15. Sie rüsten sich

Weder Elrond noch Nerdein brauchten die Konfrontation zu suchen, als der Morgen dämmerte. Sie kam von selbst, als beide Elben, begierig, einander zu sprechen, Nerdein mit der grimmigen Entschlossenheit, sich mit nichts weniger als Legolas' Freilassung zufriedenzugeben, Elrond mit Stolz auf der Zunge und Verzweiflung im Herzen, in Elrond's Arbeitszimmer aufeinander trafen, in welches Nerdein, ohne anzuklopfen, hineingeplatzt war. Er war von niemandem aufgehalten worden – wie Elrond, halb verärgert, halb resigniert, registrierte; vielleicht aufgrund seines entschlossenen Schrittes, vielleicht aufgrund der latenten Gewaltbereitschaft, die aus seiner Miene sprach – Elrond wusste es nicht.

Für einen Augenblick spürte der Elbenkönig einen Anflug von Unbehagen, wie einfach es für den –voll bewaffneten- Waldelben gewesen war, zu ihm vorzudringen, ein Unbehagen, das vielleicht nicht einmal sein eigenes war; denn Sarumans dunkle Worte hatten sich fest in seinem Unterbewusstsein verankert: „Legolas kennt sich jetzt gut aus in Bruchtal... Gift ist eine heimtückische Waffe..."

Elrond erstickte seine aufkeimende Verärgerung über Nerdeins unformelles Eintreten im Keim. Ueber solche Profanitäten war er längst hinaus!

Zudem konnte man von einem Waldelben sowieso kein formelles Auftreten erwarten, wenn nicht einmal ihr König... Aber Thranduil war tot, dahingegangen wie die meisten seiner Söhne; mit ihm fast das gesamte Volk der Waldelben; und Elrond spürte erneut mit schmerzhafter Innigkeit, wie schwer der Schlag war, der das gesamte Volk der Elben durch die Verwüstung des Düsterwalds getroffen hatte. Wie sehr wünschte er sich, dass Thranduil, laut und undiplomatisch, aber mit dem Herzen auf dem rechten Fleck, hier vor ihm stünde – alle Missverständnisse zwischen ihren Völkern wären bei einem guten Jahrgang im Nu ausgeräumt worden!

Aber Thranduil war Vergangenheit, und seine, Elrond's Sorgen, mussten bei den Lebenden liegen...

Elrond erhob sich und neigte grüssend den Kopf. Mardin tat es ihm gleich. Er wirkte stolz und ungerührt; was für seine Selbstbeherrschung sprach, denn auch er musste nervlich angespannt sein, alleine und in der Höhle des Löwen; und viel geschlafen hatte er wohl auch nicht in letzter Zeit, obwohl man es ihm nicht ansah. Er hatte eine fast militärische Haltung angenommen, die eines Offiziers, der Anweisungen von einem höheren Offizier entgegennimmt.

Elrond interpretierte dies richtig als ein Zeichen des Respekts, und auch er musste sich eingestehen, fast widerwillig, dass er den alten Haudegen aus dem Düsterwald, der einst einer von Thranduil's engsten Vertrauten gewesen war, respektierte.

Der alte Fuchs hatte vieles gesehen – vielleicht ähnlich viel wie der Elbenkönig selbst – so dass nichts Gutes und nichts Böses ihn noch erschüttern konnten, und Elrond wusste instinktiv – und mit einem leisen Gefühl des Verlustes – dass er und der Waldelb hätten Freunde werden können, wären die Umstände anders gewesen.

So standen sie sich gegenüber, beide Elben charakteristisch für ihr Volk, Elrond gefasst, kontrolliert, gefangen in seiner Verantwortlichkeit, bestraft mit Weisheit und Weitsicht, und Nerdein, stolz, aufrichtig, mutig, mit Waffengewandtheit und sicheren Instinkten ausgestattet, wie es das Leben als Jäger mit sich brachte.

Nerdein brach als erster die lastende Stille. „Ihr wisst, warum ich gekommen bin." sagte er. Seine Stimme hatte einen spröden, metallischen Klang. „Ich fordere im Namen meines Volkes die Freilassung meines – unseres – Königs Legolas Thranduilion."

