Autor's Note: Sorry, dass es solange gedauert hat, ein neues Kapitel zu veröffentlichen. Der böse Schreibblockade-Teufel hat zugeschlagen, wurde aber in den letzten beiden Tagen erfolgreich verdrängt. Hoffentlich bleibt er jetzt eine Weile fort. ;-)

Kapitel 5

(EvaF)

Draco schlenderte langsam durch die Burg und verdrängte dabei völlig den Gedanken, dass er sich eigentlich gar nicht außerhalb des Gryffindor Turms aufhalten durfte. Er verstand die Welt nicht mehr. Es war einfach zu viel in zu kurzer Zeit geschehen. Sein Wechsel von den Slytherins nach Gryffindor, Harry "ich-will-aber-im-Mittelpunkt-stehen" Potter und seine lächerlichen Freunde, die Wut, die Dracos Vater auf ihn hatte... All das ging ihm nun durch den Kopf. Wahrscheinlich waren alle diese Gedanken Grund für die Kopfschmerzen, die Draco noch immer ein wenig plagten.

Doch während er nun durch die verlassenen Gänge Hogwarts schlenderte, spürte er, wie es ihm nach und nach besser ging und das Pochen hinter seiner Stirn schließlich gänzlich vorbei war. Nun, das war immerhin eine gute Sache. Weniger gut war, dass Draco jederzeit von einem Lehrer oder dem Hausmeister auf seinem Rundgang erwischt werden konnte. Doch die Wut, die er noch immer verspürte, ließen den Jungen diese Sorge völlig vergessen - Beinahe wünschte er sich schon, er möge jemandem begegnen, einem Geist, der verfluchten Katze oder ihrem Besitzer. Hauptsache jemand, den man ärgern konnte, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen!

Plötzlich hörte er Stimmen, deren Ursprung nicht sehr weit entfernt zu sein schien. Hätte irgendjemand Draco in diesem Augenblick beobachtet, dann wäre er vermutlich ziemlich eingeschüchtert worden. Ein zutiefst grausames Lächeln war auf dem Gesicht des Ex-Slytherin erschienen.

‚Oh, wie herrlich!', dachte er. ‚Es sind sicher ein paar Erstklässer, denen ich einen ordentlichen Schreck einjagen kann! Ich möchte sehen, wie das Blut in ihren Adern gefriert! Ich werde allen beweisen, dass Draco Malfoy grausam sein kann. Ich bin nicht verweichlicht!'

Er selbst hätte in diesem Augenblick und auch später nicht beschreiben können, wie er sich fühlte. Er wusste nur, dass er jetzt jemanden verletzen musste. Es war wie ein Urinstinkt, der von ihm forderte, befriedigt zu werden. Er hatte nur noch ein Ziel vor Augen: Sich an den Qualen eines anderen Wesens zu laben.

Leise schlich Draco weiter. Er wollte so lange wie möglich ungesehen bleiben, denn er hatte vor, seine Opfer aus dem Hinterhalt zu überfallen und zu verfluchen. Er würde seinen Lieblingsspruch anwenden. Dieser bewirkte, dass der Verfluchte das sah, vor dem er sich am meisten fürchtete. Er hatte ihn in einem Buch entdeckt, als er versuchte mehr Material für einen Aufsatz über Irrwichte zu finden. Dieser Spruch stand im engen Zusammenhang mit diesen Kreaturen und ahmte ihre exakte Wirkung nach.

Draco sprang also um die Ecke und richtete seinen Zauberstab auf den Platz, wo er seine Opfer vermutete, doch er sprach den Zauber nicht zu Ende.

Direkt vor ihm stand Snape, der einen verstörten Harry Potter am Umhang gepackt hatte, und ihn gerade mit sich ziehen wollte. Das hatte Draco nun wirklich nicht erwartet. Fassungslos starte er auf die Szene vor ihm und überlegte, was er nun tun könne. Snape seinerseits hatte den blonden Jungen nun auch entdeckt und ein dünnes Lächeln umspielte seine Mundwinkel.

