leid, aber wir wissen auch nichts. Die beiden haben uns zwar einen Abschiedsbrief geschrieben, aber da haben sie nicht gesagt, wo sie hinwollten. Mittlerweile haben wir die Hoffnung aufgegeben, sie zu suchen, weil sie ja auch nicht gefunden werden wollen. Es ist besser, ihre Wünsche zu akzeptieren, glaubt mir!", sagte Alex eindringlich.

Weder Max noch Miguel gaben ihnen eine Antwort.

„Ihr glaubt mir nicht, aber es wäre besser, wenn ihr das tätet!", sagte Alex.

Kyle saß die ganze Zeit stumm neben seinem Bruder und starrte auf seine Hände.

Max nickte. „Ich glaube auch, dass wir sie nicht suchen sollten!", sagte er.

Miguel gab keine Antwort.

„Miguel?"

Miguel zögerte. „Nun gut!", stimmte er schweren Herzens zu.

Einige Zeit schwiegen alle, dann sagte Alex plötzlich: „Ist eure Schwester eigentlich auch dabei?",

Max musste trotz der derzeitigen Situation lächeln.

„Ja, sie ist auch dabei. Wieso?"

Alex wich seinem Blick aus. „Meinst du, es wäre möglich, dass ich mit ihr noch einmal rede, bevor ihr weiterreist?"

Max nickte. „Das sollte kein Problem sein!"  


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Kurze Zeit später gingen Max und Miguel in Begleitung von Alex zum Schiff, auf dem sich Isabelle und ihre Mutter bereit einquartiert hatten. Abends würde es auslaufen und sie nach Barcelona bringen. Miguel brachte Alex zu Isabelles Kabine.

„Warte bitte einen Moment! Ich sage Isabelle schnell Bescheid!"

Miguel klopfte und trat ein, nachdem eine Zofe ihm geöffnet hatte. Isabelle saß auf einer Couch und las ein Buch. Sie hob den Kopf, als ihr Bruder eintrat.

„¡Hola!", begrüßte sie ihn und sprang auf.

„Habt ihr etwas erfahren? Wieso hat es so lange gedauert? Wann läuft die Olympe ein, oder, ist sie schon eingelaufen?"

Sie überschüttete ihn mit Fragen. Miguel sah sie traurig an.

„Die Olympe ist schon vor zwei Tagen eingelaufen, aber Liz und María sind abgehauen, weil sie nicht ins Kloster wollten. Es wurden zwar Suchtrupps losgeschickt, aber die haben auch nichts erreicht."

Isabelle sah ihn mitfühlend an. „Oh, das tut mir leid für euch! Und was wollt ihr jetzt machen? Ihr sucht sie doch jetzt sicher, oder?"

Miguel antwortete nicht. Isabelle runzelte die Stirn.

„Was, ihr wollt sie nicht suchen? Tut mir leid, aber seid ihr verrückt? Ich musste wochenlang deine und Max´ tief unglückliche Laune ertragen, und das soll jetzt weitergehen? Ich verstehe das nicht!"

Sie sah ihren Bruder wütend und verständnislos an.

„Izzy," sagte Miguel sanft. „Sie wollen nicht gefunden werden! Und wo sollen wir denn suchen? Es ist besser so, glaub mir!"

„Das glaube ich aber nicht!", schnappte Isabelle.

Miguel starrte nur vor sich hin. Schließlich sagte Isabelle leise: „Und was ist mit Alex?"

Miguel zuckte die Schultern. „Weiß nicht, aber vor der Tür steht ein Mann, der unsterblich in dich verknallt ist. Er würde dich gerne einmal sprechen."

Mit den Worten ging er hinaus. Isabelle schickte ihm einen genervten Blick nach und gab der Zofe einen Wink, den nächsten Besucher hereinzuführen.          


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Als María, Liz und Leandra gegen Abend zu einem Gasthof kamen, waren sie vollkommen durchnässt und froren schrecklich. Señora Sophía ,die Dame, die den Gasthof leitete, war um die 50, klein und pummelig. Als Liz zusammen mit María und Leandra in die Gaststube kam, schlug sie die Hände über dem Kopf zusammen.

