Disclaimer: Die Rechte gehören Tolkien. Ich verdiene Nix/Nada/Nothing hiermit. Seufz…
Summary: Ein Tag verändert für immer das Leben der jungen Gilraen, und bald muss auch der Elbenherr Elrond erkennen, was diese Veränderung für ihn bedeutet.
A/N: Die Uni hat wieder angefangen und damit auch die unliebsamen Verpflichtungen. Aber ich habe es dennoch endlich geschafft, das nächste Kapitel fertig zu stellen. Als Gaststar heute: Elladan von Bruchtal! Aber auch eine WARNUNG gibt's: Ab jetzt wird's schwermütig! Gilraen Angst!
Und am Wichtigsten: Vielen lieben Dank an alle, die reviewt haben! You made my day! Kommentare stehen wieder am Ende des Kapitels.
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Veränderungen
Kapitel 3
Es war die dritte Stunde nach Sonnenuntergang. Gilraen saß, die Schultern in ein Tuch gehüllt, still in der Nähe des Feuers auf einem Stuhl, den sie sich herangezogen hatte, und dachte nach. Der Feuerschein hüllte ihre Gestalt in sanftes, rötliches Licht. Das Knistern des Feuers, welchem Javena noch mal Holz nachgelegt hatte, bevor sie ging, war ein beruhigendes Geräusch in der fast stillen Hütte. Hinter dem Vorhang schlief Aragorn, den Gilraen, nachdem er sich beim Baden müde getobt hatte, kurz zuvor zusammen mit einem aufgeheizten Stein gegen die Kälte unter seine Felldecken gesteckt hatte. Er war sofort eingeschlafen, und sie konnte seine ruhigen, tiefen Atemzüge hören.
Nicht weit neben sich sah Gilraen die Steine und Tannenzapfen liegen, mit denen Aragorn gespielt hatte, bevor sie heimgekommen war. Sie bückte sich und hob eine paar der Steine auf. Die meisten waren kantig, ein paar waren glatter, doch einer von ihnen war fast rund und eben, und Moosflechten hatten sich darauf gebildet, so dass er fast eine schmutzig grüne Farbe hatte. Sie betrachtete ihn eine Weile gedankenverloren und wog ihn geistesabwesend in ihrer freien Hand. Schließlich legte sie ihn mit den Anderen wieder zu den übrigen Sachen, richtete sich auf und blickte in die Flammen.
Eine unfassbare Leere schien auf einmal den Raum zu beherrschen, und Gilraen fühlte sich seltsam einsam. Sie war an sich eine starke Frau, und sie kam normalerweise gut alleine zurecht. Allein ihre Position als Gemahlin des Führers der Dúnedain brachte viele Pflichten und Verantwortungen mit sich, die sie gerne und gut erfüllte. Doch heute Abend schien ihr das Herz so kalt zu sein wie der Wind vor der Tür, und die Einsamkeit und Ruhe setzten ihr zu. Zudem gab es nichts zu tun als zu warten, und genau dies schien ihr heute so schwer zu sein wie nie zuvor.
Gilraen lehnte sich zurück und versuchte, zu entspannen. Der Tag war anstrengend gewesen, und obwohl sie kräftig war und keine Arbeit scheute, spürte sie doch, dass ihre Arme schmerzten und ihre Beine müde waren. Sie schloss die Augen, um für einen Moment auszuruhen.
Ihre Gedanken flogen fort zu warmen Sommertagen, und zu dem Mann, den sie vermisste und herbeisehnte. Wie oft hatten Arathorn und sie im Sommer nach der Geburt ihres Sohnes Ausflüge rund um die Siedlung gemacht! Kurze zuerst, als Gilraen erst noch ihre Kraft hatte zurückgewinnen müssen, dann etwas Längere. Sie waren meist in kleinen Gruppen unterwegs gewesen, doch immer hatten Arathorn und sie ein paar Augenblicke gefunden, nur für sich zu sein, nichts anderes als eine kleine, glückliche Familie. Im kühlen Wald waren sie gewesen, an rauschenden Bächen, auf steinernen Ebenen und auf weiten Wiesen. Gilraen sah sich selbst im Sonnenlicht stehen, die warmen Sonnenstrahlen tanzten auf ihrer Haut. In einem Tuch, um ihren Körper geschlungen, trug sie ihren kleinen Sohn, ein kleines Bündel von wenigen Monaten, seine Augen offen für die Welt, die sich ihm darbot. Er schlief seltener, als es andere Kinder seines Alters taten, vielmehr schien er alles um sich herum in sich aufnehmen zu wollen, als wäre jeder Schlaf vergeudete Zeit.