"Mr. Malfoy, schön sie zu sehen. Ich nehme an, dass sie ihren kleinen Freund hier suchen. Nun, sie haben ihn gefunden. Und wenn sie schon mal hier sind, können sie ihn auch gleich zum Direktor begleiten. Er wird sich sicher freuen, sie mal wieder zu sehen, da sie in letzter Zeit so häufig bei ihm waren. Er hat bestimmt schon große Sehnsucht nach ihnen."

"Äh, Professor Snape, sie hier? Was für eine Überraschung! Schön sie zu sehen!"

Was in Merlins Namen war nur los mit ihm? Ob sein neues Haus schon auf ihn abgefärbt hatte? Verlor er nun alle seine rhetorischen Fähigkeiten? Er wollte nicht ein beschränkter Gryffindor werden! Aber im Moment benahm er sich seiner Ansicht nach, genau, wie er es von seinen neuen Hauskameraden gewohnt war. Im Geiste beschimpfte sich Draco noch ein wenig weiter für seine überaus dumme Äußerung. Deshalb wurde er umso mehr von Professor Snapes Antwort überrascht.

"Oh, ich freue, mich auch sie zu sehen! Wie geht es ihnen?"

Draco starrte ihn zutiefst verwirrt an und stotterte dann: "Danke... gut. Und.... ihnen?"

"Fantastisch!" Snapes Gesicht zierte unvermittelt ein strahlendes Lächeln. Es stand ihm irgendwie, auch wenn es nicht recht zu seiner sonstigen Art passen wollte. "Was kann ich für sie tun?"

Hörte Draco richtig? Was war bloß mit dem Professor geschehen? Naja, vielleicht konnte er die Lage ja zu ihren Gunsten ausnutzen. Es geschieht nicht oft, eigentlich nie, dass man einen betrunkenen Snape trifft, der keine Ahnung hat, was er eigentlich tut.

"Nun ja, Professor, ich fühle mich ehrlich gesagt müde und ich bin sicher, dass es Harry genauso geht. Wir würden fürchterlich gern in unsere Betten zurückkehren. Wenn sie nichts dagegen haben, werden wir uns nun verabschieden."

Das war dreist, aber würde es auch funktionieren? Draco kaute nervös auf seiner Lippe und befürchtete beinahe, dass Snape ihn in eine Kröte für seine Unverschämtheit verwandeln würde. Der Professor nickte jedoch verständnisvoll und öffnete seine Faust, mit der er bis jetzt noch Harry an seinem Umhang gepackt gehalten hatte.

"Aber natürlich. Was bin ich auch für ein Mensch, dass ich sie so spät noch aufhalte? Junge Menschen brauchen ihren Schlaf! Wir wollen doch nicht, dass sie Morgen übermüdet sind. Schlafen sie gut und träumen sie etwas Schönes. Wir sehen uns Morgen im Zaubertränke Unterricht! Ich freue mich schon sehr!"

Fröhlich winkte Snape den beiden sich schnell entfernenden Schülern hinterher. Nach zwei Minuten nahm er seinen Arm herunter, denn Harry und Draco waren schon lange verschwunden. Statt dessen kratzte er sich verwirrt am Kopf. Hatte er nicht grade Harry Potter bei einem Verstoß gegen die Regeln auf frischer Tat ertappt? Warum war er jetzt weg? Aber aus einem unerfindlichen Grund war es ihm einfach egal...

Auf jeden Fall war er sehr froh, dass er Draco Malfoy getroffen hatte. Der Abend war nun doch viel schöner! Fröhlich pfeifend setzte er seinen Weg zum Direktor fort, der ein kleines Treffen einberufen hatte. Möglicherweise kam er nun zu spät, aber das machte sicher nichts, immerhin hatte er Draco getroffen und das war doch Grund genug, sich zu verspäten.

Kaum waren Harry und Draco um ein paar Ecken gebogen, hielt Harry Draco fest, damit dieser stehen blieb. "Draco, du bist einfach genial! Du hast mich gerettet!"

Mit diesen Worten umarmte Harry Draco heftig. Dieser blieb nur angewidert und versteinert stehen. Es schien unmöglich Harrys Redefluss zu unterbrechen.

"Wie hast du das nur gemacht? Du musst mir unbedingt den Spruch verraten! Snape hat genau das getan, was du wolltest. Du hast ihn wie eine Marionnette benutzt. Noch nie habe ich so etwas beeindruckendes gesehen!"

