26. Das Warten

Harry hatte inzwischen die Nase gründlich voll. Er war hundemüde, er fror, hatte Durst und das Gezanke der Runespoor ging ihm immer mehr auf die Nerven. Waren es zu Anfang nur vereinzelte Schlangen gewesen, die sich immer wieder aufs Neue in einen Streit verzettelten, so waren sich inzwischen auch die einzelnen Köpfe uneinig. Nur die zweiköpfige Runespoor, die als seine dauernde Begleiterin neben ihm dahin glitt, schien sich von diesem Dauerdisput nicht anstecken zu lassen.

„Müssen die denn immer streiten?", stöhnte Harry und verdrehte die Augen.

„Es liegt in der Natur der Runespoor", nickte die zweiköpfige Schlange neben ihm und blickte mitfühlend zu ihm hoch. „Jeder Kopf hat seine eigene Meinung und möchte diese auch zum Ausdruck bringen."

„Deine Natur ist es offensichtlich nicht", lächelte Harry matt. „Du bist hier die löbliche Ausnahme."

„Genauso wie du auch nicht der normalen Art der Menschen entsprichst", entgegnete sie schlicht und schlängelte sich unbeirrt weiter. „Viele Menschen fürchten und verabscheuen Schlangen und die Runespoor ganz besonders. Deshalb ist es ihr vorrangiges Ziel, die Runespoor zu töten oder einzusperren, um ihnen die Eier zu stehlen."

„Kann sein."

„Aber du bist anders, du sprichst unsere Sprache."

„Was bei den Menschen nicht unbedingt ein Zeichen für Vertrauenswürdigkeit ist", stöhnte Harry. „Und ich habe diese Fähigkeit auch nicht freiwillig erworben, obwohl ich zugeben muss, dass sie sehr nützlich sein kann."

Die zweiköpfige Runespoor musterte ihn überrascht, fragte aber nicht weiter nach.

„Lasst uns eine Pause machen", sagte er nach einer Weile zu den Schlangen, als sie das Ende des Korridors erreicht hatten und feststellten, dass dieser in einer Sackgasse endete.

„Der Mensch sieht müde aus", zischte die zweiköpfige Runespoor verstehend, während sie Harry zusah, wie dieser mit dem Zauberstab ein Feuer heraufbeschwor und sich daneben setzte.

„Warum halten wir an?", vernahm er eine Schlange zu seiner Linken.

„Es ist nicht mehr weit", zischten die Schlangenköpfe zu seiner Rechten.

„Weil Menschen Rast brauchen", zischte eine Andere.

„Etwas Großes und Gefährliches ist in der Nähe! Ich kann es spüren."

„Ich auch, wir sollten diesen Ort schnell verlassen!"

„Irgendetwas beobachtet uns, kannst du es nicht fühlen, Mensch?"

„Das sagt ihr schon die ganze Zeit", stöhnte Harry und streckte die Hände zum wärmenden Feuer.

Der Streit der Schlangen begann von neuem und ließ Harry resignierend die Augen schließen. Bald war das Gezische nur noch ein fernes Rauschen und Harry bemerkte, dass er im Begriff war einzunicken. Ruckartig setzte er sich gerade, um so das Einschlafen zu verhindern. Er durfte jetzt nicht schlafen, er musste wach bleiben. Das flackernde Feuer warf bizarre Schatten an die Kellerwand und erinnerte Harry unwillkürlich an das, was die Schlangen gesagt hatten. Etwas Großes und Gefährliches ist hier unterwegs.

„Na gut. Lasst uns weitergehen", seufzte er nach einigen Minuten nachgebend, löschte das Feuer und stand auf.

Langsam ging er den Korridor zurück, bis er an die nächste Abbiegung kam.

„Menschen sind in der Nähe!", wisperte eine Runespoor plötzlich.

„Seht bitte nach, um wen es sich handelt", sagte Harry zu den vordersten Schlangen, die sich daraufhin sofort in Bewegung setzten. „Aber greift sie nicht an!"

Harry lauschte angestrengt in die Stille, doch er konnte nicht das leiseste Geräusch hören. Die Minuten, bis sie zurückkehrten, schienen sich für Harry endlos in die Länge zu ziehen.

„Sie gehören zu deiner Art, sie riechen nicht nach Tod", sagte der eine Schlangenkopf.

