2. Nacht bricht herein

Es war noch fast dunkel, als sie Rivendell verliessen, doch die Luft war bereits erfüllt vom süssen Duft erwachenden Blüten, Vögel sangen ihr Morgenlied in den Bäumen, und ein schöner, lichter Morgen würde in Kürze heranbrechen, der einen ebenso schönen Tag versprach – und deshalb wenig zu der düsteren Stimmung passte, in der sich die aufbrechende Gesellschaft von Waldelben befand. Elrond war gekommen, um sich von ihnen zu verabschieden und ihnen eine gute Heimreise in den Düsterwald zu wünschen, doch er war kurz angebunden gewesen dabei, und Legolas wusste, dass selbst sein Vater seine Entscheidung – ihrer aller Entscheidung – keine Krieger nach Gondor zu schicken, hinterfragte, obwohl er dies nicht zeigte.

Erst als sie schon gute zwei Stunden von Rivendell entfernt waren, schien sich des Königs Laune zu bessern, und er begann, leise mit dem Diener zu sprechen, der an seiner Seite ritt. Legolas war froh, dies zu sehen. Nicht dass er den Mann gemocht hätte, mit dem sein Vater sich jetzt unterhielt, denn dies war ein älterer, farbloser und (wenigstens seiner Meinung nach) kriecherischer Mensch, der allerdings den Vorzug hatte, mit Diamanten gehandelt zu haben, und so ziemlich alles über Schmuck zu wissen und demzufolge bei seinem Vater in hohen Ehren stand. Wenigstens hatte Thranduil jene düstere, brütende Stimmung hinter sich gelassen, in der er den Tag begonnen hatte...

Eigentlich gab es auch keinen Grund für sie, so niedergedrückt zu sein! Sie hatten ihre Entscheidung getroffen; und einzig die Zukunft würde zeigen, ob sie richtig gewesen war, oder falsch. "Und schlussendlich..." dachte Legolas, "...ist Vater einfach erleichtert, Rivendell mit seinen hochgebildeten und zivilisierten Einwohnern in seinem Rücken zu wissen." Der Gedanke entlockte ihm ein Lächeln. Ja, die Idee war nicht schlecht. Vielleicht hatte sein Vater, der mächtige König aller Waldelben, tatsächlich die Rolle gefürchtet, die er in Rivendell zu spielen gehabt hatte, diejenige des weisen, beherrschten und geduldigen Elbs, und war froh, dass dies jetzt hinter ihm lag.

Oh, Thranduil besass eine Menge Tugenden: Er hatte ein grosses Herz, das offen war für die einfachen Freuden des Lebens (sehr zur Sorge seiner Frau, in jener Zeit, bevor sie nach Valinor gesegelt war), er war ein herausragender Krieger, rasch in Liebe und Hass und immer aufrecht, immer direkt.

Doch Weisheit (so, wie Elrond sie vielleicht definieren mochte) und Geduld, die besass er nicht, und in der Kunst der Diplomatie, da war er nicht bewandert, und so waren jene Tage in Rivendell, voll von endlosen Beratungen und Begegnungen, die jetzt hinter ihnen lagen, wohl eine ziemliche Tortur für ihn gewesen.

Immer schon hatte es eine mehr oder weniger gutmütige Rivalität zwischen dem Düsterwald und Rivendell gegeben; und in den Augen der Rivendell-Bewohner musste Thranduil sicherlich den perfekten Waldelben darstellen: Einen kaum zivilisierten Wilden, einzig (und widerwillig) anerkannt für seine kriegerischen Fähigkeiten, doch für nichts darüber hinaus.

Legolas Lächeln wurde breiter. Er wusste natürlich, was die Waldelben ihrerseits über die Bewohner Rivendells dachten. Zu zivilisiert, das waren sie, schon fast dekadent, und bereits entfernt vom Leben in wahrer Natur (was "Wälder" bedeutete, natürlich), eingelullt von einer zu schönen, zu friedfertigen Umgebung, die sie nach und nach ihre sicheren Instinkte verlieren liess.

