Neumondnacht
Ihr Atem flog geradezu über ihre Lippen, als sie die niedrige Holztür hinter sich ins Schloss zog. Das zarte Klicken ging im seichten Säuseln des Nachtwindes unter. Eine kühle, spätherbstliche Brise wehte ihr entgegen und umschmeichelte ihr Gesicht, das gelockte, braune Haar; blies ihr die störenden, wirren Strähnen aus den Augen.
Hermiones Körper durchlief ein schwaches Beben. Schützend hob sich ihre rechte Hand und hielt die beiden Enden ihres wärmenden Umhanges fester aneinander.
Ihr Blick glitt langsam und musternd über den Turm hinweg und nach wenigen Sekunden nahm sie die zierliche Gestalt wahr, die sich kaum sichtbar vom nachtschwarzen Himmel abhob. Hermione blinzelte leicht, versuchte, ihre Augen rascher an die beklemmende Dunkelheit zu gewöhnen.
Und sie erkannte, dass es dieselbe Gestalt war, die sonst auch hier oben saß, die Schutz und Ruhe suchte, die die Einsamkeit brauchte, um nachzudenken... Dass es *sie* war.
Ohne es zu bemerken, leckte sie sich über die rauen Lippen. Bildete sie sich es eigentlich ein, oder war ihr Mund auf einmal sehr trocken? Mühsam schluckte sie und zwang sich, einige Schritte nach vorne zu treten, der Gestalt entgegen. Ihr fiel auf, dass diese in gebeugter Haltung dasaß, hockte. Sie wirkte traurig, verzweifelt... verlassen?
Hermione schüttelte sachte den Kopf, zwang sich zur Ruhe, die sie zumindest äußerlich bewahren wollte. Innerlich war sie zerwühlt, verwirrt. Sie konnte sogar ihr laut pochendes Herz hören, wie ein rhythmischer Trommelschlag, der durch einen tiefen, dichten Wald hallte und immer näher kam, immer näher und näher... und lauter.
„Du... bist wieder hier?"
Es war keine Frage, vielmehr eine Feststellung.
Der Körper vor Hermione zuckte zusammen in Schrecken und Angst. Hastig wurde ein Arm gehoben, wurden die verräterischen Spuren aus dem Gesicht gewischt, die man in der Nacht doch gar nicht erkennen konnte. Dann wandte sich die Gestalt, der Kopf drehte sich Hermione zu, wässrige Augen starrten sie an. „Wer...?"
Stille kehrte zwischen ihnen ein. Hermione empfand sie als endlos und bedrückend. Seltsamerweise erschien es ihr aber falsch, etwas in diesem Augenblick zu sagen, selbst wenn sie das Schweigen somit gebrochen hätte. Etwas sagte Hermione, dass sie nicht den ersten Schritt machen durfte.
„Ach..." Man konnte die frohe Erleichterung in der flüsternden Stimme hören. „... Du bist's, Hermione..."
Selbige bildete sich ein, das schöne, sonst immer so fröhliche Lächeln auf ihren Lippen zu sehen. Das Strahlen in ihren großen, braunen Augen. Die Heiterkeit und den unerschütterlichen Lebensmut, der ihr schon vor einiger Zeit den Atem geraubt hatte.
„Weißt du, ich dachte..."
Ganz urplötzlich hielt sie inne. Fast so, als hätte sie sich dabei ertappt, etwas Verbotenes, Unerlaubtes zu erzählen. Etwas, dass eigentlich nie jemand erfahren dufte.
Hermione seufzte lautlos und trat neben das zierliche Mädchen. Kurz zögerte sie, dann ließ sie sich neben ihr auf den kühlen, trockenen Stein sinken und blickte hinab in die bodenlose Schwärze, die sich unter ihren Füßen erstreckte. Wie einfach es doch wäre... Ein kleiner Schubs, ein kurzer Kraftaufwand und alles hätte eine einfache Lösung. Alle Sorgen wären aufgelöst im Nichts, wären verschwunden, ausgelöscht... Doch zu welchem Preis?
Mühevoll vertrieb sie die Gedanken daran, hob den Kopf und musterte die alten Gemäuer Hogwarts, welche unwirklich unter dem Sternenhimmel lagen. Weiter hinauf schweifte ihr Blick und sie konnte die Wälder erkennen, die in weiter Ferne lagen. Wie seichte Wellen wogen sich die dunklen Bäume im Wind.
„Erzählst du mir, was passiert ist?"
