12. Princesas
Am nächsten Morgen bekamen sie neue Aufgaben zugewiesen. Sie waren jetzt für
die Räume der ältesten Schülerinnen zuständig, die ungefähr so alt waren wie
sie. Bald jedoch merkten sie, was das für eine nervenaufreibende Arbeit das
war. Es gab zwar die Schülerinnen, die Liz, Maria und Leandra nett und höflich
behandelten, aber auch die, die die drei hochnäsig herumkommandierten und sie
herunter sahen.
Von der zweiten Sorte gab es absolute Spitzenreiter: Emilia Sanchéz de Córdoba und ihre Freundinnen Enriqueta Jactanca, Joséfina Corderaña und Ricarda Terrancez de Sevilla. Sie hatten es sich anscheinend zur Aufgabe gemacht, Dienstmädchen herunter zu putzen. Weil aber María sich immer wieder mit eigentlich harmlos klingenden Sätzen, die jedoch meist eine zweideutige Aussage hatten, zur Wehr setzte, war sie bald, zusammen mit Liz und Leandra, das Lieblingsziel von Emilia und ihren Freundinnen.
Emilia hatte blonde Haare, was in Spanien recht selten war, genauso wie ihre grünen Augen. In den Tagen vor dem Ball wurde es immer schlimmer. María hatte einmal die Aufgabe, in den Schlafräumen der Mädchen, wo sie jeweils zu viert drinnen schliefen, das Feuer im Kamin anzuschüren. Als sie sich in Emilias Zimmer gerade daran machte, waren diese und ihre Freundinnen gerade dabei, Frisuren für den Ball auszuprobieren. Enriqueta hatte den Spiegel auf den Tischgestellt und gegen einen Stapel Bücher gelehnt. Emilia war gerade dabei, Ricarda die Haare zu toupieren. Als sie damit fertig war, drehte sich Ricarda einmal um sich selbst im Kreis.
„Das ist perfekt! So siehst du wunderhübsch aus! Da wird Don Miguel dahinschmelzen wenn er dich sieht!", rief Joséfina begeistert.
María konnte es nicht verkneifen. Immer noch zu Kamin gewandt arbeitend sagte sie leise, doch so laut, dass die anderen Mädchen es hören konnten: „Miguel mag aber lieber offene Haare!"
Das hatte er ihr auf dem Ball auf dem Schiff erzählt. Sie hob den Korb mit den Holzscheiten hoch und drehte sich um. Ricarda zog hochnäsig ihre Augenbrauen hoch.
„Das weißt DU natürlich ganz genau!", sagte sie spöttisch. „Du glaubst wohl, du bist Cenicienta (= Aschenputtel), wie?"
María zuckte die Schultern und verließ den Raum. Sie erzählte Liz gerade davon, als Leandra auch zu ihnen stieß. Alle drei hatten die Aufgabe, eine lange Festtafel zu dekorieren, die im Ballsaal aufgebaut worden waren. Liz lachte sich kaputt.
„So wie es aussieht, weiß jedes Mädchen in den einzelnen Zimmern schon ganz genau, wen es von Max, Miguel und Kyle bekommt. Jedes Zimmer scheint da schon so eine Art Aufteilung gemacht zu haben. Vor allem aber das Zimmer von Emilia. Ich habe letztens mitbekommen, wie sie ihren Freundinnen erklärte, dass sie sich Max angeln würde. Ricarda beansprucht Miguel und Enriqueta will Kyle. Der ist jetzt anscheinend auch sehr heiß begehrt, wahrscheinlich, weil er aus Schottland kommt! Und dann gibt es da noch so einen Cousin von Max und Miguel, er heißt Sebastiáno Evanez und ist ebenfalls sehr beliebt!"
Leandra kicherte fröhlich. „Ich freu mich schon auf den
Ball! Die werden alle Augen machen!"
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Währenddessen versuchte Isabelle im Palast von Barcelona ihre Brüder und Kyle
zu überreden, dass sie auf den Ball gehen sollten. Die jedoch sträubten sich
stur, da sie deswegen auch schon einen Streit mit ihrem Vater gehabt hatten,
der sie unbedingt verheiraten wollte.
Schließlich baute sich Isabelle zornig vor den dreien auf.
