Kapitel 2
‚Und was nun?', fragte sich Narcissa Black und ließ sich auf ihr Bett sinken – gerade hatte sie sich damit abgefunden gehabt, daß ihr großer „Schwarm"nur ein kalter Fisch war und nun das... Oder steckte er mit Travers und Mcnair unter einer Decke? Natürlich, mußte er – es waren seine besten Freunde in Slytherin...
Jason sprang mauzend auf ihren Schoß und Narcissa streichelte ihn beiläufig.
‚Aber warum war er heute so nett?', fragte sie sich still, ‚Oder warum war er am ersten Tag so abweisend?' Sie grübelte vor sich hin, bis auch Ginger und Doreen in den Schlafsaal stürmten.
„Erzähle! Worüber habt ihr geredet?", platze es aus Doreen hervor und sie warf sich mit auf Narcissa's Bett, Ginger ließ sich auf ihr eigenes fallen und kaute an einem Apfel, wobei sie Narcissa neugierig grinsend anstarrte.
„Wie meint ihr das?", fragte Narcissa und drehte sich etwas von Ginger's bohrendem Blick ab, indem sie vorgab, ihren Kater höchst intensiv zu kraulen.
„Na komm schon, Cis! Ihr habt den gleichen Weg gehabt – da werdet ihr wohl miteinander geredet haben, oder nicht?", fragte nun Ginger und grinste noch breiter.
„Ja, haben wir. Aber über nichts Besonderes, wenn ihr es wissen wollt..." Narcissa lief rot an.
„So, so...", Doreen krabbelte über die Bettdecke und versuchte, Narcissa ins Gesicht zu schauen, wobei sie kicherte und gniggerte.
Narcissa atmete tief durch: „Er hat mir angeboten, Mcnair und Travers zu bitten, mit ihren Anmachversuchen aufzuhören, wenn ich das wollte.... Und er wußte meinen Namen noch!"Der letzte Satz kam fast wie ein Triumphruf aus ihrer Kehle und Doreen und Ginger quiekten erstaunt auf: „Iiiiiiehk!"
Eine Weile plapperten die Mädchen vor sich hin, dann mußte Ginger ins Bad – als sie zurückkam, grinste sie von einem Ohr zum anderen: „Ratet, wer im Gemeinschaftsraum seine Hausaufgaben macht – und so sitzt, daß er den Aufgang zu unserem Schlafsaal genau beobachten kann..."
„Is nich wahr!", rief Doreen – Narcissa sagte nichts, wurde aber erstaunlich bleich.
„Tja... Ich glaube, wir sollten auch langsam runtergehen und unsere Hausaufgaben machen, nicht wahr?", fragte Ginger provozierend und griff nach ihrer Tasche, die sie vorhin achtlos in eine Ecke geworfen hatte.
„Ich kann da nicht runter...", stöhnte Narcissa.
„Du mußt! Hier können wir nicht arbeiten – wir brauchen einen Tisch... Oder bist du zu feige?", fragte Doreen und grinste.
Narcissa wand sich: „Hausaufgaben... Ich mache meine wohl am Besten in der Bibliothek..."
„Wie du willst – ICH gehe da jetzt runter! Und wer zuerst kommt, mahlt zuerst!", sagte Ginger und stolzierte aus dem Schlafsaal.
„Cis! Ginger wirft sich Malfoy doch sofort an den Hals, wenn du nicht dabei bist! Willst du das etwa?", fragte Doreen besorgt. „Was ist denn mit dir! Erst willst du, daß er dich bemerkt und nun traust du dich noch nicht einmal, mit ihm in einem Raum zu sein!"
Narcissa schwieg. Was sollte sie auch sagen? Daß sie ihre Enttäuschung gerade halbwegs verarbeitet hatte – und nun Malfoy sie ansprach und ihre Knie wieder zu Pudding wurden, wenn sie nur an ihn dachte? Was könnte ein Siebtklässler schon von einem Mädchen wie ihr halten... Außerdem kam er aus einem sehr reichen Haus – ihr Familienzweig der Blacks war nicht gerade wohlhabend – zwar sehr angesehen, aber eben nicht wohlhabend.. Natürlich sah sie gut aus – das wußte sie – aber Malfoy war ebenfalls attraktiv – er hätte wohl jedes Mädchen in der Schule haben können, wenn er wollte. Aber er hatte noch nie eine Freundin – zumindest nicht in Hogwarts – wer weiß, was bei ihm zu Haus war? Es war kein Geheimnis mehr, daß Lucius zum Studium nach Frankreich wollte – vielleicht hatte er eine Freundin aus Beauxbatons? Narcissa war verwirrt – und wütend. Die Vorstellung, daß er irgendwo eine Freundin sitzen hatte und hier nur mit ihr, der schönen Narcissa, spielte, machte sie wahnsinnig.
‚Zeit, den Spieß umzudrehen, Mr. Malfoy!', dachte sie und sagte laut: „Nein, ich brauche einige Bücher aus der Bibliothek – Malfoy hat nichts damit zu tun. Und wenn sich Ginger zum Narren machen will, laß sie ruhig! Soll sie sich doch am kalten Fisch die Zähne ausbeißen – ICH habe DEN nicht nötig!"
Doreen glaubte ihrer Freundin kein Wort – und das zu Recht, sagte aber nichts, sondern folgte ihr die Treppe hinunter.
~~~
Lucius Malfoy hatte sich wirklich einen Tisch für die Hausarbeiten ausgesucht, an dem er den Aufgang zu den Mädchen beobachten konnte – wegen Narcissa.
Bisher hatten ihn Mädchen kaum interessiert – er konnte einfach nichts mit diesen ewig kichernden Gestalten anfangen, die ihn nicht selten offen anhimmelten. Daß Narcissa Black ebenso empfand, hatte er bisher nicht mitbekommen gehabt – er hatte SIE überhaupt nicht mitbekommen in den letzten fünf Schuljahren. Und wenn er ehrlich zu sich selbst war: er hätte sie auch weiterhin nur am Rande registriert, wenn Walden und Bobby nicht so einen Aufstand wegen ihr gemacht hätten.
Denn Lucius hatte eigentlich ganz andere Sorgen. Es waren nicht nur seine ständigen Auseinandersetzungen mit seinen Eltern (während er in Hogwarts war zwar nur auf postalischen Weg), sondern auch das Auftauchen eines großen Schwarzmagiers vor einiger Zeit in Britannien. Und von eben diesem Magier war Lucius mehr als nur fasziniert.
Er wußte, daß seine Eltern schon längere Zeit in Kontakt mit ihm standen – aber er wußte nicht, daß sie ihn noch von damals aus ihren eigenen Schultagen in Hogwarts kannten – unter seinem wahren Namen. Während der Sommerferien hatte er sich zwar bemüht, seinen Eltern so weit wie nur irgend möglich aus dem Weg zu gehen, wenn jedoch das Gespräch auf Lord Voldemort kam, hörte er aufmerksam zu und versuchte so viele Informationen wie möglich zu erhaschen.
Von einer geheimen Organisation war die Rede – wie das Ministerium auszuschalten wäre, eine neue Gesellschaftsordnung, in der reinblütige Zaubererfamilien bevorzugt werden würden...
