11. Verloren

Auf einmal war ihm kalt, furchtbar kalt, und Legolas´ Zähne schlugen klackend aufeinander, und ein Frösteln hatte seinen Körper ergriffen, das er nicht zu unterdrücken vermochte. Ihm war nicht klar, was für einen Anblick er Elrond und dessen Elben bot: Die Kleider verschmutzt und durchnässt, das Haar zerzaust und unordentlich, der linke Arm von verkrustetem Blut bedeckt, das Gesicht wächsern, die Lippen blau und mit schwarzen Schatten unter den Augen, die die Blässe seines Gesichtes noch stärker akzentuierten.

So stand er auf Elrond's Terasse, das Herz voll von Dingen, die er dem Elbenkönig erzählen musste, am Ziel seiner Anstrengungen - und doch hatte er jetzt Mühe, die richtigen Worte zu finden. Ein Hustenreiz war in seiner Kehle, der sich kaum unterdrücken liess, und der Wunsch nach Schlaf war auf einmal übernächtig in ihm, und er wusste, dass nicht viel fehlte, und er würde sich vor Lord Elrond auf den Boden sinken lassen und auf der Stelle in tiefen Schlaf versinken. Nur ein kleiner Rest von Würde hielt ihn davon ab.

Doch er musste geschwankt haben, denn plötzlich traten zwei der Elben hinter Elrond an seine Seite und fassten ihn um die Oberarme, hielten ihn aufrecht. Ihr Griff war fester, als es angenehm war, und Legolas stiess scharf die Luft aus, als ihn ein stechender Schmerz, von seiner geprellten Schulter kommend, durchfuhr. Probehalber bewegte er den rechten Arm, doch der Griff der Elbe, die ihn da hielt, wurde nicht schwächer. Doch der Schmerz hatte auch sein Gutes. . Er vertrieb die dunklen Schleier, die sich über sein Bewusstsein zu legen drohten, und die Gedanken an seine Pflicht, Elrond zu warnen, waren erneut übermächtig in ihm. Er benetzte seine trockenen Lippen.

"Lord Elrond..." setzte er an, seine Stimme klang schwach in seinen eigenen Ohren, hoch und dünn, und er brach verwirrt ab, als Elrond einen Schritt auf ihn zumachte, so dicht an ihn herantrat, dass er, gewiss nicht klein, zu dem Elbenkönig hochsehen musse.

Der Elbenkönig stand hoch aufgerichtet, und sein Blick war um nichts wärmer als die kühle Nachtluft um sie herum. Seine Augen glühten in einem seltsamen Licht.

Der Griff um des Elbenprinzen Oberarme verstärkte sich. Legolas hätte die Soldaten, die ihn stützten, gerne abgeschüttelt, doch dazu fehlte ihm die Kraft. Erneut durchfuhr in ein Schauer; ob es die Kälte der Nachtluft war, die ihn auslöste, oder die Kälte, die Elrond ausstrahlte, vermochte er nicht zu sagen. "Er weiss es schon..." sagte eine kleine Stimme in seinem Hinterkopf. "Er weiss schon über Sarumans Verrat Bescheid. Deswegen sein Zorn, und seine Verzweiflung."

"Ihr wisst es schon?" setzte er erneut an, und Elronds Lippen wurden zu einem schmalen Strich.

"Ja, Legolas Thranduilion, ich weiss es schon." sagte Elrond, mit einer Stimme, die an fernes Donnergrollen erinnerte. "Ich weiss es schon."

"Gut." sagte Legolas, schwindlig vor Erleichterung, und er lächelte unwillkürlich. Zum ersten Mal seit Tagen spürte er wieder so etwas wie eine jähe, intensive Freude, und die Wärme, der Trost, den erfüllte Hoffnungen mit sich brachten. Elrond starrte ihn an, weiss im Gesicht, und jetzt endlich fand Legolas die Worte, die er vorher vergeblich gesucht hatte.

"Saruman!" sprudelte er hervor. "Der Weisse Zauberer... er hat den Verstand..."

"Legolas Thranduilion." sagte Elrond schwer, so, als hätte Legolas nie gesprochen. Seine Hände bewegten sich unruhig, doch sein Gesicht war eine starre Maske. "Ich klage Dich an des Hochverrats."

"...verloren. Er hat uns verfolgt..." Legolas Stimme erstarb, als Elronds Worte in sein Bewusstsein drangen, doch noch sträubte sich sein Verstand, deren Bedeutung zu erfassen. Seine Arme sanken herab.

Elrond war noch immer ruhig, ganz ruhig, als er fortfuhr: "Und wegen mehrfachen Mordes. An zwei unserer Wächter an den Nordtoren."

