Kapitel 4: Verhexte Lehrer und andere Überraschungen

Albus Dumbledore machte sich daran, den Saal in Augenschein zu nahmen, betrachtete die Regale und runzelte die Stirn: Moody hatte ihm gesagt, die Todesser suchten hier nach der Prophezeiung über Harry Potter und Lord Voldemort, und natürlich musste um jeden Preis verhindert werden, dass sie sie fanden, aber in seiner Erinnerung sah der Saal in der Mysterienabteilung, in dem die Prophezeiungen untergebracht waren, doch etwas anders aus. Das Licht stimmte nicht: im Prophezeiungssaal glitzerte es geheimnisvoll, aber hier flimmerte es, und das ganze war auch viel zu hell, um nicht zu sagen, grell…

Nun ja, dachte er, immerhin waren hier die Namen so ziemlich aller bekannten Zaubererfamilien verzeichnet…

Dumbledore, da haben wir's ja, sagte er sich. Nein, Prophezeiungen konnten das nicht sein, eher Reminiszenzen: „Albus Dumbledores erste große Liebe" ,Moment mal, wer hatte das eigentlich geschrieben? Das war eine Ewigkeit her, aber er erinnerte sich daran, als wäre es gestern gewesen… Was hatte das zu bedeuten, führten sie denn im Ministerium Akten über alles und jedes, das Privatleben der Zauberer eingeschlossen? War das nicht eigentlich verboten, gab es da nicht ein Gesetz zum Schutz der Privatsphäre und der personenbezogenen Daten? Die Rolle wollte nicht aus dem Regal gezogen werden, beim Barte des Merlin, das wurde ja immer besser! Und dann gab es noch „Dumbledores erster Kampf mit Du-weißt-schon-wem". Ja, auch daran erinnerte er sich nur zu gut… Diese Rolle gehorchte seinem „Accio" aufs Wort, und er begann zu lesen. Ja, das war sehr gut wiedergegeben, sehr lebendig, und…sehr schmeichelhaft, er hatte gar nicht gewusst, dass er sich damals so heldenhaft geschlagen hatte!

Und hier, was war das? Oh ja, der Halloweenball vor zwanzig Jahren, damals mit Minerva…Er versank in träumerisches Grübeln…

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Severus Snape stand nachdenklich vor seinem Regal und las die Aufschriften, da hörte er die Stimme von Minerva McGonagall:

„Professor Snape, könnten Sie mir wohl kurz behilflich sein?"

„Selbstverständlich, Professor McGonagall", antwortete Snape und machte sich auf den Weg.

„Was kann ich für Sie tun, Professor?" fragte er.

„Helfen Sie mir doch bitte mit dieser Rolle", bat sie ihn, und mit vereinten Kräften zogen sie das Pergament aus dem Fach:

„Die verhexten Lehrer. Severus Snape nimmt ein Bad! Minerva McGonagall trägt ihr Haar offen! Was haben all diese erstaunlichen Vorgänge nur zu bedeuten?" lautete der Titel, und sie lasen:

„…Professor Snape, wir müssen diesen Sherry testen lassen. Ich fürchte, wir sind beide davon verhext worden….Wir müssen Professor Dumbledore informieren, das schaffen wir nicht allein.…

Der Kuss, der sie dann endlich vereinte, war wunderbar. Severus' Lippen streiften Minervas Mund leicht, dann glitt seine schlangengleiche Zunge (er war nicht umsonst Leiter des Hauses Slytherin) zwischen ihre Lippen und öffnete sie wie die Blüten einer Blume. Ihr Duft nach Honig und Holunder, dachte er. Sein Kuss wie Zimt, dachte sie…"

„Severus!" Minerva McGonagall strich sich die Haare glatt und überprüfte, ob der Knoten noch richtig festgesteckt war, aber dabei lösten sich die Haarnadeln und ihr schwarzglänzendes Haar fiel bis über ihre Schultern herab.

