8. On The High Seas



Alex stürmte in sein und Kyles Zimmer und begann sofort, seine Kleider in seinen Koffer zu werfen. Kyle sah ihm ungläubig zu.

„Äh, Alex, was machst du da?"

Alex antwortete, während er aus dem Bad seine Waschutensilien einsammelte. „Ich fahre mit Isabelle nach Barcelona, damit ich dort bei ihrem Vater um ihre Hand anhalten kann!"

Kyles Gesichtszüge wurden schlaff. „Und, was wird aus mir? Dann sind ja alle weg!"

Alex hielt kurz inne. „Wieso kommst du nicht mit? Es könnte ja auch sein, dass Isabelles Vater den Antrag ablehnt. Dann könnten wir zusammenziehen, und sonst kannst du sicher auch bei uns wohnen!"

Statt einer Antwort fing auch Kyle an, seine Sachen zusammenzusuchen. Kurz darauf kamen ihre Zieheltern herein.

„Wir wollten euch mitteilen, was wir tun werden..." Der Lord brach ab und räusperte sich.

„Wisst ihr denn schon, dass wir zurück nach England fahren?", fragte er irritiert.

„Ach, tut ihr das? Dann viel Spaß, wir können euch leider nicht begleiten, weil wir nach Barcelona fahren!", sagte Alex seelenruhig, während er seine Hosen zusammenlegte.

Ihre Ziehmutter schnappte nach Luft. „Wie bitte, was wollt ihr denn in Barcelona?"

Alex antwortete ohne aufzusehen. „Ach, wir wollen da leben. Abgesehen davon habe ich vor, beim Príncipe de Cataluña um Isabelles Hand anzuhalten. Unsere Sachen lassen wir dann aus Edinburgh holen."

Ihr Vater zog die Brauen hoch. „Ach ja, und warum wissen wir dann nichts von euren....Plänen?"

Kyle sah ihn genervt an. „Weil es ein spontaner Entschluss war. Außerdem sind wir beide, Alex und ich, seit Wochen volljährig. Wir haben folglich ab jetzt Anspruch auf das Erbe unserer Eltern, und es gibt auch nichts, wie ihr uns aufhalten könnt. Lasst uns ab jetzt bitte in Ruhe. Eigentlich hatten wir ja vor, uns bei euch mit einem Fest dafür zu bedanken, dass ihr uns aufgezogen habt, aber seit dieser Reise ist alles anders." Er zitterte vor unterdrückter Wut.

„Genau, was ihr Liz und María angetan habt, ist unverzeihlich!", rief Alex scharf und zeigte anklagend mit einem Kamm auf die beiden vollkommen fassungslosen Figuren ihm gegenüber.

Kyle sah seine Ziehmutter mit blitzenden Augen an. „Und das, was du Leandra und mir angetan habt, werde ich dir auch nie vergeben!"

Er spuckte auf den Boden. „Nur weil es bei euch in eurer Ehe nicht gut läuft, müsst ihr noch lange nicht alle Liebespaare auseinander bringen!"

Er und Alex schlugen gleichzeitig ihre Koffer zu. Es klopfte, und ein Page erschien in der Tür. Hinter ihm standen einige Träger. Sie schnappten sich die Koffer und trugen sie hinaus. Alex zog seinen Mantel über und setzte seinen Hut auf. Kyle tat es ihm gleich.

„Also, auf Wiedersehen, Mylady und Sire!"

Sie verschwanden durch die Tür. 

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Nach einem reichlichen Frühstück verabschiedeten Liz, María und Leandra von Señora Sophía und Ana. In Señora Sophías Augen schimmerten Tränen.

„Macht es gut und lebt wohl! Und: Viel Glück!", wünschte sie ihnen.

Wieder bei guter Laune galoppierten die drei einen großen Teil des Weges. Gegen Mittag kamen sie nach San Fernando. Sir ritten bis zum Marktplatz. Dort saßen sie ab und sahen sich um.

„Und was machen wir jetzt?", fragte María.

Leandra zeigte auf ein kleines Gasthaus. „Ich schlage vor, ihr beide setzt euch da rein, während ich uns neue Pässe besorge!"