Wie sie dort auf der Wiese stand und den leichten Sommerwind spürte, der durch ihr Haar wehte, ließ sie ihren Blick schweifen über die friedliche Natur um sich herum. Alles war ruhig und wunderbar, und sie sah, wie Arathorn auf sie zukam, in den Armen einen unordentlichen Strauß voller frisch gepflückter Blumen, den er ihr mit einem Lächeln reichte, und sie setzte sich nieder und knüpfte einen Kranz daraus, während ihr Mann sich an ihrer Seite niederließ. Als der Kranz fertig war, entwand Arathorn ihn ihren Händen und setzte ihn ihr aufs dunkle Haar. „Wie am Tag unserer Vermählung." hörte Gilraen ihn sagen, und ihre Hände griffen nach den Seinen. Doch plötzlich hörte sie Geräusche. Wirre Stimmen und Hufgetrappel erklangen aus dem nahen Wald und wurden lauter. Sie folgte Arathorns Blick, als Männer aus dem Wald hervorkamen, Waldläufer, gekleidet in braun und grün, zu Pferd und zu Fuß, und einer hielt ein Pferd an den Zügeln, welches ohne Reiter war. Ohne ein Wort stand Arathorn auf und seine Finger entglitten Gilraens Griff. Ihre Hände, die ihn halten wollten, griffen ins Leere, als er davon schritt und sich nicht mehr umsah. Er gelangte zu den Waldläufern und bestieg sein Pferd. Dann zog er sein Schwert, und die Gruppe wandte sich um und marschierte davon. Gilraen war aufgesprungen, wollte hinterher, doch ihre Beine gehorchten ihr nicht, und sie stolperte und fiel. Das Kind an ihrem Körper begann zu weinen, und sie vermochte nicht, es zu beruhigen. Hilflos lag sie auf dem grünen Gras und das laute Weinen des Kindes hallte auf den endlosen Weiten der Wiese wieder und vermischte sich mit dem Geräusch der Pferdehufe, als die Reiter endgültig zwischen den Bäumen verschwanden.
Gilraen riss die Augen auf und keuchte erschrocken, als sie sich mit einem Ruck im Stuhl aufrichtete. Wärme und Müdigkeit hatten sie in einen Halbschlaf entführt gehabt und zwischen leichtem Traum und unbewussten Wachen gefangen, und sie brauchte ein paar Sekunden, um sich klar zu werden, wo sie sich befand. Das Feuer vor ihr prasselte nicht mehr so stark, die Flammen waren niedriger geworden. Ihr Nacken stach, doch sie ignorierte den unerklärlichen Schmerz. Sie hörte wie der Wind um die Ecken der Hütte pfiff, der Sturm hatte eindeutig zugenommen.
‚Habe ich geschlafen?' fragte sie sich selbst. ‚Es war so real…'
Gilraen atmete tief ein. Ihr Blick fiel auf ihre Hände, die fest um die Stuhlkante geklammert waren, und es kostete sie willentliche Mühe, sie zu lösen und in ihren Schoß zu legen. ‚Habe ich das wirklich nur geträumt?' Sie konnte sich selbst nicht wirklich überzeugen, zu real waren ihr die Geräusche erschienen, die Stimmen und Pferde, und diese seltsame, sie zermürbende Angst der letzten Stunden hielt sie noch immer gefangen, nur stärker noch jetzt, und drängender. Sie stand auf. Sie musste hinaus. Kein Verstand diktierte ihr, nur eine seltsame Ahnung. Sie musste sehen.