„Minerva!" Severus Snape schaute sie überrascht an und seine samtenen Augen begegneten ihrem smaragdenen Blick. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen…

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„Minerva!" rief Albus Dumbledore hinter ihnen, „dürfte ich Sie einmal kurz sprechen?" Sein Blick fiel auf Professor McGonagall und Professor Snape, die einträchtig auf dem Sessel saßen, den er bei ihrer Ankunft für sie hergezaubert hatte, der allerdings nun etwas breiter war, so dass er gerade Platz für zwei Personen bot, und an einen anderen Ort versetzt worden war: vor das Regal in der Reihe M.

Die beiden Lehrer hielten gemeinsam eine Pergamentrolle in den Händen, aber ihre Blicke waren nicht auf das Pergament gerichtet, sondern ineinander versenkt, und es war, als wären beide in ein warmes, bernsteinfarbenes Licht getaucht…

Albus Dumbledore staunte nicht schlecht; was war nur mit diesen Rollen los, hatten sie etwa Zauberkraft? Er wurde immer neugieriger, die Neugier war eine seiner geheimen Schwächen, die er anderen und auch sich selber nicht gerne eingestand, und nun wollte er endlich auch wissen, was da über ihn und Minerva geschrieben stand…

„Professor Snape!" rief er deshalb nun. Snape schreckte auf. „Haben Sie Harry und die Gryffindors gesehen?"

„Nein, aber ich mache mich gleich auf die Suche nach ihnen!" antwortete er pflichtschuldigst. Er tauchte noch einmal in Minervas grüngoldene Augen ein und verließ sie dann mit einem bedauernden Blick. Sie schaute ihm verwundert und sehnsuchtsvoll nach.

„Minerva, darf ich Sie kurz stören?"

„Ja, natürlich, Albus."  Sie war gerade dabei, ihre Haare wieder aufzustecken.

„Lassen Sie doch, das steht Ihnen sehr gut", sagte Dumbledore. Kommen Sie, ich möchte Ihnen etwas zeigen."

„Etwa das hier?" fragte Minerva und wies auf ihr Regal, auf ein Fach mit der Aufschrift MMcG/AD „Aufforderung zum Tanz…" Sie zwinkerte ihm schelmisch zu. Was ist mit mir los? fragte sie sich verwundert. Sie zogen die Rolle aus dem Regal und begannen zu lesen. Albus Dumbledore fühlte sich plötzlich beschwingt und verjüngt. Man sollte doch öfter tanzen, dachte er.

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Severus Snape kam wieder an seinem Regal vorbei und konnte der Versuchung nicht widerstehen, sich einige der Rollen anzusehen. Da hörte er plötzlich eine bekannte Stimme.

„Sieh an, Severus, was machst du denn hier?"

„Das sollte ich eher dich fragen, Lucius!"

Die beiden sahen einander misstrauisch an.

„Ich bin auf der Suche nach Draco", sagte Lucius schließlich und zwinkerte Snape verschwörerisch zu. Seine Todesserrobe mit der großen Kapuze ließ kaum Zweifel am Grund seiner Anwesenheit.

„Ich bin im Auftrag der Schule hier, um die Schüler zurückzubringen", erklärte Severus Snape im selben konspirativen Ton.

„Aha", murmelte Lucius, „verstehe."

Sie standen vor Snapes Regal und unwillkürlich überflog Lucius die Aufschriften.

„Das ist ja alles äußerst interessant", bemerkte er.

„Ja, wirklich, aber auch sehr ärgerlich, denn ich schaffe es einfach nicht, diese Schriftstücke herauszuziehen. Und ich weiß auch oft überhaupt nicht, wer diese anderen Personen sind, von denen da die Rede ist…"

Lucius nickte und bemerkte: „Ja, so geht es mir auch…Anscheinend können nur immer die Betroffenen selbst an die Rollen heran…"

„Ja, und dann all diese Einträge über mich und diese Hermine Granger, das verstehe ich überhaupt nicht, was habe ich denn mit dieser Göre zu tun, und wer hat das überhaupt verfasst?"