„Jetzt hört mir mal zu! Ich habe keineswegs vor, euch gegen euren Willen zu verheiraten! Aber es ist der Weihnachtsball! Und an Weihnachten sollte die Familie zusammensein! Und wenn ihr am Ball kommt, dann wird sie auch zusammensein, und zwar komplett! Das ist das erste gemeinsame Weihnachten von Alex und mir, und ich will es mit euch zusammen feiern! Bitte! Kommt zum Ball!"
„Na, gut, wir kommen!", sagte Max. „Aber erwarte nicht zuviel von uns, vor allem nicht von unserer Stimmung!"
Isabelle zuckte die Schultern.
„Oh, ich bin mir sicher, dass eure Stimmung sehr gut
werden wird!", sagte sie und versuchte, ein Kichern zu unterdrücken.
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„Habt ihr gehört? Don Maximillano, Don Miguel und Don Kyle kommen jetzt sicher.
Es war ja erst unsicher, ob sie kämen, aber es heißt, ihre Schwester habe sie
überredet, zu kommen!", verkündete Emilia laut am Tag des Balls.
Ein lautes, vielstimmiges Kreischen war die Folge ihrer Ansprache. In diesem Moment betrat Doña Elena den Speisesaal und stellte sich an den Tisch der Lehrer, wo sie immer aß. Schlagartig wurde es still.
„Wie ich höre, wisst ihr schon, dass meine Söhne und Sir
Kyle zugesagt haben!", sagte sie amüsiert. „Ich habe noch ein paar
Ankündigungen zu machen. Heute schließt euer Unterricht bereits um 12.00 Uhr.
Dann nehmen wir eine Suppe zu uns und danach können die ersten bereits in den
Waschsälen baden gehen. Jedes Zimmer bekommt mindestens eine Zofe zugeteilt,
die euch beim Ankleiden und beim frisieren behilflich sein wird. Um 18.00 Uhr
kommen dann bereits die ersten Gäste. Meine Familie wird ungefähr um 19.00 Uhr
erscheinen. Der Ball wird bis 23.00 Uhr gehen, dann steigen wir in die
bereitstehenden Kutschen und fahren zur Kirche zum Gottesdienst. Danach wird
hier gespeist, an der großen Festtafel. Gibt es noch irgendwelche Fragen? Nein?
Gut! Und jetzt: Ab zum Unterricht!"
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Liz zog die Schnüre des Korsetts von Emilia fest zu. Sie verknotete die Schnüre
und machte sich an Ricardas Korsett zu schaffen.
Emilia streifte sich ihr blaues Kleid über und bewunderte sich im Spiegel.
„Ja, so, werde ich Don Maximillano heute bezaubern. Er ist einfach umwerfend. Ich habe ihn zwar erst zweimal gesehen, bei den vorletzten beiden Bällen, zum letzten ist er ja leider nicht gekommen, aber ich habe sofort diese tiefe Verbindung gespürt!", sagte sie melodramatisch und seufzte tief. „Genau das werde ich ihm dann auch sagen! Da wird er sicherlich nicht widerstehen können!"
Liz bückte sich und tat so, als suche sie etwas, um nicht laut herauszuplatzen. Sie biss die Zähne zusammen. Lange würde sie das sicherlich nicht durchhalten, wenn die alle so redeten!
Ricarda begann von Miguel zu schwärmen, Joséfina von Sebastiáno und Enriqueta von Kyle. Sie fielen sich ständig gegenseitig ins Wort.
„Liza, hast du nicht auch jemanden, den du liebst, und der vielleicht sogar dich liebt?", fragte Emilia plötzlich.
Liz sagte nichts, sondern flocht in aller Seelenruhe Joséfinas Haar weite
„Antworte gefälligst!", befahl Ricarda.
Liz sagte immer noch nichts.
„Na, los!" Emilia baute sich vor Liz auf.
„Oder will dich etwa keiner, weil du ein Dienstmädchen bist und keinen Pfennig hast? Und noch dazu, weil du hässlich bist?"
Liz war mit den Frisuren und anderen Aufgaben fertig. Isabelle wartete sicher schon! Sie musterte Emilia abschätzig.
Dann sagte sie: „Ich tue wenigstens was für mein Geld im Gegensatz zu manchen anderen Mädchen, die sich auf die faule Haut legen, versuchen, gut auszusehen und deren einziges Ziel es ist, einen halbwegs guten Mann abzukriegen. Im Grunde führen sie ein armseliges Leben. Fast hätte ich das auch getan. Aber ich habe mein Schicksal geändert. Und ich habe es geschafft!"