Und all dies schon in naher Zukunft – näher, als Lucius vermutete. Und er wollte ein Teil dieser Organisation sein. Er war reinblütig, ein Slytherin und von Haus aus ehrgeizig – wenn es tatsächlich zu einer Veränderung der Machtverhältnisse in Britannien kommen sollte, wäre es mehr als nur von Vorteil – wohl eher zwingend notwendig – bereits ein Anhänger Voldemorts zu sein. Wenn Lucius gewußt hätte, daß seine Eltern ihm bereits einen Platz unter den später als „Todesser"bekannten Anhängern zu sichern versuchten und er deshalb nicht zum Studium ins Ausland gehen sollte, hätte er sich vermutlich nicht so über sie geärgert.
Doch spätestens seit heute Nachmittag war das alles für ihn in den Hintergrund gerückt, auch wenn er es vor sich selbst nur schwer zugeben konnte – Narcissa Black beherrschte sein Denken und die Hausaufgaben wurden zur Qual, er konnte sich einfach nicht konzentrieren und schaute immer wieder auf zum Treppenaufgang der Mädchen.
Als Narcissa endlich hinunter kam wurde ihm etwas schwindlig – er zwang sich zu einem Lächeln, während sie mit ihrer Freundin Doreen im Schlepptau an ihm vorbei rauschte – kommentarlos. ‚Was war denn das?', fragte er sich und kam sich vor wie ein Idiot.
„Ha! Der große Malfoy und die harte Nuss...", kommentierte Walden Mcnair, der wie Bobby Travers mit an Lucius' Tisch saß, die Szene und ein kaltes Grinsen stand auf seinem Gesicht.
„Tja ja... Ist nicht einfach...", feixte Travers und Lucius spürte die Wut in sich aufsteigen.
„Immerhin habe ich mich vorhin schon mal mit ihr unterhalten – und davon könnt ihr beiden Hirnis wohl auch in Zukunft nur träumen!", fauchte Malfoy und wendete sich wieder seinen Hausaufgaben für Zaubertränke zu, wohlweislich Ginger Kershaw übersehend, die an einem Tisch gegenüber saß und ihm schon einige Zeit zulächelte.
„Ach... und worüber habt ihr gesprochen?", fragte Mcnair neugierig.
Lucius sog hörbar die Luft ein: „Darüber, daß ihr sie nervt und ihr damit aufhören sollt."
Travers und Mcnair starrten ihn wortlos an. Als erstes rührte sich Walden: „Und wessen Wunsch ist das nun – ihrer oder deiner?"
Lucius knallte sein Zaubertrankbuch auf den Tisch: „Wie bitte??"
„Nun", begann Bobby, „du hast uns schon mehrfach gesagt, daß du dagegen bist, daß wir versuchen, mit ihr ins Gespräch zu kommen. Und da fragen wir uns halt – woran das liegt. Wenn du selbst dein Glück versuchen möchtest, bitte sehr."Mcnair nickte zustimmend: „Für uns ist das mehr ein Scherz – sie ist hübsch und so... Aber wenn du es ernst meinst..."
‚Ich glaube das einfach nicht!', dachte Lucius. War es so offensichtlich, daß sogar diese beiden intellektuellen Tiefflieger ihn durchschauen konnten? Und das, wo er sich selbst noch nicht einmal über seine eigenen Gefühle im Klaren war. Schweigend wendete er sich wieder seinen Hausaufgaben zu – mit noch weniger Konzentration als zuvor schon.
~~~
„Glaubst du, daß sich Ginger schon zum Affen gemacht hat?", kicherte Doreen und Narcissa hob verächtlich die Augenbrauen.
„Und wenn schon. Laß sie doch."
Doreen grinste vor sich hin. „Aber er hat sich deinen Namen gemerkt!", brach es aus ihr hervor und Narcissa mußte kichern während ihr Gesicht die Farbe sonnengereifter Tomaten annahm.
„Bitte Ruhe!", blaffte Madam Pince die beiden Mädchen an und blätterte weiter im Karteikasten.
Narcissa und Doreen verdrehten die Augen – außer ihnen und der Bibliothekarin war sowieso niemand mehr hier – außerdem wurde es Zeit für das Abendessen. Narcissa klemmte sich ihre Unterlagen unter den Arm und transportierte einen recht gewaltigen Bücherstapel zum Ausleihtisch. „Ich muß die hier mitnehmen. Sonst werde ich mit meinen Hausaufgaben heute nicht mehr fertig – dank euch!", fauchte Narcissa Doreen an, die abwehrend die Hände hob: „Schon okay! Ich muß ja auch noch nach dem Abendessen weiter arbeiten – soll ich dir was abnehmen?"
Madam Pince funkelte die Mädchen mißtrauisch an – wenigstens würde sie nun endlich ihre Ruhe in der Bibliothek haben, wenn die beiden sich verziehen würden: „Wie lang möchten Sie die Bücher? ‚Babylonische Sprachforschung' kann ich Ihnen sowieso nur bis morgen früh ausleihen – noch vor Unterrichtsbeginn muß das Buch wieder hier sein!"
Narcissa zuckte mit den Schultern: „Ich weiß. Die anderen Bücher brauche ich eigentlich auch nur bis morgen – aber wenn Sie sie mir bis zum Ende der Woche ausleihen könnten, wäre mir das recht!"
Madam Pince gab keinen Ton von sich, als sie die restlichen Bücher bis Freitag der Woche stempelte -–Slytherins waren ihr seit jeher suspekt – auch und besonders, wenn sie sich tatsächlich auf ihre Hausaufgaben stürzten. Und dieses Jahr war ein besonders lerneifriger Slytherin in Hogwarts aufgenommen worden – ein kleiner, schmächtiger Junge mit ungepflegtem schwarzen Haar – was ihn nur noch blasser machte. Er saß fast jeden Abend in der Bibliothek bis geschlossen wurde. Heute war er schon etwas früher gegangen, kurz nachdem die beiden Mädchen aufgetaucht waren.
Narcissa und Doreen verteilten die Bücher untereinander und verließen schwer bepackt die Bibliothek. „erst zum Essen oder erst die Bücher wegbringen?", fragte Doreen und Narcissa antwortete: „Erst die Bücher weg – ich will nicht als Streberin angesehen werden mit den ganzen Büchern..."
Sie waren gerade am letzten Treppenabsatz Richtung Slytherinbereich angekommen, da fluchte Doreen los: „Verdammt – ich hab meine Unterlagen liegen lassen!"Sie packte Narcissa die Bücher, die sie selbst getragen hatte noch mit auf deren und rannte zurück Richtung Bibliothek – Narcissa ging leicht in die Knie und schnaufte angesichts der Last auf ihren Armen. Sie konnte kaum über den Bücherstapel den sie trug hinweg schauen und tastete sich vorsichtig Stufe um Stufe nach unten – bis ihr plötzlich jemand die Bücher von vorn abnahm.
„Darf ich behilflich sein?", fragte Lucius Malfoy und lächelte sie breit an – hinter ihm waren Walden Mcnair und Bobby Travers wie angewurzelt stehengeblieben. Lucius teilte ihnen mit einem Rucken des Kopfes mit, daß sie weiter zur Großen Halle vorgehen sollten. Narcissa sagte nichts – selbst zum Lächeln war sie zu erstaunt. Schweigend ging sie vor und hielt Lucius die versteckte steinerne Tür offen, die zum Slytheringemeinschaftsraum führte.
„Leg sie am besten dort auf dem Tisch ab... Wir müssen nachher noch weiter arbeiten...", hauchte sie und ärgerte sich über das leichte Krächzen in ihrer Stimme, „..und Danke!", fügte sie etwas fester noch hinzu und legte ihre Unterlagen ebenfalls auf dem Tisch ab.