Er warf einen forschenden Blick auf seinen Vater, und deutlich sichtbar war es plötzlich für ihn, dass sich der König tatsächlich nach dem Düsterwald zurücksehnte; und Legolas musste sich eingestehen, dass er dasselbe empfand. Da war eine stille, doch tiefe Liebe in seinem Herzen, für seiner Heimat Bäume, Gewässer, Fluren und Kreaturen, und auch er wünschte sich, bereits zurück zu sein, zurück unter dem schützenden grünen Blätterdach seiner Heimat, die sie bald erreicht haben würden. Vielleicht waren er (und ganz besonders sein Vater) ganz einfach von einer Welle des Heimwehs erfasst worden; auf das all die seltsamen Gefühle, die sie alle erfasst zu haben schienen, zurückzuführen waren; und die sofort verschwinden würden, wenn sie nur den Düsterwald erreichten.

II.

Sie liessen ihre Pferde rasch ausgreifen und ritten den ganzen Tag über ohne Rast, bis die Dämmerung einbrach. Dann erst gewährten sie ihren Tieren Ruhe und bereiteten sich auf die Nacht vor. Keiner von ihnen schien jedoch das Bedürfnis nach Schlaf zu empfinden, und so sassen sie denn um ein kleines Feuer, sich manchmal leise unterhaltend, meistens jedoch schweigend, und erfrischt ritten sie am nächsten Morgen erneut los, gleich mit den ersten Sonnenstrahlen.

Erneut ritten sie in einen wundervollen Frühlingsmorgen hinein, und dessen helle, frische Farben, und der lebhafte Vogelgesang, der die endlich mächtige Rückkehr des Frühlings zu preisen schien, füllte ihre Herzen mit Fröhlichkeit. Von Zeit zu Zeit begann einer der Reiter, leise eine Melodie vor sich hin zu summen, und einige andere fielen bald ein, sofern sie denn die Worte kannten, und die bereits erstarkende Sonne wärmte ihre Gesichter.

Vielleicht war es die Schönheit dieses Tages, vielleicht aber auch einfach ihre Eile, den Düsterwald zu erreichen, die ihre Sinne einlullte und sie unaufmerksam machte.

Andernfalls lässt es sich nicht erklären, dass die Elben unter der Führung ihres Königs Thranduil sie nicht eher wahrnahmen, die erstickende Präsenz des Bösen; und der faulige Gestank der Orcs würde ihre feinen Sinne früher beleidigt haben.

Doch nichts fühlten, nichts bemerkten sie, und dieser Tag, der begonnen hatte in Fröhlichkeit und Freude, endete in Schmerz und Trauer.

III.

Sie hatten eben eine kleine Waldzunge durchquert und ritten am Fusse einer kleinen Anhöhe entlang, auf einem ziemlich engen, eingeschnittenen Felspfad, der wohl früher einem Fluss ein Bett geboten hatte, als das Böse aus dem Wäldchen vor ihnen hervorbrach und zwei der Elbenkrieger augenblicklich von ihren Pferden fielen, schwarze Ork-Pfeile tief eingebettet in ihren Herzen, und zwei weitere nur Sekunden später starben, getötet durch eine weitere Salve von schwarzen Pfeilen.

Legolas sah all diese Geschehnisse, als würden sie in Zeitlupe ablaufen, und sowohl sein Herzschlag als auch die Todesschreie seiner Gefährten schienen laut in seinen Ohren zu widerhallen, und für einen Augenblick war seine Kehle zugeschnürt in ungläubigem Entsetzen, und Angst. Ihre Pferd, obwohl sorgfältig erzogen und normalerweise ruhig selbst in der Schlacht, bäumten sich jählings auf und versuchten, vor der unerwarteten Gefahr zurückweichen; etwas, was den überlebenden Elben wahrscheinlich das Leben rettete, denn es waren ihre massiven Körper, die die nächsten Ork-Pfeile auffingen.

