7. FLUCHT AUS BRUCHTAL
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"Nein!" hörte Sam sich selber schreien, und auf den ersten Laut, der von seinen Lippen kam, fuhr der weissgekleidete Mörder mit dem Messer in der Hand herum wie von Furien gehetzt und stierte wild in seine Richtung. Zu Sams Glück schien der Zauberer mit einem viel grösseren Gegner zu rechnen und übersah deshalb den Halbling, der verdeckt hinter einigen Büschen stand, sonst hätte sein Schrei für den Sam den sicheren Tod bedeutet.
Saruman, ausser sich vor Zorn, so nahe vor seinem Ziel noch auf Schwierigkeiten zu stossen, die Zähne gebleckt, hob den Arm und entsandte etwas, das wie eine Kugel aus blauem, kaltem Licht aussah, blindlings und ohne zu zielen, in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war, die ihn im letzten Augenblick, in jener Sekunde, in der er sich bereits am Ziel seiner Wünsche wähnte, aus seinen Träumen von Macht gerissen hatte.
Die Kugel schlug in den Baum einen Meter hinter Sam, fügte diesem eine klaffende Wunde zu, und die Wucht der darauffolgenden Explosion warf Sam zu Boden, und Splitterteile und Aschefunken regneten auf ihn nieder. Sofort füllte ein beissender Geruch nach Rauch und verbranntem Saftholz die Luft.
Sam blieb liegen, wo er war, schreckerstarrt. Wenn es ihm nicht den Atem verschlagen hätte, hätte er vielleicht geschrien, aber so brachte er es kaum fertig, genügend Sauerstoff in seine Lungen zu pumpen, um bei Bewusstsein zu bleiben. Eine neue Erschütterung zerfetzte die Büsche über ihm, doch sie hatte jetzt weniger Gewalt, und während Sam die Augen krampfhaft schloss und um seinen Atem kämpfte, breitete sich plötzlich eine seltsame Stille aus, eine seltsame Stille jedenfalls in den Augen von Sam, der nicht wissen konnte, dass Legolas mit dem Mut der Verzweiflung den augenblicklich abgelenkten Zauberer angesprungen und zu Fall gebracht hatte; womit er einige wertvolle Sekunden gewann, sein verlorenes Eigentum wieder an sich zu nehmen und sich zur Flucht zu wenden.
Dann beugte sich ein dunkles Schemen über ihn, griff nach ihm, und unwillkürlich wimmerte Sam angsterfüllt auf, doch er konnte nichts dagegen tun, nicht das geringste, als ihn dieser Schatten nicht allzusanft packte und auf die Beine zerrte
"Renn!" zischte eine Stimme nahe seinem Ohr, und ein Stoss in seinen Rücken unterstrich ihre Forderung. "Schnell! Er wird uns nicht weit kommen lassen." Die Stimme klang nicht unfreundlich, nur gepresst, und atemlos. Der Elb! Es musste der Elb sein, derjenige, den Saruman hatte erstechen wollen, der zu ihm sprach...
Sam starrte zu ihm hoch, noch immer wie erstarrt, und nur der Ausdruck der Furcht, die auf dem Gesicht seines Gegenüber lag, der doch zu der so stoischen Elbenrasse zählte, brachte ihn schliesslich zur Vernunft. Taumelnd setzte er sich in Bewegung, und nach einigen Augenblicken setzte endlich auch sein Verstand wieder ein, und er begann tatsächlich zu rennen, so schnell, wie es seine Beine und die Dunkelheit erlaubten.
Er sah sich nicht um, dazu war er viel zu verängstigt, doch er konnte deutlich hören, dass jemand ihm folgte, und er betete, dass es die Elb und nicht Saruman war.
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Die beiden Wächter vom 2. und 3. Wachtturm an der Nordgrenze Bruchtals standen schweigend beieinander und blickten von der Stadtmauer mehr oder weniger aufmerksam über das dunkle Dickicht, das das Ende ihres Landes darstellte. "Stadtmauer" war eigentlich ein zu hoher Begriff für die kleine Wehranlage, die den Norden Bruchtals schützte, weil es sich um eine kaum zwei Meter hohe, uralte und nicht mehr allzu stabile Anlage handelte, eine einfache Mauer, der eine Art Wehrgang aufgesetzt worden war. Zudem schützte die Mauer auch nicht eigentlich eine Stadt, nur den wilderen, kaum besiedelten Teil von Bruchtal. Eine zweitere, höhere und sicherere Anlage weiter südwärts gelegen war für den Schutz der eigentlichen Elbensiedlung verantwortlich
Einerlei, die Elben Bruchtals hatten sich an den Namen "Alte Stadtmauer" gewohnt, und stimmte auch der Teil mit der Stadt nicht, so stimmte doch das "Alt", denn alt war die Mauer, alt wie die Erinnerung der Elben, errichtet von den ersten, die Bruchtal besiedelt hatten.