„Es sind mehrere und deine Freunde von vorhin sind auch dabei", ergänzte der nächste Kopf.

„Sie sind im Stockwerk unter uns", erzählte der Dritte.

„Gut, dann sollten wir vorsichtig sein. Ich möchte nicht, dass sie uns bemerken."

„Nur noch den nächsten Gang, dann sind wir an der Stelle, die du suchst", sagte eine andere Runespoor und schlängelte sich nach vorn.

* * * *

Dumbledore stellte die Geduld seiner Vertrauten auf eine harte Probe. Immer wieder tippte er mit dem Zauberstab einzelne Gemälde an, murmelte unverständliche Worte und schien doch keinen Schritt weiter zu kommen.

Hermine und Ron hatten sich zu den Weasleyzwillingen auf die Treppenstufen gesetzt und beobachten den alten Schulleiter. Tonks und Arthur Weasley saßen nebeneinander auf den Stühlen und schienen schwer mit der Müdigkeit zu kämpfen, während Rasul unruhig auf und ab ging. Silver und Harvey standen vor dem Bild mit dem Torbogen und unterhielten sich sehr leise, während Moody das angrenzende Zaubertranklabor unter die Lupe nahm.

Plötzlich ertönten aus dem Bild hinter Silver Schritte und einige Augenblicke später erblickten sie einen Lichtstrahl vom Rand des Bildes.

„Harry!", sagte Silver und deutete auf die kleine Gestalt am Bildrand.

„Offensichtlich gesund und munter", nickte Harvey und trat ein Stück zurück, damit auch die Anderen besser sehen konnten.

„Mensch Fred, du stehst mir im Weg", beschwerte sich Hermine und drängte sich an den Zwillingen vorbei.

Harry auf dem Bild kam näher, blieb aber immer wieder stehen und wisperte mit den Runespoor. Erst als er die Zelle mit dem Torbogen erreicht hatte, verteilten sich die Schlangen auf die beiden Seiten des Korridors und nur die zweiköpfige Runespoor blieb bei Harry.

„Die Runespoor halten Wache!", sagte Silver und schüttelte ungläubig den Kopf. „Hätte ich es nicht mit eigenen Augen gesehen, würde ich es nicht glauben. Ich habe noch nie gehört, dass man Runespoor abrichten kann."

„Einer der Vorteile wenn man Parsel kann", nickte Dumbledore, der nun ebenfalls näher kam und das Geschehen interessiert beobachtete. „Wobei ich hier nicht von abrichten reden würde. Harry hat die Fähigkeit mit den Schlangen zu reden und kann sie daher um Hilfe bitten, er muss sie nicht zwingen."

„Er hat das Schwert nicht mehr bei sich", stellte Hermine plötzlich fest und ließ den Blick suchend das Bild entlang wandern.

„Nachdem, was du uns erzählt hast, kann ich das verstehen", seufzte George mit einem schiefen Grinsen.

„Da das Schwert verzaubert wurde, kann er sich nicht sicher sein, dass er nicht noch einmal damit auf Lupin losgehen würde", nickte auch Fred ernst und wirkte damit erwachsener, als Hermine ihn je gesehen hatte.

In all den Jahren, in denen Hermine die Zwillinge kannte, hatte sie beide bisher immer nur lustig und albern erlebt, fast so als wäre Ernsthaftigkeit für sie ein Fremdwort. Plötzlich jedoch legten sie eine Besorgnis und Umsicht an den Tag, die Hermine ihnen nicht zugetraut hätte und womit die Zwillinge ihr merkwürdig fremd erschienen.

Harry hatte inzwischen mit einem Zauberspruch das Zellenschloss geöffnet und schob nun vorsichtig die Tür auf, ehe er mit einem weiteren Zauberspruch das Gitter, welches Pettigrew heraufbeschworen hatte, verschwinden ließ. Für einige Sekunden blieb er regungslos vor dem Torbogen stehen, bis er sich schließlich mit einem tiefen Seufzer wegdrehte. Nun konnten sie erstmals auch sein Gesicht genauer sehen.

