19. Auf Messers Schneide
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‚Wieviele Krieger haben Dir zur Rettung Bruchtals wohl gefehlt?' dachte Saruman und beobachtete mit nicht geringer Genugtuung die immer offensichtlicher werdende Niederlage der Elben vor seinen Augen. ‚Fünfzig vielleicht? Ja, ich glaube, wenn Du fünzig Krieger mehr gehabt hättest, hättest Du das Blatt zu wenden vermocht. Dreissig, um deine linke Flanke zu verstärken, zwanzig auf der andern Seite, dort, wo jetzt die Orks ebenfalls kurz vor einem Durchbruch stehen, wenn auch ihre Zahl stark dezimiert wurde – und du hättest deine Leute zum Sieg führen können. So wenige Krieger fehlen dir, Elrond, und doch hast Du zehn von ihnen zu meiner Bewachung abkommandiert? Fast wäre ich gerührt, für wie gefährlich Du mich hälst... Aber gleich wird es so weit sein. Gleich ziehst Du meine Bewacher ab, um deine bröckelnde linke Verteidigungslinie zu stärken. Oder deine GEFALLENE, um es präzise auszu-drücken. Gleich bist Du verzweifelt genug, dies zu tun, owbwohl du weißt, dass ich in dann augenblicklich deinen Händen entgleiten werde, so sicher, wie der Falke die Krähen abschüttelt, die ihn verfolgen. Gleich wirst Du sie abziehen – ich kenne deine Gedankengänge nur zu gut – in der Hoffnung, den Zug der Orks auf Bruchtal doch noch aufhalten zu können, eine trügerische Hoffnung, so trügerisch wie grünes Flusseis im Frühling, wie du bald sehen wirst.
Aber eines muss man dir lassen, Elrond: Du bist zäher, als ich dachte. Ich dachte, du würdest meine Bewacher schon viel früher abrufen...'
Sarumans Augen suchten unablässig Elrond's hohe Gestalt, während er dies dachte, wie dies auch die ihn umzingelden Elben taten, wenigstens die Unerfahreren, und in ihren ansonsten so stoischen Gesichtern arbeitete es. Ab und zu warf einer von ihnen einen sorgenvollen Blick über die Schulter. Der Kampfeslärm – oder der Verlauf der Schlacht, soweit sie ihm folgen konnten – schien sie zu erschüttern, denn eigentlich konnte es ihnen nicht entgehen, wie schlimm ihre Sache stand. Doch sie waren gute Soldaten. Ihr Befehlshaber hatte ihnen befohlen auszuharren, und genau das würden sie tun, selbst gegen ihre eigene Ueberzeugung, gegen ihren eigenen Willen. Sie würden ausharren, bis Elrond sie in den Kampf rief, oder aber bei seiner, Sarumans, Bewachung, sterben.
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Elrond hatte in der Tat den Befehl schon auf der Zunge gehabt, der Saruman von seinen Wachen befreit hätte, wie dieser richtig vorhergesagt hatte, als der Elbenkönig verzweifelt genug war, selbst das Entkommen des weissen Zauberers zu riskieren. Doch er kam nicht mehr dazu, einen solchen zu äussern, denn er verlor Saruman aus den Augen, als eine Rotte Orks auf seine Gruppe an Kämpfenden zupreschte, zahlreicher, und unversehrter, als ihm lieb sein konnte, die Waffen kampfeslustig erhoben – eine ernsthafte Bedrohung für sowohl seine als auch die Kräfte seiner Mitstreiter, zumal zwei von ihnen Waffen trugen,die unverkennbar nach Armbrüsten aussahen. Schussbereiten Armbrüsten!