"Alle zurück! Bei den Valar, zurück!" hörte er seinen Vater brüllen, und dessen ruhige Stimme war es, der Legolas aus seiner Erstarrung riss. Instinktiv bückte er sich tief über den Rücken des Pferdes unter ihm, ignorierte mit grosser Willensanstrengung all das, was um ihn herum vorging, flüsterte beruhigende Worte in das Ohr seines Tieres und versuchte es dazu zu bringen, rückwärts zu schreiten, etwas, das durch den Tumult um ihn herum und die Enge des Pfades, auf dem sie sich befanden, ziemlich erschwert wurde. Endlich, nach einer Zeit, die ihm wie eine Ewigkeit vorkam, gelang es ihm, sein Pferd zu wenden.

Nachdem er ein paar Schritte zurück galoppiert war, drehte er sich wieder um, während er in einer einzigen, fliessenden Bewegung seinen Bogen zog und einen Pfeil auflegte, schweratmend, denn brennender Hass schnürte ihm jetzt die Kehle zu, und er war bereit, jeglichen Ork zu töten, der sich leichtsinnigerweise in die Reichweite seiner Pfeile begab. Aus den Augenwinkeln sah er, wie sich drei weitere Krieger, der menschliche Diener und sein Vater neben ihm aufbauten, doch er wagte es nicht, ihnen einen genaueren Blick zuzuwerfen, denn jeden Augenblick mochten ihre Angreifer, die sich bis dahin noch bedeckt hielten (abgesehen von dem hässlichen Triumphgebrüll, das sie bei ihrem heimtückischen Angriff ausgestossen hatten, und an dem man sie, wie an ihren schwarzen Pfeilen, eindeutig identifizieren konnte) aus dem Wald hervorbrechen.

Legolas hielt noch immer seinen Bogen straff gespannt, die Augen in äusserster Konzentration zusammengekniffen, ohne dass seine Arme ermüdeten, doch sein Herz wurde schwer, als keine weiteren Elben folgten. Dies bedeutete, dass sechs von seinen Gefährten gefallen waren durch die bösartige Attacke ihrer Erzfeinde...

Trauer begann, seine Kehle zuzuschnüren, doch Legolas wusste, dass jetzt nicht der Augenblick war, sich ihr hinzugeben, denn es galt noch immer, ihr Leben zu verteidigen. Jede Sekunde jetzt würden die Orks aus dem Wald hervorbrechen...

Für einige flüchtige Momente rührten sich weder die Angreifer, noch ihre beabsichtigen Opfer.

Dann brach Legolas' Pferd unter ihm zusammen, mit einem fast menschlich klingenden Klagelaut, denn ein Speer hatte sich tief eingebettet in seine Flanke. Legolas, der darauf nicht vorbereitet gewesen war, fiel hart, doch es gelang ihm dennoch, rasch wieder auf die Füsse zu kommen. Seinen Bogen hatte er beim Sturz verloren; und hastig hob er ihn auf; mit Erleichterung bemerkend, dass dieser seinen Fall offensichtlich unbeschadet überstanden hatte. Seine Erleichterung war aber mehr als kurzlebig, als er die Kriegsschreie hinter ihm hörte und den schmerzerfüllten Aufschrei eines seiner Gefährten neben ihm, und er brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass Orks auch aus dem Wäldchen hinter ihnen hervorgebrochen waren, und sie jetzt attackierten. "Eine Falle..." dachte er. "Sie haben auf uns gewartet..." während er den Kopf schüttelte, als könne er damit alle lähmenden Folgen seines Sturzes abschütteln. "Sie haben uns erwartet..." Der Bolzen einer Armbrust verfehlte seine linke Schulter nur um einige Zentimeter.

