Kapitel 6: Rufe der Vergangenheit

Auf Chrystallion ... Die drei tauchten innerhalb genau jenes Lagerhauses wieder auf, aus dem die Soldaten Lady Onya gezerrt hatten. Endymion schüttelte das leichte Schwindelgefühl ab, packte den Hüter an der Schulter und ChibiChibi an ihrer Hand und zerrte beide tief in die Schatten. Durch die zersplitterte Tür drang ein wenig Licht und so konnten sie erkennen, wie Dregod die Soldaten in alle Richtungen scheuchte.

"Ganz ruhig", murmelte er mehr zu sich selbst als zu den beiden, "wenn wir ganz ruhig sind, gehen sie von selbst wieder."

"Aber Lady Onya", zischte der Hüter und versuchte, Endymions Hand abzustreifen. Doch kaum belastete er sein rechtes Bein, zuckte er Schmerz gepeinigt zusammen. "Ouuuuu .."

ChibiChibi funkelte ihn streng an. "Pssst!" machte sie und legte den Finger auf den Mund.

"In diesem Zustand könnt Ihr niemandem helfen", flüsterte Endymion. "Welche Hoffnung bleibt Lady Onya noch, wenn wir uns auch gefangen nehmen lassen?"

Die Soldaten sammelten sich wieder, eine Gruppe nach der anderen erstattete Dregod Bericht, dass sie niemanden hatten finden können.

"Dieser verdammte Clown!", fluchte Dregod. "Ich hatte ihn fast! Ihre Kaiserliche Hoheit hätte sich sehr gefreut, ihm den Todeskuss geben zu können."

Die Soldaten lachten derb dazu und Endymion konnte fühlen, wie der Hüter erschauerte.

"Wenigstens haben wir Lady Onya", sagte ein Leutnant und Dregod nickte. "Also schaffen wir sie zum Palast, damit sie der Kaiserin geben kann, was der Kaiserin gebührt."

"Nichts, gar nichts werde ich ihr geben, außer meinen Hass und meine Verachtung!", schluchzte Onya, während sie von den Soldaten mit gezerrt wurde.

"Das werden wir ja noch sehen ...", lachte Dregod und zusammen mit den Soldaten verschwanden sie langsam aus Endymions Blickfeld.

Sie warteten in der Dunkelheit des Lagerhauses bis die Schritte verhallt waren. ChibiChibi streckte als erste den Kopf nach draußen, aber es war niemand mehr zu sehen, auch die gefährliche Energie des Ringes war nicht mehr zu spüren.

Endymion sah sich nun den Hüter etwas genauer an. Er hatte den muskulösen Körper eines durchtrainierten Kämpfers. Die Maske, die er trug bedeckte sein Gesicht fast zur Hälfte, aber durch den Sturz war das eine Band eingerissen und als nun der Hüter müde den Kopf schüttelte brach es ganz und die Maske rutsche herunter.

Erschrocken fasste der Hüter danach, aber sie landete genau vor ChibiChibi, die sie hochnahm und ihm lächelnd hinhielt.

"Keine Angst, Hüter", sagte Endymion trocken, "da wir fremd sind in der Stadt, musst du nicht fürchten, von uns erkannt zu werden."

Der Hüter drehte den Kopf, nun streifte er auch noch die Kapuze ab und sah die beiden Fremden vorsichtig forschend an. ChibiChibi und Endymion starrten genau so neugierig zurück.

Der Hüter war ein noch junger Mann, etwa um die zwanzig mit langen, gewellten Haaren, die am Grunde orangerot schimmerten dann in dunkelrot und an den Spitzen in Schwarz übergingen, er hatte sie im Nacken mit einem Lederband zusammengebunden, damit sie ihm nicht im Weg waren. ChibiChibi oder besser gesagt Galaxia gefielen diese Haare auf Anhieb hatten sie doch Übergänge ähnlich der ihren. Sein Gesicht war eher schmal mit warmen, rotbraunen Augen und dichten Brauen. Er sah aus wie jemand, der gewohnt ist, Befehle zu geben, jemand, der Risiko nicht scheut und der Mädchenherzen höher schlagen lässt.

Mühsam, auf den Stab gestützt, kämpfte sich der Hüter hoch und beendete seine Inspektion der beiden Fremden. "Es tut mir außerordentlich leid, dass ihr beide mit hineingezogen wurdet", sagte er. "Ich möchte euch nicht noch weiter in Gefahr bringen, aber ich glaube allein schaffe ich es nicht bis in mein Hauptquartier."