„Dann fordert ihr auch die Freilassung eines mutmasslichen Giftmörders." versetzte Elrond trocken.

Nerdeins Augen blitzten wütend auf; seine Gestalt straffte sich, während Elrond die Augen verengte. Für einen Augenblick war der Waldelb versucht, mit Zorn und wilden Anschuldigungen herauszuplatzen; dass die Giftmörder doch ganz bestimmt anderswo zu suchen seien, doch er schluckte all die bitteren Worte, die sich seiner Zunge aufdrängten, in der Zeit eines Lidschlags, und antwortete statt dessen: „Es ist das Vorrecht eines jeden Volkes, über seine Verbrecher selbst zu richten; und über Jahrhunderte hinweg haben wir, die Waldelben, in den Wäldern des Düsterwalds dieses Recht ausgeübt. Warum wollt ihr uns nun daran hindern? Gebt uns Legolas heraus, und wir werden selbst über ihn zu Gericht sitzen. Wenn wir ihn des Königsmords für schuldig befinden..."

„Alle Zeichen sprechen dafür, dass..." setzte Elrond an, brach dann aber mit einem leisen Seufzen ab. Wenn Nerdein seine Gedanken – trotz seiner verhaltenen Wut – bei sich behalten konnte, dann konnte er das auch.

Hinter ihnen fiel leise eine Tür.

Elrond sah hoch, direkt in Nerdeins Gesicht. „Nun denn..." sagte er. „Ich bin bereit, mich euren Gesetzen und Traditionen..."

„Lord Elrond..." unterbrach ihn eine Stimme von der Tür her, jung, atemlos, gepresst. „Lord Elrond..." Mehr als nur ein bisschen verärgert drehte der Elbenkönig sich um. Nerdein tat dasselbe. Sein Gesicht war undurchdringlich, doch die Art, wie er seine Hände instinktiv dicht bei seinem Gürtel hielt, verriet deutlich, dass er den gehetzten Gesichtsausdruck der Palastwache, die ihr Gespräch unterbrochen hatte, sehr wohl bemerkt hatte.

Der Wächter war noch jung. Seine Brust hob und senkte sich, als wäre er gelaufen, und er hatte hektische rote Flecken auf seinem ansonsten blassen Gesicht. „Lord Elrond..." sagte der Elb nun zum dritten Mal und holte tief Luft.

„Sprich!" sagte der Elbenkönig, und es klang schärfer, als er dies beabsichtigt hatte.

Die Wache nahm unwillkürlich Haltung an, öffnete den Mund, wie um etwas zu sagen, schloss ihn aber gleich wieder.

„Sir!" All seine Unsicherheit, seine Verzweiflung lag in diesem Wort. Sein Blick flog zu Nerdein und gleich darauf zurück zu Elrond. Der Waldelf

benkrieger trat einen Schritt näher. Instinktiv blockierte Elrond seinen Weg, indem er die Palastwache am Arm packte.

Sprich!" wiederholte er, ruhiger diesmal, fast resigniert, denn seine vielfach erprobten, bewährten Instinkte warnten ihn nur zu deutlich, dass er mit diesem einen, kurzen Wort eine Katastrophe auslösen würde, deren Folgen nicht absehbar waren. „Sprich." Auf einmal war ihm kalt, ganz kalt.

Was hätte er denn tun sollen? Dem jungen Elben zu bedeuten; dass er ihn unter vier Augen sprechen wolle? Hätte dies der  Führer der Waldelben, wie er steif und angespannt neben ihnen stand, überhaupt geduldet?

Die Palastwache warf erneut einen furchtsamen Blick erst auf Nerdein, dann auf Elrond, bevor er sagte: „Der Gefangene... Legolas Thranduilion... er hat sich vergiftet. Sie kämpfen gerade um sein Leben. Vielleicht wollt ihr selbst..." Er brach ab, womöglich noch blasser als zuvor, als er Elrond's Gesichtsausdruck sah, und er senkte den Kopf. Wahrscheinlich wünschte er sich, wie jeder Unglücksbote dies wohl tat, im Augenblick meilenweit weg.

„Legolas vergiftet." wiederholte Nerdein scharf, die Stimme kaum mehr als ein Flüstern.