Nun, sie war jedenfalls da, und mit ihr eine kleine Anzahl von steinernen Wehrtürmen und drei Toren, die seit Elronds Regierung immer bewacht waren, Tag und Nacht, wenn auch nur von wenigen Elben. Des Elbenkönigs Befehl, die Wache an der "Alten Mauer" wieder aufzunehmen, war sicherlich auf wenig Gegenliebe gestossen bei denjenigen, die seine Befehle dann auch auszuführen hatten! Nicht nur, dass sie vor Dienstantritt einen ziemliche Wegstrecke zu reiten hatten ( und denselben Weg zurück, bevor sie sich nach ihrer Schicht zurückziehen konnten), nein, man übte seine Wache auch alleine aus, was in aller Regel Langeweile bedeutete und zudem ziemlich einschläfernd war. Und es gab kaum Aussicht auf einen Besuch, auf ein schnelles Gespräch oder gar einen guten Tropfen, den ein grosszügiger Kollege dann und wann austeilte...
Nein, die Pflicht an der Alten Mauer war nicht beliebt. Und nach dem Vorfall im Düsterwald hatte Elrond sogar darauf bestanden, die Wachen zu verdoppeln! Nun, man konnte nicht vorsichtig genug sein, auch wenn es unwahrscheinlich war, dass sich je ein Ork sich hierher verirren sollte...
Einer der Wächter gähnte gerade verhalten, als ihn der andere beunruhigt am Arm packte. "Still." zischte er. "Hörst Du etwas?" Der andere blickte konsterniert, lauschte dann aber gehorsam. Er war der ältere der beiden, und seine Erfahrung sagte ihm sofort, dass irgendetwas nicht stimmte. Er brauchte noch zwei Sekunden, dann begriff er.
"Die Pferde." sagte er lapidar. Jetzt wusste auch der andere, was ihn gestört hatte. Sie hatten ihre Pferde gleich neben dem Tor stehen lassen. Die Tiere hatten sich bisher ruhig, fast schläfrig verhalten, doch jetzt spielten ihre Ohren, und sie scharrten mit den Hufen. Eines warf den Kopf.
Dann konnten es auch die Elben hören. Jemand näherte sich ihnen in raschem Tempo. Nicht vom Norden, von ausserhalb Bruchtals her, sondern von der Stadt. Er schien es wirklich sehr eilig zu haben, denn jetzt hörte man auch das Krachen von brechenden Aesten und den peitschenartigen Klang von Zweigen, die mit Gewalt verbogen wurden, um dann mit diesem Geräusch an ihren ursprünglichen Platz zurückzuschnellen.
Dann durchhallte erst eine, dann eine zweite eigenartige Erschütterung die Luft. "Bei den Valar..." meinte einer der Wächter und griff nach seinem Bogen. Sein Freund hatte bereits sein langes Messer gezogen. Er sprang von der Mauer.
Dann sahen sie es. Zuerst tauchte vor ihnen eine kleine Kreatur auf, die direkt auf sie zurannte. Ihr Gesicht schien vor Angst verzerrt, und als sie schon recht nahe war, konnten sie auch sehen, dass er an der Stirn und einer Wange etwas Blut hatte, wo ihm Zweige oder Aeste die Haut aufgekratzt haben mussten.
"Bei den Valar..." sagte der eine Elbenwächter erneut und spannte vorsichtshalber seinen Bogen, doch noch zögerte er, diesen zu gebrauchen. Dazu sah die Kreatur dann doch zu harmlos aus...
Dann brach ein Elb durch das Dickicht. Sie erkannten ihn augenblicklich, wie jeder Bruchtal-Elb dies getan hätte: Legolas Thranduilion, Unruhestifter ersten Grades, ehemaliger König des Düsterwalds, jetzt ersetzt duch Lord Elrond. Bogen und Messer fuhren hoch.
***
Sein linker Arm brannte wie die Hölle und hing schlaff herunter. Kalte, klebrige Feuchtigkeit rann langsam an ihm herunter, floss über seine Hand, und tropfte zu Boden. Doch unbedeutend war er, dieser Schmerz, verglichen mit dem eigenartigen, dumpfen Brennen, das von seinem Rücken ausging, ihn wellenartig mit Schwäche überflutete und seine Umgebung von Zeit zu Zeit unscharf werden liess. Und seinen Verstand ausser Gefecht setzte.