Um seine Augen hatten sich dunkle Ringe gebildet und seine Haut schien unnatürlich blass, dennoch wirkte er wie jemand, der genau weiß, was er tun will. Er flüsterte leise mit der zweiköpfigen Runespoor, die ihn als Einzige in die Zelle begleitet hatte und zog Andreas Kettenanhänger aus der Tasche. Einen Moment sah er sich unschlüssig um, ehe er die Kette etwas entfernt vom Torbogen auf den Boden legte. Anschließend nahm er den Zauberstab des Todessers zur Hand und legte ihn dazu. Die Runespoor kam näher, zischte leise und legte sich schließlich, zu einem Ring geformt, um Anhänger und Zauberstab. Harry strich ihr mit einem traurigen Lächeln über den Kopf und nickte.

„Es sieht tatsächlich so aus, als sollte die Runespoor den Portschlüssel bewachen", sagte Ron verwirrt.

„Sollten wir uns nicht endlich auf die Suche nach genau diesem Korridor machen?", fragte Rasul ungeduldig.

„Gut, versuchen wir es", nickte Dumbledore, warf einen prüfenden Blick auf Harry und gab den Anderen ein Zeichen, Platz zu machen. „Clark, bist du bereit?"

„Ja", antwortete Silver schlicht und trat näher an das Gemälde heran. Offensichtlich hatte er verstanden, was Dumbledore von ihm erwartete.

„Auf drei!", sagte Dumbledore und als Silver nickte, fing er an zu zählen. „Eins, zwei und drei."

Bei der Zahl Drei zeichnete der alte Zauberer mit einer blitzschnellen Bewegung einen goldschimmernden Bogen auf das Bild und Silver trat hindurch. Eine Sekunde später verschwand der Bogen und nun konnten sie Silvers Gestalt auf dem Gemälde erkennen.

„Genial!", entfuhr es George und auch Fred begann zu strahlen.

„Danke", schmunzelte Dumbledore, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder dem Bild zuwandte.

Silver drehte sich um und betastete die Wand hinter sich. „Tja, das hierher Kommen ging ganz gut, doch mit dem Rückweg wird es schwieriger werden. Außer harter Felswand ist nichts zu sehen."

„Genau wie ich gedacht habe", seufzte Dumbledore, wohl wissend, dass Silver ihn nicht hören konnte.

„Ich würde ihn gern begleiten", meldete sich nun Harvey zu Wort, doch noch ehe Dumbledore ihm antworten konnte, begannen die Runespoor auf dem Gemälde zu zischen. Drohend richteten sie sich vor Silver auf, griffen ihn jedoch nicht an.

„Harry!", rief Silver, doch dies wäre nicht nötig gewesen, da dieser ihn bereits bemerkt hatte und nun eilig auf ihn zukam.

„Die Runespoor tun Ihnen nichts", sagte Harry hastig, da Silver jedoch keine Anstalten machte, die Schlangen anzugreifen, entspannte er sich etwas.

„Alles in Ordnung mit dir, Harry?", frage Silver und sah ihn prüfend an.

Als Harry nickte, atmete er sichtlich auf. „Gut, dann lass uns mal zu dem Tor gehen."

„Woher wissen sie…"

„Hermine hat uns alles erzählt."

„Verstehe", sagte Harry und zog ein Gesicht, dem deutlich anzusehen war, dass er nicht so recht wusste, ob er nun über die Hilfe erleichtert sein sollte oder Silvers Auftauchen ihn ärgerte. Letztendlich schien sich jedoch die Erleichterung durchzusetzen, denn er atmete tief durch und ging zurück.

„Ich habe keine Ahnung, wie oder wann diese Traumreise endet", seufzte Harry, als sie die Zelle erreicht hatten.

„Das hat wohl keiner von uns", gestand Silver und trat näher an den Torbogen heran.

„Wenn sie zu früh zurückkommen, wird Remus sich verwandeln."

„Ja, das ist anzunehmen, doch es wird nicht mehr allzu lange dauern, bis die Sonne aufgeht. Vorläufig können wir nur abwarten und uns bereithalten, falls etwas Außergewöhnliches geschieht."

„Wie kommen Sie eigentlich…"

Harry wurde unterbrochen, als Harvey, Rasul und Tonks im Korridor auftauchten.

„Genau wie die Drei hier!", sagte Silver mit einem leichten Grinsen, als er Harrys Verblüffung sah. „Wir haben einen Raum mit höchst interessanten Gemälden gefunden."

Rasul hatte eben, dicht gefolgt von Tonks und Harvey, die Zelle erreicht, als Tonks plötzlich wie erstarrt stehen blieb und sich ihre Augen weiteten.

