Kapitel Sechs

Als Soreya am nächsten Tag die Augen öffnete blickte sie direkt in Haldirs grüne Augen. „Guten morgen mein Engel" säuselte er und gab ihr einen Kuss. „Gut geschlafen?" „Sehr gut sogar" meinte sie und räkelte sich ausgiebig. „Wie spät ist es eigentlich?" fragte sie ihn. „Ich würde mal sagen Mittag" antwortete er und legte seinen Arm um sie. „So spät schon. Sollten wir nicht langsam aufstehen." „Find ich nicht. Wir sollten lieber noch etwas liegen bleiben" erwiderte Haldir und zog sie noch näher zu sich hin. Sie wollte schon widersprechen, aber Haldir war schneller und brachte sie mit einem Kuss zum Schweigen.

Später klopfte es an der Türe und Haldir wurde zu Celeborn gerufen. Soreya döste, nachdem Haldir gegangen war, noch einmal ein und stand erst eine Stunde später auf. Nach einem ausgiebigen Mittagessen ging sie, wie so oft in letzter Zeit, im Goldenen Wald spazieren. Ein knackender Ast ließ sie herumfahren, aber sie konnte nichts entdecken und so ging sie weiter ihres Weges. Plötzlich schoss eine Horde Orcs aus dem Gebüsch und lief brüllend auf sie zu. Blitzschnell drehte sie sich um und lief zum Haupthaus zurück. Insgeheim betete sie, dass sich Wachen in ihrer Nähe befanden und kaum hatte sie den Gedanken zu Ende gedacht, wurden schon die ersten Pfeile auf die Eindringlinge geschossen. Einige der Orcs gingen grunzend zu Boden, andere schafften noch ein paar in Gift getränkte Pfeile zu verschießen. Einer dieser giftgetränkten Pfeile traf Soreya und sie ging stöhnend zu Boden. Sofort versuchte sie sich wieder aufzurappeln und weiter zu laufen. Sie kam aber nur wenige Meter bis ihr schwarz vor den Augen wurde und sie endgültig zusammen brach. Durch das Geschrei angelockt, kamen auch einige der Gäste, um die ungebetenen Eindringlinge abzuwehren. Soreya spürte, dass sie hochgehoben und von dem Kampfgetümmel weggetragen wurde. „Haldir" wisperte sie, doch die Stimme, die ihr antwortete war nicht Haldirs. „Es wird alles wieder gut. Gleich haben wir die große Halle erreicht. Dort wird man sich um dich kümmern." Sie versuchte die Augen zu öffnen, um ihren Retter zu sehen, aber was sie sah, war ein verschwommenes Bild und ein paar Umrisse, die nicht zu einem Elben passten.

In der großen Halle angekommen, wurde sie bäuchlings auf ein notdürftig aufgestelltes Bett gelegt. Der Pfeil war zwar sehr klein, aber er war tief ins Fleisch eingedrungen und das Gift konnte sich voll entfalten. Sie spürte noch, wie der Orcpfeil entfernt und ihre Wunde ausgewaschen wurde. Dunkelheit umhüllte sie.

Später am Tag erwachte sie und versuchte die Augen zu öffnen. „Sie ist wieder bei Bewusstsein" hörte sie eine Stimme sagen und kurz darauf wurde ihre Hand genommen. „Soreya, kannst du mich sehen?" wurde sie von Haldir gefragt, der sich an ihr Bett gesetzt hatte und ihr eine Strähne aus dem Gesicht strich. Sie versuchte ihre Augen weiter zu öffnen, aber was sie weiterhin sah war Dunkelheit. „Haldir, wo bist du?" Langsam hob sie ihre Hand und versuchte ihn zu spüren, wenn sie ihn schon nicht sehen konnte. Er nahm ihre Hand und führte sie zu seinem Gesicht. Tastend bewegten sich ihre Finger über sein Gesicht und sie bemerkte, dass er weinte. „Ist es so schlimm um mich bestimmt?" fragte sie ihn. Um Fassung ringend suchte er verzweifelt nach einer weniger schlimmen Antwort. Mittlerweile war Aragorn, der Waldläufer an ihr Bett herangetreten und antwortete an Haldirs Stelle. „Es wird bestimmt wieder alles gut, aber in schweren Fällen kann das Orcgift zur gänzlichen Erblindung führen. Ich bezweifle aber, das dir dieses Schicksal widerfahren wird, da du nur von einem Pfeil getroffen wurdest." Dankbar und erleichtert sah Haldir zu dem Waldläufer auf und nickte ihm zu. Er wäre nicht fähig gewesen ihr diese traurige Nachricht zu gestehen. „Heißt das, dass ich für immer blind sein werde?" fragte Soreya nach. „Nein, mein Engel. Du wirst nur vorübergehen nichts sehen können, aber das gibt sich wieder" erwiderte Haldir und strich ihr sanft übers Gesicht. „Jetzt versuch noch etwas zu schlafen und wenn du was brauchst, sag es ruhig, ich werde hier bei dir bleiben." Eine einzelne Träne bahnte sich ihren Weg über Soreyas Gesicht und wurde von Haldir weggewischt. Sie drehte ihren Kopf in seine Richtung und schloss die Augen wieder, um etwas Schlaf zu bekommen.

Als Soreya das zweite Mal erwachte hoffte sie inständig wieder sehen zu können, aber die Hoffnung wurde ihr jäh wieder genommen. Nachdem sie die Augen geöffnet hatte, war sie noch immer in diese erdrückende Dunkelheit gehüllt. Gerade, als sie nach Haldir rufen wollte, nahm er ihre Hand und hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, das aber gleich wieder erstarb. „Könnte ich was zu trinken haben?" fragte sie in die Dunkelheit hinein und kurz darauf wurde ihr in eine sitzende Position hoch geholfen. Haldir legte einen Arm um sie und führte langsam den Tonbecher, der mit Wasser gefüllt war, an ihren Mund. Soreya spürte das kalte Wasser an ihren Lippen und begann sogleich zu trinken. „Nicht so hastig" hörte sie Haldir sagen, der kurz darauf den Becher wieder wegzog. „Ich hab Durst" nörgelte sie sogleich. „Du kannst gerne noch etwas Wasser haben, aber trink nicht so schnell davon" ermahnte er sie und sie nickte. Langsam führte er den Becher wieder an ihren Mund und Soreya trank mit kleinen Schlucken davon. Sie hob ihren Kopf kurz an, um ihm zu signalisieren, dass sie genug hatte. Haldir stellte den Becher wieder auf den Boden und half ihr sich wieder hinzulegen. „Ich kann dich noch immer nicht sehen" sagte Soreya und streckte ihre Hand nach ihm aus, die er sofort ergriff. „Sei froh, er sieht momentan schrecklich aus" feixte Legolas, der sich das Schauspiel von der Ferne angesehen hatte und ans Bett herangetreten war. Über ihr Gesicht huschte ein Lächeln und sogar Haldir musste grinsen. Sie wollte ihm noch eine andere Frage stellen, als Haldir einen Finger auf den Mund legte und meinte, sie solle sich nicht überanstrengen und noch etwas schlafen.

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