Sie sah Emilia fest in die Augen. Dann ging sie an ihr
vorbei und zur Türe raus. Sie konnte Emilias Gezeter noch lange hören. Aber an
diesem Tag konnte sie nichts mehr erschüttern. Sie klopfte und trat in das
Zimmer von Isabelle im Gästeflügel des Schlosses ein.
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Max starrte gelangweilt aus dem Fenster der Kutsche, die ihn, Miguel, Kyle und
Sebastiáno zum Schloss seiner Mutter bringen sollte. Draußen tanzten weiße
Schneeflocken am Fenster vorbei. Es war ein kalter Winter, der schon sehr früh
Schnee mit sich gebracht hatte. Alles war unter einer dicken Schneeschicht
verborgen.
Max hatte das Gefühl, dass seine Emotionen und Empfindungen ebenfalls unter einer dicken Schneedecke verborgen waren. Er nahm das Leben um sich herum wie durch einen Schleier wahr. Und es wurde immer schlimmer. Seit Liz weg war. Und seit sein Vater ihn dauernd verheiraten wollte.
Ihm war trotz der dicken Decke und der erhitzen Ziegelsteine, die Wärme spendeten, kalt.
Er seufzte. Weihnachten. Das Fest der Liebe. Das Fest des Herzens. Aber wo war diejenige, der sein Herz gehörte? Sollte sie nicht gerade jetzt bei ihm sein? Konnte er denn so Weihnachten feiern? Er schüttelte heftig den Kopf. Jetzt fing er auch schon an, so kitschig-romantisch zu werden! Das musste aber bald aufhören!
Die Kutsche hielt mit einem Ruck und riss ihn aus seinen Gedanken. Die Lakaien stürzten herbei und rissen die Kutschentüre auf. Max musste sich zusammen mit den anderen durch einen Schneesturm kämpfen, bevor er die Eingangshalle erreichte. Nachdem er sich seines Mantels entledigt hatte, ging er zusammen mit seinen Brüdern und seinem Cousin in den Ballsaal. Kyle war nämlich schon wie ein Bruder für ihn.
Als sie durch die große Flügeltür traten, richteten sich -zig Mädchenblicke auf sie. Max ignorierte das und ging zu seiner Mutter, um sie zu begrüßen. Sie war bestens gelaunt. Max blieb zusammen mit Miguel und Kyle die ganze Zeit in seiner Nähe. Zwar hatte das Orchester schon begonnen, aber keiner tanzte. Die Elevinnen standen in Grüppchen zusammen und warfen verstohlene Blicke zu den drei Fürstensöhnen.
Sebastiáno jedoch flirtete hemmungslos und tanzte schließlich sogar. Max sah sich nach Isabelle um. Sie hatte sie schließlich überredet, hierher zu kommen, und war jetzt nicht einmal selber da! Alex war schon vor einiger Zeit aufgetaucht und unterhielt sich mit Max' Vater.
Da kam Isabelle zu ihm. „Hallo! Entschuldigt bitte die Verspätung, aber ich musste noch etwas erledigen!", sagte sie charmant lächelnd.
Sie warf ihrer Mutter einen bedeutungsvollen Blick zu. Max runzelte die Stirn. Was hatte seine Schwester jetzt schon wieder ausgeheckt?
Auch Sebastiáno erschien wieder auf der Bildfläche. „Gerade sind drei sehr hübsche Mädchen hier aufgetaucht. Ich weiß leider nicht wie sie heißen, aber ich zeige sie euch mal, warte....."
Er lief los und sah sich suchend um. Doch weder Max noch
Miguel oder Kyle hatten Lust ihm zu folgen.
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Liz hob den Rock des purpurroten Kleides, das sie trug, ein Stück an, um besser
gehen zu können. Ihre Haare waren hochgesteckt und sie trug ein goldenes Diadem
und eine passende Kette.
María blieb neben ihr stehen und sah sich suchend um. Sie trug ein jägergrünes Kleid und ihre Haare offen. Sie wurden lediglich von einem ebenfalls grünen Band nach hinten gehalten. Außerdem trug sie eine weiße Perlenkette.
„Schaut mal, wer da kommt!", sagte Leandra belustigt schmunzelnd.
Sie trug ein safranfarbiges Kleid und ihre Haare ebenfalls offen, allerdings mit silbernen, und passend zu ihrer Halskette, mit roten Perlen besetzten Spangen.
Liz sah dorthin, wo Leandra hinsah. Emilia und ihre Freundinnen kamen auf sie zu
„Was macht ihr denn bitte hier?", fragte sie pikiert.