„Das kann doch nicht sein? Wie ist das möglich?", stammelte sie fassungslos.

„Ihr Beide habt den sonderbaren Torbogen im Ministerium noch nicht gesehen, aber dieser hier gleicht dem in der Mysteriumsabteilung auf ganz beängstigende Art und Weise", erklärte Harvey, als er die verständnislosen Blicke von Rasul und Silver sah.

„Du meinst… dieses Tor, hinter dem man die Stimmen der Verstorbenen hört?", fragte Rasul hastig und konnte einen Anflug von Panik nicht verbergen.

„Ich rede hier nur von der optischen Ähnlichkeit", versuchte Harvey seinen Neffen zu beruhigen.

„Und was genau bedeutet das nun?", fragte Silver und nahm das Tor genauer in Augenschein.

„Das ist eine berechtigte Frage und ich wünschte, sie beantworten zu können, aber ich kann es nicht", stöhnte Harvey und kratzte sich nachdenklich am Kopf.

„Und Andrea hat dies mit Hilfe des Salomonschilds erzeugt?", wandte sich Silver nun an Harry.

„Ich nehme es an", nickte Harry. „Es ging alles zu schnell. Andrea wollte eine Passage öffnen und unmittelbar darauf stand dieses Tor hier und sie und Remus waren verschwunden."

„Faszinierend!", strahlte Harvey und ging vorsichtig um den Torbogen herum. „Seit über hundert Jahren forscht das Magische Institut für Frühgeschichte nach der Herkunft dieses Torbogens und nun…"

Harvey brach ab, als er Rasuls zornigen Blick auffing und sein Gesicht wurde sogleich wieder ernst. Nachdenklich umrundete er das Tor ein zweites Mal, ehe Tonks sich aus ihrer Erstarrung löste und auf ihn zukam.

„Aber dann könnte es ja doch sein, dass Sirius noch lebt, dass er…"

 Sie schluckte schwer, als Harvey mit einem betrüben Gesicht den Kopf schüttelte.

„Nein, das kann es nicht. Auch wenn sich die Torbögen gleichen, so besteht doch der im Zauberministerium aus massiven Stein und dieser hier… tja das ist eine gute Frage, keine Ahnung, aus was er genau besteht. Es sieht aus wie reine Energie."

„Ich habe Andrea und Remus gehört oder besser gesagt ihr Lachen", sagte Harry, während er sich eisern bemühte, die Tränen zurückzudrängen. „Vorhin, kurz bevor Sie gekommen sind."

„Sie werden uns sicher einiges zu erzählen haben, wenn sie zurück sind", nickte Silver und versuchte Harry mit einem Lächeln aufzumuntern, was ihm allerdings nicht so ganz gelang.

Harrys Magen krampfte sich zusammen, als sich Silvers Worte in seinem Kopf wiederholten. „…wenn sie zurück sind."

Rasul schien es nicht anders zu gehen, denn sein angespannter Kiefer verriet deutlich, dass er die Zähne zusammenbiss. Und das erste Mal, seit er Rasul kennen gelernt hatte, empfand Harry so etwas wie Sympathie für den Mann.

„Dumbledore möchte, dass wir uns hier in den Gängen etwas genauer umsehen", begann Tonks nach einer Weile. „Wenn Andrea und Remus zurück sind, werden wir sofort in den Grimmauld Place zurückkehren."

„Moody ist inzwischen auf dem Weg, einen Heiler hierher zu holen, da niemand einschätzen kann, wie es den Beiden bei ihrer Rückkehr geht", ergänzte Harvey.

„Das ist sicher sinnvoll", stimmte Silver zu. „Ich werde hier mit Harry die Stellung halten."

Rasul warf einen zögernden Blick auf den Torbogen, folgte aber Tonks und Harvey in den Korridor hinaus. Aus der Ferne konnte Harry das Gezische der Schlangen hören, als er sich wieder deren Warnung erinnerte.

„Die Runespoor warnten mich, vor etwas Großem und Gefährlichen, das hier unterwegs sein soll", sagte Harry und warf den Dreien einen besorgten Blick zu.

„Vermutlich das Graphorn", nickte Tonks mit einem müden Lächeln.

„Ein Graphorn?"

„Wir sind ihm heute Nacht schon mal begegnet", seufzte Silver. „Doch mach dir keine Sorgen, sie kommen schon damit klar."

