12. Entführung!
Lucius befand sich in der ungewöhnlichen Lage, nicht zu wissen, wie er sich verhalten sollte. Normalerweise fiel es ihm leicht, Entscheidungen zu treffen. Er handelte stets nur in seinem ureigenen Interesse. Was aber war hier sein Interesse? Es war doch eigentlich so klar: Es ging darum, eine neue Ordnung in der Zaubererwelt zu schaffen, oder besser gesagt, die alte wieder herzustellen, und dazu war es notwendig, dass der, dessen Name nicht genannt werden durfte, wieder an die Macht kam. Automatisch würden alle seine Anhänger an dieser Macht teilhaben, und genau das hatte er immer angestrebt. Genau dafür hatte er getan, was notwendig war. Skrupellos hatte er Gegner ausgeschaltet, nie hatte er irgendeine seiner Taten bereut. Sie waren die Gewähr dafür, dass er beim Sieg die ihm gebührende Belohnung erhalten würde.
Nun also sollte er etwas tun, was er schon so oft getan hatte: dem Dunklen Lord ein Opfer zuführen, ein besonders wichtiges Opfer diesmal, denn dem Unnennbaren war es nicht genug, dass er nun wieder einen Körper hatte, es war ihm nicht genug, dass er möglicherweise das Leben dieses Körpers über die normale, den Sterblichen gesetzte Spanne hinaus würde verlängern können, denn der Weg zur Unsterblichkeit war ihm mit der Zerstörung des Steins der Weisen ja nun genommen…
„Du bringst sie an einen Ort, an dem wir leicht an sie herankommen, sie wird dir vertrauen und keinen Verdacht schöpfen, - nein, keine Einwände jetzt, wir haben Nachforschungen angestellt, wir wissen, wie und wo du sie getroffen hast, also du brauchst sie nur zu einem eurer kleinen Rendezvous zu bestellen, und den Rest überlässt du uns" , das hatten Crabbe und Goyle ihm vor einigen Tagen mitgeteilt, und sie hatten ihm gleichfalls zu verstehen gegeben, dass es bald zu geschehen hatte…
Er war sich im klaren darüber, was passieren würde, oft genug hatte der Dunkle Lord in der letzten Zeit seinen Anhängern den Plan erläutert, nur hatte er noch nicht die geeignete Person gefunden. Nach dem, was Crabbe und Goyle ihrem Meister nun, in der Erwartung, endlich auch etwas mehr Anerkennung zu erhalten, zugetragen hatten, war dieser jetzt entschlossen, seinen Plan baldmöglichst in die Tat umzusetzen.
Lucius wusste, was mit ihr geschehen würde, … und wenn der Unnennbare sie in Besitz genommen hätte, würde sie für immer ihm gehören, würde er mit ihr nach seinem Willen verfahren, und wenn sie ihm gegeben hätte, was er wollte, könnte er sie töten, oder auch am Leben erhalten und sich weiter ihrer bedienen…
Er konnte die Bilder, die vor seinem inneren Auge entstanden, nicht abwehren. Der Dunkle Lord, ein Geist, der nicht in seinem eigenen Körper hauste, Blut, Fleisch und Knochen, von anderen genommen und zusammengefügt, eine Existenz zwischen Leben und Tod, bemächtigt sich des blühenden Lebens, nimmt ihren warmen Körper in Besitz, saugt ihre Lebenslust aus…
„Wir sehen uns gezwungen, dem dessen Name nicht genannt werden darf, mitzuteilen, dass du seinem Befehl immer noch nicht nachgekommen bist, und du weißt, welche Folgen das haben wird."
Das wusste er nur allzu gut, hatte er doch selbst der Bestrafung Abtrünniger beigewohnt, die Qualen, die sie hatten erleiden müssen, waren unvorstellbar gewesen, und er wusste, dass der Cruciatus-Fluch nur ein kleiner Vorgeschmack darauf gewesen war.
„Und wenn du uns nicht hilfst, sie aus Hogwarts herauszulocken, dann werden wir eben auf andere Weise an sie herankommen."
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Am Samstag feierte ganz Slytherin in Hogsmeade den großen Sieg im Endspiel, aber auch Schüler und Lehrer der anderen Häuser hatten sich an diesem schönen Frühsommerabend ins Dorf begeben.
Aurora versuchte angestrengt, den komplizierten Ausführungen Professor McGonagalls über die Verwandlung von Kochtöpfen in Hüte zu folgen, aber immer wieder wanderten ihre Gedanken zum heutigen Nachmittag zurück. Sie musste endlich diese ganze Geschichte vergessen, sie musste endlich wieder einen klaren Kopf bekommen. Nach einem weiteren vergeblichen Anlauf zur Beteiligung am Gespräch beschloss sie, die Gesellschaft zu verlassen, verabschiedete sich und machte sich zu Fuß auf den Weg zurück zur Schule. Es war eine laue Nacht, der Himmel war noch hell, aber auch Mond und Sterne waren schon zu sehen, und an einer Wegbiegung hielt sie einen Moment an und lauschte in die Stille…
Plötzlich wurde sie von hinten gepackt, und sie verlor das Bewusstsein.
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Seit zwei Tagen war Aurora Luzia nun schon verschwunden, einfach spurlos verschwunden, seit dem Abend in Hogsmeade hatte niemand sie mehr gesehen. Harry und seine Freunde berieten, was sie tun sollten; es bestand doch kein Zweifel daran, dass sie nun tatsächlich entführt worden sein musste, und es war klar, von wem. Schließlich gingen sie zu Dumbledore und berichteten ihm von ihrer Beobachtung und ihrem Verdacht.
Dumbledore hörte aufmerksam zu, und sein Gesichtsausdruck spiegelte wachsende Besorgnis wieder.