„Wir wollen uns ein bisschen amüsieren und Weihnachten feiern!", erwiderte María ohne mit der Wimper zu zucken.
„Aber, ihr seid doch Zofen!", sagte Ricarda entgeistert.
Isabelle bemerkte, wie sich langsam eine Menschentraube in der Nähe des Eingangs bildete.
„Ich glaube, deine Ehrengäste sind eingetroffen!", sagte sie laut zu ihrer Mutter, damit ihre Brüder und Kyle sie auch ganz sicher verstanden.
„Komm, wir begrüßen sie einmal!", sagte ihre Mutter.
Max, Miguel und Kyle folgten ihr langsam. Sie konnte nichts erkennen, da zu viele Menschen um die Gäste herumstanden. Aber keiner von ihnen sagte etwas. Das wunderte Max. Er blieb mit Miguel und Kyle außen stehen, während sich Isabelle und seine Mutter einen Weg durch die Menschen bahnten.
Jetzt konnte er ganz deutlich eine keifende Stimme hören.
„.....Zum hundertsten Male, ihr seid Bedienstete! Ihr dürft nicht hier auf dem Ball sein!"
„Und ich sage dir jetzt zum hundertsten Male, dass wir keine Bediensteten sind!", hörte er eine andere Stimme.
Sie kam ihm bekannt vor, sie klang fast wie... María, Liz' Schwester!
Dann ertönte Isabelles Stimme: „Ah, wie ich sehe, haben Sie sich schon mit unseren Ehrengästen bekannt gemacht, Emilia!"
Emilia? Das war doch diese Mädchen, dass sich an den letzten Bällen immer an ihn hatte `ranmachen wollen! Er kannte kaum jemanden nervigeres!
„Aber das sind doch die Zofen, die uns heute und in den letzten Wochen bedient haben!", rief Emilia schrill.
Isabelle lachte kurz hell auf. „Ach so, ja, das stimmt! Es tut mir leid, dass ihr dadurch einige Missverständnisse aufgetreten sind! Sie haben uns nur kurz bei etwas ausgeholfen, einem Geschenk, was heute sozusagen 'überreicht' wird."
Sie machte eine kurze Pause und gab offensichtlich ein Zeichen, denn die Reihen, die Max, Miguel und Kyle die Sicht versperrten, lichteten sich.
„Darf ich also vorstellen: Elizabeth und María Socksley von Edinburgh und ihre Freundin Leandra Jones!"
Max stürzte vor und stieß die Leute zur Seite, die ihm im Weg standen und stand plötzlich IHR gegenüber. Er konnte es nicht fassen. Da stand sie, nach sechs Monaten, zwei Wochen und zwei Tagen und lächelte ihn einfach nur an, als sei nichts passiert! Langsam ging er auf Liz zu und umarmte sie fest. Sein Herz schlug hart gegen seine Rippen und er schloss die Augen. Er konnte spüren, wie sie sich fest an ihn klammerte. Der Moment kam ihm wie eine Ewigkeit vor. Liz vergrub ihr Gesicht an seinem Hals. Max öffnete seine Augen wieder und sah, wie alle Leute im Saal der Szenerie folgten.
Miguel und María lagen sich ebenfalls in den Armen, genauso wie Leandra und Kyle. Seine Schwester hatte Alex´ Hand genommen und grinste breit.
Dann rief seine Mutter: „Fröhliche Weihnachten euch allen!"
Die umstehenden Leute begannen zu klatschen.
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Ein leises Raunen lief durch die riesige Kirche, als Max und Liz Hand in Hand
den Gang entlang schritten, hinter ihnen Leandra und Kyle und María und Miguel.
Sie kuschelten sich eng unter der Decke zusammen, ohne die der Weihnachtsgottesdienst in der eiskalten Kirche nicht auszuhalten wäre. Max nahm Liz' Hand zwischen seine Hände und sah sich um.
María beugte sich zu Miguel herüber und flüsterte ihm etwas zu. Seine Augen wurden weit und er sah María entgeistert an.
„Was hat María ihm denn erzählt, dass er so aus der Wäsche guckt? Will sie ihn wieder verlassen?", witzelte Max.
Liz warf einen kurzen Blick zu ihrer Schwester, die ihr kurz zuzwinkerte.
„Ich glaube eher, dass sie ihm gerade eröffnet hat, dass er in zwei einhalb Monaten Vater wird!", sagte Liz grinsend.
Ende
