8. Verraten
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Diese Nacht warteten sie lange. Die Halblinge auf die Rückkehr ihres Freundes, und die Waldelben auf die Rückkehr ihres Anführers. Beide warteten sie vergebens.
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Auch Elrond war keine ruhige Nacht vergönnt. Als er das sanfte Klopfen an der Türe seines Studierzimmers hörte, wusste er mit dem sicheren Instinkt eines Elbs, dass ihn keine gute Nachricht erwartete. Seufzend stand er auf und schob das Pergament, in dem er bisher gelesen hatte, zurück. Er war müde, ein Zustand, der sich bei ihm recht selten einstellte, und dementsprechend irritiert und reizbar. "Ja?" fragte er den Elben, der ihn aus seiner Lektüre gerissen hatte, und er konnte in dessen Gesicht lesen, dass er ihn tatsächlich wegen einer unangenehmen Sache gerufen hatte.
"Der Hauptmann der Wache an der Alten Mauer ist hier, sowie Raldon, der Heiler. Sie sind beide gerade hier eingetroffen und wünschen Euch in einer dringenden Sache zu sprechen." sagte der Elb, und nichts in seinem Gesicht verriet, was er von Elronds gereizten, fast unfreundlichen Ton hielt.
Der Hauptmann der Garde und einer seiner besten Heiler wünschten ihn zu sprechen, und das mitten in der Nacht? Elrond runzelte die Stirn, und seine Unruhe verstärkte sich. Das verhiess nichts Gutes! Ob wohl dieser närrische Anführer der Waldelben wieder Aerger machte?
Die Wirklichkeit war schlimmer, als er es sich je gewagt hätte auszumalen.
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Bei Elronds Anblick erhob sich der Hauptmann der Wache, in voller Rüstung, das Gesicht düster, und trat einen Schritt auf ihn zu, und Raldon, der sich nie gesetzt hatte, sondern unruhig im Vorzimmer hin und her gewandert war, drehte sich abrupt um, als er Elronds Schritte hörte, und tat dasselbe. Beide fingen zeitgleich an zu sprechen, um sich gleich darauf, etwas verlegen, zu unterbrechen. Mit einem Kopfnicken wies der Hauptmann den Heiler schliesslich an, sein Anliegen zuerst vorzubringen. Seine Hand streichelte dabei, völlig unbewusst, den Schwertknauf an seinem Gürtel. Raldon seinerseits nahm sich keine Zeit für eine lange Einleitung.
"Ich komme gerade vom Krankenlager von Elwyne Thranduilion." sagte er. "Die Elben, die ihn gepflegt haben, haben mich gerufen."
Elrond sah hoch, alarmiert. Sein Mund wurde trocken. "Der Zustand von Thranduil's Erben hat sich plötzlich verschlechtert."fuhr Raldon fort, und seine Verwirrung wurde spiegelte sich deutlich in seiner Stimme.
"Ihr hattet gemeldet, dass sein Zustand stabil ist." sagte Elrond betont gleichgültig.
"Das war er." sagte Raldon heiser. "Elwyne war nach wie vor in einem schlechten Zustand, aber er befand sich auf dem Wege der Besserung. Die Krise kam heute morgen, überraschend und schnell. Wenn nicht einer der Heiler zufällig noch nach ihm gesehen hätte, wäre er wohl bereits tot. Als ich ging, um euch aufzusuchen, kämpften sie um sein Leben."
"Schickt nach Saruman und Gandalf." sagte Elrond knapp. Er hatte die Lippen fest zusammengepresst. "Vielleicht können sie noch etwas für den Sohn Thranduils tun." Raldon nickte zustimmend, aber die Erleichterung auf seinem Gesicht war nur flüchtig. "Ihr solltet auch nach seinen Angehörigen schicken." sagte er. "Es sieht ernst aus."
