9. Welcome To Barcelona
Alex und Kyle gingen zum Frühstück in den Speisesaal. Dort trafen sie Max,
Miguel, Isabelle und deren Mutter. Alex bemühte sich, so höflich und
zuvorkommend wie nur möglich zu sein, da er Doña Elena Evanez-Noblezanna so
stark wie es nur ging beeindrucken wollte. Denn es würde die Annahme seines
Heiratsantrages durch Don Carlos Evanez erheblich erleichtern, wenn die Mutter
auch auf seiner Seite wäre. Aber das war nicht der einzige Grund, weshalb Alex
sich so um Doña Elena bemühte, denn er mochte die ältere Dame sehr gerne.
Die Stimmung beim Frühstück war ausgelassen, zumindest so ausgelassen, wie es bei einer Gruppe von sechs Personen, von denen drei Liebeskummer hatten, möglich war. Denn die Unterhaltung wurde einzig und allein von Doña Elena, Isabelle und Alex bestritten. Aber das waren die drei mittlerweile schon gewöhnt.
Plötzlich räusperte sich Doña Elena und richtete sich auf. „Ich muss euch etwas sagen. Euer Vater und ich haben vor der Reise beschlossen, euch nach der Reise zu verheiraten."
Die Köpfe von Miguel und Max flogen mit einem Ruck nach oben. Ungläubig starrten die beiden ihre Mutter an. Auch Kyle sah perplex aus.
Doña Elena räusperte sich noch einmal, ehe sie weiterredete. Dieses Gespräch schien ihr sehr unangenehm zu sein.
„Es tut mir leid, euch das zu diesem Zeitpunkt zu sagen, aber es ist besser, wenn ihr es jetzt schon erfahrt und nicht erst in Barcelona. Was Isabelle angeht," Doña Elena sah sie und Alex lächelnd an, „ist die Gattenwahl ja wohl kein Problem. Bei euch zweien allerdings," sie sah bedrückt zu Max und Miguel hin, die ihre Mutter immer noch mit offenen Mündern anstarrten, „bei euch zweien ist das in der derzeitigen Lage ein echtes Problem. Euer Vater hatte vor, einen großen Ball zu geben, wo alle heiratsfähigen Mädchen des Hochadels eingeladen werden würden. Aber jetzt....."
Sie brach ab.
Max sprang so schnell auf, dass sein Stuhl umfiel. „Ich werde nie und nimmer eine von denen heiraten!", schrie er aufgebracht.
Miguel stand ebenfalls auf. „Genau wie ich! Die einzige Person, die ich je heiraten würde, ist María!"
Max sagte nichts, Stattdessen drehte er sich um und rannte aus dem Saal an Deck. Dort ging er an den Bug, setzte sich auf eine der Bänke, die dort standen und starrte auf das Meer hinaus. Er sollte eine andere als Liz heiraten? Nie im Leben! Schließlich war Liz das, woran er 24 Stunden am Tag dachte, und zwar jede einzelne Sekunde. Und jetzt sollte er einfach so eine von den adeligen Mädchen heiraten??? Natürlich, Liz war nicht da, aber er konnte sie nicht einfach vergessen. Seit sie getrennt wurden, fühlte er sich ohnehin so leer. Und nur einzig und alleine Liz würde diese Leere ausfüllen können. Wie stellte sich seine Mutter das vor? Aber eins wusste er: Er würde nie auf diesen Ball gehen, wo er eine Braut finden sollte! Da würde selbst sein Vater nichts ausrichten können!
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Mittags legte das Schiff im Hafenvorort von Barcelona an. Liz, María und
Leandra hatten alle Hände voll zu tun, um die Passagiere zufrieden zu stellen
und sie von Bord zu geleiten. Dann, als die Passagiere alle von Bord waren,
ging Leandra zu Señorita Estefanía und erklärte ihr, dass sie den Lohn
ausbezahlt bekommen wollte, weil sie alle drei kündigten. Señorita Estefanía
war empört darüber, dass die drei so einfach ohne jede Vorwarnung kündigten,
aber sie konnte nichts machen.
Kurz darauf verließen Liz Leandra und María in ihren alten Kleidern das Schiff und wanderten stadteinwärts. Sie wussten nicht, was sie tun sollten, denn überall, wo sie nach Arbeit fragten, wurden sie abgewiesen. Es wurde Abend und es wurde dunkel. Die drei hatten sich an einen Brunnen gesetzt und beratschlagten, was sie nun tun sollten.
„Wir sollten uns irgendwo erst einmal ein billiges Zimmer suchen und uns schlafen legen. Dann sehen wir weiter!", meinte Leandra.
„Wieso denn? Wir müssen so bald wie möglich Arbeit finden! Wir sollten uns noch mal umsehen!", entgegnete Liz. „Das wäre viel besser!"
