21. Gerettete Seelen
Legolas stand einfach da, reglos, mit seiner linken Hand schützend seinen rechten Arm umklammernd, während er versuchte, den Schleier aus Schweiss und Tränen wegzublinzeln, den der Schmerz über seine Augen gelegt zu haben schien, und der es ihm schwermachte, abzuschätzen, was um ihn herum passierte, etwas, was ihm einigermassen leicht gelang, aber dem Schleier aus Erschöpfung, Müdigkeit und uneingestandener Todesangst, der sich über sein ganzes Wesen gelegt hatte, dem hatte er kaum etwas entgegenzusetzen, jedenfalls nicht für lange.
Er widerstand ihm lange genug jedoch, um zu begreifen, dass er noch am Leben war, und dass sein Messer sich direkt vor seinen Füssen befand, wo es wartend, einladend, lag, sein Silber blutbefleckt, und Legolas bückte sich instinktiv, um nach ihm zu greifen – vielleicht gaben auch ganz einfach nur seine Knie unter ihm nach, es war schwierig zu sagen – doch dann verschwamm die Welt um ihn, kalter Schweiss brach ihm am ganzen Körper aus, und während in seinem rechten Arm ein fast unerträglicher Schmerz aufblühte, sank er mit einem leisen Klagelaut zu Boden.
Doch obwohl jetzt eine gnädige Dunkelheit über ihm zusammenschlug, schnell wie der Deckel über den Sarg eines Verstorbenen, spürte er noch, wie sich jemand neben ihm aufbaute, die Beine gespreizt, jemand, der stark und unverrückbar war wie ein uralter Felsen, und dann sah und fühlte er nichts mehr, obwohl er das Bewusstsein nie ganz verlor, und der Aufruhr der sich zu Ende neigenden Schlacht verebbte zu einem Klangteppich, der nicht lauter war als das leise Summen von Insekten auf Waldlichtungen an hellen Sommerabenden.
Und Nerdein, der Beschützer der Königsfamilie, der soeben sein Leben gerettet hatte, stand über seinem Schützling, gross und grausam und unbesiegbar an jenem Tag, und er verteidigte die Ohnmacht seines Prinzen gegen jeden, der sich ihnen annäherte, und jeder, der dies getan hätte, hätte anschliessend schwören können, dass die Augen des alten Haudegens dabei geglänzt hatten in einem warmen, fröhlichen Licht, und dass er, während er noch einige seiner Feinde schlachtete, eine leise, doch ausgelassene Melodie sang, eine helles Lied, das vom Frühlingsanfang im Düsterwald erzählte. Um sie herum, da ging die Schlacht zu Ende.
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Von den Elben schien allein Nerdein nichts von seiner zurückhaltenden Art verloren zu haben, denn er stand da, aufrecht, mit gelassenem Ernst, scheinbar unberührt von dem Jubel der überlebenden, siegreichen Elben um ihn herum, und hielt weiterhin seine Wache, während Legolas Thranduilion, der Prinz des Düsterwaldes, gegen seine Beine gelehnt, im Gras sass, das Gesicht aschgrau, die Augen seltsam unbeteiligt, seine Kleider zerrissen und blutig auf der rechten Seite seines Oberkörpers, mit Nerdeins schützendem Schwert über ihm, dessen Gesicht, aus dem Nahen betrachtet, einen ruhigen, fast friedvollen Ausdruck zeigte.
Das war es, was Elrond sah, als er die beiden fand.
