Planet der Kristalle
Endymion hielt den Atem an, als ChibiChibi die Arme hob. Das kleine Mädchen lächelte ihm ermutigend zu, dann schloss sie die Augen, konzentrierte sich. Grelles Licht hüllte sie ein und einen Augenblick später hatte er das Gefühl von einem gewaltigen Sog erfasst zu werden. Doch ebenso schnell war das unheimliche Gefühl wieder verschwunden.
"Du kannst ruhig Luft holen", sagte ChibiChibi amüsiert.
Dann war auch das grelle Licht weg und er erkannte, dass er in einer goldenen Energieblase durch den Weltraum schoss.
Die Sterne waren nur flüchtige Striche, so wie in den Science Fiction Filmen, die er damals im 20 Jahrhundert ab und zu geschaut hatte.
"Wie lange wird es dauern?", fragte er unsicher.
"Nur ein paar Stunden", erklärte ChibiChibi. "Eigentlich reisen wir ja schneller als das Licht, sonst wären wir Jahrhunderte unterwegs. Aber da das sehr viel Kraft kosten wird, habe ich es bis hierher gemütlicher genommen."
"Kann ich dir irgendwie helfen?"
"Ja, du kannst mich runter lassen", sagte das Mädchen. Unsicher starrte er hinab in die Unendlichkeit, die unter seinen Füßen vorüber sauste.
"Keine Sorge, die Blase wird halten."
Vorsichtig setzte er ChibiChibi ab. Sie murmelte ein Wort und die Blase legte an Geschwindigkeit zu. Die Farben der Sterne veränderte sich, wurde grell lila, dann wieder strahlend weiß und einen Atemzug später waren sie verschwunden.
"Was ist passiert?" Endymion gab sich alle Mühe, seine Stimme fest klingen zu lassen.
ChibiChibi sah ihn nicht an, sie hatte ihre Augen geschlossen und die Arme weit ausgebreitet. "Ich lenke uns durch einen Raum-Zeit-Korridor. Wenn ich alles richtig berechnet habe, so müssten Chrystallion in etwa zwei Stunden erreichen. Du kannst meinetwegen solange schlafen, aber störe mich nicht. Wenn ich die Konzentration verliere kommen wir vom Kurs ab und können weiß der Himmel wo landen."
Endymion schluckte. Als ob er hier im Nichts schlafen könnte! "Ich werde mich nicht rühren!", versprach er. Die Minuten rannen wie Honig dahin, jede einzelne eine Ewigkeit. Endymion wagte es nicht, den Blick von ChibiChibi zu wenden, die allein mit ihrem Geist die Kugel durch diese tintenschwarze Finsternis lenkte. Er hatte keine Ahnung, wie das kleine Mädchen überhaupt ihre Position bestimmen konnte oder woher sie wusste, wann sie ihren Körper mehr nach links oder nach rechts neigen musste.
Die ersten Schweißtropfen erschienen auf ChibiChibis Stirn und Endymion war versucht, ihr die Hände auf die schmalen Schultern zu legen, um ihr von seiner Kraft zu geben. Allein der Gedanke, dass dies sie aus dem Gleichgewicht bringen und ihre Reise scheitern lassen könnte, hielt ihn davon ab.
Plötzlich schlug ChibiChibi die Hände zusammen, es gab einen Ruck und die Sterne erschienen wieder. Aus den dünnen Strichen wurden breitere und kürzere und endlich standen die hellen Punkte still. Nicht weit unter ihnen brannte ein Stern besonders hell, sein goldenes Feuer schien sie zu rufen.
"Du fühlst es also auch", murmelte ChibiChibi zufrieden. "Das Zeichen des Mondes auf unserer Stirn, es reagiert auf die Sonne von Chrystallion. Wir haben es fast geschafft!"
"Wenn das da unten Chrystallions Sonne ist, wo ist dann Chrystallion selbst?", fragte Endymion. Er konnte noch so sehr den Kopf verrenken, rings um ihn war nur der Weltraum, keine Spur von einem Planeten, der zu dieser Sonne gehören konnte.
"Denk an das Schild!", ermahnte ihn ChibiChibi. "Es muss sehr stark sein, wenn ich nur daran denke, dass ich überzeugt war, außer der Erde alle Welten zerstört zu haben ... diese da hätte ich nie gefunden, auch nicht mit der Macht des Chaos in mir."
"Und wie finden wir den Planeten?"
"Wir lassen uns einfach von unserem Gefühl leiten", erklärte das kleine Mädchen. "Nimm meine Hand und schließe deine Augen, konzentriere dich einfach nur auf das ziehende Gefühl, das von dem Silbermal an deiner Stirn ausgeht. Ich werde das gleiche tun und so steuere ich uns durch den Schirm. Mach dich auf einen Schock gefasst, wenn wir plötzlich eine ganze Welt vor uns haben."
Endymion nickte, nahm ChibiChibis Hand und schloss seine Augen. Das ziehende Gefühl war nicht zu verkennen. Automatisch wandte er den Kopf dahin, wo das Zeichen es wollte, ChibiChibi tat das synchron mit ihm und die Energieblase glitt auf die Sonne zu, als sie den Schirm durchschnitten, fühlte es sich an, als riesele Eiswasser auf sie herab. Die Kraft des Schirmes löschte die Mondzeichen auf ihrer Stirn aus, aber sie hatten ihren Zweck erfüllt. Geschützt durch die Blase, glitten sie durch die Atmosphäre Chrystallions. Dabei wurde es innerhalb ganz schön ungemütlich warm.
"Ich nehme einen flachen Kurs", sagte ChibiChibi und man merkte ihr die Erschöpfung an, "so brennen wir nicht wie ein Meteor und fallen nicht so sehr auf. Wenn wir erst unten sind, dann werde ich mich so benehmen müssen, wie man von einem kleinen Mädchen erwartet. Also stell mir keine komplizierten Fragen und behandle mich wie deine kleine Schwester, außer wir sind allein."
Endymion unterdrückte ein Schmunzeln. ChibiChibi, nein Galaxia, hatte anscheinend das Kommando über die Rettungsmission übernommen. Waren sie erst unten, würde sie sich von allen in der Babysprache anreden lassen müssen, und so tun, als hätte sie nichts im Kopf als niedlich auszusehen und "Chibi" zu sagen .... Er konzentrierte sich auf die Landschaft, die unter ihnen vorbei raste. Es gab anscheinend nur einen Hauptkontinent, etwa so groß wie Afrika. Ansonsten sah er nur ein paar versprengte Inselchen im Meer.
"Sieht so aus, als hätte man mit dem Messer die Grenzen gezogen", überlegte ChibiChibi beim Anblick des Kontinents halblaut und Endymion musste ihr recht geben. Der Großteil des Kontinents war Wildnis, Gebirge, Steppen, Wälder, Sümpfe, Seen. Der Rest bestand zu 90 Prozent aus Landwirtschaftlichen Nutzflächen, ausgedehnte Felder, Wiesen auf denen Rinder (oder etwas sehr ähnlich Aussehendes) grasten nur durchbrochen von kleinen bewirtschafteten Wäldern und Hügeln auf deren Spitzen kleine Dörfer hockten, flache Gebäude mit roten Ziegeldächern, Gärten, bunt gestrichene Zäune, Fischteiche ...
Die restlichen Zehn Prozent teilten sich etwa zu fünf Achteln in eine Parkähnliche Landschaft, gepflegte Rasenflächen, zu Figuren gestutzte Hecken, Blumebeete und blühende Buschreihen, Zierteiche, mit weißem Kies gesäumte Bäche und in Marmor gefasste Kanäle, dazwischen immer wieder Springbrunnen, Pavillons und ab und zu Gebäude, die ihn vom Stil her schmerzhaft an den zerstörten Mondpalast erinnerten. Die ganze Anlage ähnelte stark dem Mondreich zur Blütezeit, und Endymion vermutete, dass die ausgewanderten Serenitys auf diese Art ein Stück Heimatwelt wieder hatten auferstehen lassen wollen.