Die Wache nickte unglücklich.

„Sie kämpfen um sein Leben." Noch immer war seine Stimme nicht lauter als ein Flüstern, doch es schwang Wut darin mit, brodelnd und intensiv wie ein Vulkan kurz vor dem Ausbruch.

Elrond drehte sich zu Nerdein um, die Hände in einer defensiven Gäste ausgebreitet, doch dieser trat einen Schritt zurück; sein Gesicht war vor Abscheu verzerrt, seine Wut unverhehlt und überwältigend.

„Ihr kämpft also um sein Leben, tut ihr das, Lord Elrond?" höhnte er.

Elrond liess die Hände sinken. Mardin's Worte echoten in seinem Kopf, und deren Spott frass sich tief in sein Herz. Jetzt erst begriff er das Ausmass der Wut, die in den Waldelben kochte; und die ihr Denken vergiftete; und was sie wirklich dachten.

„Aber Legolas lebt doch noch." sagte der Bote, der dem Austausch nervös gefolgt war. „Sie haben ihn zu Elwyne gebracht; und unsere Heiler, und Gandalf, kümmern sich um ihn... Vielleicht..." Sein Gesichtsausdruck widersprach seinen optimistischen Worten.

Nerdein zischte hasserfüllt. „Nicht einmal die Leiche unseres Königs habt ihr uns herausgegeben." sagte er. „Ihr habt wohl die Entdeckung eurer eigenen Untat gefürchtet!"

Elrond zuckte wie unter einem Schlag zusammen. „Elwyne ist nicht tot." sagte er dann, ahnend, dass er dabei war, eine schlimme Situation in eine katastrophale zu verwandeln. „Er ist in unserem Gewahrsam."

Nerdein starrte ihn an, die Augen weit aufgerissen, sprachlos. Sein Kiefer mahlte.

„Er ist schwer krank. Unsere Heiler hoffen, dass absolute Abgeschiedenheit sein Leben retten wird."

Nerdein starrte ihn weiterhin an. In seinen Augen  glimmte ein seltsames Feuer. „Gebt sie uns heraus." sagte er. Er brachte seine Worte nur mühsam hervor.

„Sie ringen mit dem Tod!" Elrond hatte seine Stimme nicht so erheben wollen, doch er fühlte, dass ihm die Kontrolle über sich, über seinen Gegenüber und überhaupt die ganze Situation mehr und mehr entglitt, und in seinem Kopf drehte sich alles, wurde zu einem wilden Strudel aus Emotionen, Wut und Aengsten, der ihn unbarmherzig, mehr und mehr in seine dunkle Tiefe zu reissen drohte. Ein unsichtbarer Dämon schien erneut mit seinen Krallen in Elrond's Gehirn zu wühlen, schlimmer, schmerzhafter als je zuvor; verwirrte seine Sinne und machte das Denken zu einer schmerzhaften Anstrengung, ja zu einem Ding der Unmöglichkeit.

„Glaubt ihr nicht, dass Gandalf und meine Heiler mehr für sie zu tun verstehen, als es euch möglich ist?" Letzteres brachte er nur geflüstert hervor. 

„Ihr habt genug für sie – für uns - getan." Die Verachtung, der Hass auf Nerdeins Gesicht war schwer zu ertragen. Der Waldelb schien nichts von dem wahrzunehmen, was Elrond sagte, dachte und fühlte; gefangen in seinem eigenen Zorn, seinem eigenen Schmerz, und Elrond konnte ihn sogar verstehen. Zuerst, nach der Vernichtung ihres Reichs im Düsterwald, hatten die Ueberlebenden aus Thranduils Volk Zuflucht im Hass auf die Orks gesucht, um mit dem Ungeheuerlichen, dass ihnen widerfahren war, fertigzuwerden; um die Traurigkeit zu bannen, bis sie bereit waren, die Wirklichkeit zu akzeptieren, überhaupt zu trauern; und jetzt, da sie mit der Tatsache konfrontiert wurden, dass der allseits beliebte Sohn ihres verstorbenen Königs vielleicht ein Ungeheuer, ein Brudermörder war, reagierten sie ähnlich; indem sie die Trauer über die Zerstörung ihrer Ideale über ihre Herrscherfamilie in Hass umwandelten. In Hass auf die Bruchtal-Elben und ihren Herrscher, die in ihren Augen für den Untergang von Elwyne sowie Legolas verantwortlich waren.