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„Legolas! Legolas! Thranduilion!" Ein Schatten beugte sich über ihn, packte ihn grob an den Schultern, schüttelte ihn. „Thranduilion!" Die befehlende Stimme drang in seinen Verstand wie Splitter von zerbrochenem Glas, und Legolas runzelte die Stirn. Der Griff des Schattens über ihm war schmerzhaft, und er öffnete den Mund, um dies zu sagen, doch keine Worte formten sich in seiner Kehle, und so entschloss er sich, stattdessen die Augen zu öffnen. Mit einiger Anstrengung vermochte er es endlich, seinen Blick auf seinen Peiniger zu fokussieren, und als er die Besorgnis in dessen Zügen bemerkte, vergab er ihm, versuchte sogar, zu lächeln, rein mechanisch, denn sein Herz war nicht dabei, doch das schien sein Gegenüber nicht weiter zu stören, denn seine Anstrengungen wurden mit einem erleichterten Ausruf belohnt. „Legolas! Endlich! Ich dachte schon…"
Legolas hörte auf zu lächeln. Lächeln schmerzte. Eines seiner Lider zuckte. Er war müde, so sterbensmüde, und ein dumpfes Feuer schien seinen rechten Arm von innen her auszubrennen und jegliche Energie, die noch in ihm verblieben war, aus ihm herauszusaugen. Doch da war eine Frage in seinem Kopf, die sein Verstand immer wieder aufwarf, und die ihn daran hinderte, ganz einfach in Ohnmacht zu sinken, und einige Augenblicke später vermochte er sie zu formulieren: „Saruman? Orks?" Er hasste es, wie dünn seine Stimme klang, doch Elrond, der seine Schulter nie losgelassen hatte, verstand ihn nur zu gut.
„Wir haben gewonnen." sagte er. „Wir haben die Orks besiegt, und euer Volk ist gerächt."
Legolas zeigte seine Zähne, in einem weiteren Versuch zu lächeln, der allzu kläglich ausfiel. ‚Das denkt IHR, Lord Elrond.' sagte eine kleine Stimme in seinem Kopf. ‚Glaubt ihr wirklich, dass der Waldelben Verlangen nach Rache hiermit gestillt werden konnte? Ihr solltet wissen, dass diese Schlacht nicht ausreicht dazu, genauso wenig wie ein Tropfen Wasser für einen Verschmachtenden ausreicht...' Er sprach diese seine Gedanken aber nicht aus, dass Elronds „Friedfertigkeit", die er die ganze Zeit über bewiesen hatte, seine Wurzeln in Sorge und ehrlichem Interesse für das Schicksal der Waldelben hatte, doch der Elbenkönig, der seine Augen nie von ihm abgewendet hatte, schien etwas von Legolas' hasserfüllten Gedanken in dessen Gesicht zu lesen, denn sein Blick wurde plötzlich hart, und er liess – endlich – Legolas Schultern los, und der Prinz sank gegen Nerdeins Beine zurück, eine Bewegung, die das Feuer in seinem Arm neu aufflackern liess und lockend nach den lauernden Schatten einer Ohnmacht rief.
Dann wurde ein Becher mit Wasser an seine Lippen gehalten – Elrond konnte fürsorglich sein wie eine Mutter, wenn ihm der Sinn danach stand – und wenn er seine ganze Aufmerksamkeit, oder gar Zuneigung, jemandem zuwandte, das bemerkte Legolas jetzt, dann war es schwierig, sich dem fast greifbaren Charisma des Elbenkönigs zu entziehen, und nach einem kurzen Zögern – zu frisch war noch die Erinnerung an Sarumans Versuch, ihn zu vergiften – trank er, und er verschluckte sich und hustete, doch das erfrischende Wasser verfehlte nicht seine Wirkung auf ihn und brachte etwas von des Prinzen alter Geistesgegenwart zurück.
Legolas begriff plötzlich, dass er gegen Nerdeins Beine gelehnt sass, in einer ziemlich unbeeindruckenden, und unköniglichen Haltung, doch er fühlte sich zu schwach, dies zu ändern, wollte dies vielleicht auch gar nicht, denn mit dem alten Soldaten, der über ihm wachte (obwohl er diesen nur als Schatten ausmachen konnte), da fühlte er sich sicher wie jemand, der nach einer langen, langen Reise nach Hause kommt und die ersten Hügel seiner Heimat in der Ferne erlblickt. Ja, hier zu sitzen brachte ein leises Gefühl von Freude zurück in sein Herz, etwas, das er lange nicht mehr gefühlt hatte, und unreal, in seinem geschwächten Zustand, so schien ihm der Geruch von Blut und Tod plötzlich, der über dem Schlachtfeld hing, so unreal wie die Leichen der Gefallenen, die überall lagen mit glasigen Augen, und er sah sie auch nicht richtig, denn, wie es einem blinden Mann ergeht, der erneut zu sehen beginnt, nachdem er viele Jahre in der Dunkelheit gelebt hat, da wusste er plötzlich, was allein wichtig war: Sein Gesicht von der Dunkelheit abzuwenden und Sonne und Licht zu suchen, unabhängig davon, wie lange man vorher im Dunkeln geganen ist.