Draco konnte nicht anders, als sich geschmeichelt zu fühlen. Harry konnte ja doch vernünftig sein und dazu auch noch richtig nett.

Als er bemerkte, dass er doch tatsächlich etwas freundliches über seinen Feind gedacht hatte, riss Draco sich zusammen und versuchte Harry klar zu machen, dass er gar nichts gezaubert habe, sondern dass Snape einfach nur betrunken sein musste.

"Nein Draco, Snape war bestimmt nicht betrunken. Bevor du gekommen bist, war er so schlimm wie immer. Er war grade dabei mir eine Standpauke zu halten und mich zum Direktor zu bringen. Ehrlich gesagt, habe ich ihn selten in so schlechter Laune gesehen. Aber als du gekommen bist, hat er sich auf einmal ganz anders verhalten. Spiel jetzt nicht den Bescheidenen! Du bist einfach bewundernswert. Wer weiß, was passiert wäre wenn du nicht gekommen wärst. Danke!

Harry knuffte Draco freundschaftlich in die Seite, ohne dessen entsetzten Gesichtsausdruck zu bemerken. Sie machten sich wieder auf den Weg zum Gryffindor Turm. Einer von ihnen überaus glücklich in der Gesellschaft des anderen zu sein, und der andere sehr nachdenklich.

Mittlerweile waren alle anderen Gryffindors schlafen gegangen und so bemerkte niemand, dass die beiden größten Feinde in Hogwarts einträchtig zusammen eintrafen und friedlich unter ihre Bettdecken krochen.

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(Marenvs)

Währenddessen klopfte Severus Snape an die Tür des Direktors und trat ein, als die Türflügel von alleine aufschwangen. Dumbledore stand vor einem kleinen, wassergefüllten Bassin und streute selbstvergessen aus einer Dose mit der Aufschrift "Morgels Zauberfutter für Zauberfische - Für die Gesundheit ihrer Lieblinge" gelbliche Krumen in das Becken. Er wandte sich nicht zu seinem Besucher um, als er nun meinte: "Ah Professor Snape, danke, dass sie zu dieser späten Stunde gekommen sind. Minerva sollte gleich eintreffen..."

Snape nickte nur knapp und musterte misstrauisch die Wandgemälde. Hogwarts ehemalige Direktoren schienen friedlich und desinteressiert, einige schliefen, andere hielten einen leisen Plausch. Doch der Professor für Zaubertränke fühlte sich in der Nähe lebendiger Gemälde von toten Menschen nicht sonderlich wohl, auch wenn sie noch so harmlos und gutmütig erschienen.

Sein Unbehagen wuchs noch - auch wenn er sich alle Mühe gab, sich nichts anmerken zu lassen - in Anbetracht eines äußerst zerstreut wirkenden, lebenden Direktors, der seine, für Snape nicht sichtbaren, Zierfische fütterte und dabei glucksende, lockende Laute von sich gab. ‚Glücklich, wie ein kleines Kind', schoss es Snape durch den Kopf und seine Lippen formten bei diesem Gedanken einen dünnen, verzerrten Strich.

Dumbledore musste Snapes Blick im Rücken gespürt haben. Lächelnd wandte er sich von dem Bassin ab und drehte den Deckel auf der Dose "Zauberfutter" zu. "Gibt es etwas, dass sie mir berichten möchten?", fragte der Direktor, nun seinerseits Snape über die halbmondförmige Brille hinweg musternd.

Der Professor für Zaubertränke schüttelte den Kopf und verlagerte sein Gewicht auf das andere Bein. Nicht nur die verstohlenen, wissenden Blicke der Wandgemälde bereiteten ihm Unbehagen. Dumbledore stand ihnen in nichts nach.

"Sind sie sicher?", fragte der Direktor freundlich und wieder verneinte Snape stirnrunzelnd. "Merkwürdig, Professor." Dumbledores Lächeln schwand nicht, doch es wirkte unecht. "Goldie und Guppy scheinen da anderer Meinung."

"Goldie und Guppy?"