In einen Hass, der Elrond verstummen liess. Er rührte sich nicht, als Nerdein leise, drohend sagte: „Ich wiederhole meine Forderungen nicht; und kein Waldelb wird auch nur eine Sekunde länger mit euch verhandeln, Lord Elrond. Alle, die dies tun, scheinen dem Untergang geweiht. Wir werden zurückkommen, um dann mit Elwyne und Legolas Thranduilion von hier wegzugehen. Nichts, was immer ihr auch tut oder sagt, wird uns davon abhalten können, es sei denn, ihr tötet uns alle."  Dann drehte Nerdein sich demonstrativ langsam um, als fordere er ihn, Elrond, geradezu heraus, ihn am Verlassen des Raumes zu hindern, und ging hinaus.

Elrond tat nichts, gar nichts, um ihn aufzuhalten.

****

Elrond's Dämon war viel näher, als der Elbenkönig glaubte, und nur zu real. Er lauerte vor Elrond's Arbeitszimmer, bereit eine letzte Saat von Gift in die Herzen der Waldelben zu streuen, seit dem Moment, in dem ihm die Vergiftung von Thranduil's jüngstem Sohn gemeldet worden war. Natürlich war ein besorgter Saruman gleich an das eiligst hergerichtete Krankenlager des Elben geeilt, das Gesicht eingefallen, die Augen gerötet – vor Sorge, wie die Heiler es interpretierten; dabei waren dies die Spuren einer schlaflosen Nacht, die der Zauberer in einem Rausch von Vorfreude und Ungeduld verbracht hatte. Mit hämischer Schadenfreude hatte er auch Gandalf dort vorgefunden und den alten Narren beobachtet, wie er die schwindenden Lebenskräfte des Elben zu stabilisieren versuchte; vergeblich, das war leicht vorherzusehen.

Elrond war von Thranduils Vergiftung noch nicht einmal benachrichtigt worden, als ein Bote, der den König suchte, hereinplatzte und die Ankunft eines zornentbrannten, bewaffneten Waldelben meldete. Als der Bote den Krankenraum, indem unzählige Leute versammelt waren, unverrichteter Dinge wieder verliess, war Saruman ihm wenig später gefolgt, wohl wissend, dass sich ihm – mit etwas Glück – eine ausgezeichnete Gelegenheit bieten würde, einen letzten Keil zwischen die Wald- und Bruchtalelben zu treiben. Denjenigen, der sie zu einem Krieg aufhetzen würde...

Und er bekam recht. Mit der schlafwandlerischen Sicherheit des erfahrenen Intriganten wählte er genau den richtigen Augenblick, um die Nische zu verlassen, in die er sich zurückgezogen hatte; und trug genau die richtige Miene zur Schau; eine Mischung aus Niedergeschlagenheit und mit Resignation getragener Bürde, um wie zufällig fast gegen Nerdein zu prallen, als dieser Elrond's Arbeitszimmer verliess.

Der Elb fuhr zurück, als hätte er sich verbrannt. Für einen Augenblick war etwas wie Abscheu auf seinem Gesicht zu sehen, aber der Elb hatte sich sofort wieder unter Kontrolle. Seine Augen suchten Sarumans Gesicht; und eine stumme Frage war in ihnen zu lesen. Saruman erwiderte den Blick des alten Kriegers, wobei er sich bemühte, seine Abneigung gegen das alte Schlachtross vor ihm verbergen. Dann wendete er die Augen ab und schüttelte leise den Kopf. Nerdein zog zischend die Luft ein, seine Augen weiteten sich entsetzt. Er taumelte einen Schritt zurück, bevor er sich, fast rennend jetzt, in Bewegung setzte. Sarumans Hand auf seiner Schulter hielt ihn zurück. „Es tut mir leid." sagte Saruman. „Elwyne ist heute morgen verstorben. Und ich fürchte, sein Bruder wird ihm zu den Schatten folgen. Bald."

Hass fiel wie ein Vorhang über die Augen des Waldelben. Er schüttelte Sarumans Hand ab.