Aengstlich schaute er um sich, suchte nach den Gesichtern, die er kannte und für die er sich sorgte: Die Gesichter von Waldelben, das von Aragorn, und Gandalf, und sein Glücksgefühl intensivierte sich, als er einige von ihnen lebendig fand; obwohl er sich selbst noch nicht sicher war, ob er sich über SEIN Ueberleben freute.
Ein erstes ehrliches Lächeln wärmte jetzt sein Gesicht, das erst erlosch, als sein wandernder Blick denjenigen von Merennwen Oronar traf, einer eher kleinen, für eine Elbin fast stämmige Waldelbin traf, die den Ruf hatte, eher brüsk zu sein – eine Charaktereigenschaft, die ihr sicher von Nutzen gewesen war, als sie die Attacke der Waldelben gegen die Orks geführt hatte – und er sah ihr Haar, das in wilder Auflösung ihr um den Kopf hing, ihre blutgeröteten Kleider und ihr Schwert, und ihre Wangen, die in den Farben dunkelroter Rosen glühten.
„Ihr habt gekämpft." stellte er fest, eine seltsame Mischung von Stolz und Resignation in seiner Stimme.
„Das haben wir." stimmte Merennwer zu, gelassen diese Tatsache bestätigend, und sie lächelte. „Keine von uns ist zurückgeblieben!" Es klang einfach, wie sie es sagte, doch in ihrer Stimme klang berechtigter Stolz über ihr Tun.
Legolas seufzte. Genau das hatte er befürchtet.
„Euch war befohlen worden, nicht in den Kampf einzugreifen!" warf Nerdein anstelle des Prinzen ein, und in seinem Gesicht stritten sich sichtbar seine Bewunderung dafür, was diese Elbenfrau (als Befehlsführer) bewerktstelligt hatte, und seine Konsternierung über die Tatsache, dass sie so etwas Unweibliches getan hatte, und er sah sie an, als ob sie vielleicht beissen würde.
„Genau das wurde uns befohlen." sagte sie. „Von Prinz Legolas." Sie warf Elrond einen beiläufigen Blick zu, der mit wachsendem Unbehagen zu lauschen schien. „Doch Lord Elrond hat Legolas als Führer der Waldelben abgelöst, wie ihr euch vielleicht erinnert." Ein fast schelmenhafter Triumph war in ihrer Stimme, als sie fortfuhr: „Also, ER gab uns keine Befehle bezüglich unser Teilnahme an einem Krieg gegen unsere Todfeinde." Ein hässliches Licht war in ihren Augen, als sie auf die Orks anspielte, das sich aber gleich wieder verlor. „Nicht allzu viele von uns sind gefallen." Sie fügte es gedankenverloren hinzu, klang plötzlich traurig, und ihre Stimme war leiser als zuvor, als würde sie sich an all die Gesichter jener erinnern, die in der Tat gefallen waren, und bereits um sie trauern.
Nun war es an Elrond, einen gequälten Seufzer von sich zu geben, doch er wusste nur zu genau, was er den Waldelben schuldete, und weise genug entschloss er sich, zu diesem Thema nichts weiter hinzuzufügen.
„Das ist gut." sagte Legolas schliesslich, doch seine Stimme war noch immer leblos, und seine Augen schlossen sich erneut. Merennwar nickte nur ihr Einverständnis, während sie ihre Besorgnis über des Prinzen augensichtlich schlechten Zustand zu verbergen suchte, und Elrond ein herausforderndes Lächeln zuwarf.
