4. Im Silbernen Einhorn
Lucius Malfoy saß im Silbernen Einhorn und wartete; seine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Würde sie kommen? Sie hatte nicht auf seine Post geantwortet, und er hatte sich schon lange nicht mehr in der unangenehmen Lage befunden, auf jemanden warten zu müssen, der vielleicht nicht erscheinen würde. Wie kam er überhaupt dazu, sich freiwillig in eine solche Situation zu begeben?
Da öffnete sich die Tür, und Aurora trat ein, er ging ihr entgegen, ergriff ihre Hand und führte sie zu seinem Tisch. Dort stand schon eine Flasche Wein, und er füllte für sie beide die Gläser. Währenddessen hatte sie die Gelegenheit gefunden, das Haar auf seine Schulter zu legen; nun brauchte sie nur noch ihre Frage zu stellen.
„Schön, dass Sie gekommen sind, Aurora", sagte er und prostete ihr zu.
Sie erhob ebenfalls ihr Glas. „Auf einen angenehmen Abend, Lucius", antwortete sie.
Einen Moment lang herrschte Stille.
Dann fragte Lucius: „Und wie macht sich Draco so in der Schule?"
„Recht gut, er ist sehr begabt, - und, diese … Vorkommnisse haben sich nicht wiederholt, trotzdem stelle ich immer wieder fest, dass er zu viel über schwarze Magie weiß, als es für einen Jungen in seinem Alter ratsam wäre…."
„Oh, ich glaube, die Gefahren werden übertrieben", sagte er, „schwarze Magie gehört zur Zauberei dazu, sie ist eine der vielfältigen Formen der Magie, und insofern Teil unserer Realität…"
„Glauben Sie nicht, dass die verstärkte Nutzung der dunklen Künste letztlich Sie-wissen-schon-wen nur stärken wird?"
Ja, natürlich, dachte Lucius, genau! Und ich werde persönlich dafür sorgen, dass der Dunkle Lord wieder an die Macht kommt, es ist alles vorbereitet, und ich werde Zaubereiminister! - Plötzlich bemerkte er mit Entsetzen, dass er dabei war, diese Gedanken laut auszusprechen, aber das durfte nicht sein!
„Ja, natürlich, genau, und ich werde……" Er versuchte mit aller Kraft, die Worte zurückzudrängen. Das war doch unglaublich! Irgendwie hatte diese Aurora es geschafft, einen Wahrheitszauber auf ihn loszulassen. Sie wollte ihn aushorchen! Aber das würde er nicht zulassen. Es gab allerdings nur eine Möglichkeit: Er musste schnell ein anderes Thema finden, denn sonst würde der Zauber seine volle Wirkung entfalten, und er sähe sich gezwungen, alles zu verraten!
Verzweifelt suchte er nach einem Thema und begann schließlich aufs Geratewohl:
„Ach, lassen wir doch diese Diskussion, genießen wir lieber diesen Abend", sagte er, und nun konnte er seinen Worten nicht mehr Einhalt gebieten, die Wirkung des Zaubers war übermächtig geworden, und er fuhr fort: „Auf diesen Augenblick habe ich gewartet, seit ich dich beim Tanz in meinen Armen hielt, ich habe dein Bild vor mir gesehen, deine Augen, deine Lippen, konnte nur an eines denken: dich zu küssen… Heute Abend, Aurora, wirst du mir gehören!"
Er hielt inne, wischte das Haar von seinem Umhang. Hatte er diese Worte wirklich laut ausgesprochen?
Ein Blick zu ihr genügte: Sie starrte ihn überrascht an.
„Tu das nie wieder", sagte er mit leiser Stimme und mühsam beherrschtem Zorn.
Sie wollte sprechen, aber es gelang ihr nicht. Zu viele widerstreitende Gedanken wirbelten in ihrem Kopf herum, die sie vergeblich zu ordnen suchte: die dunkle Seite, - Männer und Frauen in einem Kreis, eine Schattengestalt, die sich über sie beugt, das dunkle Mal am Himmel, dann verschwamm dieses Bild, Verwirrung, ein innerer Kampf, und eine Tür, die sich öffnet, Lucius Malfoy hält ihr Foto in der Hand, betrachtet es, führt es an seine Lippen… Die Tür schließt sich, Zorn, Gewalt, dann wieder kühle Beherrschung und Unnahbarkeit.
In diesem Moment hob er seinen Zauberstab:
„IMPERIO!" Grüne Funken sprangen aus der Spitze des Stabs. Der Fluch traf sie unvorbereitet und mit voller Wucht.
„Wir gehen", sagte er und deutete auf die Tür. Im Vorbeigehen rief er noch „OBLIVIATE!" ins Lokal, und der Wirt sowie die Gäste vergaßen auf der Stelle, was gerade geschehen war.
Bevor sie aus dem Lokal ins Freie treten konnte, packte er sie, umhüllte sie mit seinem weiten Umhang, und sie flogen davon.