In diesem Augenblick kamen einige Todesser vorbei, offenbar weniger auf der Flucht vor ihren Verfolgern als auf der Suche nach einem stillen Ort, wo sie „Die Geschichte der Todesser, ein vollständiges Verzeichnis aller Anhänger dieser Geheimgesellschaft und ihrer schrecklichen Taten" , „Wie werde ich ein Todesser?" sowie „Moderne Methoden zur Rekrutierung neuer Mitglieder" lesen konnten.

„Habt ihr Probleme?" fragten sie.

„Ja", sagte Snape, „die meisten Dokumente bewegen sich einfach nicht vom Fleck."

„Wenn ihr was lesen wollt, geht doch mal weiter nach hinten, da gibt es noch eine ganze Abteilung, in der ziemlich viel über euch beide steht."

Lucius und Severus sahen sich an und gingen dann in die angegebene Richtung.

Tatsächlich, da gab es ja einiges unter dem Titel LM/SS, und beide gaben sich betont unbeteiligt, als sie eine der Rollen herauszogen…

Schweigend lasen sie. Am Ende ließ Lucius die Rolle los, und Severus hielt sie zwischen Daumen und Zeigefinger, streckte seinen Arm weit von sich, als wollte er möglichst viel Abstand zwischen sich und das Pergament bringen, und ließ dann los. Die Rolle fiel auf den Boden.

„Also wirklich…", begann Lucius, „schockierend!" Er bedachte Severus mit einem abschätzenden Blick und schüttelte den Kopf.

Severus' Augen wechselten zwischen Lucius und dem Pergament, nein, dachte er, was ihm da unterstellt wurde…

Lucius Malfoy inspizierte nun das ganze Regal, und was er da sah, gefiel ihm überhaupt nicht: Draco Malfoy und Harry Potter! slash! - Trash! dachte er, so etwas gehört verboten, wie konnten solche Dinge ausgerechnet im Zaubereiministerium…

Als hätten seine Gedanken sich plötzlich materialisiert, sah er Cornelius Fudge, den Zaubereiminister, mit erhobenem Zauberstab vorbeipirschen…

Er trat einen Schritt vor, um den Minister aufzuhalten:

„Aus dem Weg!" schrie dieser ihn an.

„Das ist mein Text", entgegnete Lucius Malfoy und hielt ihn am Arm fest. Fudge versuchte, sich loszureißen, aber Malfoy hielt ihn mit eisernem Griff umklammert.

„Was hat das  hier zu bedeuten, können Sie mir das vielleicht erklären?" Er wies auf die Regale, die sich endlos in den weiten Raum hinein erstreckten. „Sie sind dafür zuständig, und ich werde Sie verklagen, Sie werden sich verantworten müssen! Diese Abteilung ist eine Schande für die Zaubererschaft!"

„Sagen Sie mir lieber erst mal, was Sie hier mitten in der Nacht zu suchen haben", erwiderte Fudge, während er versuchte, sich Malfoys Griff zu entwinden

„Was ich hier zu suchen habe…?" Lucius überlegte für den Bruchteil einer Sekunde und fuhr dann im Ton aufrichtiger Entrüstung fort:

„Wenn Sie das Ministerium nicht genügend absichern können, und jeder, sogar Schüler aus Hogwarts, hier einfach hereinspazieren kann, dann muss ich mich wohl selbst um das Wohl meines Sohnes kümmern, also noch mal, was ist das hier für eine skandalöse Abteilung?"

„Ich habe keine Ahnung, es ist das erste Mal, dass ich diesen Saal betrete, Sie wissen doch, - magische Gebäude, - sie machen, was sie wollen…." Er zuckte die Achseln.

„Also geben Sie zu, dass Sie noch nicht mal Ihr eigenes Ministerium unter Kontrolle haben. Sie sind ja völlig unfähig!"

Und mit diesen Worten packte Lucius Malfoy den Zaubereiminister ganz unzauberisch am Kragen…

„Dass Sie sich nicht schämen…, solche Verleumdungen, Unterstellungen… Vergessen Sie nicht, sie sind Minister von meinen Gnaden, und wenn ich es will, sind Sie morgen abgesetzt!"