Der Elbenkönig seufzte erneut. Er würde es wahrscheinlich nie lernen, die Waldelben zu verstehen. Vielleicht wollte er das auch gar nicht. Sie brauchten bloss zu sein, zu leben, das war alles, das er verlangte! Und er warf seinerseits Merennwer eines seiner, eher seltenen, jungenhaften Lächeln zu, sich ebenso jungenhaft freuend, als er bemerkte, dass sich ihre Wangen daraufhin zu einem noch dunkleren Rotton verfärbten. Er lächelte erneut, und dann begann er, Befehle zu geben darüber, wie die verwundeten und toten Elben nach Bruchtal zurückgebracht werden sollten.
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„Es ist noch nicht vorbei..." sagte eine düstere Stimme in seinem Rücken, leise, dazu gedacht, nur vom Elbenkönig selbst gehört zu werden, und vielleicht von Aragorn. „Es ist noch nicht vorbei, und es ist von allergrösster Wichtigkeit, dass ich unter vier Augen mit euch sprechen kann, Lord Elrond, so rasch wie möglich."
Gandalf, der sich keinen Schritt von Elrond entfernt hatte, als die Schlacht geendet hatte, hatte dies gesprochen, und die Spur von Angst, die in seiner normalerweisen so sicheren Stimme lag, war genug, um dem Elbenkönig einen kalten Schauer über den Rücken zu jagen. Nicht dass der Zauberer etwas gesagt hatte, dass neu für ihn, Elrond, gewesen war! Aber er hatte eine verdrängte, und uneingestandene Vorahnung in ihm geweckt damit, die jetzt über ihn herfiel nagend, drängend, zerrend, gleichsam wie die Screekers über die Kadaver der Orks, die über das ganze Schlachtfeld zerstreut lagen.
Fortsetzung folgt....
Anmerkung der Autorin:
So, das wäre soweit geschafft, und meine „Schlacht", wie die der Elben, schon fast geschlagen! Bleibt noch das letzte Kapitel, in dem (endlich!) die vorhergehenden Ereignisse (in sehr kurzer Form) geschildert werden, sowie ein Blick in die Zukunft Legolas' und die Waldelben geworfen wird... Hmm, ich weiss natürlich, dass Betteln unschön ist, aber ich tu's trotzdem immer wieder: Biiitte schreibt eure Kommentare...ich bin mir zum Beispiel noch immer unsicher, ob das mit den Waldelbinnen übertrieben war oder nicht... aber ich wäre halt nicht ich, wenn ich nicht sowas eingefügt hätte...(tatsächlich würden sich meine Freunde schlapplachen, wenn sie das lesen würden, weil sie mich gelegentlich beschuldigen, das ich einen sehr emanzipatorischen Touch habe... was ich selbstverständlich als Kompliment verstehe! Schöne Fastnacht/Karneval für euch wünsch ich euch! Letztes Kapitel gibts nächsten Freitag oder so! Ich muss jetzt aber dringend gehen... von irgendwoher hör ich die Klänge einer „Guggenmusik"...
Für Evellon: Legolas den Arm verlieren lassen, das würde ich NIE tun. Ich bin ein grosser Fan vom Bogenschiessen, und der Gedanke daran, dass er nie mehr einen Pfeil abschiessen könnte * schauder*! Nein, nein, Legolas hat genug eingesteckt die letzte Zeit, und ich bin froh, anzukündigen zu können, dass es mit ihm wieder aufwärts geht, jetzt und im nächsten Kapitel!
Für Eowyn: Es gibt noch ein letztes „letztes" Kapitel, weil ich böses Mädchen das zweitletzte aus cliffhanger-Gründen gesplittet habe. Die Gelegenheit war ziemlich günstig: Schlacht gewonnen, aber Hauptheld scheinbar verloren... Ich schreibe schon jeweils fünf bis acht Stunden (auch wenns unwahrscheinlich klingt, ich brauche eben ziemlich lange, in Form zu kommen) an einem Kapitel, und wenn ich wenig Zeit habe, dann poste ich eben eine kurze Variante, im Gegensatz zur englischen Gesichte, die zwar lange Kapitel hat, in der ich aber nur ca jeden Monat upgedatet habe!