Er hob die eine Hand, in der er beim Kampf die goldene Lanze hatte erscheinen lassen und wiederum rief er eine goldene Flamme. Nur dieses Mal wurde kein Speer daraus, sondern eine goldene Aura, die über ihn flutete und als das Licht erlosch, waren der Umhang und die Maske verschwunden. Ein normal aussehender junger Mann in geflickten Hosen und einem nicht sehr sauberen Hemd stand dort und stütze sich auf einen Wanderstock, der nicht mehr als ein zurechtgeschnittener Ast zu sein schien.

"Mein Name ist übrigens Tarmin."

"Ich bin Endymion und das hier", Endymion bückte sich und nahm ChibiChibi hoch, sodass sie Tarmin ins Gesicht lächeln konnte, "ist ChibiChibi."

"Deine Tochter?", fragte Tarmin neugierig.

"Nein", sagte Endymion, er hatte sich schon überlegt, als was er ChibiChibi ausgeben würde. "Sie ist die kleine Schwester meiner Frau, also meine Schwägerin."

"Schlau von ihm", dachte ChibiChibi und erinnerte sich, dass die erste ChibiChibi mit den rosa Haaren, sich ja auch als Usagis Schwester ausgegeben hatte. Sie streckte die Ärmchen nach Tarmins Haaren aus und sagte dabei so süß sie konnte "ChibiChibi!"

"Du bist aber niedlich", er konnte ihrem Charme natürlich nicht widerstehen und ließ es zu, das sie an seinen langen Strähnen zog bis Endymion sie wieder auf den Boden setzte.

"Wo geht es lang zu deinem Hauptquartier?", fragte er Tarmin. "Es ist ziemlich verwinkelt, aber ich werde euch hinführen." Er versuchte einen Schritt, aber sein Bein gab nach und er wäre wieder zu Boden gestürzt, hätte ihn Endymion nicht festgehalten.

"Langsam, langsam", murmelte Endymion, half ihm hoch und tastete das Bein ab. "Es sieht so aus, als wäre der Knochen gebrochen."

Tarmin wurde kreidebleich. "Damit wäre ich ja für Wochen kampfunfähig! Den Rückstand hole ich bis zum Turnier nicht wieder auf!"

Endymion wollte schon fragen, was für ein Turnier gemeint sei, entschied sich jedoch anders und sah Tarmin prüfend an. Etwas an dem langhaarigen Helden erschien ihm seltsam vertraut und machte es ihm fast unmöglich, diesen Abklatsch eine Tuxedo Mask nicht zu mögen. Also gab er sich einen Ruck. "Ich könnte etwas versuchen, aber Ihr müsst mir versprechen, dass Ihr uns, egal ob es klappt oder nicht zu Eurem Hauptquartier bringt. Wir sind beide fremd in der Stadt und wir brauchen dringend einen Platz zum Ausruhen und ein paar zuverlässige Informationen."

Tarmin ließ sich vorsichtig auf einem Stapel aufgeweichter Kartons nieder. "Ihr wollt das Bein schienen? Viel wird das nicht helfen ... aber da ihr mir schon zuvor das Leben gerettet habt, bin ich euch natürlich einiges schuldig und der Hüter der Schatten zahlt immer seine Schulden."

Endymion war das Antwort genug. Er kniete sich auch auf die Kistenstapel und legte seine Hände auf das schmerzende Bein. Es war schon ziemlich lange her, dass er bei Jupiter einen Bänderriss auf diese Art geheilt hatte, damals war Saturn gerade nicht im Palast gewesen, und zudem war die Erde so fern .. dennoch, kaum schloss er die Augen und konzentrierte sich, war die Kraft da, ein stiller Quell goldene Lichtes in seiner Seele, gespeist vom Wesen seines Schutzplaneten über alle Entfernungen hinweg ...

Tarmin, zunächst skeptisch, atmete scharf ein, als er die goldenen Lichtpunkte sah, die von Endymions Händen auf sein Bein überflossen. Der Schmerz wich einem Prickeln und einer angenehmen, beruhigenden Wärme. Als Endymion seine Hände schließlich weg nahm, konnte er sein Bein wieder problemlos bewegen.

"Erstaunlich", brachte er schließlich hervor. "Dass es solche Macht gibt ohne einen Kristall..", er schien es noch immer nicht so recht glauben zu können. Ein Belastungstest zeigte, dass sein Knochen in der Tat wieder heil war, mehr noch, auch alle anderen Schrammen und blauen Flecke waren verschwunden. Endymions Kraft hatte ihn vollkommen geheilt.

