In fremden Gestaden

            Langsam verzogen sich die Rauchschwaden. Stefanie konnte wieder leichter Atmen und sogar verschwommen etwas sehen. Grün. Eine Menge Grün umgab sie. Na nu, dachte sie, hatte Slytherin etwa schon die Hausmeisterschaft gewonnen? Als ihre Sicht klarer wurde merkte sie, dass das Grün nicht von Bannern und Flaggen kam, sondern von Bäumen. Kleine und hohe, dünne und dicke Bäume standen nebeneinander und bildeten eine Art Kreis um sie. Plötzlich hörte sie neben sich ein unterdrücktes Stöhnen und schreckte auf. In dem Dämmerlicht erkannte sie die blonden Haare Dracos, durch die sich eine leichte Blutspur zog. Besorgt beugte sie sich zu ihm hinunter, stellte aber fest, dass das Blut von einer kleinen Wunde am rechten Arm stammte und sein Kopf nicht verletzt war.

„Draco? Hey, hörst du mich?", sie schüttelte ihn an seiner Schulter.

„Ich bin ja nicht schwerhörig", kam die Antwort und er richtete sich leicht benommen auf. „Eins sage ich dir, ich werde nie, nie wieder mit dir irgendwelche Tränke zusammenbrauen." Er sah sich um. „Wo sind wir hier eigentlich? Hast du das ganze Schloss in die Luft gesprengt?"

„Das denke ich nicht", ließ sie die tiefe Stimme von Snape zusammenfahren. „Sie scheinen irgendeine Form von Ort-zu-Ort-Trank zusammen gemixt zu haben, Miss Schmitt", meinte er zu Stefanie, die schuldbewusst auf ihre Turnschuhe starrte.

„Aber wo sind wir dann?", fragte Draco, obwohl er annahm, dass die anderen ebenso wenig eine Ahnung von der Antwort auf diese Frage hatten wie er. Er behielt Recht.

„Das müssen wir irgendwie herausfinden. Wenn wir Glück haben, dann sind wir in irgendeinem Waldgebiet in Schottland, obwohl die Bäume nicht recht dazu passen. Übrigens, haben Sie noch ihre Zauberstäbe?", fragte er und sah sie abwartend an, während sie in ihren Umhängen danach suchten, allerdings ohne Ergebnis. Er schien das erwartet zu haben. „Meiner ist auch nicht mehr da, was wohl heißt wir sind auf uns allein gestellt." Stefanie lief bei diesen Worten eine Schauer über den Rücken. Irgendwie klangen seine Worte doch ein klein bisschen pessimistisch. Doch sie hatte schließlich noch Draco und dann war da auch noch Snape, der immerhin ein Lehrer war und diesen Posten sicherlich nicht durch Affären mit seinem Chef erlangt hatte. Ihre Grübeleien wurden von einem markerschütternden Schrei unterbrochen und erschrocken fuhr sie herum. Irgendetwas kam aus dem Dunkel des Waldes auf die Lichtung gerannt und je näher diese Gestalt kam, umso unfreundlicher sah sie aus. Grau, in irgendeiner Rüstung und mit spitzen Zähnen und Ohren.

„Äh, Professor? Das ist kein Vampir, oder?", fragte sie leise, während sie sich hinter Snape und Draco versteckte.

„Nein", sagte Snape schlicht während er die näherkommende Gestalt misstrauisch betrachtete. Inzwischen hatte die Gestalt ein langes Schwert gezogen und stieß erneut einen Schrei aus. Snape stieß Stefanie und Draco an den Rand der Lichtung und stellte sich dem was-auch-immer-es-war in den Weg. „Bleiben Sie in Deckung!", rief er ihnen zu. Im Zwielicht des verblassenden Tages und der hereinbrechenden Nacht konnten sie nicht wirklich erkennen was dort geschah, außerdem hatten sie beide damit zu tun den jeweils anderen davon abzuhalten, ihrem Hauslehrer zu Hilfe zu eilen, der nur mühsam das Schwert des Angreifers abwehren konnte.

„Also das ist bestimmt kein Engländer, der würde die Probleme bei einer Tasse Tee mit Zitrone ausdiskutieren", flüsterte Stefanie Draco zu, während sie ihn am Arm festhielt. Von einem Moment zum nächsten traf das Schwert des Gegners und Snape schrie auf. Stefanie ließ Dracos Arm los und gemeinsam liefen sie auf die Wiese um das Monster zu töten und so ihren Lehrer in bester Slytherinmanier zu rächen. Allerdings hatten sie keine Ahnung, wie sie das anstellen sollten. Seite an Seite standen sie nun auf der Wiese und das Monster kam bedrohlich näher.

