9. Grausame Enthüllung

Mit Unbehagen wandte Harry sich erneut seinem Buch zu, doch so sehr er sich auch bemühte, irgendwie gelang es ihm nicht mehr, sich auf die Zeilen vor ihm zu konzentrieren. Ständig schweiften seine Gedanken zu Remus Lupin und dem, was er am Morgen durch die Küchentür gehört hatte. Nach einigen Minuten legte er  ärgerlich das Buch aus der Hand und starrte aus dem Fenster. „Er sieht diese Suche als seine Pflicht an und nichts wird ihn davon abhalten können, ausgenommen sein eigener Tod", hatte McGonagall gesagt. Harry seufzte schwer, während er den vorbeiziehenden Wolken nachsah. „Was sucht Lupin?"

Harrys Gedankengänge wurden jäh unterbrochen, als es gegen den Türstock klopfte und gerade jener in der Tür stand, bei dem Harrys Gedanken schon die ganze Zeit über verweilten.

„Darf ich dich stören, Harry?"

„Natürlich", nickte Harry, während Lupin auf ihn zu kam und dem Hund, mit einem traurigen Lächeln über den Rücken strich.

„Ich warte nur noch auf Professor Dumbledore und dann werde ich unseren Freund hier zu Andrea zurückbringen."

„Sagen Sie ihr Grüße von mir", sagte Harry leise, drehte den Kopf und blickte erneut aus dem Fenster.

Remus nickte leicht, ehe er tief durchatmete und näher an Harry herantrat. Er hob kurz die Hand, als wollte er Harry an der Schulter berühren, doch dann ließ er sie kraftlos sinken und schüttelte resignierend den Kopf. Für einige Minuten sprach niemand. Harry sah stur nach außen und Lupin starrte seinerseits auf seine Fußspitzen; keiner von ihnen schien die richtigen Worte zu finden.

„Ich möchte mich bei dir entschuldigen, Harry", sagte Remus unvermittelt in die Stille hinein. „Es tut mir leid, dich mit dem Portschlüssel überrumpelt zu haben."

Harry zögert kurz, ehe er antwortete und seine eigene Stimme kam ihm plötzlich seltsam fremd vor. „Ich kann nicht sagen, dass es in Ordnung ist, doch ich verstehe warum Sie es getan haben", sagte er heiser, starrte jedoch weiterhin aus dem Fenster.

„Und ich verstehe ziemlich gut, dass du sauer bist", seufzte Remus und fuhr sich müde über die Augen.

„Ich bin nicht sauer, oder nicht mehr", sagte Harry zögernd. „Es ist nur…"

Er brach ab und schüttelte unwillig den Kopf, als ihm die passenden Worte nicht einfielen.

„Es ist eine Sache des Vertrauens", sagte Lupin bitter und atmete tief ein. „Du hast mir vertraut und ich habe dieses Vertrauen missbraucht."

Für einen Moment war Harry überrascht, dass Lupin so klar erkannt hatte, was in ihm vorging. Trotzdem gab es da noch etwas anderes, was ihm mindestens genauso wichtig war zu sagen.

„Das ist es nicht. Ich möchte ……ich möchte Sie bitten…" Harry schluckte hart und wandte sich nun ganz Remus zu, der ihn jetzt erwartungsvoll ansah. „Bitte versprechen Sie mir, dass Sie mich in Zukunft nicht mehr schützen."

Remus starrte ihn einige Augenblicke entgeistert an, bis er schließlich Luft holte und ungläubig den Kopf schüttelte. Er öffnete einige Male den Mund, als wollte er Harry antworten, doch offensichtlich fehlten ihm die Worte, so dass Harry sich genötigt sah, die Bitte klarer zu formulieren.

„Bitte, ich möchte nicht, dass jemand versucht mich zu schützen und sich deshalb in Gefahr begibt. Ich könnte es nicht ertragen…"

Ein dicker Kloß bildete sich plötzlich in seiner Kehle und verhinderte die weiteren Worte, doch Lupin verstand ihn auch so.

„Ich weiß was du meinst, Harry", sagte er mit belegter Stimme und legte schwer die Hand auf seine Schulter. „Doch diese Bitte kann ich dir nicht erfüllen, denn ich würde damit ein anderes, älteres Versprechen brechen."

„Aber…"

„Nein, Harry! Aber ich verspreche dir etwas anderes…. Ich verspreche dir, dass ich, bei allen Bestrebungen dich zu schützen, vorsichtig sein werde und auch auf mein eigenes Leben achte."