Legolas wusste instinktiv, dass er nur dann den Hauch einer Chance gegen den Zauberer Saruman hatte, wenn er einen kühlen Kopf behielt, doch die Wunde in seinem Rücken verhinderte es, dass er auch nur einen klaren Gedanken fassen konnte. Alles, was er denken konnte, war, dass er rennen musste. Und Elrond erreichen, irgendwo, irgendwie. Der Elbenkönig musste vor dem verrückten Zauberer gewarnt werden...
Fast wäre er in den Halbling hineingerannt, der abrupt seinen wilden Lauf unterbrochen hatte. Keuchend sah Legolas auf. Direkt in einen straff gespannten Bogen und ein erhobenes Messer...
Abwehrend hob er den Arm, langsam, um die zwei Elben vor ihm nicht unnötig zu reizen, und rief: "Vorsicht...der Zau...". Die Stimme versagte ihm, und ein Hustenreiz war plötzlich in seiner Kehle, der ihm das Atmen zusätzlich erschwerte.
Es war der Halbling, der schliesslich für ihn sprach. "Saruman!" rief er mit hoher, heller Stimme, aus der noch immer Furcht und Entsetzen sprach. "Er ist verrückt geworden. Er verfolgt uns, und er wird uns umbringen, falls..."Etwas an ihm schien überzeugend zu sein, denn beide Elben verloren das gereizte Glitzern in ihren Augen. Ihre Waffen waren jedoch unverändert auf Legolas und seinen Begleiter gerichtet.
"Was genau ist hier passiert?" fragte der eine misstrauisch, doch Legolas, der endlich seine Stimme wiedergefunden hatte, unterbrach ihn. "Er wird gleich hier sein." sagte er kalt. "Und dann ist es um uns alle geschehen. Er hat schon einmal versucht, mich umzubringen, und dasselbe hat er auch mit Lord Elrond vor."
Letzteres wusste Legolas nicht so genau, aber er wusste um die Wirkung, die seine Worte auf die Bruchtal-Elben haben mussten.
Tatsächlich senkte der ältere Elb sein Messer. "Gut." sagte er. "Wer, sagtest Du, verfolgt euch? Saruman?"
Der jüngere Elb bewegte seinen Kiefer, noch immer unschlüssig. Er mochte die Waldelben nicht besonders, und Misstrauen stand ihm noch immer deutlich ins Gesicht geschrieben.
"Das ist doch Unsinn. Saruman würde nie..."
Er kam nie mehr dazu zu sagen, was Saruman tun würde oder nicht. Etwas traf ihn seitlich, mit grauenhafter Wucht, während sein Bogen hell auflodernd in Flammen aufging. Er war schon tot, bevor er zu Boden sank. Sein Kollege war ein erfahrener Krieger. Obwohl ihn der Tod seines Freundes erschüttert haben musste, warf er sein Messer in die Richtung, in der er den Attentäter vermutete.
Vermutlich hatte er gut gezielt, denn Saruman liess ihm jene Sekundenbruchteile, die er benötigte, nach seinem eigenen Bogen zu greifen und den Zauberer mit einem Hagel von Pfeilen einzudecken, der diesen tatsächlich dazu zwang, Deckung und Schutz zu suchen.
"Los!" brüllte er Legolas zu. "Öffnet das Tor und nehmt die Pferde! Ich komme gleich nach!"
Legolas tat, was der Soldat schrie, während abgrundtiefe Verzweiflung seine Kehle zuschnürte. Alles in ihm widerstrebte sich, den Bruchtal-Wächter alleine gegen Saruman ankämpfen zu lassen, zumal er nur zu gut, wer der Ueberlegenere der beiden Gegner war, aber er war waffenlos, und er hatte eine Pflicht zu erfüllen: Elrond zu warnen. Und vielleicht – falls es ihm gelang – das Leben des kleinen Halblings zu bewahren, wie dieser seines gerettet hatte.
Hinter ihm hörte Legolas noch immer das Singen von Bogensehnen, und das leise Klatschen, wenn die abgesandten Pfeile irgendwo einschlugen, während er in fliegender Hast die Torflügel vor sich aufzerrte. Wider Erwarten waren sie leicht zu öffnen und schwangen sofort nach innen auf, und die Schwierigkeiten kamen erst mit den Pferden.
Die Tiere waren von den Aktivitäten des Kampfes erschreckt worden und tänzelten nervös auf und ab. Sam hatte versucht, sich einem von ihnen zu nähern, wich aber eingeschüchtert zurück, als das Pferd, das zunehmend verängstigt wurde, aufscheute.
Legolas zögerte nur eine Sekunde, bevor er sich mit einem geschmeidigen Sprung auf den Rücken des Tieres brachte. Ein kurzes Aufbäumen, dann ein Seitwärtstreten, schliesslich stand das Tier still. Es hatte elbische Dressur genossen, und der feste Schenkeldruck Legolas und ein paar hastige, geflüsterte Worte in Elbisch brachten es schnell zur Räson.