*****

Die Waldelben sammelten sich. Einige von ihnen fertigten sich ein paar letzte Pfeile, und einige prüften ihre Bögen nach ihrer raschen Verfügbarkeit, doch die meisten standen einfach da, schweigend, die Gesichter ernst und verschlossen, Seite an Seite, Reihe an Reihe, hohe, aufrechte Gestalten; und sie boten einen wilden, gefährlichen Anblick und doch einen traurigen, denn wenn man sie sich genauer besah, bemerkte man, dass ihre Waffen spärlich waren und eilig gefertigt, und dass sie ausser ledernen Hemden nichts trugen, was den Namen „Rüstung" gerechtfertigt hätte; und einen Helm besass nicht einer von ihnen.

Ja, sie waren mit nichts anderem ausgerüstet als mit ihren Bögen, ihren legendären Fähigkeiten mit dieser Waffe, ihrer Zähigkeit und ihrem Zorn; und einem erfahrenen alten Fuchs als Anführer. Sie waren wenige, und schlecht bewaffnet, mehr Strauchdieben gleich als stolzen Elben – und doch hätte jeder wissende Heerführer sie gefürchtet,  sie und die Verzweiflung, die Resignation, die sie in ihrem Herzen trugen, die aus ihren Augen und aus jeder ihrer Gesten sprach.

Ja, ein wissender Heerführer hätte sie als das erkannt, was sie waren: Verlorene Seelen, wurzel- und heimatlos, allem beraubt, was je für sie lieb und teuer gewesen war; und brandgefährlich. Sie waren wie ein Raubtier, gefangen in einer Wolfsfalle; wohl wissend, dass sie verloren waren; und dennoch bereit, bis zum letzten zu kämpfen, ohne Rücksicht auf das eigene Leben, für das sie ohnehin keine Zukunft sahen. Es war Resignation, nicht Stolz, der die Waldelben zu den Waffen hatte greifen lassen; und es würde die Resignation sein, die es ihnen ermöglichen würde, in einem sinnlosen Angriff – falls Elrond tatsächlich Krieger einsetzen würde – Bruchtal zu attackieren in dem Versuch, den noch lebenden Sohn ihres gefallenen Königs zu befreien und die Leiche des andern an sich zu bringen, oder, falls dies nicht möglich sein sollte, wenigstens ihren Tod zu rächen.

Ein erfahrener Heerführer weiss, dass auch stumpfe Waffen tödlich sind, werden sie mit Resignation geführt.

*****

Elrond stand auf der Terasse seines Hauses und beobachtete den Aufmarsch eines Batallions seiner besten Krieger mit stummer Resignation. Sie boten einen schönen, stolzen Anblick, in ihren glänzenden, silbernen und goldenen Rüstungen, ihren Helmen, den meisterhaft angefertigten Waffen, sie verhielten sich diszipliniert und wachsam und wurden kommandiert von fähigen Offizieren – und einem unschlüssigen Anführer.

Ja, er, Elrond, war sich, so selten dies auch vorgekommen sein mochte in der Vergangenheit, unschlüssig, was er tun sollte, eine Unentschlossenheit, die seinen Verstand lähmte, ihn vom Handeln abhielt und die, wie er befürchtete, sich auch auf die andern Bruchtal-Elben übertrug.

Sie war teuer erkauft, seine Unentschlossenheit, denn die Zeit verrann erbarmungslos, schmerzhaft schnell wie die Stunden der ersten Verliebtheit; Zeit, die ihm später sicherlich fehlen würde, um die Waldelben von ihrem sinnlosen Handeln abzuhalten. Er konnte ja ihren Zorn, ihre Wut gut verstehen, wohl wissend, wie die Nachricht von Elwynes „Gefangenschaft" sowie Legolas Vergiftung auf sie gewirkt haben mochte. Eigentlich hatte er nicht einmal Soldaten aufbieten wollen; aber seine Ratgeber waren anderer Meinung gewesen.

Auch wenn Elrond immer noch die Waldelen unter allen Umständen zu schonen gewillt war, was auch immer sie in ihrem Zorn anstellen würden – er konnte und wollte seinen Willen nicht auf die Kosten seines Volkes durchsetzen.