Ihre Schritte waren erstaunlich ruhig, bei weitem ruhiger als ihr Innerstes. Sie war schon fast an der Tür, nahezu schlafwandlerisch war sie dorthin gelangt, als es klopfte, schnell, fast schon hektisch. Gilraen blieb stehen. Ihr fröstelte plötzlich. Sie zog das Tuch, das noch um ihre Schultern lag, enger und sagte mit fester Stimme: „Ja bitte? Tretet ein!" Die Tür flog auf, und kalter Wind wehte kräftig hinein und mit ihm ein paar Regentropfen, der Sturm war wahrhaftig stärker geworden. Es war Javena. Sie trug ihr Nachtgewand, darüber ihren warmen, jetzt feuchten Mantel, den sie mit einer Hand verkrampft geschlossen hielt. Ihr hellbraunes Haar war offen und hing ihr wirr über die Schultern. Sie schien direkt aus dem Schlaf gerissen worden zu sein.
„Herrin, ich bin es, Javena." sagte sie, fast atemlos, dann stutzte sie. „Seid ihr nicht im Bett gewesen?" Gilraen schüttelte nur mit dem Kopf. Sie sprach kein Wort. Javena schaute noch immer verwundert drein, besann sich aber auf ihr Anliegen. „Herrin, es sind Reiter gekommen. Elben sind es, die jungen Herren aus Bruchtal voran. Sie wollen Euch sehen!"
‚Reiter'
Ein kalter Windzug fuhr Gilraen unerbittlich durchs Gesicht. Sie spürte ihren Herzschlag bis zum Hals. Ihre Kehle war eng und trocken, doch dann sagte sie mit nüchterner Stimme: „Sie sollen zu mir kommen." Javena nickte eilig und schloss die Tür wieder hinter sich. Stille. Minuten verstrichen wie Stunden und Gilraen stand nur da, ohne Gedanken, ihr Hals wie zugeschnürt und das Atmen schwer. Ein Holzscheit knackte im Kamin. Ihre Arme hingen fast leblos an ihrer Seite, und sie wartete, bereit auf alles, was kommen möge und doch so unvorbereitet, wie ein Mensch nur sein konnte, der hoffte, dass doch etwas Anderes auf ihn zukommen möge als das, was er erwartete.
Plötzlich erklang wieder ein Klopfen an der Tür, ruhiger jetzt als zuvor, und leichter. „Ja?" war alles, was Gilraen zu sagen vermochte, und die Tür öffnete sich, und mit dem kalten Luftzug kam geschwind ein jung aussehender Mann herein, der geschickt und leise die Tür wieder hinter sich schloss, um den Wind auszusperren. Er war groß und dunkelhaarig, von schlanker Gestalt, und er trug edle, elbische Kleidung, verborgen unter einem nassen Mantel. Doch die Kleidung war zerrissen und schmutzverkrustet, und voller Schmutz war auch sein schönes und zeitloses Gesicht, in das Gilraen blickte. Schmutz, verwaschen von Wasser, und Blut war an seiner Stirn von einem Kratzer. Der wütend rote Strich stand in deutlichem Gegensatz zu den ebenmäßigen Gesichtszügen des Elben. Für jeden anderen hätte er wahrscheinlich ruhig und gesetzt gewirkt, doch Gilraen sah Erschöpfung in seinen ihr bekannten Augen, Unsicherheit und… Traurigkeit. Plötzlich breitet sich Furcht in Gilraen aus, sie wollte diesem Ort fliehen und blieb doch ohne Regung, wo sie war.
‚Kein Wort.' intonierte eine Stimme in ihrem Kopf. ‚Ich kann es nicht ertragen. Kein Wort. Keinen Laut. Bitte!'
Ihr stummes Flehen verhallte noch in ihren Gedanken, als der Elb zu sprechen begann, und Gilraen zuckte unmerklich zusammen. „Cen suilon, Gilraen, brennil Dúnedain."*
Seine Stimme war weich, fast melodisch, wie bei den meisten Elben, und es gab nichts, was Gilraen in diesem Moment mehr verabscheute als diesen wundervollen und klingenden Unterton. Er passte nicht. Nichts passte.