"Selbst wenn ich es bisher noch nicht vorgehabt hätte", sagte er nach ein paar Schritten, Drehungen und Sprüngen, "meine Leute benötigen dringend jemanden mit Eurem Talent. Bitte kommt mit mir und ich werde euch alle Fragen beantworten, die ihr mir auch immer stellt."

"Das ist ein Angebot", erwiderte Endymion und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Heilungen waren keine leichte Sache, wenn man derart aus der Übung war. Er hob ChibiChibi auf die Schulter und zusammen folgten sie Tarmin aus ihrem Versteck hinaus in die verwinkelten Gassen seines Reviers. Im Amethystpalast Es war finster im Thronsaal bis auf die eine runde, Lichtquelle genau über dem Thron. Als Dregod die sich noch immer sträubende Lady Onya in den Saal führen ließ, erkannte diese nur die eine, schlanke Gestalt, die in ein weites, schwingendes, lila Gewand gehüllt auf dem bestickten Samtkissen saß und aus einem Glas blutorten Wein nippte.

Ein Blick auf das blasierte und überlegene Gesicht der Kaiserin und alle Furcht und Trauer schlugen in Hass und Rachegelüste um.

"Du ... du ... Hexe!", fauchte die schwarzhaarige Lady, riss sich mit einer gewaltigen Kraftanstrengung von den beiden Wachen los und rannte auf den Thron zu, die Hände zu Krallen gekrümmt, beseelt von dem Wunsch, Ammetista solange zu würgen bis das zufriedene Lächeln auf ihren Zügen verschwand. Dregod wollte sie aufhalten, doch ein Blick und eine winzige Handbewegung der Kaiserin stoppten ihn. Sein Eingreifen war auch nicht nötig. Wenige Schritte vor dem Kristallthron, verfing sich Onyas Fußspitze in einem weichen Hindernis, sie stolperte darüber und fiel der Länge nach hin. Mit einem Schlag wurde es taghell im Saal. Onya, von dunklen Vorahnungen gepeinigt, stemmte sich auf die Knie und wandte sich dem Hindernis zu ... ihr geliebter Lord Feodor ... Tränen traten ihr in die Augen und obwohl sie versuchte, den Schmerz zurückzuhalten, flossen sie unaufhaltsam über ihre Wangen.

"Deine Trauer wird ihn nicht wieder lebendig machen, Onya", sagte die Kaiserin gelangweilt. "Er ist sie auch gar nicht wert."

"Wie kannst du so etwas sagen", schluchzte Onya und barg ihr Gesicht an der kalten Brust ihres Lords. "Er war der beste und liebste Mann der Welt."

"Er war nicht besser als alle Männer, die ich kenne", sagte die Kaiserin kalt. "Sieh ihn dir doch genauer an ..."

Verstört ließ Onya ihre Blicke über den Leichnam ihres Geliebten schweifen. Sie sah kein Blut, keine unnatürlich verrenkten oder gebrochenen Glieder.... was hatte ihn getötet?

"Schau auf sein Gesicht!", schnurrte die Kaiserin wie als Antwort auf ihre Gedanken.

An seinem Gesicht blieben ihre Augen hängen ... er war nicht im Zorn gestorben, auch nicht mit Würde .. auf seinen starren Zügen hatte sich für alle Zeiten ein Ausdruck der Glückseligkeit eingeprägt und ein sanftes, violettes Leuchten hing auf seinen Lippen. Onya schluckte. Zu gut wusste sie, was das bedeutete.

"Nein, nur das nicht .. nur das nicht, Feodor ...", als ob sein Tod nicht Schmerz genug war, griff nun die eisige Gewissheit, dass seine Liebe nicht ausgereicht hatte, um Ammetistas Magie zu widerstehen nach Onyas Herz.

"Ganz recht ... er konnte ihn nicht schnell genug bekommen ... meinen Kuss ... was glaubst du wohl, wer uns dein Versteck verraten hat? Ich brauche keinen Mann zu foltern, um seinen Willen zu brechen ... Männer sind wertlos, wie Tiere, heiz ihren Hormonen ein und sie sind formbar wie Ton ..." Der angewiderte und zugleich zufriedene Ton Ammetistas Stimme brachte das Fass zum Überlaufen. Die Tränen versiegten. Onya ballte die Hände zu Fäusten und hieb auf den toten Lord ein. "Du ... du ... Verräter! Ich habe an deine Liebe geglaubt, ich habe vertraut, dass du mich allein willst und nur mich ... wie konntest du mir das antun ... du, du .."