Ein versonnener Ausdruck entstand auf Lupins Gesicht, als er einen kurzen Moment in seinen eigenen Erinnerungen gefangen war. Aber Harry kam nicht mehr dazu ihm zu antworten, denn in diesem Augenblick hörten sie Schritte die sich der Bibliothek näherten, Lupin sah überrascht zur Tür und kurz darauf kam Albus Dumbledore, gefolgt von McGonagall und Silver herein.

„Guten Morgen, Harry!", grüßte der alte Schulleiter freundlich, auch wenn seine Augen besorgt auf Harry und den Hund gerichtet waren.

„Guten Morgen, Professor", antwortete Harry und sah fragend in die Runde, doch niemand reagierte auf seine stumme Frage.

Dumbledore kam langsam auf ihn zu, während sein Blick scharf den schwarzen Hund fixierte, bis er schließlich scharf die Luft einsog und nickte.

„Eine erschreckende Ähnlichkeit, wirklich verblüffend", sagte er betrübt und für einen winzigen Augenblick glaubte Harry, Trauer und Schmerz in Dumbledores Augen zu sehen.

„Harry, kommt bitte hier rüber", sagte Silver und zog, wie auch Dumbledore und Minerva McGonagall, unvermittelt seinen Zauberstab.

„Was ist los?", fragte Harry fassungslos und starrte auf die in seine Richtung zeigenden Zauberstäbe.

„Das werden wir gleich feststellen", sagte Dumbledore ruhig und deutete Remus durch eine schlichte Handbewegung an, ebenfalls zur Seite zu treten. „Ich habe die Befürchtung, dass dein neuer Freund nicht das ist, was er zu sein scheint."

„Was soll das heißen?"

Harry war mit einem Satz vom Fensterbrett gesprungen und blickte Dumbledore entsetzt entgegen, doch statt ihm zu antworten, murmelte der alte Zauberer einige undeutliche Worte und ein blauer Strahl schoss auf den Hund zu. Es knisterte kurz und plötzlich sah es aus, als würde der Hund von unsichtbarer Hand in die Luft gehoben, hier verharrte er kurz und noch während der Hund abwärts glitt, veränderte sich sein Erscheinungsbild. Dort wo Sekunden zuvor, ein großer schwarzer Hund gesessen hatte, befand sich nun ein kleiner braunweißer Mischling, der verängstig zu winseln begann.

„Genau was wir befürchtet haben", seufzte Dumbledore und nickte Silver zu.

„Eine gelungene Transfiguration", flüsterte McGonagall erschüttert und trat näher an den Hund heran.

„Eine grausame Meisterleistung", stimmte auch Silver bitter zu und wandte sich dann erklärend an Harry, der noch immer perplex den Hund anstarrte. „Jemand hat ihn so verzaubert, dass er der Animagusgestalt von Sirius Black glich."

„Aber warum und wer…?", stieß Harry entsetzt aus und sah hilfesuchend zu Remus Lupin.

„Voldemort."

Es war nur dieses einzige Wort, das er sagte, doch darin lag soviel Wut, Schmerz und auch Bitterkeit, wie Harry es noch nie in einem einzelnen Wort vereint gehört hatte. Lupins Gesicht war noch eine Spur blasser geworden, aber gleichzeitig loderte in seinen sonst so ruhig und freundlich blickenden Augen ein Hass und eine Entschlossenheit auf, die Harry unwillkürlich erschaudern ließ.

„Ein teuflischer Plan", nickte Dumbledore und bückte sich zu dem Hund, der ängstlich zurückwich. „Siehst du das Halsband, Harry?" Ein kurzer Schlenker seines Zauberstabs und das unscheinbare Lederhalsband glitt vom Hals des Tieres und schwebte in Dumbledores ausgestreckte Hand. Auf dem ersten Blick schien es ein ganz gewöhnliches Hundehalsband zu sein.

Harry hielt spontan die Luft an und plötzlich schienen seine Beine nur noch aus Pudding zu bestehen - kaum willens ihn die wenigen Meter zu dem alten Schuleiter zu tragen.  Eine böse Vorahnung ließ ihn frösteln und er schloss unwillkürlich die Augen, während er den Worten Dumbledores lauschte.

„Vermutlich glaubte Voldemort damit deinen Aufenthaltsort ausfindig machen zu können. Er brachte den Hund in deine Nähe und hoffte, du würdest auf den Trick hereinfallen. Es gehört nicht viel Einfühlungsvermögen dazu, um sich ausmalen zu können, was sein Erscheinen bei dir auslösen würde."

„Heißt das, dass Voldemort nun weiß, wo sich das Hauptquartier befindet?" stieß Harry panisch aus, doch Dumbledore schüttelte den Kopf.

„Nein, so einfach ist das nicht. Dieses Haus ist durch so viele Abwehrzauber geschützt, dass selbst Voldemort nicht feststellen kann, wo sich der Hund zum jetzigen Zeitpunkt befindet."