Was übrig blieb, ware eine, in einen weiten Talkessel eingebettete Stadt. Irgendwer hatte wohl vor langer Zeit beschlossen, dass sie eine Sternform haben musste und von der Spitze jeder Zacke sowie dem tiefsten Punkt zwischen den Zacken lief eine lila gepflasterte Straße kerzengerade auf die Mitte der Stadt zu, alle lila Straßen trafen sich dort auf einem zentralen Platz, den ein gewaltiger Palast krönte, weiß mit einem Dach das in der Sonne funkelte, als hätte man jede einzelne Dachschindel aus Amethyst geschnitten. Da die Hauptstraßen selbst in regelmäßigen Abständen durch ebenfalls lila gepflasterte Seitenstraßen verbunden waren, sah das ganze von oben aus wie ein weißer Stern, über den man ein lila Spinnennetz gelegt hatte.
Nicht alle Gebäude waren gleich groß oder gleich prächtig. Je näher es dem Stadtrand zuging desto dichter gedrängt standen die Häuser, desto enger wanden sich die weißen oder doch schon eher grauen Gassen hindurch. Nahe dem Zentrum standen hingegen prachtvolle Bauten, ein jeder von einem weitläufigen Park umgeben und die Dächer leuchteten in den verschiedensten Edelsteinfarben.
"Wir landen wohl besser irgendwo in einem Hinterhof", schlug Endymion vor und ChibiChibi war einverstanden. Sie lenkte die Energieblase in einen mit Unkraut überwucherten Hof, wo zwischen vergammelten Holzkisten und rostigen Eisenteilen flinke, weißfellige Nagetiere herum huschten.
"Bis du auch ganz sicher, dass uns niemand beobachtet hat?", fragte Endymion und sah sich vorsichtig um.
"Ganz sicher", erwiderte ChibiChibi und ließ die Energieblase verschwinden.
"Gut, dann sondieren wir mal die Lage", murmelte Endymion und marschierte zum einzigen Ausgang des Hofes. Die Gasse dahinter sah nicht viel besser aus als der Hof, schmutzig und mit Abfall übersät. Sie mündete in einen weiteren Hinterhof, der jedoch keinesfalls verlassen war. Drei junge Burschen saßen um einen kleinen Haufen von Münzen und anderen glitzernden Gegenständen, als sie die beiden Eindringlinge bemerkten, sprangen sie erschrocken hoch.
"Verdammt!", fluchte der kleinste von ihnen und sah dabei den mittleren vorsichtig an, "Gilmor, hast du nicht gesagt, der Hof sei leer?"
Endymion war erleichtert. Er hatte schon gefürchtet, dass er kein Wort der Sprache von Chrystallion verstehen würde. Ein schwaches Prickeln an jener Stelle seiner Stirn, wo zuvor das silberne Mondsymbol gewesen war, ließ ihn vermuten, dass der Zauber der Mondkönigin weiter gegangen war, als er gedacht hatte.
"Sieh dir nur den feinen Pinkel an", grunzte der größte der drei, der zugleich auch der dickste war. "Der kommt bestimmt aus einem der KristallClans. Wohl ein Zeremonienmeister oder sonst was. Dem wird es noch leid tun, dass er sich in die Grauen Winkel verirrt hat."
Der gehässige Tonfall verwirrte Endymion nicht mehr als die Worte selbst. Automatisch hatte er angenommen, dass alle Bewohner des Planeten einem der Clans angehören würden. Doch offenbar war es nicht so und wie es schien, waren die Mitglieder der Clans offenbar so etwas wie Adelige und unter dem gewöhnlichen Volk nicht sehr beliebt.
Was sollte er tun? Sich als Fremder zu erkennen zu geben, ohne die Machtverhältnisse des Planeten gründlich studiert zu haben, kam ihm genau so falsch vor, wie sich einer Lüge zu bedienen. Also zögerte er, etwas zu sagen.
"Der feine Herr ist offenbar zu nobel, um mit uns reden", ätzte der mittlere Bursche. "Vielleicht sollten wir ihm die Zunge ein wenig lockern...". Er lachte hart und fischte einen Prügel aus seiner zerlumpten Jacke heraus. "Womöglich hat ihn die Tussi geschickt, der du die Börse abgenommen hast, Rugal."
Der Kleine nickte. "Könnte sein, der dumme Bauer, den du bis aufs Hemd geplündert hast, Gilmor, kann sich keinen so teuer ausstaffierten Diener leisten." Er langte nun ebenfalls in seine Jacke und zog einen ähnlichen Prügel heraus.
"Der wird nicht mehr lange teuer ausstaffiert sein", grinste der größte. "Dem ziehen wir das Hemd auch noch aus ... nachher.." Nun hatten sie alle drei ihre Prügel und kamen damit langsam, aber mit drohenden Minen auf Endymion zu. ChibiChibi, die sich hinter einer Kiste geduckt hatte, bemerkten sie offensichtlich nicht.
Das letzte, das Endymion brauchen konnte, war eine Schlägerei, die vielleicht die Ordnungshüter der Stadt auf ihn aufmerksam machte. Vorsichtig wich er vor den dreien zurück, einen Schritt, noch einen, einen dritten ... dann stand er mit dem Rücken an der Wand. Keine Möglichkeit, dem Unheil auszuweichen ... ---------------------------------------------------------------------------- ------- "Das ist die ganze Geschichte", schloss die Mondgöttin und hielt erschöpft inne. Ihr Abbild über dem Schrein der Königin flackerte.
"Großmutter", die neue Königin sah besorgt zu ihr hoch, "du hast dir zuviel zugemutet mit dem, was du vorhin getan hast, nicht?"
"Das hat sie ganz sicher", sagte Pluto ruhig. In ihren Augen war noch immer Müdigkeit und Trauer. "Ihre Macht ist normalerweise auf den Mond beschränkt. Hier auf der Erde kann sie nur durch die Kraft anderer handeln ...." Plutos Augen wanderten zu den Katzen, die sonderbarerweise ebenfalls erschöpft wirkten. "Sie hat euch als Quelle genommen, nicht wahr?"
Luna nickte. "Wir haben immer noch Verbindung zu ihr, tut uns leid, Majestät, dass wir keine größere Hilfe sein können, aber in dieser Form sind unsere Fähigkeiten begrenzt ..."
"Wenn sich jemand entschuldigen muss, dann ich", sagte die Mondkönigin und seufzte, "ich hätte euch wenigstens fragen sollen, bevor ich mich der Macht des alten Eides bediente, um eure Kraft zu nutzen." Sie sah von einem Senshi zum nächsten. "Hört mir zu, ihr alle. Es kann Tage, aber auch Wochen oder Monate dauern bis der König zurückkehrt, falls er es überhaupt schafft."
Bei diesen Worten zog sich das Herz der neuen Königin schmerzhaft zusammen. "Er wird es schaffen, ganz sicher", murmelte sie und Helios legte ihr seine Hand tröstend auf die Schulter. "Das glaube ich auch", sagte er ruhig. "Aber", dabei blickte er wieder die Mondgöttin an, "ich denke dass deine ganze Aktion nur einen Aufschub gebracht hat, sie werden es wieder versuchen."
"Dieser Trottel von einem Bürgermeister soll nur kommen", grollte SailorJuno. "Dem zeigen wir es!"
"So einfach ist das nicht", sagte Sailorneptun bedrückt. "Wenn wir uns offen auf einen Kampf einlassen, werden wir ohne Zweifel verlieren."
"Aber ... aber wir sind doch stärker als dieser dicke Dummkopf!", protestierte Jupiter.
"Ja, aber würdest du deine Stärke gegen die Wachen des Palastes einsetzen? Einen Donnerschlag gegen die Männer, mit denen du immer zusammen trainiert hast?"
Jupiter zögerte, dann sackten ihre Schultern herab und sie starrte auf den Boden. "Nein", sagte sie ganz leise.
"Weshalb sollten die Wachen des Palastes uns angreifen?", fragte SailorPallas. "Sie wissen doch, dass wir niemanden etwas Böses tun und sie haben die Königin doch auch geliebt."
"Aber noch mehr lieben sie ihre eigene Haut, ihre Familien, die außerhalb des Palastes leben", sagte Merkur düster und Mars stimmte ihr zu. "Der Bürgermeister wurde von ihnen gewählt, ihm vertrauen sie. Die Königin hat sich ihnen damals nach dem kalten Schlaf durch ihre Macht sozusagen aufgezwungen. Dabei spielt es keine Rolle, wie oft sie als Serenity oder als Sailormoon diese Welt schon gerettet hat. Wenn Menschen Angst haben, sind sie zu allem fähig und der Bürgermeister ist skrupellos genug, diese Angst solange aufzupeitschen, bis die Menschen blindlings dahin rennen, wohin er sie treiben will."