"Jaaa ...", Ammetista stellte das Weinglas ab und erhob sich vorm Thron. "Liebe ist eine Lüge, kein Mann ist echter Liebe fähig. Du hast umsonst deinen Clan im Stich gelassen, umsonst dein Heim aufgegeben, alles war umsonst ... Es gibt nichts mehr, wofür du kämpfen musst, was du beschützen musst, du hast alles verloren ..." , ätzte sie mit schneidender Stimme. Bei jedem Wort zuckte Lady Onya zusammen, als würde sie von Schlägen getroffen.

Plötzlich änderte sich die Stimme der Kaiserin, wurde sanft wie eine Liebkosung, eine tröstende Hand, die über Lady Onyas gequälte Seele strich. "Was willst du noch mit dem Onyxkristall? Ich werde ihn dir abnehmen und du wirst Vergessen finden und Frieden für immer."

Die Lady des OnyxClans erhob sich schwankend. "Es ist alles vorbei ... alles vorüber." Sie klang unendlich müde.

Ammetista nickte zufrieden. Sie hatte Onya da, wo sie sie haben wollte. Mit der Kraft ihres Willens beschwor Ammetista den Onyxkristall herbei. Die funkelnde, schwarze Pyramide materialisierte genau auf halbem Wege zwischen ihr und Lady Onya. Diese warf dem schwarzen Kristall einen gleichgültigen Blick zu.

"Du entsagst aller Macht über diesen Kristall?", fragte Ammetista, um das Übergaberitual das damals durch Onyas überstürzte Flucht unterbrochen worden war, zum Abschluss zu bringen. Mit einem "Ja" der Lady würde der OnyxClan endgültig aufhören zu existieren, und Ammetista würde keine Probleme mehr haben, die Macht des Onyxkristalls mit der des Amethystkristalls zu verschmelzen. Lady Onya hob den Kopf, tiefe Mutlosigkeit in den Zügen, absolute Gleichgültigkeit ihrem Schicksal gegenüber. Aber irgendetwas an ihrer Haltung ließ bei Dregod, der nur ein paar Schritte hinter ihr mit den beiden Wachen verharrte alle Alarmglocken läuten.

"Kaiserliche Majestät!", rief er und hastete auf Onya zu.

"Stört uns nicht!", fauchte Ammetista und forderte Onya nochmals zur Freigabe des Kristalls auf.

Dregod hatte Onya fast erreicht, da streckte diese auf einmal beide Arme empor und schrie: "Du willst den Kristall, nimm ihn! Macht des Onyxkristalls - Desintegration!"

Schwarze Flammen loderten auf, schossen von Onyas Gestalt zum Kristall hinüber, der zu erschauern schien und dann mit einem dumpfen Knall explodierte. Leblos sackte Onya zusammen, Dregod sprang über sie hinweg, warf sich zwischen den Kristall und die Kaiserin und als die entfesselte Macht über sie hinwegfegte, schleuderte die Wucht der Entladung ihn gegen die Wand des Thronsaales. Die Kaiserin blieb dank seines Eingreifens bis auf ein paar blutige Schrammen unverletzt, die beiden Wachen jedoch wurden ebenfalls zu Boden geschleudert und verloren das Bewusstsein. Die Energie des Kristalls schossen empor, wie eine Säule aus zuckenden, schwarzen Blitzen rissen ein Loch in die Decke und das herabstürzende Material begrub die beiden Wachen und die beiden Leichen unter sich. Bis in den Himmel hinauf wuchs die Säule, dann löste sie sich mit einem Schlag auf und es herrschte Totenstille.

Kopfschüttelnd betrachtete Ammetista die Zerstörung. Die herbeieilenden Diener hieß sie den Schaden schnellstens zu reparieren, Wachen kamen hinzu und gruben ihre verletzten Kameraden aus. Die Kaiserin selbst wandte sich Dregod zu, der gekrümmt an der Wand lag und leise stöhnte.

"Ich hätte auf Euch hören sollen, Captain Dregod", sagte sie leise und legte ihm die Hand auf die blutende Stirn. "Ihr seid schwer verletzt ... und das nur, weil ihr mich beschützt habt."