„Oje, oje, wie seht ihr denn aus? Ihr seid ja klatschnass! Kein Wunder bei dem Wetter da draußen! Ihr müsst erst einmal ein heißes Bad nehmen! Ana, mach mal den Badebottich in der Waschküche fertig! Eure Kleider können wir dann auch gleich waschen. Bis sie trocken sind, könnt ihr dann ein paar Kleider von mir anziehen!"

Ein junges Mädchen, anscheinend Ana, verließ den Raum. Señora Sophía wuselte aufgeregt um die drei herum und zog sie in ein Hinterzimmer.

„So, und jetzt mal raus aus den Kleidern!", befahl sie.

Liz, María und Leandra folgten ihr und schlüpften aus den nassen Kleidern. Señora Sophía gab ihnen große Tücher, in die sie sich einwickeln konnten und drückte die drei auf drei Bänke an einem Kamin.

„So, und hier bleibt ihr erst mal sitzen, bis Ana das Badewasser fertig gemacht hat. Solange mache ich euch einen heißen Tee!"

Liz versuchte, Einspruch zu erheben, aber Señora Sophía schnitt ihr das Wort ab.

„Nein, keine Einwände! Es ist schön, mal wieder drei so junge Damen hier zu haben! Ich hatte selber drei Töchter. Aber die Grippewelle hat sie alle dahingerafft, ebenso wie meinen Mann! Also lasst mich doch auch ein wenig Spaß haben!"

Sie lachte, aber in ihren Worten schwang ein trauriger Unterton mit.

„Sonst kommen immer nur Männer hierher, aber an so einem Tag wie heute kommt meistens gar keiner. Was zum Teufel hat euch veranlasst, bei diesem Wetter zu reisen? Ihr hättet euch den Tod holen können!"

Sie verschwand durch eine halbgeöffnete Tür, die offensichtlich zur Küche führte. Liz konnte sie mit Töpfen und Geschirr hantieren hören. Sie sah sich um. Offensichtlich saßen sie gerade in der Gaststube, denn am anderen Ende des Raumes standen viele Tische und Stühle. Das Feuer im Kamin war die einzige Lichtquelle in dem Raum. Durch die Fenster konnte sie draußen den dunkelgrauen fast schwarzen Himmel erkennen. Der Regen prasselte heftig ans Fenster. In der Stube war es schön warm, im Gegensatz zu den Temperaturen vorher im Regen. Ihre Finger und Zehen tauten langsam wieder auf. Sie waren ganz klamm gewesen. Ana erschien neben ihnen.

„Das Badewasser ist jetzt warm!", sagte sie und lächelte freundlich.

Sie brachte die drei in eine Waschstube, wo ein riesiger Bottich mit dampfenden Wasser stand. Auf einem Stuhl daneben lagen Bürste und Seife. In einem weiteren Zuber mit heißem Wasser schwammen ihre Kleider. Liz, María und Leandra ließen sich in das warme Wasser gleiten. Sie schrubbten sich gegenseitig die Rücken und schäumten sich gegenseitig die Haare ein. Liz sog wohlig die Luft ein. Das war wirklich sehr angenehm nach den Strapazen ihrer Flucht. Sie lehnte sich zurück und schloss die Augen. María und Leandra alberten herum. Liz ließ ihren Gedanken freien Lauf und sie landeten (klarer Fall!) bei Max. Sie erinnerte sich an seine schokoladenbraunen Augen und sein charmantes Lächeln. Wo er jetzt wohl war? Ob er sie suchte? Wenn er sie fände, würde sie das ganz sicher ins Kloster bringen, denn ihre Mutter war über ihre Flucht sicherlich so etwas von wütend, dass sie sogar den Heiratsantrag von einem Prinzen von Katalonien ausschlagen würde! Wenn er sie überhaupt suchte, und wenn er sie überhaupt heiraten wollte! Sie glaubte zwar daran, dass er sie liebte, aber so ganz sicher wie damals auf dem Schiff war sie sich doch nicht......

Wasser klatschte in ihr Gesicht. Sie fuhr auf und sah in Marías grinsendes Gesicht.