Legolas lächelte grimmig und warf einen schnellen Blick auf die Stelle, wo er Saruman vermutete. Er konnte den Zauberer nicht ausmachen, aber dessen Gegner. Der Bruchtal-Elb hatte sich Richtung Tor zurückgezogen; seine Pfeile waren fast verschossen. Wahrscheinlich war dies Saruman nicht bewusst, sonst wäre er längst hinter den Bäumen, die ihm Schutz boten, hervorgetreten...
.Ein rascher Griff, ein Schenkeldruck; Legolas hatte Sam zu sich aufs Pferd gezerrt, gleichzeitig trieb er das Tier an. Das zweite Pferd schloss sich seinem Reittier, nach Art der Herdentiere, sofort an. Der Bruchtal-Wächter schien seine Aktivitäten beobachtet zu haben, denn plötzlich stellte er sein Schiessen ein (er hätte sowieso nicht mehr als drei Pfeile übrig gehabt), und mit einem raschen Sprung, der dem Legolas' in nichts nachstand, brachte er sich selbst auf den Rücken des zweiten Tieres, um Legolas und Sam zu folgen.
Für einen Augenblick sah es ganz so aus, als würden sie zu dritt dem Zorn des Zauberers entkommen, doch dann bäumte sich das hintere Pferd mit einem schrillen Schmerzensschrei auf und knickte dann seitwärts zusammen. Es wälzte sich vor Schmerzen; die Feuerkugel, die Saruman gesandt hatte, hatte es grossflächig verbrannt. Ob sein Reiter noch spürte, wie sich das volle Gewicht des Tieres auf ihn legte, oder ob er schon vorher tot war, liess sich nicht sagen.
Legolas hatte sein Tier mit einer herrischen Geste zum Umdrehen gezwungen, und für einen Augenblick traf sein entsetzter Blick den des weissen Zauberers, der aus seiner Deckung hervorgetreten war, ihn unverwandt musterte und – lächelte.
Dann hob er einen Arm. Mit einem verzweifelten Aufkeuchen zerrte Legolas das Pferd erneut herum; das verängstigte Tier gehorchte, rutschte jedoch auf einem nassen Ast aus und stürzte. Legolas war rasch genug, um sein linkes Bein gerade noch rechtzeitig unter dem fallenden Tier hervorzuziehen, doch Sam, viel weniger geübt im Reiten und vor Schreck wie gelähmt, prallte mit ziemlicher Wucht auf den Boden.
Der Sturz schien ihn ziemlich mitgenommen zu haben, denn für einige Augenblicke blieb er reglos liegen, um sich dann, noch immer halbbetäubt, langsam und unter Schmerzen, hochzustemmen.
Der Fall des Pferdes jedoch hatte ihnen das Leben gerettet. Sarumans erste herrische Handbewegung, die sie hätte vernichten sollen, und die Tod und Verderben brachte, war wirkungslos über ihre Köpfe hinweggegangen; die zweite traf das Pferd, das gerade taumelnd auf die Füsse gekommen war und so Legolas unfreiwillig mit seinem Körper deckte. Für einen Augenblick schien das Tier lichterloh zu brennen, während es wie erstarrt dastand, bevor die Muskeln und Sehnen seines Körpers ihre Kraft verloren und es zusammenbrach. Es war erbärmlich wenig Zeit, die das Tier ihnen auf diese Weise verschuf, doch Legolas nutzte sie. Er machte einen raschen Sprung auf Sam zu, riss den noch immer benommenen Halbling hoch, warf ihn wie einen Sack Mehl auf das überlebende Pferd des Bruchtal-Kriegers, das vor Schreck wahrscheinlich nicht mehr wusste, wo ihm der Kopf stand, schwang sich hinter ihm in den Sattel und ritt los. Ritt mitten ins grösste Dickicht hinein., weg von Saruman, und weg vom Bruchtal.
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Zuerst war Saruman ausser sich vor Zorn gewesen. Den Ring, den ersten Elbenring so nahe vor Augen zu haben, um ihn dann gleich wieder zu verlieren... das war zuviel! Doch dann, als er neben der Leiche des einen Pferdes gestanden hatte und zugesehen hatte, wie der verfluchte Elb mit Gandalfs Schützling in das sichere Dickicht der Wälder um Bruchtal gallopierte, hatte er seine Ruhe wiedergefunden, und er machte keinen Versuch mehr, die Flüchtenden aufzuhalten. Er hatte nachgedacht.