Erneut war es sein Vater, dessen Geistesgegenwart und Kaltblütigkeit sie alle rettete. "Hinauf!" kommandierte er. "Auch dort haben wir keine Deckung, aber oben auf der Flanke des Hügels haben wir wenigstens den Vorteil der Höhe auf unserer Seite! Hinauf!"

Es waren nur fünf von ihnen, die dann auch tatsächlich die kleine Anhöhe erreichten, die sich vor ihren Augen erstreckte, und die sich somit (für einige Augenblicke wenigstens) ausserhalb der Reichweite ihrer Angreifer befanden, und keiner von ihnen schien unverletzt, doch nun hatten sie ein paar wertvolle Sekunden gewonnen, die es ihnen erlauben würden, sich hinter ihren Pferden in Deckung zu begeben, und ihre Bögen zu ziehen.

Die beiden Rotten Orks, nach Blut hechelnd wie eine Meute hungriger Hyänen, hatten sich jetzt am Fusse der Anhöhe vereinigt und versammelte sich unter ihnen, mindestens 20 an der Zahl; und seltsamerweise schienen sie es mit einem erneuten Angriff auf die ihnen verhassen Elben nicht eilig zu haben, obwohl ihre Gesichter begierig genug schienen, ihren Ueberfall zu Ende zu bringen und alle Elben zu töten, die ihren Weg gekreuzt hatten.

Dann aber, nach einigen weiteren Sekunden, begannen sie, langsam gegen ihre Feinde vorzuschreiten, die Schilde sorgfältig erhoben (denn selbst die Orks kannten die legendären Fähigkeiten der Elben mit ihren Bögen) und sie waren wie eine schwarze Lawine des Böses, die alles vernichten würde, dass sich ihr in den Weg stellte.

Thranduil lachte. Es war ein kurzes, knappes Lachen, bar jeglicher Fröhlichkeit.

"Lass uns ihnen zeigen, wie teuer ein Elb sein Leben zu verkaufen weiss." stiess er zischend zwischen den Zähnen hervor. "Diese Narren! Gegen vier Elfenkrieger! Auf mein Kommando…Eins, zwei, drei!"

Und die Elbenbögen sangen ihren tödlichen Gesang, immer und immer wieder, und einige der angreifenden Orks fielen unter schrecklichem Brüllen, doch noch immer schritten die andern aus ihrer Schar vor, denn ihre Rüstung war dick gepanzert, und sie wussten ihre Schilder zu nutzen. Zu früh, viel zu früh gingen den Elben die Pfeile aus, und noch immer kamen die Orks, langsam, aber stetig, näher. Mindestes sechs von ihnen waren noch am Leben, und noch immer war ihnen keine Angst anzumerken, noch immer machten sie keine Anstalten, sich zurückzuziehen, obwohl ihr Hinterhalt missglückt war, und das war mehr als unüblich für einen Ork in jenen Zeiten.

Neben Legolas verschoss Mardin, seines Vaters oberster Leibwächter, seinen letzten Pfeil, um dann mit einem Seufzen, sein langes elbisches Messer zu ziehen. "Kommt nur her, meine hübschen kleinen Lieblinge." murmelte er. "Ich werde euch einen warmen Empfang bereiten..." Und mit diesen Worten warf er sich den Orks entgegen, die auf seinen plötzlichen (und etwas zu tollkühnen) Angriff ebenfalls ihre Schritte beschleunigten. Jetzt stellte sich Thranduil an Mardins Seite, mit gezogenem Schwert, und Legolas und der letzte andere elbische Krieger beeilten sich, es ihnen gleichzutun.

Dennoch hätte all ihr Mut, ihre Tapferkeit umsonst sein können, denn im Gegensatz zu ihnen hatten die Orks noch immer ihre Pfeile, doch von unerwarteter Seite wurde ihnen Hilfe zuteil. Einer der Elbenkrieger, von den Orks als tot zurückgelassen, war nur schwer verwundet gewesen; und jetzt stand er, stolz und aufrecht, in ihrem Rücken. Er hatte noch einen Bogen, er hatte noch Pfeile, und drei seiner schwarzen Gegner fielen, bevor sie noch wussten, wie ihnen geschah.