Kurz darauf war sie verschwunden. María sah Liz an. Die zuckte die Schultern, nahm Leandras Pferd am Zügel und führte sie zum Gasthof. María folgte ihr.

Liz sah wohl zum hundertsten Male zur Uhr. Leandra war jetzt schon ein- einhalb Stunden weg: Wo blieb sie nur? Sie trommelte nervös mit ihren Fingernägeln auf den Tisch. María hielt ihre Hand fest.

„Sie kommt schon wieder!", sagte sie leise

Aber auch sie war nervös, das wusste Liz. Die Tür ging auf, aber es kamen nur zwei junge Burschen herein, die sich in ihrer Nähe an einen Tisch setzten. Die Tür ging wieder auf. Ein Bauer kam herein. Darauf ein Bürger des Mittelstandes. Eine Marktfrau. Wieder ein Bauer. Ein Schreiner. Liz wurde langsam immer unruhiger. Der Zeiger auf der Uhr rückte vor. Zehn Minuten vor vier. Sie sah aus dem Fenster. Draußen herrschte ein reges Treiben. Menschen mit Eselkarren liefen vorbei. Frauen, Kinder, Handwerker aus allmöglichen Zünften. Sie begann wieder auf den Tisch zu trommeln, als die Tür auf ging und sich Leandras schmale Gestalt gegen das Licht abhob. Mit schnellen Schritten ging sie auf Liz und María zu und setzte sich zu ihnen.

„Das war ganz schön teuer! Obwohl ich runtergehandelt habe, musste ich eure beiden Diamantringe, das Smaragdcollier und den silbernen Armreif hergeben. Na wenigstens haben wir jetzt neue Pässe: Hier."

Sie schob jeder von ihnen ihren Pass hin. Sie glichen den alten bis auf den Namen genau im Detail.

„Liz heißt ab jetzt Liza, María ab jetzt Maríanne und ich heiße Lena. Unser Nachname lautet Fugazas. Kommt, wir gehen!"

„Und wohin?", fragte Liz.

„Das erzähle ich euch auf dem Weg!", sagte Leandra geheimnisvoll.

Sie holten ihre Pferde und ritten hinter Leandra her. María war neugierig. Sie sah sich interessiert um. Plötzlich fiel ihr auf, dass sie begannen, die Häuser von San Fernando hinter sich zu lassen.

„Äh, Leandra, wo genau reiten wir denn hin?", fragte Liz. Sie hatte es auch bemerkt.

„Nach Cádiz!", sagte Leandra vergnügt.

„Aha, und, was wollen wir da?", fragte María irritiert.

„Wir werden Dienstmädchen auf einem der Schiffe der 'Bonita Mare' Reederei!", erklärte Leandra.

„Wir müssen ja von irgendetwas leben! Wir haben immerhin die besten Vorraussetzungen: Beste Sprachkenntnisse, gute Manieren, Etiketten- Kenntnisse.... Abgesehen davon wird diese Arbeit sehr gut bezahlt!"

„Keine schlechte Idee!", meinte Liz. María stimmte ihr zu.

Zwei- einhalb Stunden später erreichten sie Cádiz. Sie fragten sich bis zur Schifffahrtsgesellschaft 'Bonita Mare' durch. Sie kamen an ein großes Gebäude mit einer riesigen Eisentür, über der in goldenen Lettern stand: „Bonita Mare- Reederei".

Neben der Eisentür war ein großes Schild aufgehängt worden.

„Wir suchen Dienstmädchen, insbesondere für die erste Klasse, Sprachkenntnisse und Etiketten- Kenntnisse erforderlich. Bevorzugte Eigenschaften: Höflich, zurückhaltend, vertrauenserweckend."

Liz las das Schild laut vor. „Na also!", rief María triumphierend.

Sie saßen ab und betraten die marmorne Vorhalle. Vor ihnen befanden sich drei Schalter, hinter denen jeweils eine Frau saß. Auf dem Tressen rechts stand „Bewerbungen", auf dem in der Mitte stand „Buchungen/ Reservierungen" und auf dem linken stand „Informationen/ Beschwerden". Sie wandten sich an die Frau hinter dem rechten Tresen.