María schüttelte den Kopf. „Jetzt können wir nicht weitersuchen! Alle gehen jetzt ins Bett und wollen schlafen! Ich bin für Leandras Vorschlag!"
Zögernd stimmte Liz zu. Also suchten sie sich eine billige Herberge am Stadtrand. Sie war schon ziemlich heruntergekommen, jedoch das Einzige, was sie sich leisten konnten.
Nach einem recht kargen Frühstück begaben sich Leandra, María und Liz weiter auf Arbeitssuche in Barcelona. Am Mittag kamen sie an einem großen Palast vorbei. Es war offensichtlich die Residenz des Fürsten von Katalonien.
'Ob Miguel wohl in einem der Zimmer des Palastes ist?' schoss es María durch den Kopf.
„Sei nicht albern, selbst wenn, wie willst du denn zu ihm hinkommen? Woher wissen wir überhaupt, ob sie da sind?", hörte sie Liz sagen.
Sie fuhr herum und sah Liz an, aber die sah nur bewegungslos geradeaus auf das Tor zum Palast. Leandra räusperte sich.
„Ähm, ich will euch ja nicht stören, aber wir sollten vielleicht weitergehen....."
Liz nickte gedankenverloren und richtete sich auf. María nickte ebenfalls und die beiden folgten Leandra, die in die nächste Straße einbog.
Nachdem sie einen Tag lang erfolglos gesucht hatten, kamen María, Liz und Leandra zu einem Schloss etwas außerhalb von Barcelona. Es lag in einem großen Park, und um den Park herum standen nur wenige Häuser. Alles war ruhig und friedlich. In der Ferne konnte man sogar das Meer sehen.
María ging zu einer Schmiede in der Nähe des Schlosses und fragte den Schmied, wem das Schloss denn gehöre. Der sah sie an, als sei sie nicht ganz bei Trost und sagte dann schnippisch: „Na, da wohnt Doña Elena Noblezanna!"
María tat, als hätte sie verstanden und ging zu ihrer Freundin und ihrer Schwester zurück und erzählte es ihnen. Liz zog eine Augenbraue hoch.
„Doña Elena Noblezanna? Wisst ihr wer das ist?"
María und Leandra schüttelten die Köpfe. Leandra zuckte die Achseln.
„Egal! Ich gehe auf jeden Fall mal da hin und frage nach einer Arbeitsstelle!"
María und Liz folgten Leandra, die auf den Dienstboteneingang zusteuerte.
„Wir hätten eigentlich schon im Palast in Barcelona fragen können!", meinte María, während sie sich mit der flachen Hand vor die Stirn klatschte.
Liz nickte. Sie hatten jetzt den Dienstboteneingang erreicht. Auf das Klopfen hin erschien ein Mädchen von etwa 14 Jahren. Als Leandra ihr ihr Anliegen schilderte, nickte das Mädchen kurz und bat sie, zu warten.
Einige Zeit später erschien das Mädchen wieder und führte Liz, María und Leandra herein. Sie folgten dem Mädchen einen gewundenen Weg am Rande der Parkanlage entlang zur Hinterseite des Schlosses. Im Schloss drinnen wurden sie in ein kleines Büro geführt, wo eine gütig aussehende ältere Dame an einem Schreibtisch saß, der von Blättern nur so überquoll.
„Ich bin Señora Alfonso. Ich bin die zweite Hausdame. Alejandra hat mir erzählt, dass ihr Arbeit sucht. Wir bräuchten Mädchen im Wäschekeller. Dienstuniform, Unterkunft und drei Mahlzeiten am Tag werden gestellt. Wollt ihr im Waschkeller arbeiten?"
Alle drei stimmten zu. Alejandra bekam die Anweisung, die neuen Waschmädchen in die Waschküche zu bringen und sie dort der Aufseherin Señorita Brígida vorzustellen. Señorita Brígida stellte sich als ernstzunehmende und strenge Person heraus, die ihren Posten stark ausfüllte. Von ihr erhielten sie Ihre Dienstuniform, graue Kittel und graue Hauben, die mit einem Monogramm mit den Buchstaben „E.E.N." versehen waren.
Dann zeigte Señorita Brígida ihnen den Schlafsaal, der aus zehn Hochbetten mit drei Stockwerken bestand. Seine Habseligkeiten verstaute man am Fußende des Bettes, wie Señorita Brígida ihnen erklärte. Schließlich wurden sie in die riesige Waschküche gebracht, wo rund 50 Waschzuber standen. Der Raum hatte nur einige kleine Luken, aus denen der Dunst des Wasserdampfes abziehen konnte. An der Decke bildeten sich deshalb schon dicke Wassertropfen, die früher oder später hinunterfielen.
An den Waschzubern waren ca. 30 Mädchen damit beschäftigt, Kleider über Waschbretter zu rubbeln, sie einzuweichen, Sie auszuwringen und auszuschlagen. Der Großteil der Mädchen hustete und schniefte entsetzlich, was wohl von dem Dampfschwaden kam, die überall herumwaberten.