Legolas, und damit Thranduil's Ring, waren für ihn im Augenblick zwar verloren, doch das würde sich rasch ändern. Saruman kannte die Denkweise der Elben, und er war sich sicher, dass Legolas versuchen würde, Elrond vor ihm zu warnen. Früher oder später würde er ihm auf diese Weise auf jeden Fall in die Arme laufen... Nein, die Flucht des Elben und seines kleinen Begleiters war kein allzu grosser Verlust! Er, Saruman, würde daraus seine Nutzen zu ziehen wissen! Sein Blick fiel auf die Leichen der getöteten Bruchtal-Elben, und dann war ihm auf einmal klar, wie er weiter vorgehen würde.
Mochte des Düsterwalds Prinz glauben, er wäre ihm entkommen. In Tat und Wahrheit hatte er ihm direkt in die Hände gespielt!
Mit einer herrischen Geste kommandierte Saruman einige der Screekers, die sich bereits zeternd bei dem toten Pferd eingestellt hatten, um sich an dessen Fleisch gütlich zu tun, zu sich. Einige von ihnen gehorchten, wenn auch nur widerwillig. "Geht und sucht meine Orks auf. Ihr wisst, wo sie zu finden sind. Sagt ihnen, sie sollen mir den flüchtigen Elben bringen, und dessen Begleiter. Lebend. Und schickt zwei von ihnen zu mir."
Mit unwilligem Gekrächze erhoben sich darauf drei der Screekers in die Lüfte. Zufrieden sah Saruman ihm nach, dann schaute er noch einmal auf die Elben nieder, deren Tod er verursacht hatte. Ein paar Aenderungen hier und dort, und Thranduil's Sohn würde eine böse Ueberraschung erleben, falls es ihm tatsächlich gelingen sollte, nach Bruchtal zurückzukehren. Falls ihn nicht die Orks vorher erwischten...
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Sam wusste nicht, wie ihm geschah. Eben noch hatte er Sarumans mörderische Attacke auf den Elben beobachtet, jetzt sass er auf einem gallopierenden Pferd, fest gefasst von demjenigen, den er gerettet hatte, und konnte vor Angst kaum atmen. Er war schon früher geritten, im Auenland, ja, er mochte Ponys sogar sehr, aber diese Ritte waren um einiges langsamer und immer beschaulich gewesen, unvergleichbar mit jenem, den er jetzt durchlitt. Er war sich sicher: Sollte er vom Pferd stürzen, würde er wohl seinen Schädel an irgendeinem Stein spalten. Oder alle seiner Knochen brechen. Oder...
Ihm war schwindlig, und zwischenzeitlich fürchtete er, sich übergeben zu müssen.
Und weiter ging es in rasendem Tempo, das Grün der Umgebung Bruchtal flog formlos an ihnen vorbei. Noch waren sie im Wald von Elronds Reich – doch wie lange noch ? Und wie lange noch waren die Schatten, die neben, hinter, über ihnen auftauchten, harmlos? Sam hatte es hören können, trotz des Klangs der gallopierenden Hufe des Pferdes auf dem Waldboden, trotz dessen nahezu menschlich anmutenden Stöhnen, das es ab und zu vor Anstrengung und Schmerz ausstiess, trotz dem rasenden Trommeln seines eigenen Herzschlag in seinen Ohren, kaum hatten sich sich einige hundert Meter von Bruchtal entfernt: Gelegentliche Rufe in einer rauen Sprache, die Sam nicht kannte und die er nicht kennen wollte...
Ja, selbst der in solchen Dingen völlig unerfahrene Halbling spürte es instinktiv: Sie waren dicht hinter ihnen, und sie schnitten ihnen den Weg zu Elronds Haus ab, grässliche, riesige, schwarze Kreaturen, die geifernd wie Jagdhunde auf schweissender Fährte nach ihnen gierten. Sam wollte sich nicht ausmalen was passieren würde, wenn diese Kreaturen, die er nur zu gerne als Schatten seiner überreizten Phantasie abgetan hätte, sie stellen würde. Es waren viele.
Zuviele für einen kleinen Halbling und einen Elben, um diese auch nur eine Sekunde an Gegenwehr denken zu lassen, zumal der Elb ja verwundet war. Sam hatte deutlich gesehen, wie der weisse Zauberer den Elbenprinzen verletzt hatte. Und jener hatte geschrien. Er musste verwundet sein! Noch war sein Griff um den kleinen Halbling fest, aber wie lange mochte das noch so bleiben? Verlor er nicht bereits Blut, stöhnte er nicht ab und zu schmerzerfüllt auf?
Sam schloss die Augen und murmelte leise Gebete vor sich hin, und wenn es auch nicht ihr Inhalt war, der ihm neue Kraft schenkte, so waren es doch ihr vertrauter, tröstlicher Rhythmus, der seine Gedanken nach udn nach etwas ruhiger werden liess.