"Warum sollte er das wollen?", fragte Venus verwirrt. "Was hat er davon, wenn sich alle im Palast aufhalten, dichter gedrängt wie Sardinen?"
"Das weiß ich auch nicht", sagte Mars, "aber ich spüre, dass hinter dem Wunsch des Bürgermeisters noch mehr steckt als nur die Besorgnis um das Wohl der Bürger dieser Stadt. Genaueres kann ich allerdings nicht sagen ..."
"Wir müssten mehr darüber in Erfahrung bringen, was draußen in den Straßen vor sich geht ... ", murmelte Sailoruranus. "Leider kennen die Menschen alle unsere normalen Identitäten, auch wenn wir fast immer als Senshi herumlaufen."
"Aber sie kennen uns nur als Katzen", meldete sich Diana. "Wenn Mondkönigin Serenity uns hilft, können wir als Menschen unerkannt durch die Stadt wandern und für euch die nötigen Informationen sammeln."
"Ich kann nichts versprechen", sagte die Mondgöttin. "Ich bräuchte eine andere Kraftquelle, denn die Aufhebung der Verwandlung ist eine heikle Angelegenheit."
"Wie wäre es mit mir", bot sich Jupiter gleich an.
"Das geht nicht, weil zwischen uns kein Band besteht, du trägst kein Mondzeichen auf der Stirn."
"Aber ich", Neo Königin Serenity II. trat vor. "Bisher war ich ziemlich nutzlos, aber das wird sich ändern. Du kannst dich meiner Kraft bedienen, Großmutter."
"Und was tun wir in der Zwischenzeit?", maulte SailorCeres, "Däumchen drehen und zuschauen, wie sie zu Ende bringen, was sie begonnen haben?"
"Natürlich nicht", sagte die Mondgöttin. "Nur weil ihr keine aggressiven Waffen gegen die Menschen einsetzen könnt, seid ihr noch lange nicht hilflos. Besinnt euch auf eure anderen Fähigkeiten und wenn eure Kraft als Senshi nicht ausreicht, dann soll Pluto euch zeigen, was sie in den alten Bücher über die Verlorenen Kräfte der Planetenkrieger gefunden hat...."
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Auf Chrystallion....
Die hochgewachsene Frau saß unbeweglich wie eine Statue auf dem funkelnden Amethystthron. Ihre lavendelfarbenen Gewänder waren nur ein Hauch von Stoff und verbargen den makellosen Körper darunter kaum. Ihr ebenmäßiges Gesicht zeigte keine Regung, als zwei Wachen einen schwarz gewandten Mann vor sie zerrten. Der untersetzte Gefangene wehrte sich nach Kräften, aber man sah im an, dass er am Ende war. Schweiß lief ihm über die Wangen und versickerte in dem dunklen Bartgestrüpp, das die untere Hälfte seines Gesichtes einnahm. Die Lumpen, die er trug, konnten nicht verbergen, dass seinem Wesen etwas Nobles anhaftete, eine Aura der verblassten Macht.
"So sieht man sich wieder", schnurrte die Frau auf dem Thron mit samtweicher Stimme. Sie rekelte sich auf dem lila Samtkissen und der Blick aus ihren übergroßen lila Augen mit den unglaublich langen, gebogenen Wimpern hätte wohl jedes Männerherz höher schlagen lassen. Trotz seiner misslichen Lage saugte sich der Blick des Gefangenen an ihrem verheißungsvollen Lächeln fest, glitt über den Körper, der sacht hin und her wiegte wie eine Schlange zur Musik ihres Beschwörers und er begann am ganzen Körper zu zittern.
Die Wachen starrten fest zu Boden, aber auch ihr Griff ums eine Arme wurde lockerer und sie atmeten heftig.
Dann mit einem Schlag saß die Frau wieder starr auf dem Thron, das Gesicht ruhig und der Blick kalt und abwägend. "Ihr könnt jetzt gehen", sagte sie stählern zu den Wachen.
"Aber .. Eure Kaiserliche Hoheit ... ist das nicht zu gefährlich ....?", wagte der jüngere Wächter zaghaft einzuwenden.
Die Kaiserin lachte, ein warmes, dunkles Lachen, das alle drei Männer zum Schwitzen brachte. "Gefährlich? ... vielleicht aber nur für ihn ..." Ihr Lachen erstarb. "Geht, habe ich befohlen!" Wie ein Peitschenknall traf der kalte Befehl die beiden Wächter. Die zuckten zusammen, ließen den Gefangenen los, salutierten und marschierten aus dem Saal. Die Kaiserin war allein mit dem Gefangenen.
Durch ihren kalte Stimme von vorhin, hatte auch er wieder zu seinem Gleichgewicht gefunden und starrte sie hasserfüllt an.
"Aber ... aber... ", säuselte sie ... "wo bleiben Eure Manieren, Lord Feodor? Wollt Ihr nicht vor Eurer Kaiserin niederknien?"
"Ich knie nicht vor einer falschen Herrscherin", bracht er heiser hervor. "Lieber sterbe ich!"
"Das ... wird noch kommen", sagte sie samtweich, "später ...."
Sie richtete sich auf und beschwor einen Kristall, der fast so groß war wie ein Kinderkopf und wie ein riesiger Amethyst in verschiedene Lilatönen schimmerte. Sein Licht überstrahlte die prächtigen Kronleuchter an der Decke. "So ... und nun werdet ihr mir sage, wo eure Lady sich versteckt hält", sagte die Kaiserin freundlich, doch Feodor erwiderte ihren nachsichtig sanften Blick voller Hass und Abscheu. "Niemals", krächzte er obgleich ihm der Schweiß in Strömen über das Gesicht lief.
"Dann habe ich euch wohl noch nicht genug überzeugt", sagte sie und hob den Kristall höher. Lilafarbenes Licht strömte von ihm auf sie über und ihr ohnehin verführerisch schöner Körper war nun in eine Aura der Anziehung getaucht, der auch kein Stein hätte Widerstand leisten können.
"Ammetista, du Hexe ..." keuchte er mit dem letzten Rest des Widerstandes voll Abscheu auf sich selbst, aber dann ließ sie den Kristall verschwinden und begann wieder ihre schlängelnden Bewegungen. worauf er mit einem Würgen zusammenbrach. Auf allen vieren kroch er zum Thron nur noch von dem Gedanken beseelt, die Schönheit zu Berühren und sein hell brennendes Begehren zu stillen.
Sie lächelte ihn an, aber schüttelte verneinend den Kopf, als er ihr nahe gekommen war. Aus dem Nichts war sie von einem unsichtbaren Schild umhüllt, das jede Berührung unmöglich machte. Frustriert flehte Feodor um ein Streicheln, einen Kuss ... aber sie sagte nur: "Erst das Versteck deiner Lady ... dann die Belohnung." So wie sie das Wort Belohnung aussprach, ihn dabei durch die langen Wimpern hindurch ansah und sich mit der Zunge über die Unterlippe fuhr, brach der letzte innere Wall in Feodor zusammen.
"In den Grauen Winkeln ... Planquadrat B 13, altes Lagerhaus, darin ein verborgener Eingang im Boden, verdeckt von Gerümpel ... seht euch nach ein paar zerschlagenen schwarzen Vasen um.... bitte, bitte, bitte ...", wimmerte er und drückte gegen den Schutzschild.
"Na also", säuselte Kaiserin Ammetista, der Schild verschwand und sie ließ es zu, dass er seine Arme um sie schlang. Sie war ein Stück größer als er und als sie sich zum Kuss herabbeugte, glaubte er, der Himmel werde sich gleich für ihn auftun. Ihre Lippen strichen nur sacht über die seinen, er seufzte, verdrehte die Augen und brach tot zusammen.