Lucius räusperte sich, dann sagte er: „Ich hoffe, ich bin nicht zu aufdringlich? Ich weiß ja, daß du in letzter Zeit etwas... belagert worden bist..."
„Nein, nein!", antworte Narcissa etwas zu schnell und strich sich nervös eine Haarsträhne aus dem Gesicht wobei sie interessiert das Muster des Teppichs zu ihren Füßen anstarrte.
Lucius mußte lächeln: ‚Die Gute ist ja völlig verschüchtert!', dachte er amüsiert – und bot ihr seinen Arm an, um sie zum Abendessen zu geleiten.
Narcissa riss die Augen weit auf und blickte ihn entsetzt an – dann mußte sie laut lachen: „Ach du meine Güte! Ein echter Kavalier!"
Er grinste breit und sie ergriff seinen Arm – hocherhobenen Hauptes stolzierten beide an der zur Salzsäule erstarrten Doreen vorbei, die gerade den Gemeinschaftsraum betreten hatte. Auf der Treppe jedoch prustete er los: „Wenn wir so in die Große Halle kommen wird es einiges an Getuschel geben – möchtest du das?"Narcissa grinste nur. Er fuhr fort: „Oder was hältst du davon, am nächsten Wochenende mit mir durch Hogsmeade zu spazieren?"
Narcissa überlegte kurz theatralisch, dann lächelte sie ihn breit an: „Laß uns für Skandale sorgen! Heute UND am Wochenende!"
~~~
„So, so... Kalter Fisch, ja? Danach sah das vorhin aber gar nicht aus!", stichelte Doreen nach dem Abendessen und Narcissa grinste breit vor sich hin. ‚Nein, so kalt ist der Fisch gar nicht. Eher gefährlich. Wie ein Hai...', dachte sie und spürte, wie ihr das Adrenalin durch die Adern schoß. Sie blickte von ihren Hausaufgaben auf und hinüber zum Tisch, wo Lucius und seine Freunde mit den ihren kämpften. Lucius blickte im Laufe des Abends auch immer wieder zu den Mädchen hinüber und wenn sich seine und Narcissa's Blicke trafen, lächelten beide kurz verlegen und stürzten sich wieder auf ihre Aufgaben.
‚Gefährlich vielleicht – aber nicht unzähmbar...', dachte Narcissa und bereitete sich auf eine schlaflose Nacht vor – zuerst würden Ginger und Doreen sie ausquetschen wollen, und dann würde sie wohl nicht sofort einschlafen können – falls überhaupt. Sollte sie ihren Freundinnen von ihrer nächsten Verabredung mit Lucius erzählen? Wenn sie es nicht tat, wären sie wohl beleidigt. Und wenn sie es tat, würden sie sie wohl nicht in Ruhe lassen und noch nervöser machen, als sie sowieso schon war.
War sie überhaupt nervös? Nun, ein bißchen vielleicht – aber lang nicht mehr so sehr, wie vor Schulbeginn. Nein, ihre Nervosität hatte sich weitestens gelegt. Lucius war nun nicht mehr unnahbar – er hatte menschliche Züge angenommen. Sympathische menschliche Züge. Narcissa seufzte still in sich hinein und bemühte sich, wenigstens ETWAS Konzentration für ihre Hausaufgaben aufzubringen – mit relativ wenig Erfolg. Zum Schluß schrieb sie Doreen's Aufgaben ab – sie machten sowieso immer alle Hausaufgaben gemeinsam, da würde es wohl dieses eine Mal nicht weiter auffallen.
Im Laufe der nächsten Tage bis zum Wochenende wechselten Lucius und Narcissa gelegentlich ein paar belanglose Sätze, verräterische Blicke und wurden von ihren Freunden gelöchert wie Schweizer Käselaibe. Dann kam der Samstagmorgen und Narcissa verspürte leichte Panik in sich aufkeimen. Vor dem Frühstück schloss sie sich für eine halbe Stunde auf der Toilette ein und versuchte sich irgendwie zu beruhigen. Sie hatte bereits alles heraus gelegt gehabt, was sie für diesen Tag brauchte: ihre Kleidung, ihre Tasche für die Einkäufe, ihr Make Up, ihre Haarspangen... ‚Nur an die Flasche Firewhiskey zur Beruhigung hast du nicht gedacht, du dumme Gans!', schalt sie sich selbst und atmete noch einmal tief durch, bevor sie die Kabine verließ und sich endlich vor dem Spiegel fertig machte. Sie traf Lucius direkt nach dem Frühstück vor der Großen Halle – sie mußte also schon bereit sein.
„Wollen wir nachher eigentlich nach Hogsmeade oder nicht?", fragte Ginger beim Frühstück und Narcissa wurde puterrot.
„Cis, was ist?", fragte Doreen besorgt und legte ihren Löffel beiseite.
Narcissa atmete tief durch: „Also, ICH gehe nachher nach Hogsmeade. Direkt nach dem Frühstück. Ich bin verabredet!"
Ginger fiel so ziemlich alles aus dem Gesicht, wohingegen Doreen breit zu grinsen begann: „Mit IHM??? Ernsthaft? Ist ja nicht wahr! Warum hast du uns nichts davon erzählt?"
„Scht!", versuchte Narcissa die Lautstärke zu drücken, „Ich habe euch nichts erzählt, weil ihr mich dann überhaupt nicht in Ruhe gelassen hättet. Ich bin so schon nervös genug!"
Sie blickte den Tisch etwas weiter hinauf, wo Lucius mit den Jungs aus seinem Jahrgang saß – hinter dem Tagespropheten vergraben – wie konnte es auch anders sein.
Schlagartig verließ Narcissa ihre Nervosität und Wut keimte in ihr auf – wie konnte er es wagen, nicht wenigstens genau so nervös zu sein, wie sie? Wenn er diese Sache als etwas völlig nebensächliches betrachtete, dann hatte Narcissa auch keine Lust mehr darauf. Einen Moment lang dachte sie ernsthaft darüber nach, die Verabredung platzen zu lassen und stattdessen mit Doreen und Ginger nach Hogsmeade zu gehen. Andererseits... Sie schaute Ginger Kershaw an, wie sie ihr gegenüber in ihrem Rührei herum stocherte und verzog die Augen zu schmalen Schlitzen. Nein, allein schon um Ginger zu ärgern würde sie mit Lucius gehen!
5 Meter den Tisch hinauf saß Lucius Malfoy und kaute an seiner Unterlippe – etwas was er nur tat, wenn er vor Nervosität fast platzte. Immer bemüht, eine perfekte und glatte Fassade zu bieten, an der niemand wagen konnte, zu kratzen, hatte er all seine Gefühle so tief in sich begraben, daß er nun, wo sie zur Oberfläche strebten, gar nicht mehr mit ihnen umgehen konnte.
Außer seiner Wut auf seine Eltern und eine unbestimmte Verehrung eines ihm noch unbekannten Schwarzmagiers hatte er in den letzten Jahren nur wenig empfunden. Normalerweise lachte er auch nicht – und schon gar nicht in der Gegenwart von Mädchen – doch mit Narcissa war das anders. Einfacher. Und ungleich komplizierter. Jedesmal, wenn sie in den Raum trat, wurde Lucius heiß und für einen Moment schwindelig. Jede kurze Unterhaltung war eine Überwindung von physischen Unmöglichkeiten – wie konnte man sprechen, wenn der Mund trocken war wie die Wüste? Wie stehen oder gehen, wenn die Knie aus Wackelpudding waren? Und sein Herz schlug manchmal so laut, daß er sich wunderte, überhaupt etwas von dem Gesagten um sich herum mit zu bekommen. Es glich schon einem Wunder, daß er in den letzten Tagen nicht irgendwo gegen gelaufen war – sobald er in Narcissa's fast violette Augen schaute, war die Umgebung nämlich relativ irrelevant für ihn.