Elrond nickte flüchtig. In seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Sollte Elwyne tatsächlich sterben, war Legolas der letzte Ueberlebende aus Thranduils Familie. Er wagte es sich gar nicht vorzustellen, was ein Starrkopf wie dieser Waldelb tun würde, wenn er nach all den Schicksalsschlägen, die ihn getroffen hatten, auch noch seinen Bruder verlor... Das durfte doch einfach nicht wahr sein!
Wie geistesabwesend wandte er sich an den Hauptmann seiner Wache. Der Mann sah angespannt und wütend aus.
"Schlechte Nachrichten, Lord Elrond." sagte er düster. "Zwei meiner Leute sind heute früh tot aufgefunden worden, zwei Wächter der Alten Mauer, am 3. Nordturm. Sie wurden ermordet." Nur seine Augen verrieten seinen Zorn.
Elrond zog scharf die Luft ein und hob fragend eine Braue. "Orks?" fragte er.
"Nein, Sir. Wir haben die ganze Gegend zwischen der Stadtmauer und der Alten Mauer durchgekämmt. Bis jetzt haben wir keine Eindringlinge gefunden. Es gibt wohl auch keine."
"Was soll das heissen?" fragte Elrond, ungeduldig. Der Hauptmann war sonst nicht ein Mann vieler Worte. Er hielt etwas zurück...
"Der Täter kam nicht von aussen." sagte der Hauptmann und zog das Messer aus dem Gürtel, dessen Knauf er die ganze Zeit in den Händen gehalten hatte. "Er kam von innen. Von Bruchtal selber. Sie werden keine grossen Widerstand geleistet haben, als er sie hiermit..." er hob das Messer, "... erstach."
"Vierfache Wachen an der Alten Mauer." fauchte Elrond. "Alle Wachelben sollen sich bereithalten für einen etwaigen Notfall. Die besten Spurensucher untersuchen den Tatort."
Der Hauptmann nickte, er hatte dieselben Anordnungen schon gegeben, bevor er Elrond aufgesucht hatte. "Ich werde Bericht erstatten, sobald wir etwas neues wissen." sagte er.
Elrond, schon halb im Gehen begriffen, wandte sich noch einmal zu ihm um. "Gut, Hauptmann." sagte er. "Ich werde mich an Euch wenden, sobald ich über den Zustand von Elwyne Bescheid wisse."
Der Hauptmann sah ihm nach. "Schlechte Zeiten sind dies." dachte er und fröstelte. "Wenn sogar Lord Elrond seine Gelassenheit verliert. Und Elben ihre Hand gegen Elben erheben." Dann zuckte er die Achseln und machte sich daran, zu seinen Männern zurückzukehren. Er war in erster Linie Soldat, kein Taktiker wie Elrond. Er ahnte nicht, wie prophetisch seine Gedanken waren; und dass sich bald noch viel mehr Elben entgegenstehen würden. Auf verschiedenen Seiten eines Schlachtfeldes.
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Der Waldelbenkrieger Nerdein stand, zusammen mit zwei andern Waldelben, vor dem Krankenzimmer ihres Prinzen, und stampfte unruhig auf und ab. Er hatte rotgeränderte Augen, und sein Gesicht hatte wohl noch nie grimmiger ausgesehen. Seine zwei Begleiter, um einiges jünger, machten ebenfalls einen niedergeschlagenen Eindruck und sahen zu Boden. Sie hielten sich abseits von den anderen Elben im Raum, und die Bruchtal-Elben ihrerseits, die ebenfalls auf Neuigkeiten aus dem Krankenzimmer warteten, unterhielten sich nur in gedämpften Stimmen und beachteten die Waldelben nicht.
Aragorn, der ebenfalls da war und wartete, bemerkte dies wohl, war aber zu aufgewühlt, um sich darum zu kümmern. Seit zwei Stunden kämpften die Heiler schon um Elwyne's Leben, unterstützt von Saruman und Gandalf, und noch hatte niemand ihnen Bescheid gegeben, wie der Zustand des königlichen Elbs war.