Sogleich löste sich die Aura der Verführung auf, sie stieß ihn angewidert von sich und schnippte mit den Fingern. Zwei Mädchen mit faden Gesichtern und lose hängenden Kitteln erschienen aus dem Schatten und legten ihr einen weiten Mantel aus lila Samt mit weißem Fellkragen um die Schultern. Sie schloss ihn und die Verführerin war verschwunden. Die weiche Masse ihrer lila Locken wurde mit ein paar Bürstenstrichen und einem perlenbesetzten Haarnetz gebändigt und ein feuchtes Tuch entfernte das Make-up aus ihrem Gesicht. Nun war sie immer noch wunderschön, aber viel mehr die kalte, entschlossene Herrscherin, die zuvor unter der Aura verborgen geblieben war.
"Ruft den Captain der Grauen Garde", wie sie die Mädchen an. Beide verneigten sich und verschmolzen mit den Schatten der Säulen, wo sie lautlos durch verborgene Eingänge den Thronsaal verließen.
Als Dregod, der Captain der grauen Garde, den Saal betrat saß sie bereits wieder hoheitsvoll auf dem Thron. Zu ihren Füßen lag immer noch die Leiche Lord Feodors. "Soll ich sie wegräumen, Hoheit", fragte der hagere Mann in der grauen Rüstung mit unbewegter Stimme.
"Aber nein", lächelte die Kaiserin, "ich möchte Lady Onyas Gesicht sehen, wenn sie den Saal betritt und ihn hier liegen sieht."
"Er hat das Versteck verraten?"
"Habt Ihr daran gezweifelt, Captain Dregod?"
"Nun", er zögerte, wohl wissend, dass er sich auf dünnem Eis bewegte. "Die Liebe von Onya und Feodor galt als legendär."
Ammetista lachte laut. "Ach Dregod, ihr seid nun schon so lange in meinen Diensten und ihr glaubt immer noch an die Liebe?", sie schüttelte verwundert den Kopf. "Liebe ist nur eine Erfindung von Dichtern, Dregod. Wenn die Verlockung stark genug ist, spricht allein die Gier, der niedere Instinkt und dann kommt ans Licht, dass das, was angeblich im Herzen sein soll, im Grunde gar nicht existierte oder falls doch, dann war es oberflächlich und schwach." Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. "Onya hat sich immer viel darauf eingebildet, dass Feodor für sie die Sterne vom Himmel holen würde. Selbst als Feodor das Duell gegen dich verlor, hat sie noch geglaubt, sich mit ihm gemeinsam in den Schatten ein neues Leben aufbauen zu können. Sie hat ihr Haus im Stich gelassen, ihre Leute wurden zu Ausgestoßenen, und sie hat es wirklich geschafft, dass der Onyxkristall sich der Verschmelzung widersetzte. Aber sobald Ihr sie gefangen und zu mir gebracht habt, wird sie Feodor sehen... an seinen Lippen und Händen hängt noch immer das Licht meiner Aura, sie wird wissen, dass er mich gehalten und geküsst hat. Er hat sie verraten und das wird ihren Willen brechen .... und dann gibt auch ihr Kristall seinen Widerstand auf. Er wird mit dem meinen verschmelzen und das ist dann das endgültige aus für den OnyxClan."
"Wo ist das Versteck von Lady Onya?", fragte er ruhig.
Die Kaiserin erklärte es ihm. Er nickte und wandte sich zum Gehen, wobei sein Blick den toten Lord des OnyxClans streifte. Ein Ausdruck des Neides huschte einen Augenblick lang über seine kontrollierten Züge, die Kaiserin bemerkte es nicht. Sie schwelgte in der Vorfreude auf ihren endgültigen Sieg über Lady Onya.
Kaum hatte Captain Dregod den Saal verlassen, trat eine Frau durch eine Seitentüre ein. Sie war fast so groß wie die Kaiserin, das Gesicht, umrahmt von dunkelbraunen Haaren, wäre bestimmt schön zu nennen gewesen, wenn nicht eine Reihe von Krater ähnlichen Narben es verunstaltet hätten. Die langen, seidenweichen Wimpern verdeckten die durchdringenden grauen Augen fast völlig und da sie den Kopf immer geneigt trug, war es unmöglich, den Blick in ihren Augen zu deuten.
Die Kaiserin hob kurz den Kopf. "Was gibt es, Esmena?"
Die in grau gewandte Frau verneigte sich vor dem Thron. "Wir haben einen Eindringling geortet, Hoheit."
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Auf der Erde ...
In einem Sumpf nicht weit von Kristalltokio entfernt ....
Fluchend zog Bürgermeister Rattel seinen fetten Fuß aus dem schlammigen Loch. "Verdammt, verdammt, verdammt ..." Er schüttelte angewidert einige schleimige Pflanzenstengel aus den Falten seiner weiten Hose, und warf einen missmutigen Blick auf die halb versunkenen Bagger und Planierraupen.
"Was sollten wir tun?", fragte der Vorarbeiter verstört. Das Erlebnis, mit seinem Bagger einige Kilometer durch die Luft befördert zu werden und dann ohne nennenswerte Schäden oder Brüche in einem Sumpf zu klatschen, saß ihm noch in den Knochen.
"Was wohl?", keifte der Bürgermeister und schüttelte die Faust in Richtung Kristallpalast. "Wir organisieren ein paar Kräne und ziehen die Maschinen aus dem Dreck."
"Schon klar, aber ich meine, das mit dem Einebnen der Palastgärten ...", wandte der Vorarbeiter ein.
"Wird wie geplant durchgezogen", knurrte Rattel. "Wir sind eine ganze Stadt gegen eine handvoll Frauen und einen weichlichen Prinzgemahl. Wäre doch gelacht, wenn die uns aufhalten könnten."
"Aber ... aber vielleicht sollten wir die Lichtung der Königin in Ruhe lassen und statt dessen woanders ..."
"Kommt nicht in Frage", fuhr ihn Rattel an. "Ich bin der gewählte Bürgermeister dieser Stadt, ich vertrete alle Bürger. Ich versprach, Schluss mit den Privilegien der Reichen und wenn ich jetzt einen Rückzieher mache, kann ich die nächste Wahl in den Schornstein schreiben. Die Königin bekommt ihren angemessenen Ruheplatz und zwar in einer Gruft unter dem Palast, wie es sich gehört. Darüber bauen wir Wohnungen und Büros, die Pläne für meine Räume und das neue Rathaus sind bereits fertig. Wenn es mir gelingt, die neue Königin und ihren König in den Griff zu bekommen, werden auch die sogenannten Sailorkriegerinnen klein beigeben ... immerhin ist es Jahre her, dass sie etwas für uns getan haben. Wir füttern sie seit Gründung der Stadt durch und sobald es etwas zu tun gibt wie beim Angriff des Schwarzen Mondes, verkriechen sie sich in den Palast und schützen gerade mal dieses Gebäude, während der Rest der Welt ringsum in Schutt und Asche fällt. So etwas wird es in Zukunft nicht mehr geben ... wenn der Bau erst begonnen hat, werden die Senshi endlich wieder einmal etwas für ihr Geld tun, das garantiere ich ..." Rattel holte tief Luft. Es hatte keinen Sinn, hier eine ausschweifende Rede zu halten, wo es doch nur Mücken und Frösche als Zuhörer gab. Er sah sich jetzt schon im Thronsaal residieren, die Königin und der König waren Vergangenheit, die Macht des Volkes regierte und er würde diese Macht nutzen, sich von ihr an die Spitze tragen lassen. Erst einmal Bürgermeister, dann vielleicht Senator von Kristalltokio und eines Tages vielleicht sogar Regent ... Jahrelang hatte er sich Wahl um Wahl nach oben arbeiten müssen, Reden halten, Hände schütteln, Sitzungen ertragen, immer das freundliche, joviale Gesicht zur Schau getragen ... es wurde Zeit, dass sich die ganze Mühe auszahlte.
Er schüttelte diese Gedanken ab. Später war Zeit zum Träumen, erst galt es dieses lästige Hindernis auf dem Weg zu seiner Wiederwahl zu beseitigen.
"Wer von euch hat ein funktionierendes Sprechgerät dabei?", fragte er den Vorarbeiter. "Wir können nicht den ganzen Tag nur rumstehen, wir müssen ein paar Kräne herkommen lassen und ich will meine Limousine."
Während der Vorarbeiter sich mit den anderen absprach, um alles zu organisieren, sah der Bürgermeister wieder zum funkelnden Palast hinüber. Nicht mehr lange und er würde ihm gehören ... ihm ganz allein ...