Um nicht die ganze Zeit zu Narcissa hinüber zu starren oder andere seine Nervosität spüren zu lassen, hatte er sich hinter der Zeitung vergraben – eine Art Separee inmitten der Großen Halle. Nur für ihn und seine wirren Gedanken.
Was sollte er ihr erzählen? Wohin sollten sie genau gehen? Er mußte noch neue Federkiele und Tinte kaufen – das war aber auch schon alles. Normalerweise erledigte er seine Einkäufe und setzte sich dann wie die meisten Schüler noch auf etwas zu trinken in die „Drei Besen", bevor er wieder zur Schule zurück kehrte. Das ganze dauerte sonst nicht einmal 2 Stunden – doch heute wollte er mehr Zeit in Hogsmeade verbringen – mehr Zeit mit Narcissa Black.
Sollte er versuchen, sie zu küssen auf dem Rückweg? Erwartete sie das von ihm? Nein, sie war zu wohlerzogen, um gleich bei der ersten Verabredung... Oder doch nicht?
Als er Blut in seinem Mund schmeckte, wurde ihm relativ schnell klar, daß er das mit dem Küssen für den heutigen Tag wohl vergessen konnte -–er hatte sich soeben seine Unterlippe blutig gekaut.
Verstohlen suchte er in den Taschen seines Umhangs auf der Bank neben sich nach einem Taschentuch und presste dieses auf seinen Mund, immer noch im Verborgenen hinter dem Tagespropheten. ‚Wenn ich Pech habe, wird die Wunde durch die Kälte nachher aufplatzen und es wird wieder bluten. Sehr romantisch, wirklich.', schalt er sich selbst in Gedanken, während er das Taschentuch betrachtete, ob die Blutung gestillt war.
Er legte die Zeitung beiseite und stellte fest, daß die Meisten bereits die Große Halle verlassen hatten und das Frühstück mehr oder weniger beendet war. Hastig trank er noch einen Schluck kalt gewordenen Tee, langte nach seinem Umhang und warf ihn sich über. Wo war Narcissa?
Er stürzte aus der Großen Halle und sah sie am großen Eingangstor stehen. Sie blickte in die sonnige Herbstlandschaft hinaus und wickelte sich fester in ihren Umhang, die Tasche geschultert und bereit für den Aufbruch.
Schlitternd kam Lucius neben ihr zum Stehen und sein Atem war gepresst, als er sich entschuldigte: „Verzeih, ich habe die Zeit vergessen. Können wir los?"
Sie war immer noch wütend auf Lucius, aber ihr Trotz Ginger gegenüber war stärker. Auch wenn ihr mehr danach war, dem kalten Fisch eine Abfuhr zu erteilen, lächelte sie gekünstelt und nickte – wohl wissend, daß Ginger sich hinter einer Ecke in der Eingangshalle verschanzt hatte, um zu sehen, ob Narcissa wirklich mit dem unterkühlten Malfoy verabredet war. Sie konnte fast hören, wie ihre Klassenkollegin vor Neid zerplatzte, als Lucius den Arm kurz um sie legte und sie durch die Masse von aufgedrehten Drittklässlern führte, die heute zum ersten Mal nach Hogsmeade durften.
Die ersten Minuten gingen sie schweigend neben einander her, während sie sich beide den Kopf zerbrachen, worüber sie nur reden sollten. Narcissa beschloß, das Schweigen zu brechen: „Ich müßte mit noch neue Tinte holen und eine Bürste für Jason – meinen Kater."
Lucius atmete erleichtert auf: „Ich brauche auch neue Tinte, aber ich weiß nicht, wo man Bürsten für Tiere her bekommt. Meine Eule haart eher selten..."
Narcissa mußte lächeln – der Witz war zwar nicht gut, aber seine Nervosität war ihm nicht entgangen. ‚Wachs in meinen Händen...', dachte sie sich und ihre Laune besserte sich schlagartig: Lucius Malfoy, Sproß einer der reichsten Zaubererfamilien in Großbritannien und in Insider-Kreisen auch als „der kalte Fisch"bekannt, war nervös wie – ein Schuljunge!
„Wenn sie das tun würde, würde ich an deiner Stelle zuerst die Zusammenstellung ihres Futters überprüfen!", konterte Narcissa selbstsicher und Lucius entgleisten die Gesichtszüge: zuerst ratlos, dann lächelnd griff er nah ihrem Arm und hakte sie ein: „Ich sehe schon, dies wird mein bisher amüsantester Ausflug nach Hogsmeade werden!"
~~~
Sie wanderten den ganzen Vormittag über unbefangen durch Hogsmeade, betraten Läden, in denen Lucius nie zuvor war und zur Mittagszeit setzten sie sich in die „Drei Besen".
„Was möchtest du essen?", fragte Lucius und reichte ihr die kurze Speisekarte des Pubs über den Tisch, den sie sich in einer stilleren Ecke ergattert hatten.
Narcissa atmete tief durch: sie hatte kein Geld mehr, weil ihre Reserven durch den Einkaufsbummel fast gänzlich aufgebraucht waren. Weihnachten würde dieses Jahr entweder von ihren Eltern finanziert werden müssen oder aber sehr mager für Anderen von ihrer Seite aus ausfallen. Und nun auch noch Essen in den „Drei Besen"– die Kleinigkeiten hier kosteten zwar nur wenig, aber in ihrem Budget war höchstens noch ein Butterbier drin.
„Danke, ich möchte nur etwas zu Trinken. Ein Butterbier wäre jetzt schön.", wand sie sich aus der Situation, aber Lucius ließ nicht locker: „Komm schon – ich habe Hunger und mag nicht allein essen. Ich lade dich auch ein!"
Narcissa zögerte – vom Frühstück hatte sie nicht wirklich viel gehabt, beziehungsweise runter bekommen können und ihr Magen begann langsam aber sicher zu knurren, aber wenn sie sich jetzt von Lucius einladen ließ, war sie ihm etwas schuldig.
„Nein, danke. Ein Butterbier reicht mir!", entgegnete sie nun bestimmt und Lucius zuckte mit den Schultern: „Wie du möchtest – ich gehe bestellen."
Er drängte sich durch den mehr als gefüllten Pub zur Bar hindurch und überließ Narcissa ihren plötzlich nicht mehr so fröhlichen und gelösten Gedanken. Erneut wurde ihr die zwar nicht unbedingt prekäre, aber doch eben nicht völlig befriedigende finanzielle Lage ihrer Familie bewußt. Während Tante Adolfina im Londoner Stammhaus der Blacks lebte, lebte ihre eigene Familie in wesentlich bescheideneren Verhältnissen in Cornwall. Ihr Vater führte für Onkel Ernest die Immobiliengeschäfte durch und die Provision war relativ mager. Sie lebten zwar nicht schlecht, aber auch nicht luxuriös. Und daher war Narcissa's Taschengeld so gut wie aufgebraucht.
‚Er hat solche Sorgen natürlich nicht!', dachte sie und seufzte innerlich. Der Vormittag war bis zu diesem Augenblick völlig sorgenfrei gewesen – nun war diese Stimmung hinüber. ‚Dann kann ich ihn ja jetzt auch ausquetschen!'