Dumbledore nickte bedächtig und trat einen halben Schritt beiseite, um damit für seinen Gegenüber den Blick auf das Bassin freizugeben. Tatsächlich, unter der Wasseroberfläche, die Mäuler dicht an die Scheiben gepresst und dabei lächerlich japsend, schwammen die Karikaturen zweier Forellen - und starrten ihrerseits Snape aus großen, schwarzen Augen an.

‚Forellen' wählte Snape als Beschreibung für diese fischähnlichen Kreaturen nur der Höflichkeit halber. Vielmehr Ähnlichkeit als einen stromlinienförmigen Körper und Schuppen besaßen diese Tiere nicht zu anderen Fischen. Sie hatten weder Kiemen, noch Flossen, dafür gingen ihre Körper jedoch in einen langen, zackenbewehrten Schwanz über, dort, wo sich normalerweise eine zartschimmernde Flosse befunden hätte. So etwas, wie Gliedmaßen besaßen diese Wesen nicht, doch hielten sie sich im Wasser auf gleicher Höhe, indem sie mit flügelähnlichen Auswüchsen, die in langen, gefährlich wirkenden Krallen endeten, auf- und niederschlugen. Entlang ihres Bauches webten kurze, schleierartige Fäden in der Strömung.

Diese Fäden schimmerten, je nach Lichteinfall, in verschiedenen Farben auf und waren auch das Einzige, was man an diesen Kreaturen als schön hätte bezeichnen können. Alles andere, die zu großen Köpfe, die schuppige Haut, der dumme Ausdruck auf ihrem Gesicht (soweit man die hervorstehenden, liedlosen Augen und die zahnbesetzten, platten Mäuler, die sich gegen die Scheibe des Beckens pressten, als Gesicht bezeichnen mochte) wirkten abstoßend und wenig lieblich. Der Blick, aus den großen schwarzen Augen, das langsame Auf- und Zuschnappen der Mäuler, die tänzelnden Schleier - sie wirkten sehr beruhigend und Snape konnte seinen Blick nicht davon losreißen, gefangen zwischen Abscheu und Faszination.

Der Professor für Zaubertränke schwankte ein wenig und hob eine Hand an seine Schläfen. Irgendwoher kannte er diese Tiere, ihren stechenden Blick und ihre hypnotisierenden Bewegungen... hatte er in einem Buch darüber gelesen?

Bevor Snape sich genauer erinnern konnte, trat Dumbledore wieder zwischen ihn und das Bassin. Der Professor fühlte sich gleich ein wenig besser, als er den "Fischen" so nicht mehr direkt gegenüberstand. Noch immer verwirrt, ließ Snape sich auf dem Stuhl nieder, den der Direktor hinter ihm herbeizauberte.

"Goldie und Guppy mögen es überhaupt nicht, wenn man sie als Forellen oder Fische bezeichnet. Es sind reinrassige Sinkel, sehr selten und wunderschön", erklärte der Direktor.

"Sinkel..." Snape hatte sich wieder gefangen und saß nun so steif und aufrecht auf seinem Stuhl, wie man es von ihm gewohnt war. "Ich erinnere mich, einen solchen Namen schon einmal gehört zu haben."

"Tatsächlich? Sie haben vielleicht in einem Buch darüber gelesen?"

Snape stutzte. Vor wenigen Augenblicke noch, hatte er dasselbe gedacht und Dumbledore sprach es nun aus. "Woher...?"

"Woher ich dies weiß? Nun, sie waren in den letzten Augenblicken sehr redselig, mein Guter." Der verwirrte Gesichtsausdruck seines Gegenübers ließ den Direktor ein weiteres Mal schmunzeln. "Sinkel sind nicht nur wunderschöne, sondern auch überaus nützliche Tiere. Eine sehr seltene und ungewöhnliche Abart der gemeinen Drachen, wie wir sie kennen, übrigens. Leben im Wasser, bestehen fast nur aus Wasser und atmen Wasser. So ähnlich, wie mancher Lindwurm Feuer atmet oder einige besonders schwerelose Exemplare aus der Gattung der Aerobia Draco sich von Luft ernähren. Sinkel sind nur kleiner, zahmer und klüger", rezitierte Dumbledore und warf seinen neuesten Haustieren dabei einen stolzen Blick zu.