„Guten Tag! Wir wollen uns als Schiffsmädchen bewerben!", sagte Liz freundlich lächelnd.

Die Dame hinter dem Tresen war hochaufgeschossen, knochig und trug einen Zwicker. Ihr Mund war zu einem dünnen Strich zusammengekniffen. Ihre Haare waren streng nach hinten gebunden. Sie musterte die drei heftig blinzelnd.

„Was könnt ihr denn für Sprachen?"

Sie hielt es offenbar für unnötig, die drei zu siezen.

„Wir können Englisch, Französisch, Griechisch und Latein!", sagte María ohne zu zögern.

„Außerdem haben wir sehr gute Etiketten-Kenntnisse.", fügte Leandra hinzu.

„Nun gut, ich melde euch bei Señor Rodriguez an!"

Sie verschwand durch eine Tür hinter ihrem Schreibtisch. Kurz darauf erschien sie wieder.

„Kommt!", sagte sie knapp.

Sie führte Liz, María und Leandra in das angrenzende Zimmer. Dort saß, hinter einem riesigen Sekretär und eifrig Pfeife rauchend, ein untersetzter großer Mann mit pechschwarzen Haaren und Augen. Er winkte sie auf drei Stühle vor dem Schreibtisch.

„Ihr wollt also bei uns eingestellt werden?", fragte er mit einer rauchigen Stimme. „Nun gut, also, ihr wisst ja, was die Kriterien sind. Was könnt ihr also für Sprachen?"

„Englisch, Französisch, Latein und Griechisch.", wiederholte María mit einem Lächeln

„Ah, Griechisch und Latein - uninteressant. Aber Englisch und Französisch- sehr gut! Aber soll ich euch das glauben?"

„ Why not? What´s the matter with our English?", fragte Leandra und legte schelmisch den Kopf schief

„Naturellement nous pouvens parler francais!", erklärte Liz grinsend.

„Ah, gut, äh und was ist mit den Etiketten? Ich gebe euch jeweils einen Fragebogen mit Fragen zu Etiketten, und ihr füllt sie aus. Aber ohne euch abzusprechen!", er verteilte die Bögen und Liz, María und Leandra begannen sofort zu schreiben.

Nach ca. fünf Minuten waren sie fertig. Señor Rodriguez sah sie sich durch und sagte daraufhin mit einem anerkennenden Lächeln: „Endlich mal drei Bewerberinnen, die allen Vorraussetzungen entsprechen! Ich stelle euch ein, keine Frage. Am besten, ihr unterschreibt hier."

Er zog drei Verträge heraus. Liz las sie sich aufmerksam durch und setzte schließlich ihre Unterschrift drunter. Señor Rodriguez sah sich noch ihre Pässe an, dann läutete er eine Glocke. Ein junges Mädchen erschien. Er gab ihr die Anweisung, Liz, María und Leandra einzukleiden, dann wandte er sich noch einmal an die drei.

„Ihr werdet mit dem heute Abend um zehn Uhr auslaufenden Schiff 'Loufa' nach Barcelona fahren! Seht zu, dass ihr um neun am Schiff seid!"

Sie folgten dem Mädchen in ein anderes Zimmer. Sie reichte ihnen drei Taschen.

„Ihr bekommt jeweils zwei Dienstkleider. Eins ist in dieser Tasche, das andere gebe ich euch gleich. Eure alten Kleider könnt ihr auch in die Taschen tun!"

Sie machte einen Schrank auf und holte drei schwarze Kleider heraus. Nachdem sie sich umgezogen hatten, gingen Liz, María und Leandra zu ihren Pferden. Bis neun hatten sie noch zwei Stunden Zeit. Sie gingen mit den Pferden zum Markt und verkauften sie dort. Danach schlenderten sie noch ein bisschen auf dem Markt herum und aßen etwas, bis sie sich um viertel vor neun zu ihrem neuen Arbeitsplatz aufmachten.

