Kapitel 15
Das Ende des Fadens
Arwen erwachte gegen Abend in ihrem Bett und genoss für einen Moment das Gefühl der Wärme und Geborgenheit. Wie unsagbar dumm sie gewesen war, ging ihr erst in diesem Moment vollständig auf und sie erhob sich und kleidete sich an, fest entschlossen, ihrem Vater ins Gesicht zu sehen und dafür einzustehen, was sie getan hatte.
Sie fand Elrond in seinem Arbeitszimmer, wo er am Fenster stand, den Rücken wie immer durchgedrückt, die Arme dahinter verschränkt. Schweigsam, unbeugsam, kühl, wie sie ihn kannte.
"Vater", sagte sie leise und ernst. "Ich komme, um mich zu entschuldigen. Ich war unsäglich dumm und es tut mir leid, Dir solche Sorgen bereitet zu haben. Ich weiß, dass alles, was Du tust, seinen Sinn hat und ich es vielleicht jetzt noch nicht verstehen kann. Aber ich werde mich bemühen, Deine Erwartungen zu erfüllen."
Sie bemerkte das Zucken um seine Mundwinkel, die einzige Regung, die er sich erlaubte. Unbeweglich verharrte er weiterhin und Arwen wurde mulmig zumute. Was mochte er zu ihrer Bestrafung ausersehen haben?
Doch was er dann sagte, widersprach allem, was sie erwartete.
"Du bist wie Deine Mutter, Undómiel. Sie hatte dasselbe Herz, die gleichen verrückten Ideen, das gleiche unglaubliche Bedürfnis, sich durch nichts und niemanden einschränken zu lassen. Ich habe das immer an ihr geliebt und auch an Dir liebe ich diese Eigenschaften. Als sie fortging, dachte ich, dass ich niemals wieder einen solchen Verlust erleiden wollte. Und ich dachte mir, wenn ich Dich einschränke, würde Dir ein solches Schicksal, wie es Deiner Mutter widerfahren ist, erspart bleiben. Aber ich habe begriffen, dass ich Dich eher damit gefährde, indem ich Dich einenge, als dass ich Dich deine eigenen Erfahrungen machen lasse."
Er schwieg. Arwen seufzte.
"Du machst das schon richtig. Manchmal gehen die Pferde mit mir durch."
Elrond drehte sich halb um und seine Augenbrauen zogen sich zusammen.
"Nichtsdestotrotz hast Du zwei Wochen Hausarrest, junge Dame. Dein Betragen war unmöglich, Du hast unsere Familie blamiert und das Leben derjenigen in Gefahr gebracht, die ich ausschicken musste, um Dich zu suchen. Ich bin äußerst enttäuscht."
"Jawohl", sagte Arwen kleinlaut.
***
Tîriel hatte den ganzen Tag verschlafen und erwachte erst zur Zeit der Dämmerung. Ein leichter Nieselregen fiel auf Bruchtal und durch die offenen Fenster wehte ein kühler Wind hinein. Sie stand auf und tastete unwillkürlich nach der Verletzung, die sich wie erwartet schon geschlossen hatte und nicht mehr blutete. Lustlos wechselte sie ihre noch immer stark verschmutzte Kleidung und wusch sich. In einem Hemd und einer leichten Hose aus Leinen ließ sie sich in einen Sessel fallen und entzündete eine Rauchstange.
Sinnend sah sie den Rauchkringeln nach, die zur Decke zogen. Asche fiel zu Boden. Irgendwann klopfte es.
"Herein."
Arwen steckte den Kopf zur Tür herein.
"Darf ich -?"
"Keine Frage." Tîriel winkte leicht mit der Hand. "Schön, dass Du wieder da bist. Alles in Ordnung?"
Arwen hob die Schultern und setzte sich anmutig auf den zweiten Sessel.
"Ich habe eine Standpauke bekommen, die sich gewaschen hat. Ansonsten war es weniger schlimm, als ich erwartet hatte. " Sie hob den Blick unter den langen Wimpern. "Tut mir leid, dass ich weggelaufen bin. Ich habe gehört, Du bist verletzt worden?"
"Halb so schlimm. Ein Schlag vor den Kopf. Glorfindel hat mich rausgeholt, bevor Schlimmeres passiert ist." Tîriels Lippen verzogen sich zu einem halben Lächeln. "Auch wenn ich es ihm niemals sagen würde, er hat mir das Leben gerettet und ich schulde ihm etwas."
Arwen lächelte und wirkte plötzlich älter, als sie eigentlich war und ihr Verhalten hin und wieder erahnen ließ.
"Meine Mutter hat mir einmal gesagt, dass Dich mit jemandem, der Dein Leben gerettet hat, ein unsichtbares Band verbindet, wie ein Faden, der zwischen zwei Händen gespannt ist. Ganz gleich, wie weit ihr voneinander entfernt seid oder wie viel Zeit vergangen ist, diese Verbindung wird immer bestehen, ganz gleich, ob Du Dich revanchierst oder nicht."