Schlecht natürlich, soviel konnte sich jeder zusammenreimen, der die Anzahl Heiler in Elwyne's Raum gesehen hatte. Aragorn war seltsam berührt, ja erschüttert über diese neue Katastrophe, obwohl sie doch klein war im Vergleich zu der vorhergehenden, aber Elwyne's drohender Tod nahm ihn mehr mit, als er es je für möglich gehalten hätte.
Vielleicht, weil er gehofft hatte, dass nach all dem Unglück der letzten Zeit die Dinge allmählich wieder einen besseren Verlauf nehmen würden, vielleicht auch, weil Elwyne einer seiner letzten überlebenden Freunde war, und nicht zuletzt deshalb, weil Elrond den schlechten Zustand Elwyne's als persönliche Niederlage zu betrachten schien, seinem Gesicht nach zu urteilen.
So wartete er, zwischen Hoffen und Bangen, wie alle andern auch, und als nach endlosen Minuten endlich, endlich, die Tür zum Krankenzimmer sich öffnete und Elrond heraustrat, gefolgt von Saruman und Gandalf, erstarb auch diese. Des Elbenkönig's Gesicht war unbewegt, doch er hatte den Gang eines alten Menschen, und auch Gandalf ging gebückter als sonst. Saruman hatte rote Flecken auf seinem sonst so blassen Gesicht. Der grossgewachsene Waldelbenkrieger hatte sich mit zwei schnellen Schritten vor Elrond aufgebaut.
"Ist er..." fragte er stotternd. "Ist Prinz Elwyne...?" Seine Besorgnis war echt, liess Elrond über seine unformelle Anrede hinwegsehen. Er sah dem Krieger nicht in die Augen.
"Elwyne Thranduilion ist soeben verstorben." sagte er, mehr zu sich selbst als zu sonst jemanden. "Es tut mir leid." Die Waldelben zuckten zusammen, als hätte man sie geschlagen. Sie wirkten erschüttert, orientierunglsos, wie Leute, die einen Alptraum erleben und nicht wissen ob sie wachen oder schlafen.
"Er ist tot." wiederholte Nerdein und musste sich räuspern, weil seine Stimme plötzlich so belegt klang. Noch immer gab er Elronds Weg nicht frei. "Können wir unseren König sehen?"
Elrond sah hoch, in seinen Augen funkelten plötzlich seltsame Lichter. "Nein." sagte er, und jetzt war er es, der den Weg des andern blockierte, und die plötzliche Autorität in seiner Stimme machte es deutlich, dass er nicht gewillt war, seiner Haltung Erklärungen folgen zu lassen. Selbst Nerdein schien das zu spüren, denn er nahm unwillkürlich Haltung an. Sein unmittelbares "Warum, Lord Elrond?" kam respektvoller, als er es vermutlich beabsichtigt hatte.
Elrond sah ihn scharf an. "Wo ist Legolas Thranduilion?" fragte er zurück. "Ich hatte nach ihm geschickt."
Nerdein wirkte auf einmal beunruhigt. "Dasselbe könnten wir Euch fragen, Lord Elrond." sagte er. "Er ist gestern abend nicht zu uns zurückgekehrt. Wir nahmen an, dass er sich hier aufgehalten hat, nach der Unterredung mit Saruman." Die Flecken auf Sarumans Gesicht verstärkten sich. Auf Elronds fragenden Blick schüttelte er den Kopf.
"Wir haben uns – unverrichteter Dinge – noch bei der Gräber-Lichtung getrennt." stellte er fest. Nerdein wirkte nun ernstlich beunruhigt, während sich das Gesicht Elronds verdüsterte.
"Sein Bruder hat nach ihm gefragt, die letzten Minuten." sagte er. "Immer wieder."
Nerdein sah zu Boden. Er malte sich lieber nicht aus, wie sein Prinz diesen erneuten Tiefschlag hinnehmen würde. Elrond sah ebenfalls so aus, als würde er sich das gerade vorstellen.