Elrond wartete nicht, bis sie heranwaren. Ein leichter Schenkeldruck, ein leiser Schlachtruf, der eigentlich nur für ihn selbst gedacht war – sein Pferd preschte nach vorn und trug den Elbenkönig mitten unter die Orks, von denen er zwei erschlug, bevor sie, über seinen tollkühnen Angriff überrascht, eine Bewegung der Gegenwehr hatten machen können. Doch die andern erwiesen sich als nur zu geistes-gegenwärtig, denn dann fielen zwei der Krieger, die erschöpft, blutverschmiert, doch verbissen, dicht neben ihm gekämpft hatten, fast in der gleichen Sekunde; und Elrond war sich bewusst, dass zumindest einer von ihnen sich vor einen Pfeil geworfen hatte, der ihm, dem Elbenkönig gegolten hatte, ein bewusstes, selbstloses Opfer, das Erlond Herz erschütterte, und das wohl unbelohnt, und unbesungen bleiben würde, weil niemand mehr am Leben war, der davon erzählen konnte.
Der Mörder seines Retters fiel eine Sekunde später, und Elrond, dessen Gesicht jetzt wutverzerrt war, warf sich den nächsten Orks entgegen, die sich ihm entgegen-drängten, die furchterregenden Fratzen vor Blutgier entstellt, und er erschlug viele von ihnen, immer begleitet von dem furchteinflössenden Gefühl, dass für jeden Ork, den er erschlug, zwei neue dessen Platz einnahmen, als wären sie einem Medusenhaupft entsprungen, das zwei Schlangen gebärt an der Stelle, an dem ihm eines abgeschlagen wird.
Die Gewissheit über die Niederlage der Elben kam beiläufig, nicht als grosser Schock, und sie brachte keine grosse Trauer mit sich, höchstens eine leise Melancholie, dass das alles so enden musste – in einer Niederlage gegen solch finstere, grausamse Kreaturen, die Mittelerde mit ihrer blossen Anwesenheit besudelten.
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Saruman hätte lange gewartet, bis seine Bewacher von Elrond abberufen worden wären, denn in der Tat war der Elbenkönig, der jetzt unmittelbar um sein Leben kämpfte, nicht mehr in der Lage, einen entsprechenden Befehl zu äussern, doch das war auch nicht nötig, denn die Schlacht holte jetzt seine Bewacher ein.
Eine Schar Elben, die an der rechten Flanke kämpften, waren von den Orks weiter und weiter zurückgetrieben worden, immer in Saruman's Richtung, und während der Zauberer diese Bewegung anfangs misstrauisch beobachtet hatte – auf keinen Fall wollte er in die Schlacht hineingezogen werden – hatte sich dieses Misstrauen rasch in ahnungsvolle Vorfreude umgewandelt, als die elbischen Kämpfer, denen längst die Pfeile ausgegangen waren, nach und nach fielen.
Seinen Aufpassern konnte dies nicht entgangen sein, doch hartnäckig wie gut geschulte Jagdhunde wendeten sie noch immer keinen Blick von ihm, und nur in den zunehmend nervösen Bewegungen ihrer Pferde konnte man ihre eigene Nervosität ermessen, die sich auf ihre Tiere übertrug.
‚Kommt näher, meine Orks!' dachte Saruman, während eine Gänsehaut seinen Körper zu überziehen begann, und seine Nerven vor Anspannung vibrierten. ‚Kommt näher! Hier gibt noch mehr Elbenfleisch für euch zu jagen!'
Und dann kamen sie, eine ganze Rotte von Orks, zwanzig Krieger vielleicht, ganz so, als hätten sie ihn gehört, als würden sie nicht einfach genau das tun, was ihnen ihr blutrünstiger Verstand eingab, und das war töten, alles töten, was nicht nach einem Ork aussah; und dann kam der Moment, an dem selbst die Elben um ihn herum nicht mehr länger in ihrer Position ausharren konnten – einige warfen sich herum, und die ersten Pfeile schwirrten den sich annähernden Orks entgegen, trafen ihr beabsichtigtes Ziel mit atemberaubender Sicherheit, und vielleicht wären die Elben mit diesen ihren Gegnern fertiggeworden, wären ihnen nicht noch mehr Orcs gefolgt, die erkannt hatten, dass ein Durchkommen in der Mitte zwar nicht unmöglich, aber mit hohem Blutzoll bezahlt werden musste. Wenn es da einfachere Wege gab...