Während die Schritte von Tonks, Rasul und Harvey im Korridor verhallten, nahm Silver zwei der Decken. Einen Moment sah er sich unschlüssig um, ehe er kurz nickte und sie zusammengeschlagen an die Wand, gegenüber dem Torbogen, auf den Boden legte. Die zweiköpfige Runespoor, die noch immer eingerollt dalag, beobachtete jede seiner Bewegungen.

„Er hat Recht", zischte sie an Harry gewandt. „Und auch du solltest die Zeit des Wartens nutzen, um dich etwas auszuruhen."

„Ich weiß", seufzte Harry, ohne sich bewusst zu sein, dass der in diesem Moment wieder Parsel sprach. „Doch ich bin mir nicht sicher, was ich tun möchte."

„Die bösen Menschen, die du suchst, sind fort. Willst du ihnen folgen?"

„Nein, im Moment nicht. Mir ist es wichtiger da zu sein, wenn meine Freunde aus dem Tor zurückkommen", sagte Harry und nahm sich ebenfalls eine Decke und setzte sich neben die Runespoor. „Wenn du möchtest, kannst du auch auf die Decke kommen, es ist für den Moment nicht mehr nötig die Kette zu bewachen."

„Sehr gern!"

Während die Runespoor langsam auf die Decke kam und es sich schließlich auf Harrys Schoss gemütlich machte, nahm Harry den Anhänger und steckte ihn in seine Tasche zurück.

Silver hatte ihn die ganze Zeit über interessiert beobachtet und nun, da Harrys Gespräch mit der Schlage beendet schien, schmunzelte er leicht, sagte jedoch nichts.

Einige Minuten saßen sie einfach nur schweigend da, bis Harry sich schließlich zu der Frage durchrang, die ihm schon die ganze Zeit über im Kopf herumspukte.

„Kingsley Shacklebolt, Arabella Figg und Mundungus Fletcher sind tot, nicht wahr?"

Silver atmete tief ein. „Kingsley wurde nur geschockt, doch…die anderen beiden sind tot."

„Wer sonst noch?"

„Zwei Auroren, die du nicht persönlich kanntest", sagte er zögernd.

Harry schluckte hart, während erneut das Bild der toten Mrs. Figg vor seinen Augen entstand. Vier Menschen tot, ein hoher Preis für ein paar unbeschwerte Stunden, schoss es ihm durch den Kopf und er schloss unwillkürlich die Augen. Allerdings hatte das nur zur Folge, dass noch mehr Bilder in ihm aufstiegen. Mundungus, wie er rauchend in der Küche im Grimmauld Place saß, Molly Weasleys Irrwicht, Sirius, der wegen ihm durch den Torbogen fiel und plötzlich sah er auch Chos Gesicht vor sich. Seine Innereien schienen sich in Eisklumpen zu verwandeln, als die Gewissheit in ihm einsank, dass er auch Cho nicht wieder sehen würde. Das neue Schuljahr in Hogwarts würde ohne sie beginnen. Er ballte die Fäuste so fest zusammen, dass seine Fingernägel sich tief in die Handflächen eingruben, doch auch das konnte den Schmerz nicht überdecken. Noch einmal erinnerte er sich an diesen ersten Kuss und fühlte ihre Lippen auf seinem Mund.

Für einen Moment wollte er aufschreien, doch gleichzeitig schien genau dies unmöglich zu sein. Hin- und hergerissen zwischen der schmerzhaften Leere und grenzenlosem Hass gegen Voldemort, wünschte er mehr als jemals zuvor, allein zu sein. Wünschte, er könnte die Bilder und Gedanken aus seinem Kopf vertreiben.

Er hörte, dass Silver neben ihm schwer seufzte und befürchtete schon, sich leere, tröstende Worte anhören zu müssen, doch Silver schwieg, worüber Harry ihm mehr als dankbar war.

Harry wusste nicht, wann er eingeschlafen war und auch nicht, wie lange er geschlafen hatte, als plötzlich Tonks Stimme ihn hochschrecken ließ. Das Tageslicht fiel bereits in die Zelle und ließ das Tor merkwürdig blass erscheinen.

„Wir haben den Ausgang gefunden und den Verbindungskorridor zu dem zentralen Raum", sagte sie und ließ sich erschöpft neben Silver auf die Decke fallen. „Hat sich mit dem Torbogen etwas getan?"