Elrond's Blick schweifte erneut über die Krieger, die jetzt über sein Haus und die andern Häuser in Bruchtal wachten. „Vielleicht..." reflektierte er, ..." genügt ihr kriegerischer Anblick, die Waldelben abzuschrecken. Selbst SIE müssen einsehen, dass sie gegen uns – falls wir entschlossen sind, Widerstand gegen ihr Eindringen zu leisten - keine Chance haben..." Es war sein Verstand, der ihm das sagte. Sein Instinkt sagte ihm etwas anderes.

Dann erweckte die Ankunft des Boten, den er ausgesandt hatte, seine Aufmerksamkeit. Elrond neigte sacht den Kopf zur Begrüssung des Elben, um dann übergangslos zu fragen: „Habt ihr Aragorn und meine Tochter gefunden?"

Der Bote schüttelte verneinend den Kopf. „Sie haben gestern morgen zwei Pferde aus dem Stall geholt und sind weggeritten, Sir." sagte er und sah zu Boden.

„Sie sind gestern morgen weggeritten." wiederholte Elrond nachdenklich, in sich gekehrt, und der Bote nickte stumm und vermied Elrond's Blick, so, als wolle er den schmerzlichen Zug nicht sehen, der sich um des Königs Augen gebildet hatte. „Und sie haben sich noch nicht zurückgemeldet."

Der Bote erwiderte wiederum nichts. Es gab nichts zu erwidern. Elrond drehte sich um und überblickte Bruchtal und seine Soldaten. Er fror, fror bis ins Innerste, trotz der längst erwachten Frühlingssonne; und er fühlte sich plötzlich sehr, sehr alleine.

In einer fast körperlichen Anstrengung versuchte Elrond, den Heerführer in sich zu wecken, jenen entschlossenen, gnadenlosen Strategen, der  Soldaten wie Schachfiguren auf dem Spielbrett des Krieges verschob, um zum Zeitpunkt der Abrechnung als derjenige König dazustehen, der sich die meisten Bauern, Türme, Ritter und Springer bewahrt hat, doch dieses eine Mal fiel ihm das schwer, unendlich schwer. Und schliesslich, mit einem unbestimmten Gefühl der Trauer, wurde ihm klar, was fehlte. Die Waldelben hatten zwar ihren König bereits verloren, doch ihm fehlten seine Königin und ein Ritter.

Und auf einmal wurde Elrond mit schmerzlicher Klarheit bewusst, dass seine Figuren in diesem Spiel falsch, gänzlich falsch verteilt waren, und dass er nichts weiter war als ein nur unzureichend gedeckter König. Elrond fürchtete den Beginn des Spiels.

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Ein Ork allein ist eine ziemlich hässliche Angelegenheit. Von abstossendem Aeusseren, physisch sowie psychisch missgestaltet, beschäftigt sich sein eingeschränkter Verstand nur mit Fressen, Kämpfen und Töten, wobei es sich bei seinen Opfern auch um einen Artgenossen handeln kann, wenn andere nicht zugänglich sind, wenn die Langeweile ihn dazu zwingt, Streit zu suchen.

Er ist unberechenbar, weil er selbst längerfristig nichts berechnet, und das macht ihn gefährlich, doch alleine ist er eine feige Figur, eine Hyäne, die aus dem Hinterhalt zuschlägt, und davonrennt, wenn sein Opfer zu heftig zappelt oder unerwartet die Zähne zeigt. Ein Ork überlässt, wenn es denn sein muss, seine Beute den Löwen, um sich dann an den Resten, die diese zurücklassen, gütlich zu tun.

Eine Gruppe von Orks ist etwas ganz anderes. Ihre Vielheit scheint ihnen Mut und Stärke zu verleihen, die ihnen individuell grundsätzlich mehr oder weniger fehlt.

Orks greifen dann offener an, auch stärkere Gegner, und ihre Entschlossenheit hat eine gänzlich andere Dimension; sie wanken erst in ihren Angriffen, wenn die meisten von ihnen tot in ihrem Blute liegen.