„Wir dachten schon, du wärst tot!", sagte Leandra.

Liz schüttelte den Kopf. „Brr, es wird langsam kalt!", sagte María. „Wir sollten rausgehen."

Als hätte sie auf das Stichwort gewartet, kam Señora Sophía herein.

„So, diese Kleider müssten euch ungefähr passen!", sagte sie geschäftig, um gleich darauf entsetzt zu schreien „Huch, mein Braten verkokelt ja gleich!", und in Richtung Küche zu stürmen.

Liz rieb sich heftig trocken und schlüpfte dann in eins der Kleider, die ihnen Señora Sophía hingelegt hatte. Jetzt war ihr wieder schön warm. Sie half Ana, die Kleider auszuwringen und hängte sie mit ihr zusammen auf. Danach aß sie zusammen mit Leandra, María, Señora Sophía und Ana in der Gastube zu Abend.

„Wieso seid ihr bei diesem Wetter gereist? Und wieso seid ihr überhaupt auf der Reise? Wo wollt ihr denn hin?"

Señora Sophía überschüttete sie mit Fragen. María antwortete: „Wir sind auch bei diesem Wetter gereist, weil wir voran kommen wollten. Wir wollen nach San Fernando, weil wir auf der Suche nach Arbeit sind. Wir müssen uns irgendwie ja etwas verdienen mit Ausnahme unserer Ersparnisse."

„Und eure Eltern?", fragte Ana. María zögerte kurz.

„Sie sind tot!", sagte sie leise.

„Oh, das tut mir leid!", sagte Ana. „Meine Eltern sind auch tot, deshalb wohne ich bei Tía Sophía (= Tante Sophía)."

Sie lächelte scheu. Nach dem Essen spielten sie noch ein Kartenspiel, und dann gingen María, Liz und Leandra ins Bett.

Als sie alle drei nebeneinander im Bett lagen, sagte María plötzlich: „Glaubt ihr wirklich, dass Miguel und Max heiraten werden? Ich habe mir diese Frage seit gestern ohne Unterlass gestellt. Also, was denkt ihr? Immerhin sind sie die Kronprinzen von Spanien, sie können also so ziemlich jedes Mädchen haben, die ihnen gefällt! Kann es nicht sein, dass sie uns nur als einen kleinen Flirt betrachten?"

„Ja, oder sie haben sich schon wieder neu verliebt. Wir haben uns jetzt fast seit einem Monat nicht mehr gesehen! Vielleicht haben sie ja bereits ein anderes Mädchen kennen gelernt, oder sie sind schon verlobt oder..."

„Oder die beiden weigern sich standhaft, ein anderes Mädchen zu heiraten, weil sie immerzu an euch denken müssen!", fiel Leandra Liz ins Wort.

„Meinst du wirklich?", kam es zögerlich von María.

„Also, wenn ich mir die Gesichter der beiden in Erinnerung rufe, dann sehe ich immer zwei völlig verknallte Typen vor mir, die nichts anderes im Kopf haben als euch! Ich kann nur sehr schwer glauben, dass sie sich einfach so eine andere verlieben würden, geschweige denn, sie heiraten!" Leandra lachte leise.

„Ah ja, und was ist mit Kyle? Was hast du ihm in den Brief geschrieben? Hast du ihm gesagt, dass unsere EX- MUTTER dich erpresst hat?", fragte María neugierig.

„Nein!", antwortete Leandra leise. „Ich konnte es irgendwie einfach nicht!"

Liz grinste in die Dunkelheit. „Wie gut, dass ICH es ihm geschrieben habe!", sagte sie schelmisch.

Leandra setzte sich mit einem Ruck auf. „Wie bitte?"

Sie sah dorthin, wo Liz` Gesicht sein musste. „Du hast was gemacht? Bist du verrückt? Jetzt macht er sich nur noch mehr Sorgen!"

„Aber wenn Liz es ihm nicht erzählt hätte, wüsste er nicht, was für eine hinterlistige Giftnudel unsere Stiefmutter ist. Und er kann sie jetzt mal so richtig fertig machen!", meinte María.