Um Punkt neun erreichten sie die Loufa und krabbelten die Reeling für die Angestellten herauf. Ein anderes Dienstmädchen namens Juana führte sie zu ihrer Unterkunft, die sie mit ihr gemeinsam bewohnten. Sie bestand aus einem kleinen Raum mit vier Kojen, zwei jeweils übereinander. Die Kajüte war so klein, dass man sich gerade einmal um die eigene Achse drehen konnte. Trotzdem sagten María und Liz nichts. Leandra im Gegenteil schien es gewohnt zu sein. Juana wartete, bis die drei ihre wenigen Sachen verstaut hatten, dann führte sie sie herum und zeigte ihnen ihre Aufgaben. Morgens sollten sie ab 6.30 Uhr beim Frühstücksbüfett helfen, danach sollten sie die Zimmer putzen und die Wäsche verteilen. Mittags hatten sie um 14.00 Uhr 45 Minuten lang Pause zum Essen. Am Nachmittag würden sie die Kabinen der zweiten Klasse putzen und ab 18.00 Uhr beim Abendbüfett helfen. Danach mussten sie in der Küche abwaschen, und ab 21.00 Uhr hatten sie frei. Bei besonderen Anlässen sollten sie jedoch auch jederzeit zur Verfügung stehen. Liz musste bei dem Gedanken an einen 14 1/2 Stunden-Arbeitstag nach Luft schnappen. María sah ebenso entgeistert aus. Nur Leandra schien es nicht zu kümmern.

„Ob sie früher genauso viel arbeiten musste, als sie noch unsere Zofe war?", fragte Liz sich.

Ihr war natürlich schon vorher klar gewesen, dass der Job auf dem Schiff kein Zuckerschlecken würde, aber so lange arbeiten...... Sie dachte an die Zeit, als sie und María erst gegen neun aufgestanden und um elf, zwölf ins Bett gegangen waren. Ihre Zofen mussten ja kaum Schlaf bekommen haben! Aus diesem Blickwinkel hatte sie ihr früheres Leben noch gar nicht betrachtet. Doch sie hatte nicht viel Zeit, denn eine Frau mit demselben Kleid wie sie kam zu María, Leandra, Juana und ihr. Sie war hochaufgeschossen und hatte schwarze Haare, die zu einem Dutt gedreht waren. Liz schätzte sie auf 35 Jahre.

Juana sah respektvoll zu der Frau hin, als diese Leandra, María und Liz herablassend musterte und mit Geringschätzung in der Stimme fragte: „Sind das die neuen Mädchen?",

Juana nickte steif. „Ja, Señorita Estefanía. Ich habe sie gerade eingewiesen."

Señorita Estefanía blinzelte ein paar Mal, dann sagte sie wichtigtuend: „Sie schicken immer dieselbe Sorte Mädchen. Na ja, dann können sie ja gleich einmal bei den Passagieren helfen, die in die erste Klasse kommen! Gehe mit ihnen zu der Gangway der ersten Klasse, Juana, und dann begleitet ihr die Herrschaften zu ihren Kabinen. Sag ihnen, wie das ganze abläuft, dann schick sie alleine los. Worauf wartet ihr noch? An die Arbeit!"

Juana murmelte noch ein schnelles „ Wir sind schon auf dem Weg!" und dann bedeutete sie Liz, María und Leandra, ihr zu folgen.

„Wer war denn das gerade?", fragte María neugierig. „ Die sah ja ziemlich missgelaunt aus!"

Juana sah sich um, als ob sie sich versichern wollte, dass niemand ihnen zuhörte. Dann antwortete sie leise: „Das war Señorita Estefanía. Sie ist die Vorsteherin der Dienstmädchen. Passt bloß auf, dass ihr es euch nicht mit ihr verderbt, sie ist sehr nachtragen und lässt ihre Macht gerne spielen!"

Keiner der drei Mädchen erwiderte etwas, denn sie kamen gerade zur Gangway der ersten Klasse. Juana wies sie an, sich mit ihr zu anderen Dienstmädchen zu stellen, während sie ihnen kurz beschrieb, was sie tun sollten.

„Ihr müsst die Damen und Herren herzlich auf der 'Loufa' willkommen heißen und sie fragen, ob ihr ihnen irgendetwas abnehmen könnt. Dann geleitet ihr sie zusammen mit einem Pagen zu deren Suiten und nehmt ihnen dort die Mäntel ab. Nachdem ihr euch nach weiteren Wünschen erkundigt habt, entfernt ihr euch diskret."