Den Blick aus dem Fenster in die aufziehende Dunkelheit gerichtet hatte Tîriel den Worten der jüngeren Elbin gelauscht und ein kleines, melancholisches Zucken erschien um ihre Mundwinkel.
"Die Geschichte kenn ich auch. Denkst Du, sie hat etwas Wahres? Ich kann daran nicht glauben, an keines dieser Gerüchte über eine natürliche Verbundenheit. Wir mögen sie mit der Natur spüren, in jedem fallenden Blatt, oder in den Augen der Tiere, aber zwischen zwei Wesen, die in ihrem Denken und Fühlen so kompliziert sind? Nein. "
"Wovon sprichst Du?" Arwen klang sanft. "Von Verbundenheit oder von Liebe?"
***
Glorfindel war ruhelos. Einige Stunden nach Arwens Rückkehr waren auch die Zwillinge heimgekehrt und hatten Glorfindel nach den Erlebnissen in den Bergen befragt. Als sie merkten, wie ungewöhnlich wortkarg er war, ließen sie ihn schulterzuckend vor den Ställen stehen, um feiern zu gehen.
Es war weit nach Mitternacht, als er beschloss, sich etwas Ruhe zu gönnen und so trugen ihn seine Schritte in seine eigenen Räume, die in einem Seitenflügel von Elronds Haus am Hang lagen. Des Nachts wusste er den Ausblick über die lichtbeschienenen Gebäude und den fern glitzernden Wasserfall zu schätzen, doch an diesem Tag hatte er kein Auge dafür. Es war regnerisch und die Kälte zog durch sein Schlafzimmer. Mit einem heftigen Ruck schloss er die Vorhänge, so als könne er das, was vor dem Stoff lag, damit ein für alle Mal ausschließen.
Er zog sich aus und ließ sich auf sein Lager fallen, das mit wertvollen Fellen bedeckt war, Geschenke einiger menschlicher Freunde. Doch der Schlaf, eigentlich notwendige Folge der Anstrengungen der letzten Tage, wollte nicht kommen und so starrte Glorfindel blicklos in die Dunkelheit, unruhig, nachdenklich, suchend.
Doch er konnte keine Antwort auf Fragen finden, die er noch nicht einmal kannte.
***
In einem anderen Raum des Hauses lag Tîriel auf ihrem Bett, blickte in die Schwärze der Nacht, ohne zu schlafen. Und aus irgendeinem Grund wusste sie, dass es Glorfindel genauso ging. Das beunruhigte sie zutiefst.
Das Ende des Fadens
Arwen erwachte gegen Abend in ihrem Bett und genoss für einen Moment das Gefühl der Wärme und Geborgenheit. Wie unsagbar dumm sie gewesen war, ging ihr erst in diesem Moment vollständig auf und sie erhob sich und kleidete sich an, fest entschlossen, ihrem Vater ins Gesicht zu sehen und dafür einzustehen, was sie getan hatte.
Sie fand Elrond in seinem Arbeitszimmer, wo er am Fenster stand, den Rücken wie immer durchgedrückt, die Arme dahinter verschränkt. Schweigsam, unbeugsam, kühl, wie sie ihn kannte.
"Vater", sagte sie leise und ernst. "Ich komme, um mich zu entschuldigen. Ich war unsäglich dumm und es tut mir leid, Dir solche Sorgen bereitet zu haben. Ich weiß, dass alles, was Du tust, seinen Sinn hat und ich es vielleicht jetzt noch nicht verstehen kann. Aber ich werde mich bemühen, Deine Erwartungen zu erfüllen."
Sie bemerkte das Zucken um seine Mundwinkel, die einzige Regung, die er sich erlaubte. Unbeweglich verharrte er weiterhin und Arwen wurde mulmig zumute. Was mochte er zu ihrer Bestrafung ausersehen haben?
Doch was er dann sagte, widersprach allem, was sie erwartete.
"Du bist wie Deine Mutter, Undómiel. Sie hatte dasselbe Herz, die gleichen verrückten Ideen, das gleiche unglaubliche Bedürfnis, sich durch nichts und niemanden einschränken zu lassen. Ich habe das immer an ihr geliebt und auch an Dir liebe ich diese Eigenschaften. Als sie fortging, dachte ich, dass ich niemals wieder einen solchen Verlust erleiden wollte. Und ich dachte mir, wenn ich Dich einschränke, würde Dir ein solches Schicksal, wie es Deiner Mutter widerfahren ist, erspart bleiben. Aber ich habe begriffen, dass ich Dich eher damit gefährde, indem ich Dich einenge, als dass ich Dich deine eigenen Erfahrungen machen lasse."
Er schwieg. Arwen seufzte.
"Du machst das schon richtig. Manchmal gehen die Pferde mit mir durch."
Elrond drehte sich halb um und seine Augenbrauen zogen sich zusammen.