Ende des vierten Kapitels
Endymion hielt den Atem an, als ChibiChibi die Arme hob. Das kleine Mädchen lächelte ihm ermutigend zu, dann schloss sie die Augen, konzentrierte sich. Grelles Licht hüllte sie ein und einen Augenblick später hatte er das Gefühl von einem gewaltigen Sog erfasst zu werden. Doch ebenso schnell war das unheimliche Gefühl wieder verschwunden.
"Du kannst ruhig Luft holen", sagte ChibiChibi amüsiert.
Dann war auch das grelle Licht weg und er erkannte, dass er in einer goldenen Energieblase durch den Weltraum schoss.
Die Sterne waren nur flüchtige Striche, so wie in den Science Fiction Filmen, die er damals im 20 Jahrhundert ab und zu geschaut hatte.
"Wie lange wird es dauern?", fragte er unsicher.
"Nur ein paar Stunden", erklärte ChibiChibi. "Eigentlich reisen wir ja schneller als das Licht, sonst wären wir Jahrhunderte unterwegs. Aber da das sehr viel Kraft kosten wird, habe ich es bis hierher gemütlicher genommen."
"Kann ich dir irgendwie helfen?"
"Ja, du kannst mich runter lassen", sagte das Mädchen. Unsicher starrte er hinab in die Unendlichkeit, die unter seinen Füßen vorüber sauste.
"Keine Sorge, die Blase wird halten."
Vorsichtig setzte er ChibiChibi ab. Sie murmelte ein Wort und die Blase legte an Geschwindigkeit zu. Die Farben der Sterne veränderte sich, wurde grell lila, dann wieder strahlend weiß und einen Atemzug später waren sie verschwunden.
"Was ist passiert?" Endymion gab sich alle Mühe, seine Stimme fest klingen zu lassen.
ChibiChibi sah ihn nicht an, sie hatte ihre Augen geschlossen und die Arme weit ausgebreitet. "Ich lenke uns durch einen Raum-Zeit-Korridor. Wenn ich alles richtig berechnet habe, so müssten Chrystallion in etwa zwei Stunden erreichen. Du kannst meinetwegen solange schlafen, aber störe mich nicht. Wenn ich die Konzentration verliere kommen wir vom Kurs ab und können weiß der Himmel wo landen."
Endymion schluckte. Als ob er hier im Nichts schlafen könnte! "Ich werde mich nicht rühren!", versprach er. Die Minuten rannen wie Honig dahin, jede einzelne eine Ewigkeit. Endymion wagte es nicht, den Blick von ChibiChibi zu wenden, die allein mit ihrem Geist die Kugel durch diese tintenschwarze Finsternis lenkte. Er hatte keine Ahnung, wie das kleine Mädchen überhaupt ihre Position bestimmen konnte oder woher sie wusste, wann sie ihren Körper mehr nach links oder nach rechts neigen musste.
Die ersten Schweißtropfen erschienen auf ChibiChibis Stirn und Endymion war versucht, ihr die Hände auf die schmalen Schultern zu legen, um ihr von seiner Kraft zu geben. Allein der Gedanke, dass dies sie aus dem Gleichgewicht bringen und ihre Reise scheitern lassen könnte, hielt ihn davon ab.
Plötzlich schlug ChibiChibi die Hände zusammen, es gab einen Ruck und die Sterne erschienen wieder. Aus den dünnen Strichen wurden breitere und kürzere und endlich standen die hellen Punkte still. Nicht weit unter ihnen brannte ein Stern besonders hell, sein goldenes Feuer schien sie zu rufen.
"Du fühlst es also auch", murmelte ChibiChibi zufrieden. "Das Zeichen des Mondes auf unserer Stirn, es reagiert auf die Sonne von Chrystallion. Wir haben es fast geschafft!"
"Wenn das da unten Chrystallions Sonne ist, wo ist dann Chrystallion selbst?", fragte Endymion. Er konnte noch so sehr den Kopf verrenken, rings um ihn war nur der Weltraum, keine Spur von einem Planeten, der zu dieser Sonne gehören konnte.
"Denk an das Schild!", ermahnte ihn ChibiChibi. "Es muss sehr stark sein, wenn ich nur daran denke, dass ich überzeugt war, außer der Erde alle Welten zerstört zu haben ... diese da hätte ich nie gefunden, auch nicht mit der Macht des Chaos in mir."
"Und wie finden wir den Planeten?"
"Wir lassen uns einfach von unserem Gefühl leiten", erklärte das kleine Mädchen. "Nimm meine Hand und schließe deine Augen, konzentriere dich einfach nur auf das ziehende Gefühl, das von dem Silbermal an deiner Stirn ausgeht. Ich werde das gleiche tun und so steuere ich uns durch den Schirm. Mach dich auf einen Schock gefasst, wenn wir plötzlich eine ganze Welt vor uns haben."
Endymion nickte, nahm ChibiChibis Hand und schloss seine Augen. Das ziehende Gefühl war nicht zu verkennen. Automatisch wandte er den Kopf dahin, wo das Zeichen es wollte, ChibiChibi tat das synchron mit ihm und die Energieblase glitt auf die Sonne zu, als sie den Schirm durchschnitten, fühlte es sich an, als riesele Eiswasser auf sie herab. Die Kraft des Schirmes löschte die Mondzeichen auf ihrer Stirn aus, aber sie hatten ihren Zweck erfüllt. Geschützt durch die Blase, glitten sie durch die Atmosphäre Chrystallions. Dabei wurde es innerhalb ganz schön ungemütlich warm.
"Ich nehme einen flachen Kurs", sagte ChibiChibi und man merkte ihr die Erschöpfung an, "so brennen wir nicht wie ein Meteor und fallen nicht so sehr auf. Wenn wir erst unten sind, dann werde ich mich so benehmen müssen, wie man von einem kleinen Mädchen erwartet. Also stell mir keine komplizierten Fragen und behandle mich wie deine kleine Schwester, außer wir sind allein."
Endymion unterdrückte ein Schmunzeln. ChibiChibi, nein Galaxia, hatte anscheinend das Kommando über die Rettungsmission übernommen. Waren sie erst unten, würde sie sich von allen in der Babysprache anreden lassen müssen, und so tun, als hätte sie nichts im Kopf als niedlich auszusehen und "Chibi" zu sagen .... Er konzentrierte sich auf die Landschaft, die unter ihnen vorbei raste. Es gab anscheinend nur einen Hauptkontinent, etwa so groß wie Afrika. Ansonsten sah er nur ein paar versprengte Inselchen im Meer.
"Sieht so aus, als hätte man mit dem Messer die Grenzen gezogen", überlegte ChibiChibi beim Anblick des Kontinents halblaut und Endymion musste ihr recht geben. Der Großteil des Kontinents war Wildnis, Gebirge, Steppen, Wälder, Sümpfe, Seen. Der Rest bestand zu 90 Prozent aus Landwirtschaftlichen Nutzflächen, ausgedehnte Felder, Wiesen auf denen Rinder (oder etwas sehr ähnlich Aussehendes) grasten nur durchbrochen von kleinen bewirtschafteten Wäldern und Hügeln auf deren Spitzen kleine Dörfer hockten, flache Gebäude mit roten Ziegeldächern, Gärten, bunt gestrichene Zäune, Fischteiche ...
Die restlichen Zehn Prozent teilten sich etwa zu fünf Achteln in eine Parkähnliche Landschaft, gepflegte Rasenflächen, zu Figuren gestutzte Hecken, Blumebeete und blühende Buschreihen, Zierteiche, mit weißem Kies gesäumte Bäche und in Marmor gefasste Kanäle, dazwischen immer wieder Springbrunnen, Pavillons und ab und zu Gebäude, die ihn vom Stil her schmerzhaft an den zerstörten Mondpalast erinnerten. Die ganze Anlage ähnelte stark dem Mondreich zur Blütezeit, und Endymion vermutete, dass die ausgewanderten Serenitys auf diese Art ein Stück Heimatwelt wieder hatten auferstehen lassen wollen.