"Nun denn." sagte Elrond leise. "Richtet den Waldelben mein tief empfundenes Beileid aus. Wir werden Vorbereitungen treffen für das Begräbnis." Er trat einen Schritt vor, und Nerdein, noch immer wie betäubt, gab ihm den Weg frei. Ein Schauer durchlief seinen Körper. Ein weiterer Elb, der im Vorzimmer gewartet hatte, trat zu ihm. Er trug die Uniform eines Hauptmanns.
"Wenn ihr Prinz Legolas trefft." sagte er beiläufig. "überreicht ihm sein Messer. Er hat es hier zurückgelassen." Und er schob es, das er bisher am Gürtel getragen hatte, in Nerdeins Hand. Dieser warf einen Blick darauf und schob es dann in seinen Gürtel. Als er aufsah, sah er sich zu seiner Ueberraschung erneut mit Elrond konfrontiert, der sich vor ihm aufgebaut hatte. Seine Augen glühten.
"Dies ist Legolas Messer?" fragte er scharf.
Nerdein nickte konsterniert. Was sollte das Theater? Als ob es nicht wichtigere Dinge als vergessene Messer gäbe... Obwohl es unüblich für Legolas war, eine seiner kostbaren Waffen irgendwo liegen zu lassen...
Elrond und der Hauptmann tauschten einen Blick, und Nerdein musterte sie misstrauisch, als sie ihn ohne ein weiteres Wort stehenliessen. Irgendetwas stimmte hier nicht... Weshalb die Heimlichtuerei um Elwyne's Leiche? Was war mit dem Messer? Und wo zum Teufel steckte bloss Legolas? Die Unruhe in ihm dämpfte sogar seinen Zorn, von diesen überheblichen, ach so zivilisierten Bruchtal-Elben wie ein unmündiger Dummkopf behandelt zu werden. Er wäre noch erheblich unruhiger gewesen, hätte er geahnt, dass Legolas weiterhin unauffindbar bleiben würde.
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"Aber warum sollte er so etwas tun?" fragte Aragorn, das Gesicht gerötet vor Zorn. "Das macht doch keinen Sinn!" Fragend sah er sich um, sah jedem, der an der Krisensitzung, die Elrond einberufen hatte, teilnahm, herausfordernd ins Gesicht. Gandalfs Miene jedoch war undurchdringlich, ebenso die von Elrond und seinen zwei Beratern, der Hauptmann der Wache hingegen sah zorning aus. Vielleicht empfand er Aragorns Worte als Zweifel an seinen Aussagen. Saruman lächelte, herablassend, und Aragorn fühlte eine Welle von Antipathie gegen den Zauberer aufsteigen, die er nicht zu bekämpfen vermochte, obwohl er den weissen Zauberer doch respektierte.
"Das ist absurd!" Nur weil Legolas' Messer bei den beiden getöteten Bruchtal-Elben gefunden worden war, hiess das noch lange nicht, dass Legolas seine Hände im Spiel hatte!
"Du weißt noch nicht alles, Aragorn." sagte Elrond schwer. "Der Mord an den beiden Wächtern ist nicht die einzige Untat, die unser Zusammenkommen hier erfordert."
Aragorn sah ihn fragend an, während Gandalf und Saruman einen wissenden Blick austauschten.
"Ich spreche von dem versuchten Mord an Elwyne, Sohn des Thranduils, dem Erben des Düsterwalds."
Aragorns Herz schlug plötzlich bis zum Hals. Mord? Versuchter Mord? Was zum Teufel sollte das heissen?
Elrond musterte ihn mit einem durchdringenden Blick. "Elwyne ist nicht tot." sagte er dann. Aus den Augenwinkeln sah Aragorn, dass Saruman bei des Elbenkönigs Worten unwillig die Stirn runzelte. Offensichtlich hätte er diese Tatsache lieber vor Aragorn verborgen! Der Waldläufer hätte wohl Erleichterung gefühlt, wenn nicht sein Magen ihm gemeldet hätte, dass Elrond noch etwas in der Hinterhand hielt.
