2.

Am nächsten Abend musste David wieder die Nachtschicht übernehmen. Carmen dachte nicht weiter darüber nach, sie bedauerte es nur ein wenig, die Nacht wieder ohne ihn verbringen zu müssen. Nachdem sie sich schlafen gelegen hatte, träumte sie wirre Sachen von Piraten, grünen Äpfeln und rosa Häschen, wobei letztere sie am meisten verwirrten.

Plötzlich schrak sie auf, sie spürte die Anwesenheit einer anderen Person in ihrem Zimmer. Da saß er wieder, Captain Jack Sparrow, neben ihr auf dem Bett einen Apfel verspeisend. Carmen funkelte ihn böse an, während er sich davon nicht stören ließ, mit seinen Augen über ihren Körper zu wandern. Die ganze Zeit lag wieder dieses verschmitzte Grinsen auf seinem Gesicht. Carmen versuchte diese Körperinspektion zu unterbrechen und fragte: "Was machst du schon wieder hier? Hast du etwas vergessen?"

Darauf wurde Jacks Grinsen nur noch breiter. Er erwiderte: "Ja, dich!"

Entrüstet antwortete sie: "Was bildest du dir eigentlich ein? Du kannst nicht einfach so in der Nacht zu mir kommen und dich neben mich auf das Bett setzen. Jetzt verschwinde aus meinem Haus!"

"Aber nur, wenn du mich begleitest.", entgegnete Jack.

"Warum sollte ich mit dir kommen?", fragte Carmen ihn.

Jack erwiderte: "Weil ich dir etwas sehr interessantes zeigen könnte. Es betrifft deinen Mann."

Da horchte Carmen auf einmal auf. Etwas, das ihren Mann betraf? Sie hatte bisher immer angenommen, dass sie alles von ihm wisse, während er eigentlich nichts von ihr erfahren hatte. Vielleicht war er ja doch nicht so ehrlich, wie er immer tat. Wenn das war wäre, so würde ihre Liebe zu ihm nur noch größer werden. Doch weshalb sollte Jack ihr die Wahrheit sagen? Er wollte sie doch sicher nur irgendwo hinlocken, wo er mit ihr machen konnte, was er wollte. Nach einer Weile siegte jedoch die Neugier und Carmen willigte ein mitzugehen. Im Notfall war sie ja geschickt genug, sich zu verteidigen.

Jack verspürte einen kleinen Triumph als er dies hörte. Er wusste noch immer genau, was die Frauen neugierig machen würde. Zu seinem Glück hatte er einige Stunden zuvor ihren Mann in einer Kneipe kennen gelernt. Manche Leute haben einfach immer noch nicht gelernt, unter Alkoholeinfluss nicht gleich alles zu verraten, was man wissen will. Jack hatte diesen Fehler nur einmal gemacht, danach hatte er sein Schiff nicht wieder gefunden.

Wie würde sie wohl reagieren, wenn er ihr zeigte, was er herausgefunden hatte? Mit torkelnden Schritten führte er sie zu dem Hafen.

"Wie heißt du eigentlich, Kleine?", fragte er sie nach einer Weile.

Carmen überlegte kurz, ob sie ihm einen falschen Namen angeben sollte, kam jedoch zu dem Schluss, dass es sowieso keine Rolle spielen würde.

"Mein Name lautet Carmen", antwortete sie.

"Tragischer Name", erwiderte er nachdenklich.

Carmen war es egal, sie wollte nur endlich herausfinden, was es mit ihrem Mann auf sich hatte und dann wieder nach Hause gehen.

Langsam kamen sie in eine zwielichtige Gegend in der Nähe des Hafens. Das Quartier war bekannt für seine zahlreichen Bordelle und Schmuggelgeschäfte. Carmen überlegte sich, ob es wirklich eine so gute Idee war, mit diesem Captain Jack Sparrow mitzugehen. Aber da sie nun mal schon hier war, konnte sie auch bis zum Ende mitgehen.

Neben einem Haus blieb Jack auf einmal stehen. Er deutete mit einem Finger auf ein Fenster und sagte: "Schau!"

Jack im Auge behaltend trat sie näher an das Fenster heran. Was sie da sah, traf sie wie ein Blitz. Sie war so schockiert, sie konnte gar nichts mehr sagen, sie vergaß sogar die Anwesenheit von Jack. Eine unheimliche Wut auf David wuchs in ihr, als sie ihn da sah, wie er sich mit einer bedeutungslosen Hure vergnügte. Nachdem sie sich vom ersten Schock erholt hatte, drehte sie sich zu Jack um.

Dieser sagte unbekümmert wie immer: "Sorry Kleine, dass du das sehen musstest, aber ich dachte, du hättest ein Recht darauf, es zu erfahren."

Carmen spürte sich auf einmal, sie verlor die Kontrolle über sich selbst. Sie trat ganz nahe an Jack heran, legte ihre Hände auf seine Hüften und hauchte ihm ins Ohr: "Ich bin dir unheimlich dankbar."

Zuerst war Jack ein wenig verwirrt, doch dieser Ausdruck wich rasch einem freudigen Grinsen auf seinem Gesicht.

Carmen berührte seinen Halfter, zog seine Pistole, stieß Jack von sich weg und stürmte zur Tür. Mit einem heftigen Tritt war diese offen und sie stellte sich großbeinig vor das Bett, indem sich die zwei Turteltäubchen angstvoll zusammenkauerten. Carmen zischte: "Das werde ich dir nie verzeihen", und schoss dreimal auf David ein. Die verdammte Hure fing an zu schreien, war jedoch sofort still, als Carmen auch auf sie zielte. Nachdem sie sich entschlossen hatte, die Hure am Leben zu lassen, verließ sie das Haus wieder. Triumphierend trat sie vor Jack, doch da wurde ihr auf einmal schwarz vor Augen. Jack, der dem ganzen Geschehen bis jetzt nur mit etwas erstaunten Augen zugeschaut hatte, erblickte hinter der zusammengefallenen Carmen die Hure, mit einer Bratpfanne in der Hand. Um sie loszuwerden, knurrte Jack sie an. Die Prostituierte rannte kreischend davon.

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Etwas ratlos stand nun Captain Jack Sparrow vor der in Ohnmacht gefallenen Carmen. Was macht ein Pirat, zu dessen Füssen eine wunderschöne Frau liegt? Die Antwort darauf schien ihm sonnenklar: sie mitnehmen. Also packte er sie über seine Schultern und torkelte zu seinem Schiff, der Black Pearl.

Eine Stunde später kam er bei seinem Schiff an. Eigentlich wäre es nur zehn Minuten entfernt gewesen, doch irgendwie hatte er es geschafft sich zu verlaufen. Ihm war auch nicht genau klar, wie das geschehen konnte. Doch solche Sachen passierten ihm ständig, deshalb dachte er gar nicht länger darüber nach, brachte Carmen auf sein Schiff und gab den Befehl, Anker zu lichten. Er legte sie in seiner Kabine in sein Bett, löschte das Licht, setzte sich in einen Sessel und wartete darauf, dass sie aufwachte.

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