Was übrig blieb, ware eine, in einen weiten Talkessel eingebettete Stadt. Irgendwer hatte wohl vor langer Zeit beschlossen, dass sie eine Sternform haben musste und von der Spitze jeder Zacke sowie dem tiefsten Punkt zwischen den Zacken lief eine lila gepflasterte Straße kerzengerade auf die Mitte der Stadt zu, alle lila Straßen trafen sich dort auf einem zentralen Platz, den ein gewaltiger Palast krönte, weiß mit einem Dach das in der Sonne funkelte, als hätte man jede einzelne Dachschindel aus Amethyst geschnitten. Da die Hauptstraßen selbst in regelmäßigen Abständen durch ebenfalls lila gepflasterte Seitenstraßen verbunden waren, sah das ganze von oben aus wie ein weißer Stern, über den man ein lila Spinnennetz gelegt hatte.
Nicht alle Gebäude waren gleich groß oder gleich prächtig. Je näher es dem Stadtrand zuging desto dichter gedrängt standen die Häuser, desto enger wanden sich die weißen oder doch schon eher grauen Gassen hindurch. Nahe dem Zentrum standen hingegen prachtvolle Bauten, ein jeder von einem weitläufigen Park umgeben und die Dächer leuchteten in den verschiedensten Edelsteinfarben.
"Wir landen wohl besser irgendwo in einem Hinterhof", schlug Endymion vor und ChibiChibi war einverstanden. Sie lenkte die Energieblase in einen mit Unkraut überwucherten Hof, wo zwischen vergammelten Holzkisten und rostigen Eisenteilen flinke, weißfellige Nagetiere herum huschten.
"Bis du auch ganz sicher, dass uns niemand beobachtet hat?", fragte Endymion und sah sich vorsichtig um.
"Ganz sicher", erwiderte ChibiChibi und ließ die Energieblase verschwinden.
"Gut, dann sondieren wir mal die Lage", murmelte Endymion und marschierte zum einzigen Ausgang des Hofes. Die Gasse dahinter sah nicht viel besser aus als der Hof, schmutzig und mit Abfall übersät. Sie mündete in einen weiteren Hinterhof, der jedoch keinesfalls verlassen war. Drei junge Burschen saßen um einen kleinen Haufen von Münzen und anderen glitzernden Gegenständen, als sie die beiden Eindringlinge bemerkten, sprangen sie erschrocken hoch.
"Verdammt!", fluchte der kleinste von ihnen und sah dabei den mittleren vorsichtig an, "Gilmor, hast du nicht gesagt, der Hof sei leer?"
Endymion war erleichtert. Er hatte schon gefürchtet, dass er kein Wort der Sprache von Chrystallion verstehen würde. Ein schwaches Prickeln an jener Stelle seiner Stirn, wo zuvor das silberne Mondsymbol gewesen war, ließ ihn vermuten, dass der Zauber der Mondkönigin weiter gegangen war, als er gedacht hatte.
"Sieh dir nur den feinen Pinkel an", grunzte der größte der drei, der zugleich auch der dickste war. "Der kommt bestimmt aus einem der KristallClans. Wohl ein Zeremonienmeister oder sonst was. Dem wird es noch leid tun, dass er sich in die Grauen Winkel verirrt hat."
Der gehässige Tonfall verwirrte Endymion nicht mehr als die Worte selbst. Automatisch hatte er angenommen, dass alle Bewohner des Planeten einem der Clans angehören würden. Doch offenbar war es nicht so und wie es schien, waren die Mitglieder der Clans offenbar so etwas wie Adelige und unter dem gewöhnlichen Volk nicht sehr beliebt.
Was sollte er tun? Sich als Fremder zu erkennen zu geben, ohne die Machtverhältnisse des Planeten gründlich studiert zu haben, kam ihm genau so falsch vor, wie sich einer Lüge zu bedienen. Also zögerte er, etwas zu sagen.
"Der feine Herr ist offenbar zu nobel, um mit uns reden", ätzte der mittlere Bursche. "Vielleicht sollten wir ihm die Zunge ein wenig lockern...". Er lachte hart und fischte einen Prügel aus seiner zerlumpten Jacke heraus. "Womöglich hat ihn die Tussi geschickt, der du die Börse abgenommen hast, Rugal."
Der Kleine nickte. "Könnte sein, der dumme Bauer, den du bis aufs Hemd geplündert hast, Gilmor, kann sich keinen so teuer ausstaffierten Diener leisten." Er langte nun ebenfalls in seine Jacke und zog einen ähnlichen Prügel heraus.
"Der wird nicht mehr lange teuer ausstaffiert sein", grinste der größte. "Dem ziehen wir das Hemd auch noch aus ... nachher.." Nun hatten sie alle drei ihre Prügel und kamen damit langsam, aber mit drohenden Minen auf Endymion zu. ChibiChibi, die sich hinter einer Kiste geduckt hatte, bemerkten sie offensichtlich nicht.
Das letzte, das Endymion brauchen konnte, war eine Schlägerei, die vielleicht die Ordnungshüter der Stadt auf ihn aufmerksam machte. Vorsichtig wich er vor den dreien zurück, einen Schritt, noch einen, einen dritten ... dann stand er mit dem Rücken an der Wand. Keine Möglichkeit, dem Unheil auszuweichen ... ---------------------------------------------------------------------------- ------- "Das ist die ganze Geschichte", schloss die Mondgöttin und hielt erschöpft inne. Ihr Abbild über dem Schrein der Königin flackerte.
"Großmutter", die neue Königin sah besorgt zu ihr hoch, "du hast dir zuviel zugemutet mit dem, was du vorhin getan hast, nicht?"
"Das hat sie ganz sicher", sagte Pluto ruhig. In ihren Augen war noch immer Müdigkeit und Trauer. "Ihre Macht ist normalerweise auf den Mond beschränkt. Hier auf der Erde kann sie nur durch die Kraft anderer handeln ...." Plutos Augen wanderten zu den Katzen, die sonderbarerweise ebenfalls erschöpft wirkten. "Sie hat euch als Quelle genommen, nicht wahr?"
Luna nickte. "Wir haben immer noch Verbindung zu ihr, tut uns leid, Majestät, dass wir keine größere Hilfe sein können, aber in dieser Form sind unsere Fähigkeiten begrenzt ..."
"Wenn sich jemand entschuldigen muss, dann ich", sagte die Mondkönigin und seufzte, "ich hätte euch wenigstens fragen sollen, bevor ich mich der Macht des alten Eides bediente, um eure Kraft zu nutzen." Sie sah von einem Senshi zum nächsten. "Hört mir zu, ihr alle. Es kann Tage, aber auch Wochen oder Monate dauern bis der König zurückkehrt, falls er es überhaupt schafft."
Bei diesen Worten zog sich das Herz der neuen Königin schmerzhaft zusammen. "Er wird es schaffen, ganz sicher", murmelte sie und Helios legte ihr seine Hand tröstend auf die Schulter. "Das glaube ich auch", sagte er ruhig. "Aber", dabei blickte er wieder die Mondgöttin an, "ich denke dass deine ganze Aktion nur einen Aufschub gebracht hat, sie werden es wieder versuchen."
"Dieser Trottel von einem Bürgermeister soll nur kommen", grollte SailorJuno. "Dem zeigen wir es!"
"So einfach ist das nicht", sagte Sailorneptun bedrückt. "Wenn wir uns offen auf einen Kampf einlassen, werden wir ohne Zweifel verlieren."
"Aber ... aber wir sind doch stärker als dieser dicke Dummkopf!", protestierte Jupiter.
"Ja, aber würdest du deine Stärke gegen die Wachen des Palastes einsetzen? Einen Donnerschlag gegen die Männer, mit denen du immer zusammen trainiert hast?"
Jupiter zögerte, dann sackten ihre Schultern herab und sie starrte auf den Boden. "Nein", sagte sie ganz leise.
"Weshalb sollten die Wachen des Palastes uns angreifen?", fragte SailorPallas. "Sie wissen doch, dass wir niemanden etwas Böses tun und sie haben die Königin doch auch geliebt."
"Aber noch mehr lieben sie ihre eigene Haut, ihre Familien, die außerhalb des Palastes leben", sagte Merkur düster und Mars stimmte ihr zu. "Der Bürgermeister wurde von ihnen gewählt, ihm vertrauen sie. Die Königin hat sich ihnen damals nach dem kalten Schlaf durch ihre Macht sozusagen aufgezwungen. Dabei spielt es keine Rolle, wie oft sie als Serenity oder als Sailormoon diese Welt schon gerettet hat. Wenn Menschen Angst haben, sind sie zu allem fähig und der Bürgermeister ist skrupellos genug, diese Angst solange aufzupeitschen, bis die Menschen blindlings dahin rennen, wohin er sie treiben will."