Die andern Orks warfen sich unter drohendem Knurren herum, und einer von ihnen schaffte es tatsächlich, einen Pfeil gegen diesen seinen neuen Feind abzuschiessen; doch dann wurde auch er getötet (fast gleichzeitig bohrten sich Thranduils Schwert und Mardins Messer in seinen Körper), und mit ihm fiel der letzte der Orks.

Ein Lächeln ging für einen Augenblick über das Gesicht des Elbenkriegers, der sie gerettet hatte, dann gaben seine Knie unter ihm nach, und er fiel mit einem leisen Aechzen ins Gras.

IV.

Legolas schloss die Augen und atmete tief ein, und für einen Augenblick wurden seine Knie weich, als die Erleichterung wie die Wellen einer Sturmflut über ihn hereinbrach. Sie hatten überlebt, wenigstens einige von ihnen...

Noch bevor er wirklich wusste, was er tat, hatte er sich in Bewegung gesetzt, ging auf den Gefährten zu, der, einige Meter von ihm entfernt zusammengebrochen war, denn dieser hatte ihnen höchstwahrscheinlich das Leben gerettet; und verdiente jegliche Hilfe, die ihm zuteil werden konnte. Sein Vater und Mardin stiessen zeitgleich einen triumphierenden Schrei aus, bevor sie sich ihm anschlossen, um den Zustand des Gefallenen zu untersuchen.

Unglücklicherweise gab es nicht mehr viel für sie zu helfen: Der tapfere Elb hatte all seine verbliebenen Kräfte vebraucht, um seinen König zu retten, bevor er schliesslich seinen schweren Wunden erlegen war. Oder war es ein Gift gewesen, das sein Leben zum Erlöschen gebracht hatte wie eine aufgebrauchte Kerze? Es war eine altbekannte Tatsache, dass die Orks oft ihre Pfeilspitzen vergifteten... Neben ihm fluchte Mardin leise, und Legolas liess unglücklich den Kopf hängen. Sechs Elben waren getötet worden, und wofür? Sicherlich hatten sie es den Orks heimgezahlt, denn nun lagen zwanzig von ihnen tot oder sterbend auf dem Boden, und dennoch hatten sie, die Düsterwald-Elben, einen schweren Verlust erlitten.

Und nahe, so nahe den Grenzen ihres Reichs hatte der Ueberfall stattgefunden. Die Orks wurden anscheinend von Tag zu Tag verwegener!

Thranduil erhob sich als erster, die Nutzlosigkeit weiterer Bemühungen einsehend. Er drehte sich um und ging zurück zu den zwei verbleibenden Pferden, denn es schien ihm nicht ratsam, hier noch lange zu verweilen, da keiner von ihnen wusste, ob nicht irgendwo noch mehr Orks verborgen waren. Sein Diener, der Mensch, hatte sich von Anbeginn des Kampfes bei den Pferden versteckt, er war kein Mann der Waffen und hatte deshalb nicht am Gefecht teilgenommen. Mardin und Legolas knieten noch immer neben ihrem gefallenen Begleiter, und noch immer leise fluchend, drehte ihn der Leibwächter des Königs um, so dass er auf dem Rücken zu liegen kam, und er wischte ihm einige Strähnen blutiges Haar aus dem Gesicht. Legolas sah ihm zu, noch immer körperlich und geistig völlig erschöpft; und so sah keiner von ihnen, was als nächstes passierte. Sie hörten es bloss.

V.

Thranduils Schrei durchschnitt die Luft, und er klang mehr überrascht als wütend, oder schmerzerfüllt, und seinem Schrei folgte ein leises Aechzen und das schrille Wiehern eines Pferdes. Die überlebenden Elfen warfen die Köpfe herum in die Richtung, aus der der Schrei gekommen war, und was sie sahen, liess ihr Blut erstarrten.