Dann erreichten die ersten Orks ihre Gegner, zwangen sie, die Bögen fallenzulassen und mit den Schwertern weiterzukämpfen, und als einer seiner zähesten Bewacher, dessen Pfeil noch immer unverändert auf Saruman gerichtet war, durch einen Ork-Speer im Rücken röchelnd vom Pferd stürzte, da gab der letzte Elb, der Saruman noch im Auge behalten hatte, auf, und begann, um sein Leben zu kämpfen, und damit nahm das Verhängnis seinen Lauf, denn Saruman, der weisse Zauberer, war frei, frei, um den Sieg zu geniessen, den seine Orks für ihn errangen, frei, den Ring Elronds an sich zu nehmen, frei, über grosse Teile Mittelerde's zu herrschen und es nach seinem Willen zu formen.
Saruman hatte es nicht eilig, sich von der Schlacht zurückzuziehen. Gelassen beobachtete er, wie seine Wachen – nach erbitterter Gegenwehr – einer nach dem andern niedergemacht wurde, dann wandte er, fast gelangweilt von dem Anblick, der sich ihm bot, den Blick ab, um nach Elronds Gestalt im Schlachtgetümmel zu suchen. Er kümmerte sich nicht darum, dass ein Elb, von einem Armbrustpfeil durchbohrt, seinem Pferd direkt vor die Füsse fiel und es fast kopfscheu machte.
Vielleicht hatte der Elbenhund Elrond es geschafft, bis jetzt am Leben zu bleiben!
Auf den ersten Blick konnte Saruman ihn nicht entdecken. Dies mochte nichts bedeuten – überall auf dem Schlachtfeld fanden noch immer erbitterte Kämpfe statt – doch dann, während er einen Fluch zwischen den Zähnen zerbiss, fiel sein Blick zwar nicht auf Elronds, aber doch auf bekannte, grimmig entschlossene Gesichter, kaum erkennbar unter all dem Blut und Schweiss, das sie bedeckte, und sie hielten ihre Pferde auf ihn zu, gefolgt von drei, vier andern Elben, die nicht weniger grimmig aussahen.
Für einen Augenblick fühlte Saruman, wie ihm das Blut zu Kopf stieg, und sein Instinkt warnte ihn zu fliehen, doch dann spürte er die beruhigende Präsenz von einigen im Siegesrausch triumphierend brüllende Orks um sich, und er beherrschte sich. ‚So, Legolas Thranduilion!' dachte er. ‚Oder auch du, Königsschatten Nerdein! Glaubt ihr in der Tat, mich jetzt noch aufhalten zu können, so unmittelbar vor meinem Sieg? Zwei, drei kümmerliche Elben gegen mich, Saruman den Weissen? Fast könnte man Mitleid haben mit euch, ihr Narren, die ihr euren Tod geradezu herausfordert!'
Und Saruman wartete, bis sowohl Legolas als auch der alte Hauptmann nur noch einige Meter entfernt waren, dann hob er die rechte Hand zu einem Zauber, einem todbringenden, wie man in seinen Augen sehen konnte – und senkte sie wieder, als einer der Orks, die sich um ihn herum versammelt hatten und Atem schöpften, anscheinend ihr Hauptmann, herausfordernd, fast aggressiv, etwas knurrte. Einige der Orks stimmten darin ein.
„Du hast recht." sagte Saruman sanftmütig, ein gelbes Licht in seinen Augen.
„Ich überlasse sie euch. Besonders den gelbhaarigen Elben. Tötet sie."