Die Worte brannten in ihrem Hals, als sie sprach. „Seid willkommen, Herr Elladan." Ihre gebrochene Stimme ließ keinen Zweifel daran, dass sie Unheil ahnte. Wasser tropfte vom Mantel des Elben und bildete einen kleinen See auf dem Boden. Jeder kleine Tropfen, der fiel, schien beim Aufkommen ein dröhnendes Geräusch zu machen.
„Herrin," sagte der Elb, „ich komme zu euch mit schwerer Kunde."
Gilraen konnte selbst nicht fassen, wie sie so ruhig bleiben konnte. Ihr Herz pochte lauter, doch sie nickte nur langsam. Körper und Geist schienen ihr völlig getrennt voneinander zu funktionieren. Ihr Blick war fest auf das Gesicht des jungen Herrn Elladan gerichtet. Sie wusste, dass er sehr viel älter war, als sein Äußeres vermuten ließ. Wahrscheinlich hatte er in seinem Leben schon sehr viel mehr erlebt, als Gilraen je erleben würde, doch sie glaubte, in seinen Augen eine ungewöhnliche Anteilnahme und eigene Trauer sehen zu können.
„Meinen Bruder," begann Elladan seltsam langsam, und seine Worte waren schwer, „ließ ich draußen zurück bei unserem Gefolge, er wacht dort bei…" „Nicht!" unterbrach ihn Gilraen mit schwach erhobener Hand und trockener Stimme. Jedes seiner kommenden Worte hätte sie erraten können. Sie wusste es. Alles. Sie blickte auf den Boden vor sich. Elladan verstand und schwieg. Dafür ging er langsam auf sie zu und streckte, als er vor ihr stand, seinen Arm aus und öffnete seine Hand. Eine Brosche lag darauf, ein silberner Stern. Ein erstickter Laut entfuhr Gilraens Lippen, als jede böse Ahnung endgültig Gewissheit wurde. Ihre Augen begannen zu brennen, doch nicht eine Träne fiel, als sie mit langsamen Bewegung die Brosche an sich nahm. ‚Das Erbe von Elenna,' fuhr ihr durch den Kopf, ‚Auge des Sturms. Vorbote. Veränderung.' Und dann ein monotoner Gedanke, simpel und völlig bedeutungslos, nutzlos darin, sich selbst zu überzeugen, dass dieser Schreckenstraum nicht Realität war. ‚Nein. Nein. Nein.'
Sie wollte fort, ihr ganzes Sein wollte dem Anblick fliehen, doch sie wusste, nichts würde sich ändern, wenn sie jetzt die Augen schlösse. Ihre Hände würden noch immer die harten, kalten Spitzen des Sternes betasten, die ihr in die Fingerkuppen stachen, Elladan würde noch immer vor ihr stehen, nass, erschöpft, scheinbar ruhig, und Arathorn, er würde noch immer irgendwo dort draußen im Regen sein, leblos, bleich.
Tot.
Tot.
Sie wusste es, sie hatte es die ganze Zeit gewusst. Seine Hand war der Ihren entglitten. Endgültig. „Wie?" war alles, was sie noch sagen und denken konnte, alles, was sie noch wissen musste.
Elladan sah sie einen Moment lang schweigend an, und sein Gesicht war nun offen voller Kummer und Schmerz, doch ihre Augen flehten um Antwort, und so sprach er, zögerlich zwar aber grausam ehrlich:
„Wir waren bereits auf dem Rückweg des glorreichen Zuges gegen die Orkbanden, die von den Gebirgen hinunter ins Tal gezogen waren, als wir in einen Hinterhalt gerieten. Der Ort war schlecht geeignet für einen Kampf zu Pferd, doch trotz der Überraschung schlugen wir uns gut. Fast hätten wir sie in die Flucht getrieben, und zu früh gaben wir Angriff und Verteidigung auf, zu früh ließ unsere Wachsamkeit nach. Ein weitere Trupp mit Ork-Bogenschützen lauerte auf uns, und ein Pfeilhagel traf uns unvorbereitet. Mehrere wurden verwundet, und wir zogen uns zurück, als einer der Waldläufer fiel. Arathorn wandte sich um zu ihm, um ihm zu helfen, und ich bemerkte es zu spät, um einzugreifen. Ein Ork-Pfeil traf ihn… er flog in sein Auge und durchbohrte es."