„Aber wie konnte er wissen…" Harry schluckte heftig und seine Beine zitterten so stark, dass er sich schließlich in den Sessel setzten musste. „Heißt das, er hat meine Gedanken manipuliert, um mich in den Park zu locken?"

„Das halte ich für unwahrscheinlich", mischte sich nun zu Harrys Überraschung Silver ein. „Du befindest dich derzeit in einem Zustand, der eine Fremdbeeinflussung ausschließt."

„Wie das?" fragte Harry verblüfft und sah abwechselnd von Silver zu Dumbledore und wieder zurück.

„Nun, der Tod deines Paten löst in dir derart starke Gefühle aus, die es unmöglich machen in deine Psyche einzudringen", sagte Silver zögernd, als versuchte er seine Worte so schonend wie möglich zu wählen.

„Professor Silver ist ein Fachmann für Occlumency.(1)  Er hat sich bereit erklärt, dich im neuen Schuljahr darin zu unterrichten", erklärte Dumbledore zögernd und setzte, als er Harrys zweifelnden Blick sah, rasch hinzu: „Allerdings nur unter der Bedingung, dass du auch bereit dazu bist."

Harry nickte widerstrebend, doch noch ehe er sich mit dem Gedanken an neue Unterrichtstunden in Occlumency auseinander setzen konnte, durchzuckte ihn ein anderer Gedanke.

„Was ist mit Andrea?"

„Das ist eine berechtigte Frage", sagte Dumbledore und strich nachdenklich über seinen langen, silbrig glänzenden Bart. „Nach allem was ich inzwischen gehört habe, denke ich zwar nicht, dass sie dir schaden wollte, doch stellt sich die Frage, wie sie zu diesem Hund gekommen ist."

„Sie erzählte, dass sie ihn verletzt im Wald gefunden hat."

„Hm, dieser Sache müssen wir dringend nachgehen", sagte Dumbledore und sah fragend in die Runde.

„Es bestünde aber auch die Möglichkeit, dass sie an dieser Falle aktiv beteiligt war." sagte Silver nachdenklich. „Es wäre nicht das erste mal, dass Todesser mit Muggeln zusammenarbeiten."

„Ich hatte heute Morgen schon ein sehr langes Gespräch mit Francesco Rasul und dabei ging es auch um die Herkunft der jungen Dame. Sie ist eine Urenkelin von Anastasia Price. Ihre Familie lebte bereits seit vielen Generationen im engen Kontakt mit der Zaubererwelt und war sehr aktiv am Kampf gegen Voldemort beteiligt. Andreas Eltern arbeiteten damals eng mit der Muggelregierung zusammen, um so zu verhindern, dass sich die dunkle Seite in der Muggelwelt verstecken konnte."

„Ich erinnere mich an dieses Muggelehepaar", grübelte Silver und massierte sich die Stirn. „wenn ich mich recht entsinne, dann wurden sie damals entlarvt und von Voldemort persönlich hingerichtet."

„Das ist richtig", seufzte Dumbledore. „Demzufolge ist es nicht anzunehmen, dass Andrea mit Voldemort gemeinsame Sache machen würde."

„Das kann ich mir, in diesem Fall auch nicht vorstellen", sagte Remus mit einem ungläubigen Kopfschütteln.

„Denken Sie, dass die Frau in Gefahr ist?", fragte nun McGonagall rasch und auch Remus Lupins Gesicht wurde plötzlich sehr besorgt.

„Wenn Voldemort herausfindet, an wen er da geraten ist, bestimmt", nickte Dumbledore zögernd und warf Harry, der eine Spur blasser wurde, einen besorgten Blick zu. „Rasul ist Andreas Pate und war ein enger Freund ihrer Eltern, er hat bereits Sicherheitsvorkehrungen getroffen."

„Sie halten Rasul für vertrauenswürdig?", seufzte McGonagall zweifelnd.

„Ja", nickte Dumbledore „Er bekämpfte bereits in seiner Jugend die dunklen Mächte und könnte ein wertvoller Verbündeter werden."

„Was geschieht jetzt weiter mit dem Hund und mit Andrea?", sprudelte es ungeduldig  aus Harry hervor. „Müssen wir sie nicht warnen?"

„Das werde ich übernehmen, wenn Sie damit einverstanden sind, Dumbledore", sagte Lupin knapp.

„Tu das, aber sei vorsichtig Remus. Was auch immer Voldemort konkret vorhatte, inzwischen wird er wissen, dass sein Plan nicht wunschgemäß funktionierte."