Thranduil, der König des Düsterwaldes, war in die Knie gesunken, während seine Hände sich über seiner Brust verkrampft hatten. Selbst aus seiner Entfernung konnte Legolas den Dolch, der aus seines Vaters Körper herausragte, mit entsetzlicher Deutlichkeit erkennen. Erneut schrie Thranduil etwas, es klang noch immer sehr wütend, doch dann fiel er, mit dem Gesicht nach vorn, ins Gras, und lag reglos.

Legolas und Mardin standen wie angewurzelt und sahen wie gelähmt auf jenen Punkt, an dem ihr König gefallen war, während Thranduils Diener, das Gesicht verzerrt vor Angst, versuchte, eines der beiden elbischen Pferde zu besteigen, die ihm eine Flucht vor dem Ort seines offensichtlichen Verbrechens hätten ermöglichen können, ein Vorhaben, das von vorneherein zum Scheitern verurteilt war, da diese von elbischer Dressur waren und nur Menschen als Reiter duldeten, wenn ihre Herren es ihnen befahlen. Fest hielt er etwas in seiner rechten Faust umschlossen, was ihn zusätzlich behinderte, und obwohl er es tatsächlich schaffte, ein paar Meter davonzukommen, so erwischte ihn doch Mardins erster Pfeil, aus der Leiche eines Orcs herausgerissen und scheinbar ohne zu zielen abgeschossen, mitten durch die Kehle. Ohne einen Laut fiel er vom Pferd; und als regloses, unförmiges Bündel blieb er am Boden liegen.

Mardin gönnte ihm keinen zweiten Blick, sondern liess seinen Bogen achtlos fallen und folgte Legolas, der schon an seines Vaters Seite gerannt war. Weder er noch der junge Prinz verschwendeten auch nur einen Gedanken an den Grund, den Thranduils Juwelier für diesen seinen Angriff auf seinen Herrn hätte haben können; noch kümmerte es sie, was dieser, selbst im Tode noch, in seiner Rechten krampfhaft umklammert hielt. Sie dachten nicht daran, wie verzweifelt man sein musste, um als älterer, schwächlicher Mensch einen Elben zu attackieren und auf seinem Pferd zu fliehen zu versuchen; denn der Diener musste gewusst haben, dass er keinen Erfolg haben würde. Es war Angst, nackte Angst, die den Juwelier zu seinem Verbrechen getrieben hatte, Angst vor seinem wahren Herrn, doch das konnten sie noch nicht wissen, noch kümmerte es sie, und es machte erst viel viel später für sie Sinn.

Legolas fiel neben seinem Vater auf die Knie, und keine Sekunde wandte er den Blick von dem reglosen Körper des Königs und dem Blut, das plötzlich und rasch auf dessen Brust aufblühte. In seiner Kehle war plötzlich ein entsetzlicher Schmerz, und Tränen schossen in seine Augen, doch tapfer hielt er sie zurück, er wollte nicht weinen, nicht hier, nicht vor seinem Vater, nicht, solange noch irgendwelche Hoffnung übrig war.

Hektisch versuchte er, seines Vaters Tunika zu öffnen, doch dieser verwehrte es ihm, indem er seine Hände packte. "Lass..." sagte er schwach. "Lass es, Legolas...Es ist zu spät."

"Vater!" sagte Legolas, doch sein Vater unterbrach ihn. "Legolas..." sagte er mit der Bestimmtheit desjenigen, der wusste, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb. "Ich werde gleich... zu den Schatten gehen." Er lachte kurz auf, dann hustete er ein wenig. "Wer hätte das gedacht... abgestochen wie ein gestellter Hirsch... von einem gewöhnlichen Sterblichen...." Seine Augen schlossen sich. Sein Atemholen wurde mühsamer. "Vater!" Legolas ängstlicher Ausruf, der einen Stein zum Leben erweckt haben würde, hatte zumindest den Erfolg, dass Thranduil erneut die Augen öffnete, und sein erlöschender Blick fixierte noch einmal seinen Sohn. "Sag Saldir...Saldir, dass er mein Erbe ist." murmelte er. "Und Elwyne sein Nachfolger. Sag ihnen... dass sie gute Söhne waren...Ihr alle... gute Söhne..."