"Nein!" flüsterte Legolas, und seine Stimme schwankte. Noch hatte er nicht ganz begriffen, doch eine kalte Hand begann sein Herz zu umfassen. Die Hoffnung in ihm erstarb, hinterliess nichts als einen bitteren Geschmack auf seiner Zunge.

"Und wegen Mordes an Elwyne Thornbush."

"Nein." wiederholte Legolas, sehr ruhig, sehr verzweifelt. "Nein! Das ist nicht wahr! Sagt mir, dass dies nicht wahr ist!"

Erst jetzt begriff er die Feindseligkeit, die von den Elben neben ihm, und vor allem von Elrond, ausging. Er sah um sich, wie ein in die Enge getriebenes Tier, und alles, was er sah, war ein Meer von feindseligen Gesichtern. Sein Blick blieb an Aragorn hängen, in dessen Gesicht Unglauben, Wut, und Abscheu zu kämpfen schienen.

"Sagt mir, dass Elwyne nicht..." ein Schluchzen erstickte seine Stimme, "...nicht tot ist..."

Aragorn mied seinen Blick.

"Neein!" schrie Legolas, sein Gesicht verzerrte sich. "Neein!" Dunkelheit begann, an seinem Verstand zu zerren. "Nein!" und Tränen liefen über seine Wangen, ohne dass er es bemerkte. Hätten ihn nicht noch immer die beiden Elben an seiner Seite mit festem Griff gefasst, wäre er in die Knie gesunken. "Nein!" Die Qual in seiner Stimme hätte selbst den grimmig entschlossenen Elrond irritiert, wäre nicht ein leises Lachen, bar jeglicher Fröhlichkeit, hinter ihm ertönt.

Saruman war hinter Elrod hervorgetreten. Er lächelte spöttisch. "Eine ausgezeichnete Darbietung, mein junger Prinz." sagte er. "Schade, dass ihr uns damit nicht überzeugen könnt.

Ist eure Verzweiflung später Reue zuzuschreiben oder einzig und allein der Tatsache, dass ihr ertappt worden seid, wie ihr euren älteren Bruder beseitigt habt?"

Legolas sah zu dem Zauberer hin, und sein Verstand verfinsterte sich weiter. Vor ihm stand der Mann, dem er all sein gegenwärtiges Elend zu verdanken hatte, und Hass wucherte in ihm auf, eine finstere, alles erstickende Macht, stärker und mächtiger als selbst der Hass, den er gegen die Orks verspürt hatte, in jenen ersten Tagen der Zerstörung des Düsterwaldes.

Der Hass verlieh ihm ungeahnte Kräfte. Elrond stand dicht, viel zu dicht vor ihm...

Legolas war schnell, selbst für einen Elben.

Mit einem plötzlichen Ruck befreite er seine Rechte aus dem Griff seines Wächters, um dann augenblicklich nach dem Messer in Elronds Gürtel zu greifen. Er bekam es zu fassen, obwohl Hass und Tränen seinen Blick verschleierten, und selbst Elrond wich vor dem Ausdruck seiner Augen zurück. Der zweite Wächter hatte noch immer nicht losgelassen. Legolas gebrauchte seine Waffe, verletzte ihn am Unterarm, und so gross war seine Verzweiflung, so gross sein Wunsch, den verhassten Zauberer zu töten, dass selbst des Soldaten darauffolgender Schmerzenslaut kein Bedauern ihn ihm auslöste, jemanden aus den eigenen Reihen verletzt zu haben.

Mit einem Keuchen riss er sich frei und drang gegen Saruman vor.

Mehrere Bögen hatten sich bereits gespannt, wiesen auf ihn, und selbst Aragorns Hand ruhte auf seinem Schwertknauf. Elrond hatte seinen verbliebenen Dolch gezogen.

Doch mit ausgestreckter Hand hielt Saruman die Elben zurück.

Sein Blick ruhte auf Legolas, einzig auf Legolas. "Zeigst Du jetzt dein wahres Gesicht, Elb?" fragte er ruhig.

Legolas zischte etwas und warf seinen Dolch. Obwohl seine Hand ruhig gewesen war, obwohl er exakt gezielt hatte; für Saruman war es ein leichtes, die Waffe abzuwehren.

Legolas sah es mit geweiteten Augen, und der Hass drohte ihm die Kehle zuzuschnüren. Er zitterte jetzt am ganzen Körper. Saruman warf ihm einen weiteren, spöttischen Blick zu. "Du hast verloren, Elb." sagte er, seine Stimme war grausam wie seine Worte, doch nur Legolas verstand, was er wirklich damit meinte.