"Gott sei Dank." sagte er heiser. "Aber ihr habt von einem Mordversuch gesprochen."
"Jemand hat versucht, Thornbush zu vergiften." fuhr Elrond fort. "und ein starkes Gift – dessen Ursprung uns unbekannt ist – in eines seiner Medizinfläschchen gefüllt."
Aragorn starrte ihn entsetzt an. "Einer der Heiler, der heute früh nach Elwyne gesehen hat, hat ihm davon etwas eingeflösst. Der Mörder hat nur einen Fehler gemacht: Das Gift war zu stark. Wie mir der Heiler erzählt hat, übergab sich der Kranke sofort und bekam, selbst in seiner Bewusstlosigkeit, Krämpfe. Dies genügte, um in dem Heiler den Verdacht zu erwecken, dass etwas mit dem Trank nicht in Ordnung war. Seine Geistesgegenwart hat sicherlich das Leben des Prinzen gerettet."
Aragorn fühlte sich, als hätte er eine Faust in den Magen bekommen. "Vergiftet..." hallte es in seinem Kopf nach, und auf einmal wusste er, weshalb die andern so eisige Mienen zeigten. Ein unbekanntes Gift... "Warum habt ihr ihn für tot erklärt?" fragte er, sich mühsam beherrschend.
"Der Mörder soll glauben, dass seine Tat gelungen ist." antwortete Elrond. "Elwyne's Leben hängt an einem seidenen Faden. Wir müssen alles tun, ihn zu schützen."
"Ihr glaubt, dass es Legolas war." sagte Aragorn resigniert. "Aber das ist... unmöglich! Ich habe ihn doch gekannt! Er wäre nicht fähig, so etwas zu tun!"
"Wie ihr richtig bemerkt habt, Aragorn." ergriff nun erstmals Saruman das Wort. "HABT ihr Legolas Thranduilion gekannt, früher einmal, bevor die Orks in den Düsterwald einfielen. Alle Anwesenden hier können bestätigen, dass Legolas nach dem Tod seines Vaters völlig verändert war. Wir können nur mutmassen, was der Tod seiner Familie, seines fast gesamten Volkes sowie der Verlust seiner Heimat in ihm angerichtet hat. Er mag aufrichtig, tapfer, verständnisvoll, abenteuerlustig gewesen sein, früher, als ihr ihn kanntet. Doch jetzt gibt es nur ein Gefühl, das ihn regiert: Hass. So jedenfalls habe ich ihn erlebt. In ihm war nichts als der brennende Wunsch nach Rache, für den er bereit war, selbst die letzten Ueberlebenden seines Volkes zu opfern."
Elrond nickte unwillkürlich, was Saruman mit einem leisen Kräuseln seiner Mundwinkel quittierte. "Dann kommt Lord Elrond und stellt sich seinen Plänen entgegen, verweigert ihm die Rache, für die er lebt. Mehr noch, er entzieht ihm das Recht, über die letzten seines Volkes zu regieren. Damit schürt er nur noch der Hass des jungen Prinzen, der sein Denken längst vergiftet hat."
Es lag eine kleine, fast unmerkbare Betonung auf dem Wort "vergiftet". "Er muss gedacht haben, dass Lord Elrond Elwyne an seiner Stelle regieren lassen wollte. Dass die beiden eine Einigung getroffen hatten, ihn, Legolas als Führer seines Volkes abzusetzen und auf einen Rachefeldzug gegen die Orks zu verzichten. Da muss er den Entschluss gefasst haben, seinen Bruder zu beseitigen. Als liebender, besorgter Bruder hatte er Zutritt zum Krankenzimmer des älteren Prinzen, so oft es ihm beliebte. Die Heiler werden mir bestätigen, dass er oft genug dort anzutreffen war, ebenso wie ihr übrigens, Lord Elrond. Mit eurer Anwesenheit habt ihr vielleicht unbewusst dazu beigetragen, den bösen Plan in Legolas reifen zu lassen. Eine der Medizinen zu vergiften, war ein kluger Schachzug von ihm. Wenn Elwyne nicht das Schicksal hold gewesen wäre, hätte nie jemand etwas von seines Bruder's Tat entdeckt..."