"Und sie bringen Menschen dazu, sich an vergessene Dinge zu erinnern. Ob diese es wollen oder nicht.", fügte Snape finster hinzu. Jetzt wusste er wieder, was er über Sinkel gehört hatte. "Nur ein wenig Hypnose, leicht mit einem passenden Zauberspruch abzuwehren, sofern man sich der besonderen Kräfte dieser Drachen bewusst ist." Der Professor für Zaubertränke sah auf. "Haben sie mich kommen lassen, um mir diesen Trick zu demonstrieren?"

"Es ist viel mehr, als ein Trick" ergänzte Dumbledore begeistert und das wenig erfreute Schnauben Snapes dabei ignorierend. "Ein Sinkel erkennt, dass ein Mensch lügt, selbst wenn sich dieser seiner Lüge gar nicht bewusst ist."

"Wenn sich jemand an einen Vorfall zum Beispiel nicht richtig erinnert, lügt er? Wenn jemand zum Mittagessen nicht Kartoffelauflauf sondern", Snape winkte verächtlich in Richtung des Beckens, "Forelle auf dem Teller hatte, aber felsenfest davon überzeugt ist, noch immer den Käsegeschmack der überbackenen Kartoffeln im Mund zu haben? Nun, das ist natürlich ein ganz besonderer Trick."

Dumbledores Gesicht zierte nur wieder dieses geduldige Lächeln. "Bei ihnen hat dieser Trick jedoch offenbart, dass sie sich auf meine Frage hin, ob sie etwas zu berichten hätten und die sie vehement verneinten, anscheinend einer... falschen Erinnerung aufgesessen sind."

Es war sehr freundlich vom Direktor, Snape nicht gleich als Lügner zu bezeichnen, spöttelte der Professor für Zaubertränke stumm. Dumbledore fuhr fort: "Goldie und Guppy haben gleich, als sie mein Büro betraten gespürt, dass-"

"Dass ich manipuliert wurde.", beendete Snape selbst den Satz. "Ich bitte sie, das ist doch Unsinn! Sagen sie mir lieber, weshalb ich redselig gewesen sein soll!" Snape konnte sich noch immer nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass ein paar wasseratmende Fischkopfdrachen in seinen Gedanken herumgestochert haben sollten, ohne dass er, der Professor für Zaubertränke und Anwärter auf die Stelle des Lehrer zur Verteidigung gegen die dunklen Künste, etwas davon bemerkt haben sollte.

"Nun, Sinkel frischen nicht nur die Erinnerung auf", zwinkerte Dumbledore, ein wenig aus dem Konzept gebracht. "Sie stellen sie auch richtig, indem sie demjenigen, den sie lesen... Ja, "lesen" ist wahrscheinlich die beste Beschreibung für das, was diese klugen Tierchen tun. Indem sie also denjenigen die Wahrheit, die echte Erinnerung, aussprechen lassen."

"Ich will also gesagt haben, ich hätte in einem Buch über diese Sinkel gelesen und wusste dadurch, unterbewusst, um was für Kreaturen es sich bei ihnen handelt?" Snape spürte Zorn in sich aufbrodeln. Wer konnte sagen, was er in den verfluchten Augenblicken vor diesem Bassin noch alles geredet hatte. Ha, Dumbledore konnte es! Snape biss sich auf die Unterlippe und unterdrückte so seinen Impuls, aufzuspringen und grußlos den Direktor in seinem Zimmer mit den verhexten Gemälden allein zurückzulassen.

"Ja, das haben sie. Das Buch hieß "Magische Wassertiere". Der Autor kategorisierte irrtümlicher Weise die Sinkel als fischartige, den Trupp-Forellen zugehörige Lebewesen. Trupp-Forellen sehen einem Sinkel nicht einmal ähnlich, wer weiß, wie dieses Missverständnis geschehen konnte. Bei Trupp-Forellen handelt es sich tatsächlich um Fische und nicht um Drachen. Waren diese Tiere nicht auch eine wichtige Zutat für einen Zaubertrank?"