Lucius kehrte mit zwei Gläsern Butterbier an den Tisch zurück und setzte sich ihr wieder gegenüber – das Pub war gerammelt voll mit Schülern von Hogwarts und nicht wenige guckten mehr oder weniger unverhohlen neugierig zu den beiden Slytherins hinüber. „Möchte mal wissen, was die alle so spannend finden...", brummelte er vor sich hin.
„Ist es dir etwa peinlich, mit mir gesehen zu werden?", fragte Narcissa kühl und trank einen Schluck aus dem Glas. Innerlich begann sie gerade zu kochen vor Wut.
Lucius schluckte, „Nein, natürlich nicht, ganz im Gegenteil... es ist nur...", stammelte er vor sich hin und ahnte, daß er einen Fehler gemacht hatte. In Narcissa's Gesicht war keine Regung zu erkennen. „Hör zu, ehrlich gesagt fühle ich mich... geehrt, mit dir heute den Vormittag verbringen zu dürfen – und ich hoffe, daß es nicht das letzte Mal war. Was mich nervt, sind nur diese neugierigen Blicke. Als hätten die selbst alle kein Privatleben!", raunzte er über den Tisch und hoffte auf eine positive Reaktion, doch Narcissa's Miene war wie versteinert.
Plötzlich wechselte sie das Thema: „Ich habe gehört, du willst nach diesem Jahr in Frankreich studieren. Warum?"
Lucius war völlig überrumpelt und antwortete aus dem Bauch heraus: „Weil es weit weg von meinen Eltern ist..."Dafür hätte er sich ohrfeigen können: Narcissa sollte (noch) nicht erfahren, welch kompliziertes Verhältnis er zu seinen Eltern pflegte.
Nun war Narcissa verwirrt, fing jedoch an zu lächeln: so ungeschönt, wie er geantwortet hatte, so ehrlich klang es. „Ach? Nur deshalb?"
„Und weil ich dort bei meiner Tante wohnen kann. Meine Familie dort ist nicht halb so anstrengend wie die hier. Ist halt ein anderer Lebensstil. Wenn es nach meinen Eltern geht, lerne ich erst für 2 Jahre bei Gringotts, um dann die Geschäfte nach und nach zu übernehmen. Mit 25 wäre mein Leben vorbei, bevor es richtig angefangen hätte.", antwortete er nun überlegter, aber genauso ehrlich. „Und zwischendurch suchen sie mir noch eine Frau aus, mit der ich einen Stall voll Kinder bekommen soll. Nein danke."
Narcissa lächelte nun nicht mehr. Offensichtlich war Lucius doch nicht so glücklich, wie sie immer gedacht hatte, daß es Kinder aus reichen Familien wären. Aber zumindest schien keine Freundin aus Beauxbatons dahinter zu stecken.
„Und was willst du nach der Schule machen?", fragte er sie und empfing von Madame Rosmerta sein bestelltes Sandwich. Damit brachte er Narcissa in arge Verlegenheit. Sie selbst hatte bisher noch überhaupt nicht darüber nachgedacht, was sie tun könnte. Zumindest nicht ernsthaft. Wenn sie jetzt antwortete: „Heiraten und Kinder kriegen!"war das zwar ehrlich aber nicht besonders intelligent.
„Ich weiß es noch nicht.", antwortete sie stattdessen, „Meine Familie hat ganz gute Kontakte zum Ministerium – vielleicht fange ich dort im Büro an. Oder ich schaue, ob ich im St. Mungos anfangen könnte. Auf der Kinderstation. Meine kleine Schwester war vor 3 Jahren dort nach einem Gnombiss, der sich entzündete. Die Arbeit dort schien viel Spaß zu machen."
„Magst du Kinder?", fragte er und aß sein Sandwich weiter.
„Ja. Warum nicht? Bis auf meinen Cousin sind alle Kinder recht angenehm..."
„Was ist mit deinem Cousin? Ist er hier in Hogwarts?"
„Ja. Dieses Jahr aufgenommen worden. Und die letzte Nervensäge!"
Lucius runzelte die Stirn. Er hatte nur eine Nervensäge aus der ersten Klasse bisher wahrgenommen: ein dürrer Junge mit fettigem schwarzen Haar, der die meiste Zeit in der Bibliothek verbrachte. Aber er konnte nicht glauben, daß Narcissa mit ihm verwandt war – sie waren sich überhaupt nicht ähnlich.
Narcissa schüttelte die Gedanken an Sirius ab, trank einen weiteren Schluck aus ihrem Glas und blickte durch das Fenster nach draußen – es war immer noch sehr kalt und die Sonne verschwand langsam hinter dichtem Hochnebel. Der Tag wurde so trüb wie ihre Stimmung. Gedanken über die Zukunft oder ihre Familie machten sie häufig wütend und hilflos. Da half es ihr nun auch nicht, endlich eine Verabredung mit ihrem großen Schwarm zu haben.
‚Und was nun?', fragte sich Narcissa Black und ließ sich auf ihr Bett sinken – gerade hatte sie sich damit abgefunden gehabt, daß ihr großer „Schwarm"nur ein kalter Fisch war und nun das... Oder steckte er mit Travers und Mcnair unter einer Decke? Natürlich, mußte er – es waren seine besten Freunde in Slytherin...
Jason sprang mauzend auf ihren Schoß und Narcissa streichelte ihn beiläufig.
‚Aber warum war er heute so nett?', fragte sie sich still, ‚Oder warum war er am ersten Tag so abweisend?' Sie grübelte vor sich hin, bis auch Ginger und Doreen in den Schlafsaal stürmten.
„Erzähle! Worüber habt ihr geredet?", platze es aus Doreen hervor und sie warf sich mit auf Narcissa's Bett, Ginger ließ sich auf ihr eigenes fallen und kaute an einem Apfel, wobei sie Narcissa neugierig grinsend anstarrte.
„Wie meint ihr das?", fragte Narcissa und drehte sich etwas von Ginger's bohrendem Blick ab, indem sie vorgab, ihren Kater höchst intensiv zu kraulen.
„Na komm schon, Cis! Ihr habt den gleichen Weg gehabt – da werdet ihr wohl miteinander geredet haben, oder nicht?", fragte nun Ginger und grinste noch breiter.
„Ja, haben wir. Aber über nichts Besonderes, wenn ihr es wissen wollt..." Narcissa lief rot an.
„So, so...", Doreen krabbelte über die Bettdecke und versuchte, Narcissa ins Gesicht zu schauen, wobei sie kicherte und gniggerte.
Narcissa atmete tief durch: „Er hat mir angeboten, Mcnair und Travers zu bitten, mit ihren Anmachversuchen aufzuhören, wenn ich das wollte.... Und er wußte meinen Namen noch!"Der letzte Satz kam fast wie ein Triumphruf aus ihrer Kehle und Doreen und Ginger quiekten erstaunt auf: „Iiiiiiehk!"
Eine Weile plapperten die Mädchen vor sich hin, dann mußte Ginger ins Bad – als sie zurückkam, grinste sie von einem Ohr zum anderen: „Ratet, wer im Gemeinschaftsraum seine Hausaufgaben macht – und so sitzt, daß er den Aufgang zu unserem Schlafsaal genau beobachten kann..."
„Is nich wahr!", rief Doreen – Narcissa sagte nichts, wurde aber erstaunlich bleich.