Saruman machte eine Pause und sah sich um. "Legolas muss ausser sich vor Zorn gewesen sein, vergiftet von Hass und erlittenem Unrecht. Er mag geplant gehandelt haben oder in einer Kurzschlussreaktion..."
Aragorn konnte sich nicht mehr länger halten. "Das ist doch Unsinn!" platzte er heraus. Seine Feindseligkeit gegenüber Saruman wuchs, und der Blick, der Saruman ihm darauf zuwarf, bewies, dass der Zauberer nicht anders fühlte. "Und warum ist er dann geflohen, über die Nordgrenze, nicht ohne vorher noch zwei Wach-Elben umzubringen? Das macht doch alles keinen Sinn!"
Jetzt war nur noch väterliche Güte in Sarumans Gesicht zu lesen, als er sich an Aragorn wandte. Und Mitleid. "Ihr wisst noch nicht alles." stellte er fest. "Es gab einen weiteren Grund, weshalb Legolas seinen Bruder beseitigen musste. Und weshalb er geflohen ist." Er warf einen fragenden Blick auf Lord Elrond, welcher ihm bedeutete fortzufahren. "Einer der Elbenringe." sagte Saruman feierlich. "Thranduil war ein Träger von einem der Ringe. Am Tage seines Todes übergab er ihn dem einzigen Sohn, der Zeuge seines Sterbens war, Legolas, seinem jüngsten Sohn, zweifelsohne mit dem Auftrag, ihn dem ältesten Sohn als zukünftigen Erben zu überreichen. Thranduil konnte damals nicht ahnen, dass nur zwei seiner Söhne den Ueberfall der Orks überleben würden.
Ich kann nur vermuten, was sich dann um den Herrscherring abgespielt hat, doch meines Wissens hat Legolas, in Unwissenheit über die Natur des Ringes, diesen seinem verletzten Bruder übergeben. Dann begannen die Dinge, seinen Händen zu entgleiten, und er bemerkte, dass er zugleich mit dem Ring seine Führungsqualitäten verloren hatte. Ihr selbst, Lord Elrond, stelltet sie ja in Frage."
Ueber Elronds Gesicht huschte bei diesen Worten ein gequälter Ausdruck.
"Da beschloss Legolas, den Ring zurückzuholen, obwohl er rechtmässig seinem Bruder gehörte. Nun, es war ein leichtes für ihn, den Ring an sich zu bringen. Elwyne war kaum in der Lage, ihn deswegen zur Rechenschaft zu ziehen."
Es war so offensichtlich... Aragorns Zorn wurde nach und nach von Furcht abgelöst. Natürlich hatte er von den Elbenringen gehört... und wie Saruman die –vorerst unerklärlichen – Vorgänge in Bruchtal darstellte, bekamen sie einen entsetzlichen Sinn. Wenn er Saruman weiterreden liess, würde dies Legolas' sichere Verurteilung bedeuten, denn er konnte sehen, dass die andern wie gebannt an Sarumans Lippen hingen.
"Und dann, von plötzlicher Reue gepackt, flüchtet er, wo er doch im Besitze all dessen ist, was er sich in seiner unermesslichen Machtgier gewünscht hat." beendete er deshalb höhnisch, aber diesmal war es Elrond selbst, der ihm Schweigen gebot.