"Für ein Erkältungsbad. Man verwendet nur die Schwanzflossen", zischte Snape, noch immer wütend, doch auch ein wenig beruhigt. Was auch immer diese Sinkel taten, jemanden derart hypnotisieren, dass sein Unterbewusststein beeinflusst wurde und die Erinnerungen so zu Tage traten: Wirklich Gedankenlesen konnten sie nicht.

Diese hässlichen Mini-Drachen spürten Lügen, sie waren nichts anderes, als lebendige Lügendetektoren, die durch psychologische Raffinessen einen Menschen dazu brachten, Vergessenes, Verändertes oder Verdrängtes laut auszusprechen. Dass Snape Goldie und Guppy in Gedanken als Forellen und Fische bezeichnet hatte, hatten sie nicht gewusst - aber sie hatten den Professor für Zaubertränke sich an ein Buch erinnern lassen und die Passage, in welcher der Autor die Sinkel so klassifiziert hatte. Snape musste das laut gesagt haben: ‚Ich habe in einem Buch mit dem Titel "Magische Wassertiere" gelesen, in dem der Autor die Sinkel den Trupp-Forellen verwandt und den Fischen zugehörig zählt.' Oder etwas in der Art.

Dieses Wissen erleichterte den Professor für Zaubertränke ungemein. Blieb die Frage, worauf Dumbledore hinaus wollte und wieso seine Zierforellen Snape noch beim Eintreten in das Büro als - bewussten oder unbewussten - Lügner enttarnt haben wollten. Nun, das nächste Mal war Snape auf so etwas vorbereitet. Es gab denkbar einfache Methoden, sich Gedankenleser oder Hypnotiseure vom Hals zu halten. Meist genügte schon ein kräftiges Blinzeln. Man durfte sich nur nicht in den magischen Bann ziehen lassen, das war alles. Einem starken Willen hatten diese Tricks nichts entgegenzusetzen, es handelte sich dabei ja nicht einmal um echte Magie!

Erleichtert über diese Feststellung, blieb Snape auf seinem Stuhl sitzen und wartete darauf, dass Dumbledore wieder das Wort ergriff. Der Direktor seinerseits schien für den Moment jedoch genug gesagt zu haben und machte nur eine kurze Handbewegung in der Luft. Im gleichen Moment, wie ein weiterer Stuhl neben dem Snapes erschien, schwangen die Türflügel zum Zimmer ein weiteres Mal auf und Professor McGonagall trat ein.

Sie grüßte Snape mit einem kühlen Blick und setzte sich auf eine einladende Geste Dumbledores hin auf den für sie erschienen Stuhl. Der Direktor selbst versicherte sich mit einem Blick zu Goldie und Guppy, die friedlich in ihrem Bassin schwammen und sich nicht mehr eng an die Scheibe pressten und die Anwesenden aus ihren großen Augen musterten, dass sein neuer Gast anscheinend kein... "Erinnerungsverdränger" war und ließ sich dann selbst in seinem Ohrensessel nieder.

"Ich habe die Hauslehrer von Slytherin und Gryffindor zu mir bestellt. Minerva, wie macht sich ihr neuester Zögling?"

McGonagall schien ein wenig überrascht von dieser Eröffnung des Direktors, aber antwortete ohne zu zögern, wobei sie es vermied, Snape anzublicken: "Ich würde sagen, er passt sich an. Überraschender Weise ist bisher noch kein Gryffindor mit einer Beschwerde zu mir gekommen, ich musste noch niemanden von einem Fluch befreien oder eine Strafe aussprechen. Draco verhält sich regelrecht vorbildlich, wenn er auch ein wenig unglücklich über sein neues Haus erscheint."

"Was sagen sie dazu, Professor Snape? Verhält sich Draco wirklich so vorbildlich?"

Snape runzelte verwundert die Stirn. Woher sollte der Professor für Zaubertränke wissen, was sein Ex-Slytherin tat? "Er ist mir, außer im Unterricht, noch nicht wieder über den Weg gelaufen."

Kaum hatte Snape diese Worte ausgesprochen, als Goldie und Guppy mit weit aufgerissenen Augen und Mäulern an den Scheiben ihres Wasserbeckens klebten und ihn anstarrten. Schnell wandte der Professor den Blick ab. McGonagall bemerkte im selben Moment wie Dumbledore das auffällige Verhalten der Sinkel. Der Direktor räusperte sich. "Nun, sie sind Draco Malfoy also nicht begegnet, außer im Zaubertränkeunterricht?"