„Äh, Draco?", Stefanie zupfte an seinem Ärmel während sie einen Schritt zurück machten. „Hast du einen Plan?"

„Nein", antwortete er während sie noch einen Schritt zurück wichen.

„Okay, Houston, wir haben ein Problem." Das Monster legte seinen Kopf schief und begutachtete seine Beute. Ein weiterer Schrei ließ sie erneut alle zusammenfahren. „Arrgh, ist das hier die Wiese der Schreihälse?", fragte Stefanie verärgert, doch ihre Stimmung besserte sich erheblich als ein Ritter in schimmernder Rüstung auf die Lichtung rannte und das Monster nicht einmal Zeit hatte, sich umzudrehen bevor er es erledigte. Der Ritter strich sich mit einer fließenden Handbewegung die braunen Haare aus dem Gesicht und strahlte sie mit blauen, freundlichen Augen an.

„War mir eine Ehre, die holde Schönheit zu retten", sagte er, kam zu ihnen und verbeugte sich vor Stefanie, die errötete. Draco murmelte ein paar unverständliche Worte vor sich hin, die verdächtig nach „Schwuler Schleimer" klangen.

„Wer sind Sie denn?", Snapes Stimme kam schwach hinter ihrem Rücken hervor und überrascht drehten sie sich um.

„Sie leben ja noch ... ähm ... " Snape deutete ein Lächeln an, was ein wenig merkwürdig aussah, weil er an einem Baum gelehnt stand und seine rechte Hand vor die linke Bauchhälfte hielt. Stefanie atmete erleichtert auf und ging zu ihm. „Das sieht schlimm aus", meinte sie, als sie seine Hand von der Wunde weggeschoben hatte. Snape winkte jedoch ab.

„Ich werde es überleben und wenn wir erst einmal wieder in Hogwarts sind, dann werde ich Ihnen so viele Strafarbeiten aufbrummen, dass Sie wünschen werden, ich wäre gestorben. Was zum Teufel haben Sie in den verdammten Trank getan? Und wo waren ihre Augen, Mister Malfoy? Bei ihren goldenen Haaren? Sollten Sie nicht aufpassen, dass Sie nichts Schlimmes anstellt? Wenn man sie beide mal eine Sekunde aus den Augen lässt ... " Er sah wieder zu dem Neuling, hinter dem inzwischen noch jemand aufgetaucht war, ohne dass es die anderen mitbekommen hatten. „Und wer sind Sie?", fragte er das Mädchen mit den braunen buschigen Haaren, dass nun lächelte und dabei ein paar großer Vorderzähne enthüllte. Draco sah sie verblüfft an.

„Hermine?" Das Mädchen sah hinter sich und dann wieder fragend Draco an.

„Wer ist das? Ich bin jedenfalls Hermina und das", sie zeigte auf den Ritter in der schimmernden Rüstung, „ist mein Begleiter und Beschützer Hughie. Willkommen in den gesetzlosen Gebieten von Mittelerde."

„Wo?", fragten Snape, Stefanie und Draco gleichzeitig. Hermina sah sie stirnrunzelnd an.

„Ihr seid nicht von hier, oder?"

„Ähm, nein ... wir kommen aus ... ", fing Stefanie an, wurde jedoch von Snape unterbrochen.

„Wir kommen von sehr weit her und haben uns ... verlaufen." Er warf Draco und Stefanie einen warnenden Seitenblick zu.

„Na dann, ihr seid herzlich eingeladen bei uns mit zu essen. Kommt nicht oft vor, dass man hier mal ein paar andere Menschen antrifft. Meistens nur Orks ... ", meinte der Ritter in der schimmernden Rüstung.

„Orks?", fragte Draco.

„Oh man, ihr seid wirklich nicht von hier. Was euch da angegriffen hat war ein Ork. Von Sauron geschickt", er kniete sich hin und stellte einen Rucksack vor sich. „Man, ihr scheint ja wirklich keine Ahnung zu haben." Inzwischen hatte er eine Decke ausgebreitet und machte sich nun daran, Essen auszupacken. „Setzt euch", wies Hermina sie an, während sie ihnen Brot reichte.

„Und entschuldigt ihn", sie deutete auf ihren Begleiter, „er redet immer so viel." Der Angesprochene schien sie nicht gehört zu haben, denn er plapperte munter weiter.

„Hast du schon davon gehört, dass sie mal wieder glauben, das Medaillon der Erde gefunden zu haben?" Stefanie ließ ihr Brot auf den Boden fallen, Draco vergaß weiter zu kauen und Snape zog seine rechte Augenbraue hoch, bevor er sich räusperte.

„Medaillon der Erde? Was ist das?" Hughie, sichtlich darüber erfreut, interessierte Zuhörerschaft gefunden zu haben, lächelte selbstgefällig.