Er öffnete seinen Augen einen Spalt und quälte sich ein gepresstes Lächeln ab. "Ich lebe .. und ich sterbe ... um Euch zu dienen, Kaiserliche .. Hoh.." , sein Kopf sackte zur Seite, er hatte das Bewusstsein verloren.

"Ruft die besten Ärzte herbei!", befahl die Kaiserin laut. "Captain Dregod hat Uns vor Schaden bewahrt, er muss wieder gesund werden und im nächsten Turnier wieder für Uns kämpfen und siegen!"

Die Diener und Wachen verneigten sich und eilten davon, ihre Wünsche zu erfüllten. Sie blieb bei Dregod und überwachte seinen Abtransport in ein abgesondertes Zimmer, das extra als Krankenzimmer für ihn vorbereitet wurde. Als die Ärzte eintrafen verließ sie widerstrebend den Raum und machte sich auf den Weg in ihre privaten Gemächer.

Sie war noch keine fünf Schritte weit den Flur hinunter gegangen, als die grau gekleidete Esmena vor sie trat.

"Was gibt es nun wieder?", fragte Ammetista. Die Ärzte hatten ihr zu Ruhe geraten und alle ihre Schrammen mit Pflastern und Salben behandelt. Sie hatte im Moment eigentlich nur den Wunsch allein zu sein. Esmena verbeugte sich tief. "Ich teile eure Sorge um den treuen Captain Dregod, Kaiserliche Hoheit", murmelte sie, "und ich bitte um Vergebung, dass ich Eure Majestät mit Nebensächlichkeiten belästigen muss...".

Ammetista seufzte. "Kommt, Esmena, spuckt eure Neuigkeiten aus, vorher gebt Ihr ja doch keine Ruhe."

"Wie Euer Hoheit befehlen", Esmena räusperte sich. "Wir haben das Signal, das auf einen Eindringling hinwies verfolgt, aber wir konnten keinen eindeutigen Standpunkt ausmachen. Es tauchte allerdings in etwa jener Gegend der Schatten auf, wo Captain Dregod Lady Onya gefangen nahm und durch den Hüter der Schatten gestört wurde."

"Ahhh ... also steckt wieder dieser lästige Störenfried dahinter... Seit Wir diesen Thron bestiegen haben, treibt dieser Hüter sein Unwesen und dieses Mal, so hat mir Dregod versichert ist er nur durch einen neuen, uns noch unbekannten Trick entkommen. Könnte es sein, dass er hinter dem Signal steckt, um uns zu verwirren, uns abzulenken?"

"Das ist durchaus möglich, Kaiserliche Hoheit. Es geht auch das Gerücht um, dass die Schatten wieder daran denken, einige namenlose Kämpfer in das nächste Turnier zu schicken und sich dabei der Farben unterlegener Clans zu bedienen ..."

"Hmm ... das bringt uns auf die Frage zurück, wessen Kristall wir als nächstes herausfordern sollten ..."

"Nach dem OnyxClan wäre der AzurClan an der Reihe, Lady Iasuka hat noch keinen Champion, der den unglücklich verstorbenen Lord des Clans, ihren Vater, ersetzen könnte."

"Der AzurClan also ... ich werde es mir durch den Kopf gehen lassen."

Esmena verstand den Wink und verbeugte sich nochmals tief um dann wieder beinahe lautlos in den Schatten der Säulen zu verschwinden, die den Flur säumten.

Ammetista erreichte ihre Gemächer ohne weitere Unterbrechungen.

Sie schloss die Türen hinter sich, Wachen waren keine nötig, dafür sorgte ein fast undurchdringlicher Schutzbann auf allen Fenstern und Türen der üppig eingerichteten Zimmerflut. Zofen hatte Ammetista noch nie benötigt, als die Türe hinter ihr zufiel, atmete sie tief durch und straffte die Schultern. Das unvermeidliche hinauszuzögern hatte noch nie geholfen, also beschwor sie den großen, runden Amethystkristall herbei, setzte ihn auf den eigens für ihn gemeißelten Sockel und kniete davor nieder.

Das Licht des Kristalls flackerte unruhig und mit einem Mal erschien darin das Gesicht einer Frau, in deren Augen unversöhnlicher Hass brannte. Im Hintergrund pulsierte das Licht des Kristalls zwingend, hypnotisch und spiegelte sich in den Pupillen der Kaiserin.

"Du hast jämmerlich versagt, Ammetista!" ertönte aus dem Kristall. "Der OnyxKristall ist nun für immer verloren, nur weil du Lady Onya unterschätzt hast."