Der Elb zügelte jetzt das taumelnde, erschöpfte Pferd, richtete sich im Sattel auf und lauschte. Sam konnte neben dem Zirpen der Grillen und dem lauten Quaken einiger Frösche in der Nähe nichts hören, aber dennoch lauschte er angstvoll und sah zu seinem Begleiter hoch, wartend.
"Ich kann sie nicht hören." sagte Legolas schliesslich. "Vielleicht haben wir sie tatsächlich abgehängt." Seine Stimme klang matt. "Lass uns einen Augenblick ausruhen, kleiner Halbling. Ich fürchte, unser Pferd wird uns nicht mehr weit tragen können..." Er schwankte im Sattel.
Sam schlug rasch die Augen nieder. Er wollte die Schwäche seines Begleiters nicht sehen! Legolas rutschte aus dem Sattel und hob Sam zu sich nieder. Noch einmal lauschte der Elb angespannt, dann kletterte er rasch auf einen der nicht allzu zahlreichen Bäume und setzte sich dort in eine Astgabel, nicht allzu hoch über dem Erdboden, und Sam folgte ihm und setzte sich ihm gegenüber, wenn auch bei ihm das Hochklettern deutlich langsamer vonstatten gegangen war als bei dem Elben.
"Nun, kleiner Halbling." sagte dieser endlich. "Nun finde ich endlich Zeit, mich bei dir zu bedanken. Du hast mir das Leben gerettet, kleiner Halbling. Ich, Prinz, Legolas aus dem Düsterwald, stehe in deiner Schuld. Nun sagt mir, Meister Halbling, wem ich meinen Dank abstatten kann?
"Sam Gamdschie aus dem Auenland." sagte Sam mit klappernden Zähnen und verbeugte sich artig. "Es ist mir eine Ehre, Prinz Legolas." Seine Augen leuchteten vor Begeisterung, als er zu dem Elben hochsah.
Gegen seinen Willen musste Legolas lächeln, für einen Augenblick. "Gandalf hat mir von dir erzählt." sagte er. "Aber ich fürchte, Du hast Dich mit meiner Rettung in eine Gefahr gebracht, die grösser ist als Du glaubst, Sam. Saruman ist ein mächtiger Zauberer, und ich weiss etwas über ihn, dass niemand sonst wissen kann. Und du, da du seine finsteren Absichten beobachtet hast, bist ihm ebenso ein Dorn im Auge. Er wird uns zu töten versuchen."
"Diese schwarzen Kreaturen, die uns verfolgt haben, gehorchen seinem Kommando?" fragte Sam. Legolas hob die Schultern. "Es scheint so." sagte er. Vielleicht wunderte er sich auch, dass Sam sie, trotz ihres Höllenrittes, bemerkt hatte. "Jedenfalls haben sie uns effektiv von Bruchtal abgeschnitten. Und doch muss ich unbedingt Elronds Rat einholen...Ich muss nach Bruchtal gelangen, um jeglichen Preis! Aber zuerst müssen wir für deine Sicherheit sorgen, kleiner Halbling, denn Du sollt für deine mutige Tat nicht weiter leiden.¨
Sam sagte aufgeregt: "Gandalf! Gandalf könnte uns doch helfen!" Der Elbennprinz schloss für einen Augenblick die Augen.
"Ja, vielleicht." sagte er. "Aber ich habe auch Saruman vertraut. Vielleicht..." "Nie!" sagte Sam mit all der Leidenschaft, zu der ein Halbling fähig war. "Nie würde Gandalf uns verraten!"
Wieder lächelte Legolas.
"Ich werde also versuchen, Elrond und Gandalf zu erreichen." wiederholte er.
"Ich begleite dich!" sagte Sam tapfer und versuchte, das Zittern aus seiner Stimme herauszuhalten, was ihm recht gut gelang.
"Nein, Sam." sagte Legolas ernst. Ich habe einen viel wichtigeren Auftrag für dich." Seine Hände hoben sich und umfassten den Ring, den früher sein Vater getragen und ihm vor seinem Tode übergeben, und den er jetzt aus des weissen Zauberers abstossenden Klauen gerettet hatte. Noch immer wusste er nicht recht, was es mit diesem Ring auf sich hatte, aber Saruman hatte ihn begehrt; und er hatte von seiner Macht gesprochen. Mochte er, Legolas, nicht über die Fähigkeiten dieses Rings Bescheid wissen, so wusste er doch eines: Er durfte auf keinen Fall Saruman in die Hände fallen. Er reichte ihn Sam, der ihn so angstvoll musterte, als würde er ihm jeden Augenblick in der Hand explodieren. Sein Blick flackerte zwischen Legolas und dem Ring hin und her.