„Tja... Ich glaube, wir sollten auch langsam runtergehen und unsere Hausaufgaben machen, nicht wahr?", fragte Ginger provozierend und griff nach ihrer Tasche, die sie vorhin achtlos in eine Ecke geworfen hatte.
„Ich kann da nicht runter...", stöhnte Narcissa.
„Du mußt! Hier können wir nicht arbeiten – wir brauchen einen Tisch... Oder bist du zu feige?", fragte Doreen und grinste.
Narcissa wand sich: „Hausaufgaben... Ich mache meine wohl am Besten in der Bibliothek..."
„Wie du willst – ICH gehe da jetzt runter! Und wer zuerst kommt, mahlt zuerst!", sagte Ginger und stolzierte aus dem Schlafsaal.
„Cis! Ginger wirft sich Malfoy doch sofort an den Hals, wenn du nicht dabei bist! Willst du das etwa?", fragte Doreen besorgt. „Was ist denn mit dir! Erst willst du, daß er dich bemerkt und nun traust du dich noch nicht einmal, mit ihm in einem Raum zu sein!"
Narcissa schwieg. Was sollte sie auch sagen? Daß sie ihre Enttäuschung gerade halbwegs verarbeitet hatte – und nun Malfoy sie ansprach und ihre Knie wieder zu Pudding wurden, wenn sie nur an ihn dachte? Was könnte ein Siebtklässler schon von einem Mädchen wie ihr halten... Außerdem kam er aus einem sehr reichen Haus – ihr Familienzweig der Blacks war nicht gerade wohlhabend – zwar sehr angesehen, aber eben nicht wohlhabend.. Natürlich sah sie gut aus – das wußte sie – aber Malfoy war ebenfalls attraktiv – er hätte wohl jedes Mädchen in der Schule haben können, wenn er wollte. Aber er hatte noch nie eine Freundin – zumindest nicht in Hogwarts – wer weiß, was bei ihm zu Haus war? Es war kein Geheimnis mehr, daß Lucius zum Studium nach Frankreich wollte – vielleicht hatte er eine Freundin aus Beauxbatons? Narcissa war verwirrt – und wütend. Die Vorstellung, daß er irgendwo eine Freundin sitzen hatte und hier nur mit ihr, der schönen Narcissa, spielte, machte sie wahnsinnig.
‚Zeit, den Spieß umzudrehen, Mr. Malfoy!', dachte sie und sagte laut: „Nein, ich brauche einige Bücher aus der Bibliothek – Malfoy hat nichts damit zu tun. Und wenn sich Ginger zum Narren machen will, laß sie ruhig! Soll sie sich doch am kalten Fisch die Zähne ausbeißen – ICH habe DEN nicht nötig!"
Doreen glaubte ihrer Freundin kein Wort – und das zu Recht, sagte aber nichts, sondern folgte ihr die Treppe hinunter.
~~~
Lucius Malfoy hatte sich wirklich einen Tisch für die Hausarbeiten ausgesucht, an dem er den Aufgang zu den Mädchen beobachten konnte – wegen Narcissa.
Bisher hatten ihn Mädchen kaum interessiert – er konnte einfach nichts mit diesen ewig kichernden Gestalten anfangen, die ihn nicht selten offen anhimmelten. Daß Narcissa Black ebenso empfand, hatte er bisher nicht mitbekommen gehabt – er hatte SIE überhaupt nicht mitbekommen in den letzten fünf Schuljahren. Und wenn er ehrlich zu sich selbst war: er hätte sie auch weiterhin nur am Rande registriert, wenn Walden und Bobby nicht so einen Aufstand wegen ihr gemacht hätten.
Denn Lucius hatte eigentlich ganz andere Sorgen. Es waren nicht nur seine ständigen Auseinandersetzungen mit seinen Eltern (während er in Hogwarts war zwar nur auf postalischen Weg), sondern auch das Auftauchen eines großen Schwarzmagiers vor einiger Zeit in Britannien. Und von eben diesem Magier war Lucius mehr als nur fasziniert.
Er wußte, daß seine Eltern schon längere Zeit in Kontakt mit ihm standen – aber er wußte nicht, daß sie ihn noch von damals aus ihren eigenen Schultagen in Hogwarts kannten – unter seinem wahren Namen. Während der Sommerferien hatte er sich zwar bemüht, seinen Eltern so weit wie nur irgend möglich aus dem Weg zu gehen, wenn jedoch das Gespräch auf Lord Voldemort kam, hörte er aufmerksam zu und versuchte so viele Informationen wie möglich zu erhaschen.
Von einer geheimen Organisation war die Rede – wie das Ministerium auszuschalten wäre, eine neue Gesellschaftsordnung, in der reinblütige Zaubererfamilien bevorzugt werden würden...
Und all dies schon in naher Zukunft – näher, als Lucius vermutete. Und er wollte ein Teil dieser Organisation sein. Er war reinblütig, ein Slytherin und von Haus aus ehrgeizig – wenn es tatsächlich zu einer Veränderung der Machtverhältnisse in Britannien kommen sollte, wäre es mehr als nur von Vorteil – wohl eher zwingend notwendig – bereits ein Anhänger Voldemorts zu sein. Wenn Lucius gewußt hätte, daß seine Eltern ihm bereits einen Platz unter den später als „Todesser"bekannten Anhängern zu sichern versuchten und er deshalb nicht zum Studium ins Ausland gehen sollte, hätte er sich vermutlich nicht so über sie geärgert.
Doch spätestens seit heute Nachmittag war das alles für ihn in den Hintergrund gerückt, auch wenn er es vor sich selbst nur schwer zugeben konnte – Narcissa Black beherrschte sein Denken und die Hausaufgaben wurden zur Qual, er konnte sich einfach nicht konzentrieren und schaute immer wieder auf zum Treppenaufgang der Mädchen.
Als Narcissa endlich hinunter kam wurde ihm etwas schwindlig – er zwang sich zu einem Lächeln, während sie mit ihrer Freundin Doreen im Schlepptau an ihm vorbei rauschte – kommentarlos. ‚Was war denn das?', fragte er sich und kam sich vor wie ein Idiot.
„Ha! Der große Malfoy und die harte Nuss...", kommentierte Walden Mcnair, der wie Bobby Travers mit an Lucius' Tisch saß, die Szene und ein kaltes Grinsen stand auf seinem Gesicht.
„Tja ja... Ist nicht einfach...", feixte Travers und Lucius spürte die Wut in sich aufsteigen.
„Immerhin habe ich mich vorhin schon mal mit ihr unterhalten – und davon könnt ihr beiden Hirnis wohl auch in Zukunft nur träumen!", fauchte Malfoy und wendete sich wieder seinen Hausaufgaben für Zaubertränke zu, wohlweislich Ginger Kershaw übersehend, die an einem Tisch gegenüber saß und ihm schon einige Zeit zulächelte.
„Ach... und worüber habt ihr gesprochen?", fragte Mcnair neugierig.
Lucius sog hörbar die Luft ein: „Darüber, daß ihr sie nervt und ihr damit aufhören sollt."
Travers und Mcnair starrten ihn wortlos an. Als erstes rührte sich Walden: „Und wessen Wunsch ist das nun – ihrer oder deiner?"
Lucius knallte sein Zaubertrankbuch auf den Tisch: „Wie bitte??"