Liz versuchte, dass alles im Kopf zu behalten. Es würde schon klappen, so schwierig würde das ja auch nicht sein. Das Mädchen vor ihr war an der Reihe. Ein junges Ehepaar kam den Aufgang herauf. Das Mädchen trat ihnen entgegen und sagte freundlich lächelnd: „Willkommen auf der 'Loufa' Señor und Señora! Mein Name ist Adrienna und ich bin für ihr Wohlbefinden verantwortlich. Kann ich ihnen etwas abnehmen?(Der Herr gab ihr eine Tasche) Vielen Dank! Wenn sie mir nun bitte folgen würden hier entlang!"

Liz drehte sich zu Juana um. „Woher weiß ich denn, welche Nummer deren Suite hat?"

Juana zischte „Das steht auf dem Billett!" und stieß sie nach vorne.

Liz schaffte es gerade noch, nicht zu stolpern, als ein älteres Ehepaar auf sie zu kam.

„Guten Tag! Äh....Willkommen auf der 'Loufa`! Mein Name ist Liza und ich bin dafür zuständig, Ihnen den Aufenthalt hier so angenehm wie möglich zu gestalten! Kann ich Ihnen etwas abnehmen? Nein? Gut, wenn Sie mir nun folgen wollen (Sie warf einen Blick auf das Ticket), Ihre Suite liegt (Sie sah, wie der Page nach rechts deutete) auf der rechten Seite. Also hier entlang!"

Das Ehepaar hielt es anscheinend nicht für nötig, zu antworten. Liz ging vor ihnen her und hielt ihnen die Tür zu deren Suite auf.

„So, hier ist sie. Darf ich Ihnen den Mantel abnehmen, Señora? Danke!"

Liz hängte den Mantel an die Garderobenhaken. Als sie sich umdrehte, sah sie, wie der Mann und die Frau das Zimmer eingehend musterten. Der Mann hatte eine dicke Zigarre im Mund und trug ein Binokel. Seine Frau war klein und stämmig. Sie hatte ihre Haare hoch auftoupiert und Man sah deutlich, dass sie sehr viel Rouge benutzt hatte. Sie rümpfte jetzt die Nase.

„In dem Prospekt waren die Suiten aber größer beschrieben!", sagte sie nörgelnd.

„Ja, da hat meine Frau Recht!", pflichtete ihr der Mann bei.

„Ich werde mich erkundigen, ob es möglich ist, dass Sie eine größere Suite bekommen. Ich werde Ihnen dann Bescheid geben. Haben Sie sonst noch irgendwelche Wünsche?", erkundigte sich Liz höflich.

Der Mann schüttelte den Kopf. „Nein! Sie können gehen!"

Liz knickste und wandte sich zur Tür. Als sie den Gang betrat, atmete sie auf. Waren alle Gäste so? Na, dann viel Spaß! Sie stand unentschlossen da, weil sie nicht wusste, wo sie jetzt hingehen sollte. Plötzlich riss jemand sie hart an der Schulter herum. Es war Señorita Estefanía.

„Was stehst du hier so unnütz herum? Dafür bezahlt man dich nicht! Komm mit in die Küche, na, wird´s bald? Worauf wartest du noch? Los, an die Arbeit!"

Sie schleifte Liz mit sich mit zur Küche. Sie war riesengroß und es war sehr warm. In einer Ecke standen bereits Leandra und María zusammen mit den anderen Dienstmädchen. Liz stellte sich zu ihnen.

Señorita Estefanía kletterte auf einen Stuhl vor der Gruppe und begann mit lauter Stimme zu sprechen: „In einer Viertelstunde legt das Schiff ab. Ihr habt nach dieser Ansprache frei. Aber als erstes gibt es noch ein paar Ankündigungen zu machen. Ihr habt morgen pünktlich zur Arbeit zu erscheinen, ohne Ausreden. Morgen Abend findet eine kleine Feier des Kapitäns statt. Da müsst ihr helfen. Einzelheiten bekommt ihr morgen noch mitgeteilt. Das wäre es für heute Abend. Ab mit euch!"