"Er ist geflüchtet, ja. Ob aus Reue oder aus Furcht vor einer Entdeckung, vermag ich nicht zu sagen. Doch hört mich weiter an." fuhr Saruman fort.
"Gestern abend noch beschloss ich, Legolas Thranduilion wegen seines Blutdurstes zur Rede zu stellen. Ich traf den Prinzen, wie ihr euch vorstellen könnt, in einer seltsamen Erregung an, doch zu diesem Zeitpunkt konnte ich mir keinen Reim darauf machen. Was mir jedoch auffiel, war ein kleines Schmuckstück, das er an einer feinen Kette um den Hals trug. Es war dies seines Vaters Ring. Ich sprach ihn darauf an, worauf er noch nervöser wurde, und wies ihn auf den Wert des Ringes hin. Von da an weigerte er sich, mit mir zu sprechen, und als ich weiter in ihn drang, wich er zurück. Ich liess ihn ziehen, weil ich nichts über die Zusammenhänge ahnte, wie er an den Ring gekommen war. Aber meine Worte mussten in seinem schuldigen Gewissen wie Anklagen geklungen haben, und Legolas Thranduilion beschloss, zu fliehen. Er konnte nicht zu den Waldelben zurückkehren. Als enttarnter Brudermörder konnte er bei ihnen nicht mit Sympathien rechnen.
So wandte er sich in steigender Panik nach Norden, wo die Bewachung des Bruchtals nicht allzu intensiv ist. Die Wächter mögen ihn nach dem Grund seines plötzlichen Aufbruchs gefragt haben, und vielleicht haben sie auch versucht, ihn aufzuhalten.... Einem Mörder wird es zunehmend leicht, zu töten! In ihrer Ueberraschung haben sich die Wärter wohl nicht allzusehr gewehrt. Legolas gewann damit wertvolle Zeit, in der seine Flucht unbemerkt blieb, und niemand konnte genaue Angaben machen, in welche Richtung er geflohen ist.
Er besitzt zwar jetzt den Herrscherring, doch er ist alleine, unberechenbar und verzweifelt. Vielleicht sucht er sich Verbündete im Norden."
Wieder warf er einen Blick auf Elrond.
Dieser ergänzte trocken: "Meine Späher melden mir, dass sich in den Wäldern um Bruchtal vermehrt Orks herumtreiben. Orks und schlimmeres. Der Ring darf ihnen nicht in die Hände fallen. Würden sie auch seinen Wert nicht zu schätzen wissen – andere würden es tun. Wir müssen Legolas Thranduilion finden. Ich selbst, und ein paar unserer besten Spurensucher werden sofort aufbrechen, um seine Verfolgung aufzunehmen. Wir werden den Ring zurückholen."
Mit diesen Worten stand er auf und wandte sich an Aragorn. "Normalerweise würde ich dich bitten, mitzukommen." sagte er. "Doch ich wäre froh, wenn Du hierbleiben würdest und ein Auge auf die Waldelben hältst. Elwyne's vermeintlicher Tod hat sie noch unruhiger gemacht."
Aragorn nickte wie versteinert. Er glaubte kein Wort von dem, was Saruman gesagt hatte, aber es war kein rationales Gefühl, dass ihn wissen liess, dass Legolas unschuldig war. Er konnte einfach nicht glauben, dass jemand, den er zu seinen Freunden gezählt hatte, zu so etwas fähig war! Zudem hatte ihn Sarumans Rede irritiert. Falsch hatte sie geklungen in seinen Ohren, ganz so, als hätte der Zauberer etwas wohl Einstudiertes vorgetragen...
Er trat neben Gandalf, der ausser ihm der einzige war, der noch im Beratungszimmer verblieben war. "Legolas ist unschuldig." sagte er. "Nie hätte er seinen Bruder vergiftet. Ich weiss es, denn ich kenne ihn besser als ihr alle hier." Gandalf wandte sich ihm zu, das Gesicht sorgenvoll zerfurcht.