Das hatte Snape doch gerade gesagt. Sehr langsam nickte der Professor und sah den Direktor dabei fest an. "Das letzte Mal bin ich Draco Malfoy an dem Tag begegnet, als ich den Zaubertrankunterricht abbrechen musste, um für unseren Musterschüler auf der Krankenstation ein Heilmittel zu brauen."

Goldie und Guppy japsten und die schleierartigen Fäden an ihrer Unterseite boten ein verwirrendes Farbenspiel. Snape blinzelte kräftig und konzentrierte sich darauf, Dumbledores Worten zu folgen. Zumindest bewegten sich die Lippen des Direktor und Laute kamen über sie. Seltsamerweise verstand Snape sie nicht - und dann passierte es.

Ohne es aufhalten zu können, sprudelte es aus Snape geradezu heraus. Er erzählte, wie er Harry Potter beim Herumstreunen im Schloss erwischt hatte, wie er den Jungen zu Dumbledore bringen wollte und wie dann plötzlich Draco um eine Ecke getreten war. Wie Snape beide Schüler hatte gehen lassen und ihnen eine gute Nacht wünschte. Wie Snape dann, glücklich und zufrieden, Malfoy geholfen zu haben, zum Direktor aufgebrochen war und dann, wieder ganz er selbst, Dumbledores Zimmer betrat.

Als er geendet hatte, klebten ihm einige Haare auf der Stirn und er schnaufte erschöpft. Je mehr er gesprochen hatte, desto klarer wurde Snape, dass seine Erinnerungen zuvor tatsächlich falsch gewesen waren. Was hatte wer mit ihm angestellt?

McGonagall und Dumbledore hatten schweigend zugehört, jetzt lehnte sich Hogwarts Direktor seufzend in seinem Sessel zurück. Goldie und Guppy schwammen unterdessen wieder in ihrem Bassin, als wäre nichts geschehen. Die beiden Sinkel wirkten irgendwie zufrieden und dies trug nicht gerade dazu bei, Snape zu beruhigen.

"Was soll das?", schnappte er und war sich dabei selbst nicht sicher, wen er eigentlich so grob anfuhr. McGonagalls entrüstetem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war seine Frage an die anwesenden Personen gerichtet gewesen.

"Wie wir gehört haben, scheinen ihre Erinnerungen tatsächlich manipuliert worden zu sein, Severus", erwiderte Dumbledore nun behutsam und strich sich nachdenklich über den langen Bart. "Es bleibt die Frage, von wem und warum."

"Das "Warum" ist doch offensichtlich", mischte sich McGonagall ein. "Um Harry und Draco ihrer Strafe entgehen zu lassen. Direktor, ich fürchte, das "Wer" ist auch allzu schnell beantwortet. In all den Jahren seit Hogwarts bestehen sind schon dreimal-"

"Nun, wir sollten keine allzu schnellen Schlussfolgerungen ziehen", unterbrach Dumbledore und wandte sich wieder Snape zu. "Ihnen ist die Bedeutung dieser Sache sehr wohl bewusst, nicht wahr?"

Snape nickte mühsam. Er hatte schon genug gesprochen an diesem Abend und verspürte kein Bedürfnis, noch mehr von sich preiszugeben. Was Professor McGonagall eben angedeutet hatte, war schon schrecklich genug und Snape hatte nicht übel Lust, diesen ganzen Abend einfach zu vergessen - haha, seine sarkastischen Bemerkungen waren auch schon besser gewesen.

"Wir sollten nichts Voreiliges unternehmen und zunächst abwarten", fuhr Dumbledore schließlich fort. "Die Geschichte muss sich nicht unbedingt wiederholen. Ich bin sogar sehr zuversichtlich, dass wir sie dieses Mal abwenden können."

‚Ja, dir bleibt nur noch Hoffnung, alter Mann', dachte Snape müde. ‚Aber wenn du es tatsächlich mit einem zweiten Du-weißt-schon-wer zu tun bekommst, wenn du ein zweites Mal versagst - dann war deine Zuversicht umsonst.'