Dann hob der Zauberer die Hand erneut, und ein furchtbarer Schlag traf Legolas und schleuderte ihn einige Meter rückwärts. Sein Kopf schlug unsanft gegen eine Mauer.

Halbbetäubt sank er zu Boden, nur ein kurzer, scharfer Schmerz in seinem Mund hielt die Ränder der Dunkelheit zurück, die sich über sein Bewusstsein zu legen drohten. Blut schoss aus seiner Nase, und sein Mund füllte sich ebenfalls mit Blut. Er musste sich bei seinem Sturz die Zunge verbissen haben.

Tief, tief holte er Atem, um sich nicht daran zu ersticken, und er drehte sich auf den Bauch, öffnete den Mund, um es besser ausspucken zu können, und seine Umgebung wurde ihm gleichgültig in jenem Augenblick. In seiner Benommenheit konnte er keinen einzigen klaren Gedanken mehr fassen, ausser den, dass er an seinem eigenen Blut ersticken würde, wenn er nicht aufpasste.

Atem holen, vorsichtig. Blut spucken. Nicht schlucken.

Wie fernes Bienengesumm umbrandeten ihn die Stimmen der anderen, und als sie ihn hochrissen, seine Hände auf den Rücken drehten, geriet seine Atmung durcheinander, Blut lief in seine Kehle, und er hustete keuchend. Brechreiz verkrampfte würgend seinen Magen, seine Zunge bereits so verschwollen, dass sie seine Atemwege zusätzlich blockierte.

Desto klarer funktionierte auf einmal wieder sein Verstand. "Verloren!" hallte die höhnische Stimme Sarumans in seinem Kopf. "Du hast verloren, Elb!" und Legolas begriff, dass der Zauberer recht hatte. Er hatte verloren, verloren auf der ganzen Linie. Während er sich durch die Reihen der Orks nach Bruchtal zurückgekämpft hatte, war Saruman nicht untätig geblieben, und Elrond war nicht der einzige gewesen, der Rettung nötig gehabt hatte. Elwyne war tot.... zweifelslos ermordet durch Saruman, der dann die Schuld auf ihn, Legolas, geschoben hatte, als er vor des Zauberers Schergen flüchtete und sich nicht verteidigen konnte.

Elwyne tot... Tränen traten erneut in seine Augen, und nur ein letzter Rest von Würde hielt ihn davon ab, vor aller Augen jegliche Fassung zu verlieren und zu weinen wie ein verirrtes Kind. Verloren...

Mit seinem hasserfüllten Angriff auf Saruman hatte er dem Zauberer ein letztes Mal in die Hände gespielt, indem er seinen Zorn, seinen Hass, seinen Willen zu töten, deutlich, und vor aller Augen, demonstriert hatte. Dass er den Zorn eines Opfers demonstriert hatte, dem zuviel Unrecht angetan worden war, würde ihm niemand glauben, selbst wenn er sich noch hätte erklären können, selbst wenn ihm noch jemand zugehört hätte. Seine Zunge war so verschwollen, dass er nur noch ein undeutliches Lallen hervorbrachte, und jetzt zerrten sie ihn auch schon weg.

Legolas wehrte sich nicht. Die Gewissheit seiner absoluten Niederlage, und die Trauer um seinen letzten Bruder, war so erdrückend, dass er kaum noch fähig war, einen Fuss vor den andern zu setzen.

Du hast verloren, Elb...

Fortsetzung folgt...

Anmerkung der Autorin: Ja, ich weiss, ich bin ein wenig geizig geworden, was die Länge meiner Kapitel betrifft... dafür bringe ich ja auch die neuen Kapitel schneller!

Folgt auf gar keinen Fall meinem schlechten Beispiel und geizt mit reviews!!! Das wäre seeeeehr schade, für mich natürlich, wenn ich mir die Finger wundhacke am Computer, um zum tausendsten Mal zu schauen, ob denn ein (wohlmeinender) Kommentar gekommen ist... Nächstes update am 31. ! (Gewöhnt euch besser nicht an das rasche Tempo, das war feiertagsmässig...)

Für Yvanne und Evellon: Echt vielen Dank für eure getreue review-Anhängerschaft! Eure Kommentare bedeuten mir echt viel! Während ich zwar unabhängig von reviews weiterschreiben würde (dazu macht das Schreiben einfach zu viel Spass) schreibt man sicherlich schneller, wenn man einige kriegt, wie ihr im Augenblick seht! Hoffentlich hatte es euch genügend "Legolas" im vorliegenden Kapitel. Sonst gibts im neuen mehr!

Für Gimlisbraut: Freut mich natürlich, das Dir meine story gefällt! Wie Du siehst, konnte ich für einmal dem Wunsch nach einem raschen update sogar nachkommen...als Dankeschön für das review!