"Warum sollte er das wollen?", fragte Venus verwirrt. "Was hat er davon, wenn sich alle im Palast aufhalten, dichter gedrängt wie Sardinen?"
"Das weiß ich auch nicht", sagte Mars, "aber ich spüre, dass hinter dem Wunsch des Bürgermeisters noch mehr steckt als nur die Besorgnis um das Wohl der Bürger dieser Stadt. Genaueres kann ich allerdings nicht sagen ..."
"Wir müssten mehr darüber in Erfahrung bringen, was draußen in den Straßen vor sich geht ... ", murmelte Sailoruranus. "Leider kennen die Menschen alle unsere normalen Identitäten, auch wenn wir fast immer als Senshi herumlaufen."
"Aber sie kennen uns nur als Katzen", meldete sich Diana. "Wenn Mondkönigin Serenity uns hilft, können wir als Menschen unerkannt durch die Stadt wandern und für euch die nötigen Informationen sammeln."
"Ich kann nichts versprechen", sagte die Mondgöttin. "Ich bräuchte eine andere Kraftquelle, denn die Aufhebung der Verwandlung ist eine heikle Angelegenheit."
"Wie wäre es mit mir", bot sich Jupiter gleich an.
"Das geht nicht, weil zwischen uns kein Band besteht, du trägst kein Mondzeichen auf der Stirn."
"Aber ich", Neo Königin Serenity II. trat vor. "Bisher war ich ziemlich nutzlos, aber das wird sich ändern. Du kannst dich meiner Kraft bedienen, Großmutter."
"Und was tun wir in der Zwischenzeit?", maulte SailorCeres, "Däumchen drehen und zuschauen, wie sie zu Ende bringen, was sie begonnen haben?"
"Natürlich nicht", sagte die Mondgöttin. "Nur weil ihr keine aggressiven Waffen gegen die Menschen einsetzen könnt, seid ihr noch lange nicht hilflos. Besinnt euch auf eure anderen Fähigkeiten und wenn eure Kraft als Senshi nicht ausreicht, dann soll Pluto euch zeigen, was sie in den alten Bücher über die Verlorenen Kräfte der Planetenkrieger gefunden hat...."
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Auf Chrystallion....
Die hochgewachsene Frau saß unbeweglich wie eine Statue auf dem funkelnden Amethystthron. Ihre lavendelfarbenen Gewänder waren nur ein Hauch von Stoff und verbargen den makellosen Körper darunter kaum. Ihr ebenmäßiges Gesicht zeigte keine Regung, als zwei Wachen einen schwarz gewandten Mann vor sie zerrten. Der untersetzte Gefangene wehrte sich nach Kräften, aber man sah im an, dass er am Ende war. Schweiß lief ihm über die Wangen und versickerte in dem dunklen Bartgestrüpp, das die untere Hälfte seines Gesichtes einnahm. Die Lumpen, die er trug, konnten nicht verbergen, dass seinem Wesen etwas Nobles anhaftete, eine Aura der verblassten Macht.
"So sieht man sich wieder", schnurrte die Frau auf dem Thron mit samtweicher Stimme. Sie rekelte sich auf dem lila Samtkissen und der Blick aus ihren übergroßen lila Augen mit den unglaublich langen, gebogenen Wimpern hätte wohl jedes Männerherz höher schlagen lassen. Trotz seiner misslichen Lage saugte sich der Blick des Gefangenen an ihrem verheißungsvollen Lächeln fest, glitt über den Körper, der sacht hin und her wiegte wie eine Schlange zur Musik ihres Beschwörers und er begann am ganzen Körper zu zittern.
Die Wachen starrten fest zu Boden, aber auch ihr Griff ums eine Arme wurde lockerer und sie atmeten heftig.
Dann mit einem Schlag saß die Frau wieder starr auf dem Thron, das Gesicht ruhig und der Blick kalt und abwägend. "Ihr könnt jetzt gehen", sagte sie stählern zu den Wachen.
"Aber .. Eure Kaiserliche Hoheit ... ist das nicht zu gefährlich ....?", wagte der jüngere Wächter zaghaft einzuwenden.
Die Kaiserin lachte, ein warmes, dunkles Lachen, das alle drei Männer zum Schwitzen brachte. "Gefährlich? ... vielleicht aber nur für ihn ..." Ihr Lachen erstarb. "Geht, habe ich befohlen!" Wie ein Peitschenknall traf der kalte Befehl die beiden Wächter. Die zuckten zusammen, ließen den Gefangenen los, salutierten und marschierten aus dem Saal. Die Kaiserin war allein mit dem Gefangenen.
Durch ihren kalte Stimme von vorhin, hatte auch er wieder zu seinem Gleichgewicht gefunden und starrte sie hasserfüllt an.
"Aber ... aber... ", säuselte sie ... "wo bleiben Eure Manieren, Lord Feodor? Wollt Ihr nicht vor Eurer Kaiserin niederknien?"
"Ich knie nicht vor einer falschen Herrscherin", bracht er heiser hervor. "Lieber sterbe ich!"
"Das ... wird noch kommen", sagte sie samtweich, "später ...."
Sie richtete sich auf und beschwor einen Kristall, der fast so groß war wie ein Kinderkopf und wie ein riesiger Amethyst in verschiedene Lilatönen schimmerte. Sein Licht überstrahlte die prächtigen Kronleuchter an der Decke. "So ... und nun werdet ihr mir sage, wo eure Lady sich versteckt hält", sagte die Kaiserin freundlich, doch Feodor erwiderte ihren nachsichtig sanften Blick voller Hass und Abscheu. "Niemals", krächzte er obgleich ihm der Schweiß in Strömen über das Gesicht lief.
"Dann habe ich euch wohl noch nicht genug überzeugt", sagte sie und hob den Kristall höher. Lilafarbenes Licht strömte von ihm auf sie über und ihr ohnehin verführerisch schöner Körper war nun in eine Aura der Anziehung getaucht, der auch kein Stein hätte Widerstand leisten können.
"Ammetista, du Hexe ..." keuchte er mit dem letzten Rest des Widerstandes voll Abscheu auf sich selbst, aber dann ließ sie den Kristall verschwinden und begann wieder ihre schlängelnden Bewegungen. worauf er mit einem Würgen zusammenbrach. Auf allen vieren kroch er zum Thron nur noch von dem Gedanken beseelt, die Schönheit zu Berühren und sein hell brennendes Begehren zu stillen.
Sie lächelte ihn an, aber schüttelte verneinend den Kopf, als er ihr nahe gekommen war. Aus dem Nichts war sie von einem unsichtbaren Schild umhüllt, das jede Berührung unmöglich machte. Frustriert flehte Feodor um ein Streicheln, einen Kuss ... aber sie sagte nur: "Erst das Versteck deiner Lady ... dann die Belohnung." So wie sie das Wort Belohnung aussprach, ihn dabei durch die langen Wimpern hindurch ansah und sich mit der Zunge über die Unterlippe fuhr, brach der letzte innere Wall in Feodor zusammen.
"In den Grauen Winkeln ... Planquadrat B 13, altes Lagerhaus, darin ein verborgener Eingang im Boden, verdeckt von Gerümpel ... seht euch nach ein paar zerschlagenen schwarzen Vasen um.... bitte, bitte, bitte ...", wimmerte er und drückte gegen den Schutzschild.
"Na also", säuselte Kaiserin Ammetista, der Schild verschwand und sie ließ es zu, dass er seine Arme um sie schlang. Sie war ein Stück größer als er und als sie sich zum Kuss herabbeugte, glaubte er, der Himmel werde sich gleich für ihn auftun. Ihre Lippen strichen nur sacht über die seinen, er seufzte, verdrehte die Augen und brach tot zusammen.