"Wirst Du einen Rat von mir annehmen, Aragorn, Erbe des Ilsidur?" meinte er, und als Aragorn stumm nickte, fuhr er fort: "Trage Dein Herz nicht auf der Zunge, Aragorn! Es gibt noch mehr Gift hier als das, das Elwyne fast das Leben gekostet hat."
Aragorn starrte ihn betroffen an, doch der Zauberer schickte sich bereits an, das Zimmer zu verlassen, ohne seine Reaktion abzuwarten.
Fortsetzung folgt...
Anmerkung der Autorin: Tja, das vorliegende Kapitel ist, wie dem aufmerksamen Leser keineswegs entgangen sein dürfte, ziemlich Legolas-/Sam frei. Ich hoffe, ihr mögt es trotzdem, zumal Aragorn endlich einen wohlverdienten Auftritt darin hat. Kommentare wie immer seeeeeeehhhhhr willkommen! Nur noch einmal schlafen bis RotK! Juhuu! Freu! Käfergrinsen! Herzrasen! (Gleicher Zustand, wie wenn ich ein paar schöne Reviews kriege; wink mit dem Zaunpfahl!!!)
Für Yvanne: Ich drück Dir jedenfalls die Daumen für Deine Prüfung! Wird schon gutgehen! Der menschliche Geist ist eh am kreativsten, wenn er übermüdet ist. Ich hoffe mal, du hast auch ne kreative Arbeit vor dir, weil bei Mathe/Physik und Co. nützen leider kreative Ideen sehr wenig....für Deutsch, Philosophie, Geschichte und so hingegen sind sie essentiell. Naja, und Sam ist sicherlich mehr als nur ein fetter dummer Halbling, was er bis jetzt auch schon bewiesen hat. Er ist auch der Liebling meiner Zwillingsschwester, für die ich mir diese Geschichte ursprünglich ausgedacht habe, und so wird er auch weiterhin eine wichtige Rolle spielen! (Neben Legolas, der mein und ihr Liebling zugleich ist, natürlich!)
Für Leahna: Grausam von mir, Sam so lange da draussen schmoren zu lassen, nicht wahr? Wird mir eine wunderbare Gelegenheit geben, eine "Kleiner Halbling allein im grossen bösen Wald-Szene" zu schreiben! Hihi, macht mich echt stolz, wenn Du schreibst, dass Du nachschauen musstest, wer überlebt!!! Wenn du nur das letzte Kapitel anschaust, wird das nicht allzuviel verraten. Auf Deutsch bin ich noch nicht so weit, dass du den Plot bereits vollständig durchschauen könntest (hoffe ich, sonst mach ich nen schlechten Job!)
Für Shade: Danke schön! Genau dannach hab ich gefragt!!
Für Evellon: Tja, für mich ist der Gedanke an RotK das einzige, das mich aufrecht hält, da ich gerade am Schreiben meiner Studiumsabschlussarbeit bin, selbstverständlich niemals rechtzeitig angefangen habe und demzufolge unter ziemlichem Zeitdruck stehe! Aber eben, zum Glück gibts Kollegen, Kino, fanfiction net und ein paar reviews :-) Danke schön!
Für Shelley: Ich hab dein review gerade noch mitgekriegt vor dem Posten des neuen Kapitels! Hab schon Angst gehabt, Du hättest Deine konstruktive Kritik aufgegeben! Bitte nicht! Sie hilft mir nämlich wirklich weiter. Zu deiner Anfrage: Die Düsterwälder haben Gandalfs "rechtmässigen" Ring Narya. Da sowohl Galadriel und Elrond einen Ring haben, scheint es mir gar nicht so abwegig, dass Thranduil auch einen Ring hat, auch wenn er und sein Volk "weniger weise und gefährlicher" sind als ihre Verwandten z. Bsp. im Bruchtal. Am Schluss meiner Geschichte geht aber der Ring bequemerweise in den Besitz von Gandalf über!