"Nichtsdestotrotz hast Du zwei Wochen Hausarrest, junge Dame. Dein Betragen war unmöglich, Du hast unsere Familie blamiert und das Leben derjenigen in Gefahr gebracht, die ich ausschicken musste, um Dich zu suchen. Ich bin äußerst enttäuscht."
"Jawohl", sagte Arwen kleinlaut.
***
Tîriel hatte den ganzen Tag verschlafen und erwachte erst zur Zeit der Dämmerung. Ein leichter Nieselregen fiel auf Bruchtal und durch die offenen Fenster wehte ein kühler Wind hinein. Sie stand auf und tastete unwillkürlich nach der Verletzung, die sich wie erwartet schon geschlossen hatte und nicht mehr blutete. Lustlos wechselte sie ihre noch immer stark verschmutzte Kleidung und wusch sich. In einem Hemd und einer leichten Hose aus Leinen ließ sie sich in einen Sessel fallen und entzündete eine Rauchstange.
Sinnend sah sie den Rauchkringeln nach, die zur Decke zogen. Asche fiel zu Boden. Irgendwann klopfte es.
"Herein."
Arwen steckte den Kopf zur Tür herein.
"Darf ich -?"
"Keine Frage." Tîriel winkte leicht mit der Hand. "Schön, dass Du wieder da bist. Alles in Ordnung?"
Arwen hob die Schultern und setzte sich anmutig auf den zweiten Sessel.
"Ich habe eine Standpauke bekommen, die sich gewaschen hat. Ansonsten war es weniger schlimm, als ich erwartet hatte. " Sie hob den Blick unter den langen Wimpern. "Tut mir leid, dass ich weggelaufen bin. Ich habe gehört, Du bist verletzt worden?"
"Halb so schlimm. Ein Schlag vor den Kopf. Glorfindel hat mich rausgeholt, bevor Schlimmeres passiert ist." Tîriels Lippen verzogen sich zu einem halben Lächeln. "Auch wenn ich es ihm niemals sagen würde, er hat mir das Leben gerettet und ich schulde ihm etwas."
Arwen lächelte und wirkte plötzlich älter, als sie eigentlich war und ihr Verhalten hin und wieder erahnen ließ.
"Meine Mutter hat mir einmal gesagt, dass Dich mit jemandem, der Dein Leben gerettet hat, ein unsichtbares Band verbindet, wie ein Faden, der zwischen zwei Händen gespannt ist. Ganz gleich, wie weit ihr voneinander entfernt seid oder wie viel Zeit vergangen ist, diese Verbindung wird immer bestehen, ganz gleich, ob Du Dich revanchierst oder nicht."
Den Blick aus dem Fenster in die aufziehende Dunkelheit gerichtet hatte Tîriel den Worten der jüngeren Elbin gelauscht und ein kleines, melancholisches Zucken erschien um ihre Mundwinkel.
"Die Geschichte kenn ich auch. Denkst Du, sie hat etwas Wahres? Ich kann daran nicht glauben, an keines dieser Gerüchte über eine natürliche Verbundenheit. Wir mögen sie mit der Natur spüren, in jedem fallenden Blatt, oder in den Augen der Tiere, aber zwischen zwei Wesen, die in ihrem Denken und Fühlen so kompliziert sind? Nein. "
"Wovon sprichst Du?" Arwen klang sanft. "Von Verbundenheit oder von Liebe?"
***
Glorfindel war ruhelos. Einige Stunden nach Arwens Rückkehr waren auch die Zwillinge heimgekehrt und hatten Glorfindel nach den Erlebnissen in den Bergen befragt. Als sie merkten, wie ungewöhnlich wortkarg er war, ließen sie ihn schulterzuckend vor den Ställen stehen, um feiern zu gehen.
Es war weit nach Mitternacht, als er beschloss, sich etwas Ruhe zu gönnen und so trugen ihn seine Schritte in seine eigenen Räume, die in einem Seitenflügel von Elronds Haus am Hang lagen. Des Nachts wusste er den Ausblick über die lichtbeschienenen Gebäude und den fern glitzernden Wasserfall zu schätzen, doch an diesem Tag hatte er kein Auge dafür. Es war regnerisch und die Kälte zog durch sein Schlafzimmer. Mit einem heftigen Ruck schloss er die Vorhänge, so als könne er das, was vor dem Stoff lag, damit ein für alle Mal ausschließen.
Er zog sich aus und ließ sich auf sein Lager fallen, das mit wertvollen Fellen bedeckt war, Geschenke einiger menschlicher Freunde. Doch der Schlaf, eigentlich notwendige Folge der Anstrengungen der letzten Tage, wollte nicht kommen und so starrte Glorfindel blicklos in die Dunkelheit, unruhig, nachdenklich, suchend.
Doch er konnte keine Antwort auf Fragen finden, die er noch nicht einmal kannte.
***
In einem anderen Raum des Hauses lag Tîriel auf ihrem Bett, blickte in die Schwärze der Nacht, ohne zu schlafen. Und aus irgendeinem Grund wusste sie, dass es Glorfindel genauso ging. Das beunruhigte sie zutiefst.
