12. Kapitel: Nasser Engel
Severus und Harry hatten die Hälfte des Weges geschafft. Obwohl man eher sagen musste, dass Severus die Hälfte geschafft hatte, denn Harry hing an dessen Hals und war keine große Hilfe. „Sev, halt mal kurz mir ist schlecht." Und schon würgte Harry. Entsetzt sprang Severus weg und Harry fiel auf die Knie. Schon um einiges nüchterner, als vorher blickte ihn Harry an. „Tut mir leid. Hab mir wohl sehr viel Ärger eingehandelt." „Das könnte man so sagen. Das Gespräch mit Black ist wohl nicht so gut gelaufen?" Harry nickte betrübt den Kopf. „Zuerst lief es ganz gut, aber als ich ihm sagte ich wär schwul, hat er mich rausgeworfen, um es schön auszudrücken." Harry schniefte und wischte sich mit dem Handrücken über Augen und Nase. „Scheiß Leben!" Severus half ihm wieder auf. „Das kannst du laut sagen."
In Harrys Räumen angekommen brachte Severus ihn in sein Bett. Harry ließ sich in die weichen Kissen fallen und schlief gleich darauf ein. Severus seufzte. Er hatte gehofft, dass Harry sich noch selber umziehen hätte können. Vorsichtig knöpfte er das Hemd des Schlafenden auf. Kurz verweilte sein Blick auf der Narbe, welche sich quer über dessen Brust erstreckte, bevor er es ihm ganz auszog. Doch dann schüttelte Severus den Kopf. Er war ein Zauberer, verdammt! Mit einem Schwenker waren Harrys Sachen ordentlich über den nächsten Stuhl gelegt und Harry hatte seinen Pyjama an. Er löschte das Licht und ging dann, mit einem letzten Blick auf den Schlafenden, in seine eigenen Räume.
*
Harry streckte sich und blickte müde auf die Uhr, welche 11.37 Uhr anzeigte. Hastig wollte er aufspringen, hielt mitten in der Bewegung inne und versuchte seinen Kopf festzuhalten, da er glaubte, dass er sonst explodieren würde. Mit schmerzverzogenem Gesicht ließ er sich wieder in die Kissen sinken. Leise öffnete sich die Tür und herein kam Severus. „Morgen. Auch schon wach?" „Schrei doch nicht so." Ächzend richtete sich Harry auf. „Du solltest dich besser schnell umziehen. In 20 Minuten sollst du bei Albus sein." Ängstlich sah Harry ihn an. „Ist er sehr sauer?" „Das wirst du sehen, wenn du bei ihm bist. Hier, nimm den. Zwar werden die Schmerzen nicht weggehen, aber zumindest etwas gemildert." Severus reichte ihm einen Trank. Harry trank vorsichtig und schon wenige Sekunden später waren die Geräusche und der Schmerz, welcher sich wie Messerstiche angefühlt hatte, einem dumpfen, gleichbleibenden gewichen. Schon viel besser. Schleppend stieg er aus dem großen Bett und kramte sich seine Duschsachen zusammen und verschwand. Severus suchte währenddessen neue Sachen aus seinem Kleiderschrank und ließ die anderen im Wäschekorb verschwinden. Plötzlich hörte er ein Poltern aus dem Bad und einen schmerzlichen Schrei. Severus hastete zum Bad und riss die Tür auf, um es sogleich zu bereuen. Harry saß nackt auf dem Fußboden und hielt sein Schienbein umklammert. Geschockt starrte Harry ihn an. „Äh... äh..." Severus gestikulierte wild mit den Armen herum. Der geschockte Ausdruck verschwand und ein kleines grinsen schlich sich auf sein Gesicht. Es sah einfach zu witzig aus, wie der gefürchteteste Lehrer von der Schule mit leicht rotem Kopf, wild mit den Armen fuchtelnd und stotternd an der Tür stand. Harry schnappte sich ein Badetuch und schwang es sich um die Hüften. Vorsichtig versuchte er aufzustehen und rutschte sogleich wieder aus. Er schloss die Augen und wartete auf den Aufprall. Zwei starke Arme hielten ihn umklammert und verhinderten, dass Harry wieder auf den Boden knallte. Erstaunt öffnete Harry die Augen und blickte in Severus´ Gesicht. Dieser zog ihn wieder auf die Beine. Harry merkte erst jetzt, dass sein Handtuch sich beim Sturz gelöst hatte. Oh mein Gott! Ich stehe nackt vor meinem ehemaligen Lehrer! Panik befiel ihn. Fieberhaft wollte er aus dieser misslichen Lage kommen. Doch Severus hielt einfach nur fest. Harry beruhigte sich wieder etwas und starrte zurück. Das Wasser tropfte von seinen Haaren in Harrys Gesicht, über seinen Rücken... . Kurz kam ihm der Gedanke, wie seltsam es aussehen musste. Severus, der ihn festhielt und er, der nackt und nass vor ihm stand. Wie sie sich beide anstarrten. Aber genauso schnell wie er gekommen war, war er auch wieder weg. Sie sahen sich immer noch wie hypnotisiert an. Ein Räuspern. Beide wandten ihre Köpfe zur Tür. Dumbledore stand da und sah sie beide seelenruhig an. Blut schoss in Harrys Wangen und Severus ließ ihn augenblicklich los. „Das war nicht das, wonach es aussah." „Das hört man in letzter Zeit oft von euch!" Harry und Severus liefen augenblicklich scharlachrot an. Harry versuchte Severus zu helfen. „ Ich bin ausgerutscht und deswegen kam Severus rein und hat mir wieder hochgeholfen. Das war alles." Severus nickte zustimmend. „Ich stand hier schon fünf Minuten und die ganze Zeit habt ihr euch wie hypnotisierte Karnickel angeglotzt. Aber vielleicht werde ich langsam senil. Das kann natürlich auch sein." Damit wandte er sich ab. „ Harry, ich hoffe sie haben jetzt Zeit und kommen in den nächsten Minuten in mein Büro." Harry wandte sich von Severus ab und rannte in das Wohnzimmer. Severus sah ihm nach und ihm fiel nur ein Wort ein, welches Harry beschreiben könnte. Obwohl es kitschig war... so kitschig, dass sich alles in ihm sträubte... musste er an Engel denken. Ja... so müssen Engel aussehen, wenn es sie wirklich geben sollte...