Keines der Mädchen blickte von der Arbeit auf, als ihre Aufseherin mit den Neuen durch ihre Reihen lief. Wieso auch? Das waren ja sowieso nur wieder arme Mädchen, die alsbald Husten und Schnupfen von dem ewigen feuchten Klima und den ewigen nassen Händen und Füßen bekamen. Zum Reden und anfreunden hatten sie ohnehin keine Zeit, da sie nach einem 16-Stundentag mit einer Viertelstunde Pause allemal wie tot ins Bett fielen.
Liz war beklommen, als sie die Szene betrachtete. Arbeiten war ja nicht schlimm, aber diese Bedingungen waren wirklich hart. Es gab jedoch keine andere Arbeit, also mussten sie sich damit zurecht finden.
Seufzend machte sie sich an dem Berg Wäsche an die Arbeit, den man ihr zugeteilt hatte. Alle Wäschestücke waren scharlachrot, mit nur wenigen Ausnahmen. Liz zog eins nach dem anderen über das Wachbrett. Nach einiger Zeit taten ihre Arme schrecklich weh, aber sie konnte sich nicht ausruhen.
Das Klatschen der Aufseherin, das das Ende des Arbeitstages verkündete, war wie eine Erlösung. Ihre Hände waren aufgerieben von den Ausrutschern auf dem Waschbrett und sie konnte ihre Arme kaum fühlen. Ein paar Küchenmädchen kamen und schleppten einen großen Topf wässriger Suppe heran. Jedes Waschmädchen bekam einen Napf voll Suppe und ein Stück Brot. Alle schlangen hastig ihr Abendessen hinunter und sanken dann todmüde ins Bett.
Am nächsten morgen wurden sie um 5 Uhr von einer lauten Glocke geweckt, die Señorita Brígida läutete. Schlaftrunken nahmen Leandra, Liz und María ihr Frühstück zu sich, was aus einer Scheibe steinharten Brots bestand und heißem Tee, der so dünn war, dass man seine Geschmacksrichtung erst gar nicht schmecken konnte.
Danach wurden ihnen wieder Wäscheberge zugeteilt. Leandra bekam einen mit stark verdreckten Kleidern (natürlich scharlachrot), die sie zuerst mit Hilfe eines anderen Mädchens einweichen musste.
„Mein Gott. Was hat der die Trägerin dieser Kleider gemacht, dass sie dermaßen verdreckt sind?", stöhnte Leandra.
Das andere Mädchen zuckte die Achseln. „Die Mädchen waren letztens auf einem Ausflug, als es plötzlich anfing zu schütten und sie durch riesige Schlammassen nach Hause stapfen mussten. Deshalb sind die Kleider so schmutzig!", erklärte sie.
Leandra runzelte die Stirn. „Die Mädchen? Welche Mädchen?"
Ihre Nachbarin sah von ihrer Arbeit auf. „Na, die Mädchen des Internats. Wusstest du das nicht? Doña Elena Noblezanna führt eine Art Internat für feine Damen des Adels. Sie werden hier in all möglichem unterrichtet, z.B. in Etiketten, in Gesellschaftslehre, aber auch in Sprachen und so etwas. Alle Mädchen tragen diese scharlachroten Kleider, die sie als Mitglieder dieses Instituts kennzeichnen. Es heißt, es sei schon immer Doña Elenas größter Wunsch gewesen, so eine Schule zu führen. Und jetzt hat sie die Möglichkeit dazu und....."
Das Mädchen wurde von der scharfen Stimme von Señorita Brígida unterbrochen: „He, ihr dahinten, nicht reden! Dafür werdet ihr nicht bezahlt!"
Das Mädchen lief knallrot an und beugte sich wieder über ihre Arbeit. Leandra hielt es für besser, sie nicht weiter zu fragen. Stattdessen machte sie sich an die Wäscheberge. Sie hatte im Waschen schon Übung, denn sie bei den Socksleys hatte sie eine Zeit lang auch in der Waschküche gearbeitet. Allerdings unter weitaus menschlicheren Bedingungen. Das kam wahrscheinlich daher, dass Liz und María die Aufsicht über den Waschkeller und die Pferdeställe gehabt hatten. Durch den Waschkeller hatte Leandra auch Liz und María kennen gelernt und sich mit ihnen angefreundet.
Kurz darauf war sie zur Zofe befördert worden und wenig später sogar zur ersten Zofe. Für sie war die Arbeit deshalb kein Problem, aber für María und Liz......
Sie sah zu den beiden herüber. María rieb
verbissen ein scharlachrotes Tuch über ihr Waschbrett, während Liz sich mit
einem anderen Mädchen zusammen damit abmühte, ein riesiges Kleid auszuwringen.
Die beiden würden sich nie beklagen, da war Leandra sich sicher, aber sie
fragte sich, wie lange die beiden das wohl durchhielten.