Die Gruppe löste sich auf und Liz ging zusammen mit Juana, Leandra und María in ihre Kajüte. Juana schlüpfte schnell aus ihren Kleidern und legte sich nur im Unterrock in ihre Koje.

Sie sagte: „An eurer Stelle würde ich mich auch ausziehen und ins Bett gehen! Das wird morgen ein harter Tag, das kann ich euch sagen!"

Leandra begann, sich auszuziehen. Liz starrte in der Dunkelheit zu Juana hin.

„Sollen wir uns nur im Unterrock ins Bett legen? Können wir unser Unterkleid nicht anlassen?",

Juana gähnte. „Das könnt ihr natürlich. Aber es wird verdammt heiß und stickig heute nacht, das sage ich euch!"

Liz ignorierte den Einwurf und ging mit Unterkleid bekleidet ins Bett. Kurz darauf schlief sie ein. Sie träumte. Max und sie waren auf einem Schiff. Um sie standen lauter Mädchen in Dienstmädchenkleidung herum. Plötzlich öffnete sich der Kreis der Mädchen, und eine Frau kam auf sie und Max zu. So sehr sie sich auch anstrengte, konnte Liz ihr Gesicht nicht erkennen. Die Frau ging zu Max und hakte sich bei ihm ein.

Max drehte sich zu Liz um und sagte: „Schau Liz, das ist meine Braut. Du bist ja jetzt nicht mehr da. Außerdem ist sie viel hübscher als du!"

„Nein! Max, bitte, das darfst du nicht tun! Du darfst sie nicht heiraten! Ich komme auch ganz sicher zurück!", wollte Liz schreien, aber sie brachte keinen Ton raus.

Sie wollte nach ihm greifen, ihn der Frau entreißen, aber sie griff ins Leere. Max war verschwunden, ebenso wie die anderen Mädchen. Plötzlich konnte sie das Gesicht der Frau erkennen. Es war das von Señora Estefanía.

Liz schrak hoch und stieß dabei mit dem Kopf an der Decke der Kajüte an. Ihr Herz raste. Es war, wie Juana gesagt hatte, wirklich unerträglich heiß geworden. Sie zog sich das Unterkleid aus und ließ sich zurück auf ihr Kissen sinken. In der Ferne hörte sie den Schiffsmotor arbeiten. Unter sich hörte sie María ruhig atmen. Sie musste an den Traum denken und an Max. Hatte er schon eine Verlobte? Wenn ja, war sie wirklich hübscher als sie selbst? Sie sehnte sich danach, jetzt in Max´ warmen Armen zu liegen und das Gefühl zu haben, alles werde gut. Wenn wenigstens ihre Mutter da wäre. Oder Kyle. Oder Alex. Sie wusste nicht, wie sie die nächsten Tage, Wochen und Monate überstehen sollte. Sie konnte durchdrehen. Unruhig wälzte sie sich im Bett herum. Es war so warm, dazu stanken die Abgase der Dampfmaschine gewaltig und das ständige, eintönige Stampfen des Schiffmotors hörte sich bedrohlich an. Wenn sie früher mit dem Schiff gereist war, hatte sie nie irgendetwas von dem Schiffslärm oder so mitbekommen. Sie hatte in einem großen Bett geschlafen, in einem Raum, der ein Fenster hatte, mit dem man die Temperatur regeln konnte. In dieser Kajüte gab es zwar eine Art Fenster, aber die Bezeichnung „Loch in der Wand" traf es eher. Abgesehen davon kam durch dieses winzige Fenster nicht der leiseste Luftzug. Irgendwann verfiel sie in einen unruhigen Schlaf.

Am nächsten Morgen wachte sie wie gerädert auf. Jemand klopfte laut an ihre Kajütentür und schrie: „Aufstehen!"

Durch das kleine Fenster konnte Liz das erste Morgengrau erkennen. Sie sprang schwerfällig aus der Koje und landete unsanft auf dem Boden. María blinzelte verschlafen

„Wie viel Uhr ist es?", sagte sie schlaftrunken.

„Viertel vor sechs!", erwiderte Juana.

Sie war schon dabei, sich anzuziehen. „Ihr solltet euch mit dem Anziehen beeilen, wir müssen uns noch waschen, und im Waschraum wird ein fürchterliches Gedränge herrschen."