"Hör zu, Samwise Gamdschie." fuhr Legolas fort, freundlich und ruhig, obwohl die Zeit drängte. "Nimm diesen Ring an dich. Er ist es, um den mich Saruman töten wollte. Er darf dem Zauberer auf gar keinen Fall in die Hände fallen. Wenn ich nun also versuche, Elrond zu warnen, und dabei in die Fänge der Orks gerate, dann ist wenigstens der Ring in Sicherheit."
Er schloss Sams Finger um den Ring. "Am besten bleibst Du hier. Ich komme zurück, Dich zu holen, sobald ich Bruchtal und Elrond von den ihnen drohenden Gefahren erzählt habe." Sein Gesicht wurde sehr ernst, als er fortfuhr: "Ich weiss nicht, wie lange das dauern wird. Drei Tage, vielleicht mehr, vielleicht weniger. Warte hier auf mich." Obwohl er sich bemühte, seinen Worten Aufrichtigkeit und Ueberzeugung zu verleihen, gelang ihm dies nicht recht.
"Wie lange soll ich warten." fragte Sam verzagt. "Drei Tage. " antwortete Legolas mit einem Seufzen. "Wenn ich bis dann nicht zruück bin, musst Du versuchen, Dich alleine nach Bruchtal zurückzuschlagen oder Hilfe zu finden. Ich lasse Dir das Pferd zurück. Es ist nicht in der Lage, einen Reiter noch weit zu tragen, vielleicht wird es das nie mehr sein, doch vielleicht erholt es sich, und dann mag es dir dienlich sein. Sieh zu, dass es nicht genau unter dem Baum stehenbleibt, unter dem du dich versteckst. Es könnte dich verraten. Aber was immer auch passiert, denk daran, Sam: Der Ring darf nicht in Sarumans Hände fallen. Was auch immer Du mit dem Ring tust: Saruman darf ihn nicht kriegen."
Sam nickte feierlich.
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Eben hatte noch einer der Heiler, der sich bereits einmal Elwyne's angenommen hatte, nach dem rechtmässigen König des Düsterwalds gesehen. Seinem düsteren Stirnrunzeln nach zu schliessen,, schien es Thranduil's Erben nicht wirklich besser zu gehen!
Saruman, der im toten Winkel des Gangs zum Zimmer des Verwundeten gewartet hatte, lächelte. Dies würde ihm sein Vorhaben nur leichter machen...
Gleich nachdem die Schritte des Heilers verklungen waren, eilte Saruman, ohne dass ihn jemand gesehen hätte, wie er sich mit einem raschen Blick vergewisserte, in das Zimmer des schwer verwundeten Prinzen.
Zu seiner Erleichterung sah er sofort, dass Elwyne tatsächlich bewusstlos war, denn er machte keine Anstalten, die Augen zu öffnen, auch nicht, als Saruma sanft seinen Namen rief. Von seinen Verletzungen war nichts zu sehen, da sie unter den Decken, die den Prinz wärmen sollten, verborgen waren, doch Elwyne's marmorblasses Gesicht, seine bläulichen Lippen, sein flaches, mühsames Atemholen – all dies sprach Bände. Saruman stand vor einem Schwerverletzten. Nicht dass das etwas an seinen Absichten geändert hätte!
Sarumans Lächeln vertiefte sich, während er eine kleine Phiole aus der Tasche zog und deren Inhalt in eines der Medizinfläschchen goss, die zahlreich auf der Kommode neben dem Bett lagen. Saruman hielt seine Augen streng auf Elwyne gerichtet, während er dies tat, und gleichzeitig lauschte er auf das Geräusch sich nähernder Schritte, aber nichts dergleichen war zu hören. Nicht dass es etwas geändert hätte! Niemand hätte sich gewundert, Saruman in Elwyne's Gemach zu entdecken. Schliesslich war er ein Zauberer, von dem niemand so genau sagen konnte, inwiefern er Heilkräfte besass und sie auch einsetzte.
Zudem war Elwyne, als rechtmässiger König des Düsterwaldes, wichtig genug, als dass sich die besten Heiler – und Zauberer – seine Betreuung teilten, und sicherlich wichtig genug, dass selbst Elrond seine Genesung Tag für Tag überprüfte, was nicht weiter überraschend war für jeden, der von dem Streit des Elbenkönigs mit Elwynes jüngerem Bruder Legolas wusste. Obwohl Elrond es wahrscheinlich nicht direkt zugeben würde, wäre es ihm sicherlich lieb gewesen, wenn Elwyne genesen wäre, um seinen Platz als König von Düsterwald anstelle seines Bruders einzunehmen.