„Ach das, irgendso ein üüübelst mächtiges ... äh, Ding. Angeblich hat es die Fähigkeit, einen in eine andere Welt zu bringen ... niemand weiß, wo das Medaillon wirklich ist, oder ob es überhaupt existiert ... es soll übrigens sehr viel wert sein (seine Augen bekamen einen träumerischen Ausdruck). Na ja, und alle Jubeljahre verkündet mal wieder jemand, zu wissen wo es versteckt ist. Sauron und seine Schergen sind natürlich auch dahinter her ... wozu nur eine Welt mit Finsternis überziehen, wenn es noch eine zweite zu beherrschen gibt? Aber wie gesagt, alles nur Gerüchte." 

„Und wo ist es ... angeblich?", fragte Snape.

„Äh ... ", Hughie sah unsicher von Snapes bohrenden schwarzen Augen zu Hermina. „Äh ... wir sind am westlichen Rand des Düsterwaldes, nicht weit von der Alten Waldstraße ... also wenn man der und dann Fluss Eilend folgt, soll man zum Medaillon kommen, angeblich ... aber ich würde nicht durch die Tiefen des Waldes laufen. Noch mehr Orks und die Elben sind in den heutigen Zeiten auch nicht gerade freundlich gesinnt.– Wieso fragt Ihr eigentlich?" Snape zuckte mit den Schultern.

„Reine Neugier", antwortete er gelassen. „Aber wir sollten jetzt schlafen." Sein Vorschlag fand allgemeine Zustimmung und so legten sich alle hin und waren nach wenigen Minuten in den Tiefen ihrer Träume verschwunden, während sich die Nacht wie ein dunkles Tuch über ihre Köpfe legte.

            „Aufwachen", flüsterte jemand leise in Stefanies Ohr, die ihr Gesicht verzog.

            „Mhhm ... noch fünf Minuten ... ", murmelte sie abwesend.

            „Das war keine Frage, sondern eine Aufforderung, Miss Schmidt. Oder soll ich Slytherin ein paar Punkte abziehen?" Bei diesen Worten wachte sie schließlich richtig auf und starrte in Snapes nachtschwarze Augen. Erschrocken kam sie auf die Beine.

            „Was?" Hektisch sah sie sich in der Dunkelheit um. „Was ist los? Orks? Elben ... ", doch ehe sie weiterreden konnte, wurde sie von Snapes ruhiger Stimme unterbrochen.

            „Seien Sie bitte leiser, unser Aufbruch soll nicht bemerkt werden." Jetzt verstand sie gar nichts mehr. Wo wollte Snape denn mitten in der Nacht hin? Und das in einer Welt, die ihm so fremd war wie ein gemütliches Kaffee trinken am Sonntag Nachmittag. Anscheinend hatte er ihre Verwirrung bemerkt, denn er sprach weiter:

            „Es ist nur eine kleine Chance, aber wir müssen dieses Medaillon finden ... ansonsten kommen wir vielleicht nie nach Hause. Und diese Zwei", er deutete auf die schlafenden Gestalten von Hermina und Hughie, „scheinen weder eine große Hilfe, noch sehr vertrauenswürdig zu sein. Also kommen Sie. Ich hab mir einige ihrer Karten ... ausgeliehen und es ist ein weiter Weg." Stefanie konnte nur vollkommen überrumpelt nicken und sah besorgt Draco an.

            „Keine Sorge, wir kommen nach Hause, dass versprech ich dir", flüsterte Draco, der die Angst in ihren Augen gesehen hatte. Dann nahm ihre Hand in die seine und sie verließen die Lichtung. Der Wald empfing sie mit Dunkelheit und Kälte und Stefanie zog unwillkürlich ihren Umhang enger um ihren schlanken Körper. Draco sah, wie sie zitterte und legte ihre noch seinen Umhang um. Sie wollte protestieren, doch mit einem flüchtigen Kuss brachte er sie zum Schweigen. Und so verbrachte sie auch die nächsten Stunden, oder wie viel Zeit auch immer damit verging, einen Fuß vor den anderen zu setzen und Snape und Draco auf dem verschlungenen Pfad durch den Wald zu folgen.

            „Wir scheinen weit genug entfernt zu sein. Wir sollten uns hinlegen und ausruhen. Morgen werden wir weitergehen. Draco und Stefanie, sie beide schlafen als erstes, wenn ich müde werde, werde ich einen von ihnen wecken. Verstanden?", fragte Snape, nachdem er angehalten hatte. Beide nickten und machten es sich auf dem unebenen Waldboden so bequem wie möglich. Wenige Minuten später waren sie eng aneinander gekuschelt eingeschlafen.