Liz zog sich rasch ihr schwarzes Kleid über und knöpfte es zu. Danach stopfte sie ihre Haare unter die weiße Haube und band sich ihre Schürze um. Bald darauf waren auch Leandra und María fertig. Juana gab jeder von ihnen ein grobes Leinenhandtuch und ging voraus den Gang entlang. Aus den Türen strömten die anderen Mädchen, und alle stauten sich vor einer großen Tür, die auf das Deck der dritten Klasse hinausführte. Sie gingen durch den kühlen Morgen zu einer Tür auf der anderen Seite. Dahinter war ein großer Waschraum, mitdurchgehenden Waschbecken. Überall standen Mädchen an den Becken und wuschen sich mit dem eiskalten Wasser oder sie flochten den anderen Zöpfe, damit die Haare besser unter die weißen Hauben passten.

Juana zog Liz, María und Leandra mit zu einem noch freien Teil der Waschrinne und begann, sich zu waschen. Liz spritze sich eine große Hand voll Wasser ins Gesicht. Sofort war sie hellwach. Sie trocknete sich ab.

Juana zog sie wieder vom Becken weg und sagte: „So, jetzt müssen wir uns gegenseitig einen Zopf flechte, den wir dann so um den Kopf legen können, dass er die Haube gut hält."

Sie begann mit flinken Fingern Liz´ Haar zu flechten. Leandra tat das gleiche mit Marías Haaren. Dann wickelte Juana den Zopf fest um Liz´ Kopf und machte ihn mit einer Haarnadel fest. Sie gab Leandra auch eine. Liz zog sich die Haube über und machte sich schnell an Juanas Frisur.

Nachdem sie und María auch mit Leandras und Juanas Frisur fertig waren, hastete Juana auch schon aus dem Waschraum. María, Liz und Leandra folgten ihr und kamen zur Küche der dritten Klasse. Wie es aussah, hatten sogar alle Klassen ihre eigene Küche. Davor stand ein Junge von 15 Jahren mit einem riesigen Brotkorb in der Hand. Er verteilte an jedes Mädchen und jeden Jungen (die Pagen kamen jetzt auch hinzu) je ein Brotstück.

An einem Tisch ein Stück weiter konnte man sich Tassen mit Kaffee holen. Zumindest wurde er so bezeichnet. Liz war sich nicht sicher, wofür sie diese braune Flüssigkeit halten sollte. Tische oder Bänke gab es keine, alle schlangen ihr „Frühstück" in aller Hast hinunter und legten das Geschirr in einen Korb an der Wand.

Auf einmal erschien Señorita Estefanía. Sie sah noch gereizter aus als sonst.

„Hopp, hopp, beeilt euch! Schnell! Es ist gleich halb sieben!", keifte sie. „Macht schon! Worauf wartet ihr noch? Los, an die Arbeit!"

Das war offensichtlich ihr Lieblingsausdruck, wie Liz feststellte. Schnell legte sie ihr Geschirr zu dem anderen in den Korb und wandte sich an Juana.

„Wo sollen wir jetzt hin?", fragte sie leise.

„Mir hinterher!", gab diese zurück und setzte sich in Bewegung.

Liz winkte María und Leandra, und die beiden folgten ihr und Juana. Sie gingen durch ein Gewirr von Treppen bis zu einer Treppe. Die stiegen sie hinauf und kamen geradewegs vor der Küche der ersten Klasse aus. Ein Koch wartete schon auf sie. Er gab ihnen lauter Anweisungen, bis Liz nicht mehr wusste, wo ihr der Kopf stand. Seufzend machte sie sich an die Arbeit. Gegen halb elf waren sie fertig. María bekam von Señorita Estefanía die Anweisung, die Zimmer zu putzen, genau wie Liz und Leandra. Juana bekam einen anderen Auftrag. Nachdem sie auch mit den Zimmern fertig war, wo sie nicht selten die Launen der Passagiere aushalten musste, bekam sie gleich die Wäsche in die Hand gedrückt, die sie verteilen sollte.

Daraufhin ließ sich Señora Bösartig, wie María Señorita Estefanía nannte, es sich nicht nehmen, María zum Gemüse putzen abzukommandieren.