Ammetista beugte den Kopf. "Ich bitte um Vergebung, Mutter."

"Vergebung?!", höhnte die scharfe Stimme. "Dein Versagen kann ich dir nicht verzeihen, vielleicht sollte ich diese Welt endgültig verlassen ...."

"Nein!", Ammetista hatte auf einmal Tränen in den Augen. "Mutter, bitte nur das nicht!"

"Ahhh", klang es zufrieden. "Du bildest dir also noch nicht ein, ohne mich zurecht zu kommen, oder?"

"Du hast mir doch alles beigebracht, ohne dich bin ich nichts..."

"Und vergiss nicht, dass ich die einzige bin, die dich liebt, Ammetista. Alle rings um dich fürchten und hassen dich, einzig ich stehe zwischen dir und der grausamen Kälte ewiger Einsamkeit, nicht wahr...?"

Ammetista nickte schluchzend. "Bitte lass mich nicht allein ...!"

"Das ist meine gehorsame Tochter... und schlag dir ja jeden Gedanken aus dem Kopf, dass Dregod auch nur einen Funken echter Zuneigung für dich empfindet. Er ist gehorsam und pflichtbewusst, aber sonst ebenso schwach und manipulierbar wie alle Männer. Wenn du brav bist und mir den Azurkristall bringst, dann haben wir vielleicht endlich genug Macht, damit ich wieder bei dir sein kann ... und das willst du doch, Ammetista, oder?"

"Mehr alls alles sonst, Mutter."

"Na also. Dann geh schlafen, damit du morgen gleich damit beginnen kannst, die letzten Verstecke des OnyxClans auszuräuchern, jetzt da Lord und Lady tot sind, sind sie alle deine Sklaven ..." Das Bild der Frau verschwand.

Gehorsam erhob sich Ammetista und mit eckigen Bewegungen, streifte sie ihre Kleider ab, wusch sich und schlüpfte in ein lavendelfarbenes Nachtgewand, ehe sie sich auf dem breiten Bett niederlegte und in eine dünne Decke wickelte. Sobald sie die Augen schloss, fing das Licht des Kristalls in ihrem Rücken erneut an zu pulsieren.

Ammetista versank in der Welt des ewig gleichen Alptraumes, den sie seit dem Tod ihrer Mutter in abgewandelter Form alle paar Wochen durchlebte. Sie war wieder ein Kind, wieder in einem dunklen, kalten Raum, sie war böse gewesen und wurde nun bestraft, alle hassten sie, weil sie immer böse war, aber wenn sie nicht böse war, wurde sie von den anderen nur ausgelacht. Der Raum wurde immer größer, die Wände wichen zurück und er verwandelte sich in ein Eisfeld, wo ein schneidend kalter Wind pfiff und es nur eine endlose weiße Weite gab, ihre Füße waren festgefroren und die Kälte kroch in ihrem Inneren hoch, sie wusste, wenn das taube Gefühl ihre Herz erreichte, würde sie sterben ... da auf einmal erstrahlte ein warmes Licht und sie erkannte, dass sich eine Türe geöffnet hatte, es war ihre Mutter, die auf sie zukam, sie umarmte, an sich drückte und die Kälte wich aus ihrem Körper. Sie hörte ihre Mutter flüstern. "Ich allein liebe dich, ich allein beschütze dich vor der ewigen Kälte. Vertraue nur mir, gehorche mir immer und du wirst nie allein sein ..." Dann mit einem Schlag war ihre Mutter fort und sie wieder allein in dem dunklen Zimmer. Es war nicht so schlimm wie auf dem Eisfeld, aber sie wusste, wenn sie zu lange allein blieb, würde das Eisfeld wieder erscheinen und sie fürchtete sich vor der Hilflosigkeit und Kälte.

Unter der dünnen Decke krümmte sich ihr Körper zusammen und sie umklammerte das Kissen. "Ich tue alles, was du sagst Mama", flüsterte sie im Schlaf und eine einzelne Träne rann über ihre Wangen. "Komm wieder zurück!"

Von ihr unbemerkt erschien für einen kurzen Moment wieder das Abbild ihrer Mutter im Kristall, ein zufriedenes Lächeln spielte um die schmalen, grausamen Lippen, dann war das Bild wieder verschwunden und Ammetista schlief den Rest der Nacht tief und traumlos.

Ende des 6. Kapitels