Seine Kräfte verliessen ihn nun rasch. Jeder Atemzug schien ihn nun eine gewaltige Anstrengung zu kosten, und die ganze Zeit über war ein schmerzhaftes Röcheln in seiner Kehle. "Der Ring..." flüsterte Thranduil endlich, "ein Erbstück...für Saldir... der Mensch hat ihn genommen...Du musst ihn Saldir geben... Legolas... der Ring..." Sein Kopf fiel zur Seite. Thranduil, der König vom Düsterwald, hatte eben seinen letzten Atemzug getan.

"Vater!" schrie Legolas laut auf und vergrub das Gesicht an seines Vaters Schulter, und Tränen begannen, ungehindert über seine Wangen zu laufen. Er weinte, gefangen in jener Art der Trauer, die einen sich selbst, die Zeit und selbst die Welt um einen herum vergessen lässt vor Schmerz, und wenn auch sein Herz noch nicht die Tatsache akzeptiert hatte, dass sein Vater tot war, sein Verstand hatte bereits begriffen, dass nichts, und am allerwenigsten Trauer und Tränen, die letzten Minuten würde ungeschehen machen können und ihm den Vater zurückbringen würden.

Legolas wusste es nicht, doch in jenen Augenblicken empfand er jene Art von zerreissendem Schmerz, der das innere Licht der Elben angreift und sie zu töten vermag, wenn er nicht rechtzeitig überwunden wird.

VI.

Endlos später, so schien es ihm zumindest, fühlte er eine Hand auf seiner Schulter, und er hob den Kopf. Ueber ihm stand Mardin, und er sah grimmig aus (grimmiger noch als üblich), und seine Augen waren gerötet, als hätte er ebenfalls geweint, etwas, das seltsam tröstlich auf Legolas wirkte, so dass er versuchte, das Schluchzen, das seinen Körper noch immer schüttelte, zu unterdrücken, und sich ein wenig zusammenzureissen. Er fragte nicht nach der Kreatur, die seinen Vater getötet hatte, denn er war sich sicher, dass Mardin sich ihrer gründlich angenommen hatte, und so war Mardin der erste, der das Schweigen zwischen ihnen brach.

"Dies ist einer der schwärzesten Stunden, die der Düsterwald je gesehen hat." sagte der Leibwächter schwer. "Wir haben einen unseren grössten Könige verloren. Ich trauere mit dir, Prinz Legolas!" Legolas nickte ihm zu, noch immer zu mitgenommen, um zu sprechen.

"Doch die Dunkelheit wird bald hereinbrechen, und hier haben wir keine Möglichkeit, unseren gefallenen Gefährten – und unserem König – die letzte Ehre zu erweisen." fuhr der alte Krieger fort. "Doch wir haben ein gesundes Pferd übrig. Wenn Du rasch reitest, Prinz Legolas, wirst du den ersten unserer Aussenposten in drei Stunden erreicht haben. Dort wirst du ein frisches Pferd bekommen und weiterreiten können, um die schlechte Nachricht zu verbreiten, dass König Thranduil..." Er sprach nicht weiter, als wäre selbst er, der alte Haudegen, unfähig, diesen Gedanken zu Ende zu spinnen. "Ich werde bei deinem Vater wachen..." fuhr er schliesslich fort, "... und nichts Böses wird Hand an ihn legen, solange ich noch eine Spur von Leben in mir habe. Ich werde über ihn wachen, bis du mit Hilfe zurück sein wirst, Prinz Legolas, und wir uns unserer Toten annehmen können."