Hermione hatte den Kopf in den Nacken gelegt, starrte in den mondlosen Himmel, der verhangen war, von Tausenden von Lichtern und Nebeln.
„Du weißt schon lange über mich Bescheid, habe ich Recht?" Keine Antwort, nur eine simple Gegenfrage.
Hermione senkte betreten den Kopf. Auf einmal fühlte sie sich ertappt.
„Ja.", antwortete sie nach einiger Zeit. Ja, sie wusste es schon lange. Wusste, dass *sie* sich verliebt hatte, unglücklich verliebt.
„Schon sehr lange...?" Ein zögernder Blick.
Wieder bejahte Hermione.
„Ah..." Verstehen, Bedauern.
Hermione fühlte sich schlecht. Sie hätte eher den Mut aufbringen sollen, um mit ihr zu reden. Sie hätte sich selbst und ihr einigen erspart.
„Ich..." Ein gequältes Luftholen. „Ich habe es vorhin getan... Vorhin habe ich es ihr gesagt, auf der Party... dass... dass ich sie liebe."
Das wusste Hermione. Sie hatte ihre Freundin beobachtete, als sie zu dem Mädchen gegangen war.
„Ich glaube, ich habe mich überschätzt, Hermione. Ich glaube, ich habe alles falsch gemacht... Sie... sie hat mich angestarrt. Endlos lang angestarrt und dann... dann hat sie gelacht. Einfach so. Gelacht hat sie und gesagt... gesagt, dass --"
Ein trockenes Kichern, verzweifelt, hilflos.
„Sie hat gesagt, ich sei abartig."
Die Schultern des Mädchens zuckten leicht. Hermione sah, dass sie die Hände hob, das Gesicht schützend in ihnen vergrub. Gedämpftes Schluchzen drang an ihr Ohr.
„Hey... Schhhh..." Hermione flüsterte, ohne, dass sie es beeinflussen konnte. Vorsichtig legte sie einen Arm über den bebenden Rücken, umfasste mit der freien Hand sanft aber bestimmend den Oberarm und drehte das Mädchen an ihren Körper, zog sie in eine hoffentlich Trostspendende Umarmung. „Hör auf zu weinen... schh..."
Die Wut und den Hass, der in Hermione aufkeimte, musste sie mühsam unterdrücken. Zuerst war es wichtig, dass sich ihre Freundin beruhigte.
„Es ist alles gut...", hauchte sie und war sich schmerzlich bewusst, dass gar nichts gut war.
Das weiche Haar kitzelte angenehm an ihrem Hals, als das Mädchen den Kopf schüttelte.
„Ist das denn wirklich abartig, Hermione?"
Ein sanftes Lächeln. „Nein. Das ist es nicht... Es ist deine Art zu lieben. Und sie hat deine Liebe nicht verdient, wenn sie so etwas sagt."
Wieder ein Schluchzen. „...Hmm..."
Hermione wusste nicht, wie lange sie so dasaßen. Das Mädchen, für welches sie so viel empfand, in ihren Armen, das weiche Haar an ihrer Haut, ihr von Tränen durchnässtes Nachthemd, die Finger, die sich an ihrem Rücken im Umhang verharkt hatten und die Schluchzer, die allmählich abnahmen.
Es kam ihr falsch vor, aber sie genoss diese vergängliche Zeit. Sonst hatte sie keine Möglichkeiten zu solchen körperlichen Kontakten. Natürlich, sie waren Freundinnen. Aber eigentlich nur *normale* Freundinnen. Niemand wusste, dass von ihrer Seite da mehr war. Und Hermione wusste auch, dass es so am Besten war.
„Komm. Lass uns zurück zum Gryffindorturm gehen. Es wird kalt und die anderen warten bestimmt schon." Hermione bereute ihre Worte ein wenig, denn sie fühlte sich leer, als das Mädchen sich aus ihrer Umarmung löste.
„Danke." Die braunen Augen blickten sie an, kurz, scheu. „Ich weiß, dass es dir schwer fällt... Danke, dass du es immer verbirgst."
Hermiones Augen weiteten sich in Ungläubigkeit. Doch bevor sie irgendetwas erwidern konnte, hatte sich das jüngere Mädchen abgewandt und lief über die Plattform zurück ins Innere des Turmes. Hermione blieb alleine am Rand sitzen und starrte ihr mit verklärtem Blick nach.
- Fin -
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A/N: *nach unten deut* Vergesst das Review nicht...