Sogleich löste sich die Aura der Verführung auf, sie stieß ihn angewidert von sich und schnippte mit den Fingern. Zwei Mädchen mit faden Gesichtern und lose hängenden Kitteln erschienen aus dem Schatten und legten ihr einen weiten Mantel aus lila Samt mit weißem Fellkragen um die Schultern. Sie schloss ihn und die Verführerin war verschwunden. Die weiche Masse ihrer lila Locken wurde mit ein paar Bürstenstrichen und einem perlenbesetzten Haarnetz gebändigt und ein feuchtes Tuch entfernte das Make-up aus ihrem Gesicht. Nun war sie immer noch wunderschön, aber viel mehr die kalte, entschlossene Herrscherin, die zuvor unter der Aura verborgen geblieben war.
"Ruft den Captain der Grauen Garde", wie sie die Mädchen an. Beide verneigten sich und verschmolzen mit den Schatten der Säulen, wo sie lautlos durch verborgene Eingänge den Thronsaal verließen.
Als Dregod, der Captain der grauen Garde, den Saal betrat saß sie bereits wieder hoheitsvoll auf dem Thron. Zu ihren Füßen lag immer noch die Leiche Lord Feodors. "Soll ich sie wegräumen, Hoheit", fragte der hagere Mann in der grauen Rüstung mit unbewegter Stimme.
"Aber nein", lächelte die Kaiserin, "ich möchte Lady Onyas Gesicht sehen, wenn sie den Saal betritt und ihn hier liegen sieht."
"Er hat das Versteck verraten?"
"Habt Ihr daran gezweifelt, Captain Dregod?"
"Nun", er zögerte, wohl wissend, dass er sich auf dünnem Eis bewegte. "Die Liebe von Onya und Feodor galt als legendär."
Ammetista lachte laut. "Ach Dregod, ihr seid nun schon so lange in meinen Diensten und ihr glaubt immer noch an die Liebe?", sie schüttelte verwundert den Kopf. "Liebe ist nur eine Erfindung von Dichtern, Dregod. Wenn die Verlockung stark genug ist, spricht allein die Gier, der niedere Instinkt und dann kommt ans Licht, dass das, was angeblich im Herzen sein soll, im Grunde gar nicht existierte oder falls doch, dann war es oberflächlich und schwach." Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. "Onya hat sich immer viel darauf eingebildet, dass Feodor für sie die Sterne vom Himmel holen würde. Selbst als Feodor das Duell gegen dich verlor, hat sie noch geglaubt, sich mit ihm gemeinsam in den Schatten ein neues Leben aufbauen zu können. Sie hat ihr Haus im Stich gelassen, ihre Leute wurden zu Ausgestoßenen, und sie hat es wirklich geschafft, dass der Onyxkristall sich der Verschmelzung widersetzte. Aber sobald Ihr sie gefangen und zu mir gebracht habt, wird sie Feodor sehen... an seinen Lippen und Händen hängt noch immer das Licht meiner Aura, sie wird wissen, dass er mich gehalten und geküsst hat. Er hat sie verraten und das wird ihren Willen brechen .... und dann gibt auch ihr Kristall seinen Widerstand auf. Er wird mit dem meinen verschmelzen und das ist dann das endgültige aus für den OnyxClan."
"Wo ist das Versteck von Lady Onya?", fragte er ruhig.
Die Kaiserin erklärte es ihm. Er nickte und wandte sich zum Gehen, wobei sein Blick den toten Lord des OnyxClans streifte. Ein Ausdruck des Neides huschte einen Augenblick lang über seine kontrollierten Züge, die Kaiserin bemerkte es nicht. Sie schwelgte in der Vorfreude auf ihren endgültigen Sieg über Lady Onya.
Kaum hatte Captain Dregod den Saal verlassen, trat eine Frau durch eine Seitentüre ein. Sie war fast so groß wie die Kaiserin, das Gesicht, umrahmt von dunkelbraunen Haaren, wäre bestimmt schön zu nennen gewesen, wenn nicht eine Reihe von Krater ähnlichen Narben es verunstaltet hätten. Die langen, seidenweichen Wimpern verdeckten die durchdringenden grauen Augen fast völlig und da sie den Kopf immer geneigt trug, war es unmöglich, den Blick in ihren Augen zu deuten.
Die Kaiserin hob kurz den Kopf. "Was gibt es, Esmena?"
Die in grau gewandte Frau verneigte sich vor dem Thron. "Wir haben einen Eindringling geortet, Hoheit."
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Auf der Erde ...
In einem Sumpf nicht weit von Kristalltokio entfernt ....
Fluchend zog Bürgermeister Rattel seinen fetten Fuß aus dem schlammigen Loch. "Verdammt, verdammt, verdammt ..." Er schüttelte angewidert einige schleimige Pflanzenstengel aus den Falten seiner weiten Hose, und warf einen missmutigen Blick auf die halb versunkenen Bagger und Planierraupen.
"Was sollten wir tun?", fragte der Vorarbeiter verstört. Das Erlebnis, mit seinem Bagger einige Kilometer durch die Luft befördert zu werden und dann ohne nennenswerte Schäden oder Brüche in einem Sumpf zu klatschen, saß ihm noch in den Knochen.
"Was wohl?", keifte der Bürgermeister und schüttelte die Faust in Richtung Kristallpalast. "Wir organisieren ein paar Kräne und ziehen die Maschinen aus dem Dreck."
"Schon klar, aber ich meine, das mit dem Einebnen der Palastgärten ...", wandte der Vorarbeiter ein.
"Wird wie geplant durchgezogen", knurrte Rattel. "Wir sind eine ganze Stadt gegen eine handvoll Frauen und einen weichlichen Prinzgemahl. Wäre doch gelacht, wenn die uns aufhalten könnten."
"Aber ... aber vielleicht sollten wir die Lichtung der Königin in Ruhe lassen und statt dessen woanders ..."
"Kommt nicht in Frage", fuhr ihn Rattel an. "Ich bin der gewählte Bürgermeister dieser Stadt, ich vertrete alle Bürger. Ich versprach, Schluss mit den Privilegien der Reichen und wenn ich jetzt einen Rückzieher mache, kann ich die nächste Wahl in den Schornstein schreiben. Die Königin bekommt ihren angemessenen Ruheplatz und zwar in einer Gruft unter dem Palast, wie es sich gehört. Darüber bauen wir Wohnungen und Büros, die Pläne für meine Räume und das neue Rathaus sind bereits fertig. Wenn es mir gelingt, die neue Königin und ihren König in den Griff zu bekommen, werden auch die sogenannten Sailorkriegerinnen klein beigeben ... immerhin ist es Jahre her, dass sie etwas für uns getan haben. Wir füttern sie seit Gründung der Stadt durch und sobald es etwas zu tun gibt wie beim Angriff des Schwarzen Mondes, verkriechen sie sich in den Palast und schützen gerade mal dieses Gebäude, während der Rest der Welt ringsum in Schutt und Asche fällt. So etwas wird es in Zukunft nicht mehr geben ... wenn der Bau erst begonnen hat, werden die Senshi endlich wieder einmal etwas für ihr Geld tun, das garantiere ich ..." Rattel holte tief Luft. Es hatte keinen Sinn, hier eine ausschweifende Rede zu halten, wo es doch nur Mücken und Frösche als Zuhörer gab. Er sah sich jetzt schon im Thronsaal residieren, die Königin und der König waren Vergangenheit, die Macht des Volkes regierte und er würde diese Macht nutzen, sich von ihr an die Spitze tragen lassen. Erst einmal Bürgermeister, dann vielleicht Senator von Kristalltokio und eines Tages vielleicht sogar Regent ... Jahrelang hatte er sich Wahl um Wahl nach oben arbeiten müssen, Reden halten, Hände schütteln, Sitzungen ertragen, immer das freundliche, joviale Gesicht zur Schau getragen ... es wurde Zeit, dass sich die ganze Mühe auszahlte.
Er schüttelte diese Gedanken ab. Später war Zeit zum Träumen, erst galt es dieses lästige Hindernis auf dem Weg zu seiner Wiederwahl zu beseitigen.
"Wer von euch hat ein funktionierendes Sprechgerät dabei?", fragte er den Vorarbeiter. "Wir können nicht den ganzen Tag nur rumstehen, wir müssen ein paar Kräne herkommen lassen und ich will meine Limousine."
Während der Vorarbeiter sich mit den anderen absprach, um alles zu organisieren, sah der Bürgermeister wieder zum funkelnden Palast hinüber. Nicht mehr lange und er würde ihm gehören ... ihm ganz allein ...
Ende des vierten Kapitels