Er sagte es emotionslos, noch weit entfernt von dem Hass, den er einmal gegen einen kleinen Hobbit hegen würde, der seine Pläne vereitelte, und der ihm schliesslich den Tod bringen würde. Nein, Saruman hasste Legolas nicht, der gleichsam unwissend zur Schlüsselfigur in all seinen Plänen geworden war, er war bloss ein weiteres Hindernis auf dem Weg zur Verwirklichung seiner Träume, und solches musste er vernichtet werden. „Tötet sie." wiederholte er und zog sich etwas zurück, um nicht noch einmal ins Blickfeld eines Elben zu geraten.
Ein schwarzer Ring von Orks begann, sich um Legolas und seine drei Begleiter zu ziehen.
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Dann streifte ein Schwert seine Schulter; und während das Adrenalin schockartig seinen Körper durchflutete, und noch immer neue, verborgene Kräfte zu mobilisieren vermochte – die Valar alleine wussten, woher sie kamen – sah Elrond sich wie erwachend um, sah, dass seine Alpträume begannen, konkrete Formen anzunehmen, denn die Elben wichen zurück, wichen zurück, während die Orks ihre versprengten Kräfte erneut zu sammeln begannen; und obwohl er auch die nächsten Schwerthiebe abwehrte, die auf sein Leben abzielten, selbst den Speer zerschlug, der um Haaresbreite seine Schulter verfehlte, schien ihm die Anstrengung jetzt fast zu gross dazu, und er fragte sich, ob er von einem grausamen Schicksal dazu bestimmt worden war, den Fall der Bruchtalelben von anfang bis Ende mitzuerleben, oder ob es ihm vergönnt sein würde, vorher zu fallen.
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Und dann passierte etwas, womit weder Elrond, noch Saruman, ja noch nicht einmal Gandalf gerechnet hatte, und es veränderte das Schicksal Mittelerdes.
Fortsetzung folgt...
Anmerkung der Autorin: Tja, ich hab nicht viel zu sagen (aussergewöhnlicher Zustand bei mir!), ausser: Am nächsten Samstag gibts das zweitletzte Kapitel! Bis dann! Oder soll ich wieder mal um reviews betteln? Hab ich schon lange nicht mehr explizit getan, oder? Also an alle da draussen, die soweit mitgehalten haben: Kommentare sind wie immer herzlich willkommen....
Für Shelley: Mmh, ich hätte das letzte Kapitel nicht von demjenigen, das hier steht, splitten sollen, oder? Es passiert zwar auch nicht wirklich viel, aber immerhin gibts sowas wie einen cliffhanger. Ich gebe zu, die ganze Schlachtszene ist extrem episch geraten (verglichen mit den Zeilen, die ich andern wichtigen Ereignissen gewidmet habe), aber seit ich die „Eröffnungskampfszenen" zum FotR gesehen habe, hatte ich den Wunsch, sowas zu beschreiben... wenn auch im kleineren Rahmen! Den Rest kennt ihr selber... man schreibt etwas...wird länger...und länger...und länger... (wie ich in diesem Kommentar) Naja, König der Bruchtalelben hätte ich auch nicht schreiben sollen, es war nämlich eher so etwas wie „augenblicklicher Befehlshaber" der Waldelben gemeint. Die Aufklärung über die Geschehnisse in Bruchtal folgt dann im übernächsten Kapitel, versprochen! Ich hab sie ja zurückgehalten, wie schon gesagt, um die „Dramatik" der Schlacht zu steigern, und ich muss jetzt eben erst den Faden der Schlachtszene fertigspinnen, bevor ich auf den fallengelassenen Faden von Aragorn, Sam und Arwen (kurz) zurückgreife...
Für Leahna:
Ja, bei mir war das Wochenendfeeling auch ganz besonders ausgeprägt. Es lohnt sich fast, so einen Riesenstress mit einer Arbeit zu haben, nur um dann die Erleichterung danach zu geniessen! Ich hoffe, mit diesem weiteren Kapitel noch etwas Lesefutter für den Sonntagabend zu liefern!