Ein gepresster Schreckenslaut entfuhr Gilraen, und dann stieg Übelkeit in ihr hoch, ihr Hals brannte, und sie schloss die Augen und presste mit aller Macht die Hand auf ihren Mund und kämpfte. Gegen den Schrei, gegen die Übelkeit, gegen die Ohnmacht und die Wut. Sie war stark, dass wusste sie. Doch ihr war, als risse ihr jemand das Herz aus der Brust. In ihrem Kopf flogen die Gedanken wie wirre Stimmen umher.
‚Ein Ork-Pfeil traf ihn…'
‚Atme.'
‚Keiner deiner Schmerzen ist vergleichbar mit dem, was er durchlitt.'
‚Sei stark.'
‚Atme.'
‚Nein. Ich kann nicht. Das kann ich nicht.'
‚Du musst. Sei stark. Sei es für deinen Sohn.'
‚Aragorn!'
‚Vorbei. Nie wieder.'
‚Warum?'
‚Nein. Nein. Nein.'
‚Atme!'
Und sie öffnete die Augen wieder und entließ die Luft aus ihren Lungen, die sie unbewusst angehalten hatte. Sie fühlte sich furchtbar leer.
Der Raum nahm wieder Gestalt an. Elladan stand vor ihr, und er hielt sie mit leichtem Griff an den Schultern fest, als fürchte er, sie könne fallen. Doch sie schwankte nicht. Sie sah nur starr und mit matten Augen den Elben vor ihr an, den Mann, der die letzten Sekunden ihres Ehegatten miterlebt hatte, und der sich offensichtlich Vorwürfe machte, das tragische Ereignis nicht verhindert zu haben. Sein Gesicht war voller Kummer. Gilraen verstand. Das Ganze musste ihn sehr an die Geschehnisse erinnern, die dazu geführt hatten, dass seine Mutter Mittelerde verlassen hatte. Arathorn hatte ihr davon erzählt. Sie wusste, dass dieser Mann vor ihr ihren Kummer, ihre Wut und ihre Ohnmacht vermutlich besser verstehen konnte, als irgend jemand sonst.
Irgendwann vermochte Gilraen wieder zu sprechen, und sie fragte tonlos: „Wie kam sein Ende?"
Elladan nahm seine Hände von Gilraens Schultern und blickte zu Boden. „Wir sahen ihn fallen, und die Wut bemächtigte sich Unser mit unvorstellbarer Macht. Elrohir sammelte die Männer und sie jagten die Orks, und sie ließen keinen am Leben. Ich gelangte zu Arathorn, doch es war nicht möglich ihm zu helfen. Er atmete schwer, er hatte nicht mal die Kraft zu schreien, obwohl seine Schmerzen unvorstellbar gewesen sein müssen. Ich versuchte, es ihm leichter zu machen, und schließlich wurde er ruhiger in meinem Arm. ‚Ich gehe, mein Freund' vermochte er zu mir zu sagen, und dann riss er sich mit letzter Kraft den Silberstern vom Mantel, drückte ihn mir in die Hand und beschwor mich, ihn Euch zu bringen. ‚Für Aragorn.' sagte er, und das war das Letzte, was er sprach. Ich hielt ihn bei seinem letzten Atemzug."