„Grund genug sich zu beeilen", entgegnete Lupin entschlossen, nahm den Hund auf den Arm und wollte schon den Raum verlassen, als Dumbledore ihn zurückhielt.

„Einen Augenblick noch, Remus! Mir wäre es lieber, Clark würde dich begleiten, außerdem werde ich Rasul benachrichtigen und ihn bitten, ebenfalls zu Andrea zu kommen."

„Einverstanden", nickte Remus und kurz darauf war er zusammen mit Silver verschwunden.

Den Blick nachdenklich auf das Hundehalsband in seiner Hand gerichtet, atmete Albus Dumbledore tief ein, ehe er Harry leicht auf die Schulter klopfte und sich in einem der großen Sessel neben Harry niederließ.

„Vielleicht kann uns dieses Halsband noch nützlich sein", sagte er grübelnd, bevor er von hektischen Schritten unterbrochen wurde und Sekunden später Tonks in der Tür erschien.

„Professor! Molly sprach gerade mit Kingsley über das Kaminfeuer. Einige Schüler wurden in der Winkelgasse angegriffen. Es gab mehrere Verletzte und…zwei Tote", sprudelte es aus Tonks heraus, noch ehe sie Dumbledores warnenden Ausdruck in den Augen bemerkte.

„Ich komme!", sagte er kurz und warf Harry, der Tonks mit weitaufgerissenen Augen anstarrte, einen besorgten Blick zu.

Dumbledore erhob sich mit jugendlicher Leichtigkeit aus dem Sessel und sprach einige leise Worte mit Minerva McGonagall, ehe er mit wehendem Umhang den Raum verließ. Harry bekam dies nur am Rande mit; ein seltsames Gefühl von Unwirklichkeit hatte ihn gepackt, so als würde er plötzlich schweben und von einem weit entfernten Ort aus beobachten, wie seine Lehrerin mit besorgtem Gesicht auf ihn zukam und mit ihm redete. „Was geschieht hier eigentlich?"

McGonagall, die ihn hart an der Schulter rüttelte, holte ihn unvermittelt in die Wirklichkeit zurück.

„Potter, Potter kommen Sie zu sich!", rief sie energisch und lockerte erst den Griff um seine Schulter, als er sie mit weit aufgerissenen Augen verstört ansah.

„Was ist?"

„Das würde ich gern von Ihnen hören?"

„Du warst völlig weggetreten, Harry", erklärte Tonks mit zitternder Stimme und erst jetzt bemerkte, Harry, dass sie neben ihm kniete und seine Hand hielt.

„Oh, tut mir leid", stieß er betroffen hervor und zog beschämt seine Hand zurück. „Ich war nur in Gedanken."

McGonagall zog scharf die Luft ein, doch noch ehe sie etwas sagen konnte, war Harry auf den Beinen und auf dem Weg nach draußen.

* * * * *

Remus Lupin und Clark Silver betraten gerade den Treppenaufgang zu Andreas Wohnung, als ihnen bereits ein sehr erzürnter Hausbewohner entgegen kam.

„Ja sind wir denn hier in einem Tollhaus?", brüllte er über das Geländer nach oben. „Wenn hier nicht augenblicklich Ruhe einkehrt, rufe ich die Polizei!"

„Erst dieser Riesenköter, der sämtliche Kinder ängstigt und nun Verrückte, die durch das Haus rennen, als wären sie hier auf einem Sportplatz", zeterte eine alte Frau, die in der Mitte der Treppe stand und ihren Gehstock drohend über dem Kopf schwang, so dass Clark erschrocken auswich und Remus einen besorgten Blick zuwarf, der im gleichen Moment den Hund von seinem Arm fallen ließ.

Ein ohrenbetäubendes Krachen ertönte aus den oberen Stockwerken und das Prasseln von zersplitterndem Holz sagte ihnen, dass jemand soeben gewaltsam eine Tür geöffnet hatte. Ohne auf die beiden erschrockenen Muggel zu achten, jagten Lupin und Silver die Treppe nach oben….

* * * * *

Fortsetzung folgt…. 

Autornote: An dieser Stelle möchte ich mich ganz herzlich für die vielen Rewievs bedanken, freut mich dass euch meine Story gefällt!

Leider kann die Fortsetzung nun etwas dauern, da ich am Freitag erst mal in den Urlaub fahre und nicht weiß, ob ich das nächste Kapitel noch vorher hochladen kann. Wenn doch nicht, verspreche ich, dass ich in Italien fleißig an der Fortsetzung weiterschreiben werde!

(1) Occlumency ist die Verteidigung gegen geistige Attacken oder Beeinflussung. Weiß nicht, wie das im Deutschen übersetzt werden soll, darum hab ich den englischen Begriff gelassen.