„Nun", begann Bobby, „du hast uns schon mehrfach gesagt, daß du dagegen bist, daß wir versuchen, mit ihr ins Gespräch zu kommen. Und da fragen wir uns halt – woran das liegt. Wenn du selbst dein Glück versuchen möchtest, bitte sehr."Mcnair nickte zustimmend: „Für uns ist das mehr ein Scherz – sie ist hübsch und so... Aber wenn du es ernst meinst..."
‚Ich glaube das einfach nicht!', dachte Lucius. War es so offensichtlich, daß sogar diese beiden intellektuellen Tiefflieger ihn durchschauen konnten? Und das, wo er sich selbst noch nicht einmal über seine eigenen Gefühle im Klaren war. Schweigend wendete er sich wieder seinen Hausaufgaben zu – mit noch weniger Konzentration als zuvor schon.
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„Glaubst du, daß sich Ginger schon zum Affen gemacht hat?", kicherte Doreen und Narcissa hob verächtlich die Augenbrauen.
„Und wenn schon. Laß sie doch."
Doreen grinste vor sich hin. „Aber er hat sich deinen Namen gemerkt!", brach es aus ihr hervor und Narcissa mußte kichern während ihr Gesicht die Farbe sonnengereifter Tomaten annahm.
„Bitte Ruhe!", blaffte Madam Pince die beiden Mädchen an und blätterte weiter im Karteikasten.
Narcissa und Doreen verdrehten die Augen – außer ihnen und der Bibliothekarin war sowieso niemand mehr hier – außerdem wurde es Zeit für das Abendessen. Narcissa klemmte sich ihre Unterlagen unter den Arm und transportierte einen recht gewaltigen Bücherstapel zum Ausleihtisch. „Ich muß die hier mitnehmen. Sonst werde ich mit meinen Hausaufgaben heute nicht mehr fertig – dank euch!", fauchte Narcissa Doreen an, die abwehrend die Hände hob: „Schon okay! Ich muß ja auch noch nach dem Abendessen weiter arbeiten – soll ich dir was abnehmen?"
Madam Pince funkelte die Mädchen mißtrauisch an – wenigstens würde sie nun endlich ihre Ruhe in der Bibliothek haben, wenn die beiden sich verziehen würden: „Wie lang möchten Sie die Bücher? ‚Babylonische Sprachforschung' kann ich Ihnen sowieso nur bis morgen früh ausleihen – noch vor Unterrichtsbeginn muß das Buch wieder hier sein!"
Narcissa zuckte mit den Schultern: „Ich weiß. Die anderen Bücher brauche ich eigentlich auch nur bis morgen – aber wenn Sie sie mir bis zum Ende der Woche ausleihen könnten, wäre mir das recht!"
Madam Pince gab keinen Ton von sich, als sie die restlichen Bücher bis Freitag der Woche stempelte -–Slytherins waren ihr seit jeher suspekt – auch und besonders, wenn sie sich tatsächlich auf ihre Hausaufgaben stürzten. Und dieses Jahr war ein besonders lerneifriger Slytherin in Hogwarts aufgenommen worden – ein kleiner, schmächtiger Junge mit ungepflegtem schwarzen Haar – was ihn nur noch blasser machte. Er saß fast jeden Abend in der Bibliothek bis geschlossen wurde. Heute war er schon etwas früher gegangen, kurz nachdem die beiden Mädchen aufgetaucht waren.
Narcissa und Doreen verteilten die Bücher untereinander und verließen schwer bepackt die Bibliothek. „erst zum Essen oder erst die Bücher wegbringen?", fragte Doreen und Narcissa antwortete: „Erst die Bücher weg – ich will nicht als Streberin angesehen werden mit den ganzen Büchern..."
Sie waren gerade am letzten Treppenabsatz Richtung Slytherinbereich angekommen, da fluchte Doreen los: „Verdammt – ich hab meine Unterlagen liegen lassen!"Sie packte Narcissa die Bücher, die sie selbst getragen hatte noch mit auf deren und rannte zurück Richtung Bibliothek – Narcissa ging leicht in die Knie und schnaufte angesichts der Last auf ihren Armen. Sie konnte kaum über den Bücherstapel den sie trug hinweg schauen und tastete sich vorsichtig Stufe um Stufe nach unten – bis ihr plötzlich jemand die Bücher von vorn abnahm.
„Darf ich behilflich sein?", fragte Lucius Malfoy und lächelte sie breit an – hinter ihm waren Walden Mcnair und Bobby Travers wie angewurzelt stehengeblieben. Lucius teilte ihnen mit einem Rucken des Kopfes mit, daß sie weiter zur Großen Halle vorgehen sollten. Narcissa sagte nichts – selbst zum Lächeln war sie zu erstaunt. Schweigend ging sie vor und hielt Lucius die versteckte steinerne Tür offen, die zum Slytheringemeinschaftsraum führte.
„Leg sie am besten dort auf dem Tisch ab... Wir müssen nachher noch weiter arbeiten...", hauchte sie und ärgerte sich über das leichte Krächzen in ihrer Stimme, „..und Danke!", fügte sie etwas fester noch hinzu und legte ihre Unterlagen ebenfalls auf dem Tisch ab.
Lucius räusperte sich, dann sagte er: „Ich hoffe, ich bin nicht zu aufdringlich? Ich weiß ja, daß du in letzter Zeit etwas... belagert worden bist..."
„Nein, nein!", antworte Narcissa etwas zu schnell und strich sich nervös eine Haarsträhne aus dem Gesicht wobei sie interessiert das Muster des Teppichs zu ihren Füßen anstarrte.
Lucius mußte lächeln: ‚Die Gute ist ja völlig verschüchtert!', dachte er amüsiert – und bot ihr seinen Arm an, um sie zum Abendessen zu geleiten.
Narcissa riss die Augen weit auf und blickte ihn entsetzt an – dann mußte sie laut lachen: „Ach du meine Güte! Ein echter Kavalier!"
Er grinste breit und sie ergriff seinen Arm – hocherhobenen Hauptes stolzierten beide an der zur Salzsäule erstarrten Doreen vorbei, die gerade den Gemeinschaftsraum betreten hatte. Auf der Treppe jedoch prustete er los: „Wenn wir so in die Große Halle kommen wird es einiges an Getuschel geben – möchtest du das?"Narcissa grinste nur. Er fuhr fort: „Oder was hältst du davon, am nächsten Wochenende mit mir durch Hogsmeade zu spazieren?"
Narcissa überlegte kurz theatralisch, dann lächelte sie ihn breit an: „Laß uns für Skandale sorgen! Heute UND am Wochenende!"
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„So, so... Kalter Fisch, ja? Danach sah das vorhin aber gar nicht aus!", stichelte Doreen nach dem Abendessen und Narcissa grinste breit vor sich hin. ‚Nein, so kalt ist der Fisch gar nicht. Eher gefährlich. Wie ein Hai...', dachte sie und spürte, wie ihr das Adrenalin durch die Adern schoß. Sie blickte von ihren Hausaufgaben auf und hinüber zum Tisch, wo Lucius und seine Freunde mit den ihren kämpften. Lucius blickte im Laufe des Abends auch immer wieder zu den Mädchen hinüber und wenn sich seine und Narcissa's Blicke trafen, lächelten beide kurz verlegen und stürzten sich wieder auf ihre Aufgaben.
‚Gefährlich vielleicht – aber nicht unzähmbar...', dachte Narcissa und bereitete sich auf eine schlaflose Nacht vor – zuerst würden Ginger und Doreen sie ausquetschen wollen, und dann würde sie wohl nicht sofort einschlafen können – falls überhaupt. Sollte sie ihren Freundinnen von ihrer nächsten Verabredung mit Lucius erzählen? Wenn sie es nicht tat, wären sie wohl beleidigt. Und wenn sie es tat, würden sie sie wohl nicht in Ruhe lassen und noch nervöser machen, als sie sowieso schon war.