Nun merkte Gilraen doch, wie ihr die Beine versagten. Sie trat etwas zurück und ließ sich schwer auf einen der Stühle sinken, den Kopf in die Hände gestützt. Sie sah Arathorns Gesicht vor sich. Schwarzes Haar, dunkelgraue Augen, seine Züge hart, rau, gezeichnet vom Wetter und den Bürden, die jederzeit auf seinen Schultern ruhten. Und doch, wenn man ihn im rechten Moment ansah, dann war sein Gesicht voller Wärme, Freude, Zärtlichkeit. Seine Augen versprachen allzeit Sicherheit und Zuversicht, ein helles Leuchten war in ihnen, kräftig, fast hoheitsvoll…
Vorbei.
‚Unsere Tage waren kurz, Geliebter. Haben wir sie richtig gelebt? War es unser Schicksal? Dírhael, Vater, du hast es gesehen. Kein nahender Sturm blieb dir verborgen. Verflucht sei die Voraussicht unseres Volkes!'
Sie blickte auf, und der Schmerz stand noch immer in ihren Augen geschrieben, doch ihre Stimme war klar, als sie sagte: „Ich will zu ihm."
Elladan nickte, und er hielt ihr seine feingliedrige Hand hin, gezeichnet jetzt von Kampf und Mühsal. Gilraen ergriff sie und ließ sich aufhelfen. Sie nahm ihren Mantel, der nahe der Tür hing und warf ihn um. Dann setzte sie die Kapuze auf und verschloss den Mantel, so gut sie es vermochte. Elladan öffnete die Tür und Gilraen ging hinaus. Es regnete stark, und der Wind wehte erbarmungslos.
Viele Fackeln waren im Lager entzündet worden und die Flammen kämpften gegen die Böen und das Wasser, das gnadenlos vom Himmel fiel. Der Regen prasselte auf Gilraens Kapuze, doch es machte ihr nichts aus. Sie nahm ihn wahr und doch auch wieder nicht, sie verfolgte das Geräusch, das entstand, als die Tropfen auf den Stoff fielen, doch es berührte sie nicht. Alles an und in ihr fühlte sich taub an.
Einige Menschen aus der Siedlung waren auf und standen auf den Wegen, die allgemeine Aufregung war spürbar. Die Leute trotzten dem Wetter so gut es ging. Viele Augen musterten Gilraen, als sie hinaus trat. Fragen, Mitleid… vieles ließ sich in den Blicken lesen. Gilraens Gesicht blieb leer. Ihr fehlte die Kraft zu jeglichem Ausdruck. Sie sah Herwa nahebei stehen, und einen Moment lang trafen sich ihre Blicke. Herwas Züge waren genauso ausdruckslos wie die Ihren. Gilraen wusste, dass Herwa sie verstand.
Auch Javena stand in der Nähe, sie war völlig durchnässt und zitterte, doch sie verließ ihren Platz nicht. Gilraen ging zu ihr. Es widerstrebte ihr, Javena um etwas bitten zu müssen, sie hätte dem treusorgenden jungen Mädchen etwas Ruhe gewünscht, doch in dieser Nacht war nichts wie sonst.
„Javena, könntest du bitte bei Aragorn bleiben? Er schläft, aber vielleicht weckt ihn der Aufruhr. Du weißt, wie leicht sein Schlaf sein kann." Javena nickte. „Natürlich." Sie nickte Gilraen zu und ging zur Tür der Hütte.
Gilraen sah fragend zu Elladan. „Ich führe euch, Herrin." sagte dieser dann. Er ging voran, wie immer leichten Schrittes, trotz des aufgeweichten Bodens. Gilraen folgte ihm. Die Menschen machten ihnen Platz, und zusammen schritten der Elb und die Menschenfrau im faden Fackelschein durch die Nacht.
Wird fortgesetzt…
* Cen suilon, Gilraen, brennil Dúnedain = Ich grüße euch, Gilraen, Herrin der Dúnedain
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Kommentare zu den Reviews:
Alistanniel: Danke für dein Review! Der „knuffige Agon" taucht dann im nächsten Kapitel wieder auf.