„Nein, bisher nicht", sagte Silver und warf einen Blick zu dem schmalen Fenster hoch.

„Wie spät ist es?", fragte Harry und richtete sich vorsichtig auf, um die Runespoor nicht zu ruckartig von seinen Beinen zu schubsen.

„Fast Mittag…"

Silver wurde unterbrochen, als der Torbogen vor ihm leicht zu flackern begann und kurz darauf hörten sie Andreas Lachen. Ganz weit und undeutlich, aber es war ein Lebenszeichen und ließ Harry unbewusst die Luft ausstoßen. Vorsichtig schob er die Runespoor von sich und stand auf.

„Andrea?", rief Rasul, doch er erhielt keine Antwort, nur der Vorhang begann sich stärker zu bewegen, als  würde er von kleinen Böen erfasst.

Gebannt warteten sie vor dem Bogen, als Harrys Blick zufällig nach unten wanderte und er eine erstaunliche Entdeckung machte.

„Der Torbogen verändert sich", sagte er heiser und deutete auf das untere Ende der Bogenrundung. „Hier unten sieht man es deutlich. Er versteinert langsam."

„Was hat das zu bedeuten?", fragte Rasul angespannt und sah sich nach seinem Onkel um.

„Keine Ahnung!", seufzte er, während sein Blick immer wieder den Bogen entlang glitt. „Es klingt blödsinnig, doch ich würde sagen, der Torbogen altert."

Selbst Silvers Mimik, die bisher ruhig und gelassen war, bekam nun einen besorgten Ausdruck. Erneut hörten sie Stimmen hinter dem Vorhang und diesmal war es deutlich ein Lachen von Remus.

„Himmel noch mal, Remus, jetzt hör auf albern zu sein. Wir müssen zurück", hörten sie Andrea kichern.

„Nein, müssen wir nicht!", antwortete Remus unbeschwert und es hörte sich an, als würde er sich entfernen.

Silver, der neben Harry stand, zog die Augenbrauen nach oben und starrte ungläubig gegen den schleierhaften Vorhang und Harry konnte es ihm nicht verdenken. Remus Lupins Stimme wirkte ausgelassen, ja schon fast kindlich.

Es folgte erneutes Gelächter und nun waren die Stimmen offensichtlich wieder in die Ferne gerückt.

„Andrea! Hörst du mich!", rief Rasul ungeduldig gegen das Tor, doch auch diesmal erfolgte keine Reaktion.

„Beruhig dich, Francesco, sie sind offensichtlich noch nicht ganz bereit", sagte Harvey, während auch sein Gesicht Skepsis ausdrückte.

„Ihr solltet vorsichtshalber ein Stück vom Torbogen zurück treten", erklang plötzlich die Stimme von Albus Dumbledore hinter ihnen. Harry hatte ihn nicht kommen sehen, doch offensichtlich stand er schon eine ganze Weile am Zelleneingang.

Rasul und Silver, die beide ganz vorn standen, gingen einen Schritt zurück, als sie erneut Remus hörten.

„Ach komm schon! Der Pudding ist ausgezeichnet, fast wie… wie… keine Ahnung,  auf alle Fälle ist er super."

„Du hast Sahne auf der Nase!", gluckste Andrea, bis sie sich scheinbar wieder darauf besann, dass sie eigentlich zurückgehen sollten. „Komm hör auf, wir müssen zurück."

„Spielverderberin!"

„Komm wir sind gleich da."

„Ich hab eine viel bessere Idee!"

Andrea begann zu lachen, während sie immer wieder heftig nach Luft schnappte und Harry gewann den Eindruck, dass Remus sie kitzelte.

„Das hört sich an, als ob die beiden betrunken wären", sagte Tonks schockiert und sah ratlos zu Dumbledore, der sich als Einziger über dieses Hörspiel zu amüsieren schien.

„Es hört sich an, als würde es den Beiden gut gehen", sagte er schmunzelnd, wofür er sich einen ärgerlichen Blick von Rasul einfing.

Plötzlich wurde es hinter dem Vorhang still und wenige Sekunden später begann der gesamte Torbogen in allen Farben des Regenbogens zu schillern. Der Vorhand wurde zusehends durchsichtiger und nun erschienen auch die Gestalten von Remus und Andrea.

Fortsetzung folgt……….