Steif kam Legolas auf die Füsse. Mardin hatte recht. Obwohl der Schmerz über den Verlust, den er eben erlitten hatte, noch immer unerträglich in ihm wütende und ihn fast zerriss, wusste er, dass er sich jetzt mehr wie ein Prinz zu verhalten hatte, und wie ein Führer. Seine Brüder, und all die andern Elben des Düsterwaldes hatten ein Recht darauf zu erfahren, dass Thranduil gefallen war, und die Körper der Getöteten verdienten ein ehrenvolles Begräbnis. Später, wenn er diese seine Pflichten erfüllt haben würde, da würde er Zeit für seine Trauer haben. "Danke, Mardin." murmelte er, und seine Kehle fühlte sich wund an. "Dein Ratschlag ist gut. Möge deine Nacht frei von noch mehr Bösem sein." Mardin sah ihm ernst in die Augen. "Deine auch, mein Prinz. Ich bete für deine sichere Rückkehr." Und mit diesen Worten hob er seines Königs blutiges Schwert auf und stellte sich vor Thranduil auf, und leise sang er ein Klagelied für den Tod seines König, und so wartete auf die Rückkehr von Legolas und weiteren Elben – oder den Orks, und der andere Krieger wartete an seiner Seite.

VII.

Legolas konnte sich später nicht mehr daran erinnern, wie er durch den nächtlichen Düsterwald geritten war, denn in seinem Kopf irrten die Gedanken durcheinander wie die Ameisen, wenn ihr Nest zerstört worden war, und vor Trauer konnte er keinen einzigen vernünftigen Gedanken fassen.

Oder war es der neue Schrecken, der ihn erwartete und ihn den alten – wenigstens zeitweise – vergessen liess? Seine normalerweise so wachen, scharfen Sinne mussten sehr abgestumpft gewesen sein in jener Nacht, durch seine Trauer und seine emotionale Erschöpfung, denn er bemerkte es sehr spät.

Als er es endlich sah, zügelte er abrupt sein Pferd und starrte in ungläubigem Staunen. Nicht weit entfernt von ihm, mitten im Herzen des Düsterwald, wütende ein riesiges Feuer, und sein orangefarbenes Licht – und der schwarze, dunkle Rauch – der von ihm ausging, war schon über weite Entfernungen wahrnehmbar.

Der Düsterwald stand in Flammen. Mit einem heiseren Schrei der Verzweiflung trieb Legolas sein Pferd an.

Fortsetzung folgt…

Anmerkung der Autorin:

An Leahna: Ups, schreibt man tatsächlich Elben? Das hab ich nicht gewusst. Im neuen Kapitel versuch ich mal, die Elfen durch "Elben" zu ersetzen und hoffe, dass mir keine durch die Lappen gegangen ist. Danke für das nette review! Sätze wie "zu den Favourites gesteckt" tendieren dazu, mich grössenwahnsinnig zu machen, aber ich hörs trotzdem sehr gerne!

Für Siri: Fehler? Arghh! Sags nicht meinem Deutschlehrer! Vielleicht kommts daher, dass ich grosse Teile des Kapitels einfach aus dem Englisch rückübersetzt habe... Danke schön für das review!

Für Amlugwen: Ich hab auch so eine Nervensäge daheim (komischerweise vermisse ich sie aber doch, wenn sie nicht da ist, weil man dann niemand zum quälen hat...), weiss also, wie es Dir geht. Als "Trost" werfe ich mal das nächste Kapitel ins Internet... und freue mich auf ein weiteres review von dir!

An alle: Nun, ich hoffe, dass ich mein Versprechen wahr gemacht und in diesem Kapitel mehr action gebracht habe als im vorhergehenden... Ich hab sogar einen kleinen Cliffhanger geschafft, har har (fieses Grinsen)... also, wenn jemand wissen möchte, wie´s weitergeht, schickt mir review-Junkie doch noch ein, zwei Worte in dieser Hinsicht...