Shelley: Danke für dein Lob! Ein dreijähriger Neffe? Ich habe Zwillinge als Patenkinder, die sind jetzt auch drei. Ist immer schön, „Anschauungsmaterial" zu haben! Klein Aragorn ist in meiner Geschichte mit zwei Jahren vielleicht sogar schon etwas weit in seiner Entwicklung, aber bei seiner besonderen Abstammung habe ich das einfach mal ignoriert.
Celebithil: Danke für das tolle Lob! Ich habe extra versucht, dann doch mal fertig zu werden mit diesem Kapitel, damit deine Vorahnungen dich nicht umbringen! *g*
Stoffpferd: Was für ein langes Review! Und soviel Lob! Tausendmal Dankeschön! Schön, dass dir das Kapitel gefallen hat. Ich versuche beim Schreiben von Klein Aragorn wirklich, dem erwachsenen Mann einigermaßen gerecht zu werden, das macht sehr viel Spaß und ein Einfall jagt dann ganz schnell den Nächsten! Was deine Reviews angeht: Die sind keinesfalls berüchtigt, vielmehr unheimlich beliebt! Und dann schreibst du ja auch wirklich gut! Daher bin ich sehr stolz, Reviews von dir zu bekommen!
Special K: Heißen so nicht irgendwelche Frühstücksflocken von Kellogs? *g* Danke für dein Review. Dein Kommentar zu meinen langen Sätzen hat mich sehr zum Nachdenken gebracht. Nach einer Weile des Grübelns und Diskutierens mit meinem Freund und einem ähnlichen Kommentar zu einer anderen Sache von mir, bin ich zu folgendem Schluss gekommen: Für den Autor ist wahrscheinlich „Weniger ist mehr" eine gute Leitregel, für den Leser ist es dagegen oft ein guter Anspruch, auch lange Sätze zu verstehen. Als Mittelweg habe ich bei diesem aktuellen Kapitel alle meine Sätze sorgfältig noch mal betrachtet und notfalls auch abgeändert. Grundsätzlich will ich sowieso versuchen, weniger komplizierte Strukturen zu bauen. Trotzdem glaube ich, dass ein gewisser Sprachstil einen gewissen Anspruch braucht, und diese Geschichte soll ein bisschen altertümlich klingen, das ist gewollt. Ich versuche, die Geschichte sehr bildlich zu machen, und ich will die Sätze nicht zu einfach halten. Zusätzlich sollen, besonders in diesem Kapitel, wirre Gedanken und Stimmungen festgehalten werden, und Eindrücke sind oft kompliziert und wenig sortiert. Daher ist für diese Geschichte ein „schwieriger" Sprachstil Absicht.
Laureliel: Hallo Elrond Fan! Danke für dein Review! Brauchst gar nicht betteln, Elrond wird vorkommen, das ist so geplant. Allerdings erst im letzten Kapitel, da die Hauptperson Gilraen bleibt. Dafür wird ihm wohl das Ende der Geschichte zustehen.
Salara: Ich hab mich sehr gefreut, dass dich die Geschichte so begeistert! Danke! Hoffentlich hat dir als Elben Fan Elladans Auftritt gefallen. Ein bisschen was werden wir von Elben wohl noch hören, denke ich. Auf jeden Fall im letzten Kapitel!
ManuKu: Vielen lieben Dank für dieses tolle Review! Ich habe mich tierisch gefreut! Und gleich danach bin ich knallrot geworden. Am Telefon wird jetzt schon erwähnt, dass ich was Neues gemacht habe? Ich fühle mich wirklich sehr geehrt! Und soviel Lob auch noch, das haut die stärkste Autorin um. *g* Ja, die Geschichte ist tatsächlich sehr emotional geworden. Sie war zwar auf „düster" angelegt, aber es ist beim Schreiben dann doch noch trauriger geworden, als ich selbst gedacht hatte. Und, musstest du weinen beim aktuellen Kapitel? Ich bin übrigens noch nicht selber Mutter, aber Patentante von Zwillingen (siehe Kommentar zu Shelley). Wir sehen uns ja dann beim letzten Kapitel eurer Story (und bestimmt auch beim Ersten der neuen Geschichte), ich freue mich schon!