Eine Rotte von ihnen ist gefährlich, und ihr Anblick füllt nicht nur die Herzen der Elben mit Abscheu und Hass. Auch das Land ächzt dann unter ihren Tritten, wird grau, düster, besudelt; und alles Leben, das dazu noch imstande ist, flieht aus ihm.

Am gefährlichsten aber sind die Orks, wenn ein mächtiger, fähiger Geist es versteht, ihre Kampfkraft in die richtigen Bahnen zu lenken und sich ihrer Loyalität mit Versprechungen reicher Beute zu versichern. Sein Lohn für diese Mühen ist eine mächtige, schreckliche, gnadenlose Armee, eine plündernde, sengende, raubende, mordende Horde, deren Anblick alleine genügt, selbst erfahrenen Männern den Mut zu rauben.

Sie sind eine mächtige, vielleicht zu mächtige, Waffe in der Hand desjenigen, der sie zu handhaben versteht...und Saruman besass sicherlich all die erforderlichen Qualitäten dazu.

Die Orcs sammelten sich, eine schwarze, dunkle, blutdurstige Horde, ihre Bekleidung ebenso wild durcheinandergewürfelt wie ihre Waffen, vereint nur in ihrer Ungeduld, ihrer Gier nach einem Kampf und ihrem Hunger nach Beute. Sie sammelten sich im Norden, in den Wäldern, und sie waren wie die Bluthunde nach einem langen Winter, die geifernd und keuchend an ihren Ketten zerrten, auf der ersten Jagd, wenn der Rausch des Hetzen wieder ihre Sinne betörte.

*****

Saruman streichelte mit seinem Daumen über das Gefieder des schwarzen Vogels mit den wissenden Knopfaugen. Der Screeker hackte nach seinem Finger. Der Zauberer ignorierte den Schmerz, obwohl der Vogel ihm eine kleine, blutende Wunde zugefügt hatte. Physische Schmerzen erreichten ihn nicht mehr in seinem Rausch des Erfolges, jetzt, da Elronds Ring für ihn in greifbare Nähe gerückt war.

„Die Waldelben sind gerüstet und angriffsbereit..." wiederholte er die Worte seines schwarzen Spions. „Sie sammeln sich im Norden, dort wo Bruchtals Wälder dicht und dunkel sind; und schlecht bewacht." Ein böses Lächeln verzog seine dünnen Lippen, als er an den Hass dachte, den er in Nerdeins Augen gelesen hatte nach seiner lapidaren Mitteilung über Elwynes Tod. Der Elb hatte keine Sekunde an seinen Worten gezweifelt – ebensowenig wie er daran zweifelte, dass Elrond Legolas in der  Tat vergiftet hatte, so wie er auch Elwyne beseitigt hatte. Gut, dass die Elben, ihm, Saruman, anscheinend mehr Vetrauen entgegenbrachten, als sie es einander jemals getan hatten...

Nun, er hatte seine böse Saat gesät, und nun war sie erntebereit. Denn morgen würden, das war er sich jetzt sicher, die Waldelben Bruchtal angreifen; und zwar nicht nur im Bestreben, Legolas zu befreien, sondern auch mit dem verzweifelten Verlangen nach Rache für Elwynes Tod. Und Elrond, der die Gefahr von seitens der Waldelben noch immer unterschätzte – würde bei dem Anblick der entfesselten Waldelbenkrieger aus allen Wolken fallen! Ob der Elbenkönig überhaupt Wachen aufstellen würde? Nun, es spielte keine Rolle. Selbst wenn er hunderte von Soldaten aufstellen würde – mit dem, was die Waldelben von ihnen übrigliessen, würden seine Orks spielend fertigwerden. So wie sie mit Thranduil's Volk fertiggeworden waren, damals, als der Düsterwald brannte.

Triumph und Gehässigkeit durchdrangen seine Gedanken wie die ersten Sonnenstrahlen den Morgennebel. „Nun, Elrond..." dachte er. „Hättest Du gedacht, dass es einmal so weit kommen würde, dass Du Krieger aufstellen musst, um dich und dein Haus gegen Elben zu verteidigen?

Noch heute abend wirst Du vor den Trümmern deines Reiches stehen; und deines Lebenswerkes; und du wirst den Untergang deines Volkes beobachten müssen, ohne irgendetwas dagegen tun zu können. Du wirst vor mir knien, Elrond, deiner Arroganz, deines Stolzes, deiner Macht und deiner Würde beraubt, und deinen eigenen Ring an meiner Hand küssen.