Doch erwartete Elrond in der Tat mehr Vernunft von Elwyne in Bezug auf die Rache an den Orks als von seinem jüngeren Bruder? Dann kannte er die Waldelben in der Tat weniger, als Saruman von ihm erwartet hatte!
Er schob die Phiole zurück in seine Tasche, wobei er sorgfältig vermied, dessen Ränder zu berühren.
Noch immer war niemand gekommen, und Elwyne stöhnte leise in seinem fiebergequälten Schlaf. Es war offensichtlich, dass er Schmerzen hatte, und seine geschlossenen Lider zitterten, als ob schlimme Träume ihn quälten, doch er erwachte nicht.
Saruman lächelte erneut, ein grausames Lächeln, voll heimtückischen Triumphs.
"Ruhe gut, Elwyne, König des Düsterwalds, Thranduils Erbe!" dachte er. "Obwohl du nicht lange genug leben wirst, um dein Erbe auch anzutreten!"
Fortsetzung folgt...
Anmerkung der Autorin: Tja, ich musste das mit der Entlarvung Sarumans noch eine Weile aufschieben, weil mir ja sonst DER Bösewicht für die ganze Erzählung fehlen würde! Und so wird er noch eine ganze Weile durch Bruchtal laufen und Unheil anrichten...wie er jetzt gerade dabei ist!
Ihr könnt es ihm gleich tun und kein review hinterlassen, sniff, und ich werd mir die Finger wundhacken an der Tastatur beim 1000 x Nachgucken, ob doch noch eins in meine mailbox geflattert ist...wäre doch schade, weil dieselben Finger gerade dabei sind, das nächste Kapitel zu schreiben, das am nächsten Montag rauskommt! Also biiiiitte....ihr kennt den Rest!
Nur noch fünfmal schlafen bis zum "RotK"! Yuhuuu! Gilt zumindest für die Schweiz, ich weiss nicht, wie's anderswo ist! Viel Spass euch allen!
Für Evellon: Bei dir kann ich mich ja gerade für zwei reviews bedanken. Ich hab deins für das fünfte Kapitel erst gesehen, als ich das sechste gepostet hab...Naja, mir gings übrigens beim Schreiben der Story auch nicht besser, mein Englisch-Wörterbuch ist schon ganz abgegriffen...für ne Weile ist es schon eine Erleichterung, auf Deutsch zu schreiben! Wie Du sicher gelesen hast, hat Legolas seinen (eigentlich Elwynes) Ring wieder. Ich hab die Passage noch reingeflickt. Die Ringrücknahme ist eigentlich schon ziemlich essentiell, und schon beim 2. Kapitel, als der Diener Thranduils (und Sarumans) den Ring zu stehlen versucht hat, hab ich's vergessen zu erwähnen...upps.
Für Alinja: Naja, ich kann die LotR-fics leider nicht so beurteilen, weil ich wenige davon lese. Das Schreiben frisst schon eine ganze Menge Zeit weg, und irgendwie gibt's ja auch immer ein krasses Missverhältnis zwischen Hobbies, Plänen, Unternehmungen und aktuell erhältlicher Freizeit! Vielleicht sollte ich aber NUR noch schreiben, wenn's dafür so nette reviews wie deine gibt! Mit deinen Kommentaren scheinst Du übrigens meine Geschichte vorauszusehen! Du kannst dich jedenfalls auf mehr "Saruman und die Elben" freuen, und Legolas kriegt schon sehr bald noch viel mehr Grund, an sich zu zweifeln...
Für Leahna: Ja, ganz im Rahmen von Tolkiens Vorlagen zu bleiben, empfinde ich als sehr schwierig, weil wenn ich endlich eine Plot-Idee habe, die einigermassen vernünftig ist (Betonung auf einigermassen) bin ich so glücklich, dass ich eben ganz Mittel-Erde umformatiere, um sie daran anzupassen. Nun ja, Saruman wird am Ende früher entlarvt werden, als dies im "Herrn der Ringe" der Fall ist, aber noch bleibt ihm einige Zeit, unentdeckt als Bösewicht zu agieren...
Für Yvanne: Naja, Elrond stelle ich mir eben immer als seeeeehr vernünftig vor, kein Wunder, dass er mit dem heissblütigeren Legolas (Zumindest der Film-Legolas ist ab und zu heissblütig, bei der "Riders of rohan" szene z. B) zusammengerät! Und das kennen wir ja alle: Wenn wir so richtig wütend sind, und unser Gegenüber bleibt gelassen, und spöttisch – ich glaube nicht, dass es etwas irritierenderes gibt! Das schnelle updaten ist übrigens durchaus auch auf deine (ebensoschnell erscheinenden) reviews zurückzuführen!