In der Mittagspause, die ihr viel zu kurz vorkam, sah sie endlich Liz und Leandra wieder. Viel Zeit zum reden hatten sie jedoch nicht, abgesehen davon gab es auch nichts, worüber sie hätten reden sollen.

Nach der Pause waren die Kabinen der zweiten Klasse dran. María taten von dem vielen putzen bereits die Arme weh. Am Abend fiel sie totmüde in ihre Koje.

So ging das über Wochen. Denn obwohl die 'Loufa' von Cádiz nach Barcelona im Gegensatz zu der Strecke von Edinburgh nach Huelva „nur" 1000 Meilen zurücklegen musste, brauchte sie dennoch genauso lange dafür, da das Schiff in Algeciras, Málaga, Cartagena, Valencia, und in Tarragona anlegte, bevor sie in einer kleinen Hafenstadt, die zu Barcelona gehörte, ankam.

In diesen vier Wochen war es jedoch kaum auszuhalten. Señorita Estefanía schikanierte sie mehr denn je, weil sich ihr Liz, Leandra und vor allem María nicht fügen wollten. Dafür mussten sie immer die Drecksarbeit verrichten, was zur Folge hatte, dass die drei noch weniger Schlaf als sonst bekamen. So liefen die drei wie Zombies durch die Gegend.

An ihrem letzten Abend, bevor sie nach Barcelona kamen, sagte María plötzlich: „Wir werden kündigen!"

Liz und María sahen erstaunt von den angebrannten Töpfen auf, die sie reinigen mussten.

„Was meinst du?", fragte Liz, obwohl sie sich schon dachte, was María wollte.

„Wenn wir morgen in Barcelona sind, kündigen wir! Ich habe keine Lust, hier noch länger zu arbeiten! Wir werden unseren Lohn fordern und uns dann eine neue Arbeit an Land suchen, vielleicht in Barcelona!"

Leandra schmiss die Bürste, mit der sie geschrubbt hatte, in den Topf.

„Ich bin ganz deiner Meinung! Ich halt's hier einfach nicht mehr aus!", sagte sie aufgebracht.

Liz war erstaunt. Das hatte sie gar nicht von Leandra erwartet. Immer wenn sie und María wegen der Arbeit gejammert hatten, hatte Leandra nichts gesagt. Es hatte fast schon den Anschein gehabt, als wäre ihr die Arbeit gleichgültig gewesen.

„So viel musste ich nicht einmal in der ersten Zeit in Edinburgh in der Küche arbeiten!", ergänzte sie.

María und Leandra sahen Liz an. „Und was denkst du, Schwesterchen?", fragte María sie.

„Ja...a...also, wir können das schon machen!", stotterte Liz überrumpelt.

„Gut, dann werden wir das morgen, wenn wir angelegt haben, Señora Bösartig verkünden!", sagte María entschlossen.

„Gut, aber lass mich das bitte machen!", sagte Leandra. „Du würdest wahrscheinlich deine gesamte Wut rauslassen und sie nur zusammenschreien!"

María schob die Unterlippe vor, sagte aber nichts. Abends lag María in ihrer Koje und sah durch das kleine Fenster nach draußen in den Sternenhimmel. Wo Miguel jetzt wohl sein mochte? Dachte er vielleicht auch gerade an sie? War er schon zu Hause? Oder was machte er gerade? María drehte sich im Bett um und seufzte. Barcelona....... Das war die Heimatstadt von Miguel, Max und Isabelle. Und es war eine Möglichkeit, die drei wieder zu treffen. Aber, selbst wenn sie in Erfahrung bringen könnten, in welchem Palast die drei wohnten, wie sollten sie mit ihnen Kontakt aufnehmen, oder besser: Wie sollten sie sie treffen? Das war doch alles so unwahrscheinlich! Sie vermisste Miguel so sehr, dass sie dachte, sie würde zerrissen. Sie dachte an die Nacht zurück, die sie in seiner Suite in seinem Bett verbracht hatte. Sie zählte sicherlich zu den schönsten ihres Lebens. Aber würde sie denn so eine Nacht noch einmal erleben?