All dies wirst du tun, während ich, Saruman, mich zum neuen Herrscher von Bruchtal ausrufen werde, ein Triumph, wie er nur einer von vielen sein wird, wenn ich alle Elbenringe in meiner Gewalt habe. Meine Orks stehen hinter mir, in geschlossenen Reihen. Wo sind deine Freunde, jetzt, da du sie brauchst, Elrond vom Bruchtal?"

Fortsetzung folgt...

Anmerkung der Autorin: (Fast) kein Legolas, kein Aragorn, keine Arwen, kein Sam... Grausam, ich weiss! Nun, es scheint ja auch ohne sie so einiges zu passieren in Bruchtal...auch wenn es nichts ist, das ihnen gefallen würde! Nun, mit diesem Kapitel ist der letzte (grössere) Teil dieser Geschichte eingeleitet worden, und wie immer wäre ich überglücklich (ehrlich, das ist KEIN blosses Dahergerede), wenn ihr ein, zwei Worte darüber verliert, wie es euch gefallen hat... (AllenLesern einenBambiblickzuwerf) Füttert mich!

Ach ja, und mein Computer ist offiziell und irreparabel tot, dieser... ups, dies gilt ja als PG13-material, also lass ich das... item, ich hab meinen geliebten kleinen Laptop/Labtop (ich arbeite in einem Labor) netztauglich gemacht (unglaublich, aber wahr) und kann deshalb weiterschreiben, aber was ich nicht mehr retten kann, sind einige Seiten meiner neuen Geschichte...heul! Ich war schon auf 45 Seiten, und jetzt bin ich auf 37 zurückgefallen... schnüff!

Für Yvanne: Wenigstens scheinst Du die Arbeit mit Humor zu nehmen...das „dumdidum" klang ein bisschen danach. (Ich fands jedenfalls unheimlich komisch, auch wenn es für dich nicht so lustig ist) Nun ja, Arwen und Aragorn sind noch nicht zurück (das dürfen die nicht, würde mich unheimlich stören), doch Elrond hat in der Tat, wie Du das sagen würdest, Verstand angenommen. Pech für ihn, dass Saruman ihm noch immer einen Schritt voraus ist! Ich hoffe, das update hat nicht allzu lange gedauert!

Für Evellon: Nöö, ein halbes Jahr warten mit update würde ich niiiieeee tun, das mache ich nur mit den englischsprachigen Lesern J Und jeglicher „Stress" beim Schreiben wird natürlich durch den Erhalt von netten kleinen reviews wiedergutgemacht... Zum Glück sind meine Geschichten (ab jetzt) meist pfannenfertig geschrieben, bevor ich das erste Kapitel veröffentliche, und ich brauche nichts weiter zu tun, als die einzelnen chapters nochmals zu lesen und ins Netz zu werfen! Danke für das lange review! Das verdient natürlich ein langes Kapitel zur Belohnung.

Für Shelley: Ahem, räusper, was sag ich denn dieses Mal?! Ach ja, ich hab das mit Sam extra gemacht, damit ich ein review kriege J ! Ziemlich peinlich, schnüff. Ich nehm all das Zeugs raus, wenn (Achtung, jetzt kommt mein Lieblingsatz, nebst : wenn...ich Geld habe)...ich Zeit habe! Ich hoffe natürlich, dass auch dieses Kapitel den „Spannungsansprüchen" genügt!

Für Shade: Nun, MIR kommt die Woche immer viel zu kurz vor, vielleicht ist es dir ja ebenso ergangen! Wenigstens gibt es jetzt wieder ein ziemlich langes Kapitel... extra „legolasspannungsfrei" für eventuell angespannte Nerven, die besorgt über seinen Zustand sind J ! Aber Legolas umbringen, fünf Kapitel vor Schluss... das würde ich nie tun!

Für Heike: Fast hätte ich noch vergessen, für das e-mail review zu danken! Das hole ich hiermit nach!

Also, gleiche Welle, gleiche Stelle nächsten Freitag oder Samstag!