War sie überhaupt nervös? Nun, ein bißchen vielleicht – aber lang nicht mehr so sehr, wie vor Schulbeginn. Nein, ihre Nervosität hatte sich weitestens gelegt. Lucius war nun nicht mehr unnahbar – er hatte menschliche Züge angenommen. Sympathische menschliche Züge. Narcissa seufzte still in sich hinein und bemühte sich, wenigstens ETWAS Konzentration für ihre Hausaufgaben aufzubringen – mit relativ wenig Erfolg. Zum Schluß schrieb sie Doreen's Aufgaben ab – sie machten sowieso immer alle Hausaufgaben gemeinsam, da würde es wohl dieses eine Mal nicht weiter auffallen.
Im Laufe der nächsten Tage bis zum Wochenende wechselten Lucius und Narcissa gelegentlich ein paar belanglose Sätze, verräterische Blicke und wurden von ihren Freunden gelöchert wie Schweizer Käselaibe. Dann kam der Samstagmorgen und Narcissa verspürte leichte Panik in sich aufkeimen. Vor dem Frühstück schloss sie sich für eine halbe Stunde auf der Toilette ein und versuchte sich irgendwie zu beruhigen. Sie hatte bereits alles heraus gelegt gehabt, was sie für diesen Tag brauchte: ihre Kleidung, ihre Tasche für die Einkäufe, ihr Make Up, ihre Haarspangen... ‚Nur an die Flasche Firewhiskey zur Beruhigung hast du nicht gedacht, du dumme Gans!', schalt sie sich selbst und atmete noch einmal tief durch, bevor sie die Kabine verließ und sich endlich vor dem Spiegel fertig machte. Sie traf Lucius direkt nach dem Frühstück vor der Großen Halle – sie mußte also schon bereit sein.
„Wollen wir nachher eigentlich nach Hogsmeade oder nicht?", fragte Ginger beim Frühstück und Narcissa wurde puterrot.
„Cis, was ist?", fragte Doreen besorgt und legte ihren Löffel beiseite.
Narcissa atmete tief durch: „Also, ICH gehe nachher nach Hogsmeade. Direkt nach dem Frühstück. Ich bin verabredet!"
Ginger fiel so ziemlich alles aus dem Gesicht, wohingegen Doreen breit zu grinsen begann: „Mit IHM??? Ernsthaft? Ist ja nicht wahr! Warum hast du uns nichts davon erzählt?"
„Scht!", versuchte Narcissa die Lautstärke zu drücken, „Ich habe euch nichts erzählt, weil ihr mich dann überhaupt nicht in Ruhe gelassen hättet. Ich bin so schon nervös genug!"
Sie blickte den Tisch etwas weiter hinauf, wo Lucius mit den Jungs aus seinem Jahrgang saß – hinter dem Tagespropheten vergraben – wie konnte es auch anders sein.
Schlagartig verließ Narcissa ihre Nervosität und Wut keimte in ihr auf – wie konnte er es wagen, nicht wenigstens genau so nervös zu sein, wie sie? Wenn er diese Sache als etwas völlig nebensächliches betrachtete, dann hatte Narcissa auch keine Lust mehr darauf. Einen Moment lang dachte sie ernsthaft darüber nach, die Verabredung platzen zu lassen und stattdessen mit Doreen und Ginger nach Hogsmeade zu gehen. Andererseits... Sie schaute Ginger Kershaw an, wie sie ihr gegenüber in ihrem Rührei herum stocherte und verzog die Augen zu schmalen Schlitzen. Nein, allein schon um Ginger zu ärgern würde sie mit Lucius gehen!
5 Meter den Tisch hinauf saß Lucius Malfoy und kaute an seiner Unterlippe – etwas was er nur tat, wenn er vor Nervosität fast platzte. Immer bemüht, eine perfekte und glatte Fassade zu bieten, an der niemand wagen konnte, zu kratzen, hatte er all seine Gefühle so tief in sich begraben, daß er nun, wo sie zur Oberfläche strebten, gar nicht mehr mit ihnen umgehen konnte.
Außer seiner Wut auf seine Eltern und eine unbestimmte Verehrung eines ihm noch unbekannten Schwarzmagiers hatte er in den letzten Jahren nur wenig empfunden. Normalerweise lachte er auch nicht – und schon gar nicht in der Gegenwart von Mädchen – doch mit Narcissa war das anders. Einfacher. Und ungleich komplizierter. Jedesmal, wenn sie in den Raum trat, wurde Lucius heiß und für einen Moment schwindelig. Jede kurze Unterhaltung war eine Überwindung von physischen Unmöglichkeiten – wie konnte man sprechen, wenn der Mund trocken war wie die Wüste? Wie stehen oder gehen, wenn die Knie aus Wackelpudding waren? Und sein Herz schlug manchmal so laut, daß er sich wunderte, überhaupt etwas von dem Gesagten um sich herum mit zu bekommen. Es glich schon einem Wunder, daß er in den letzten Tagen nicht irgendwo gegen gelaufen war – sobald er in Narcissa's fast violette Augen schaute, war die Umgebung nämlich relativ irrelevant für ihn.
Um nicht die ganze Zeit zu Narcissa hinüber zu starren oder andere seine Nervosität spüren zu lassen, hatte er sich hinter der Zeitung vergraben – eine Art Separee inmitten der Großen Halle. Nur für ihn und seine wirren Gedanken.
Was sollte er ihr erzählen? Wohin sollten sie genau gehen? Er mußte noch neue Federkiele und Tinte kaufen – das war aber auch schon alles. Normalerweise erledigte er seine Einkäufe und setzte sich dann wie die meisten Schüler noch auf etwas zu trinken in die „Drei Besen", bevor er wieder zur Schule zurück kehrte. Das ganze dauerte sonst nicht einmal 2 Stunden – doch heute wollte er mehr Zeit in Hogsmeade verbringen – mehr Zeit mit Narcissa Black.
Sollte er versuchen, sie zu küssen auf dem Rückweg? Erwartete sie das von ihm? Nein, sie war zu wohlerzogen, um gleich bei der ersten Verabredung... Oder doch nicht?
Als er Blut in seinem Mund schmeckte, wurde ihm relativ schnell klar, daß er das mit dem Küssen für den heutigen Tag wohl vergessen konnte -–er hatte sich soeben seine Unterlippe blutig gekaut.
Verstohlen suchte er in den Taschen seines Umhangs auf der Bank neben sich nach einem Taschentuch und presste dieses auf seinen Mund, immer noch im Verborgenen hinter dem Tagespropheten. ‚Wenn ich Pech habe, wird die Wunde durch die Kälte nachher aufplatzen und es wird wieder bluten. Sehr romantisch, wirklich.', schalt er sich selbst in Gedanken, während er das Taschentuch betrachtete, ob die Blutung gestillt war.
Er legte die Zeitung beiseite und stellte fest, daß die Meisten bereits die Große Halle verlassen hatten und das Frühstück mehr oder weniger beendet war. Hastig trank er noch einen Schluck kalt gewordenen Tee, langte nach seinem Umhang und warf ihn sich über. Wo war Narcissa?
Er stürzte aus der Großen Halle und sah sie am großen Eingangstor stehen. Sie blickte in die sonnige Herbstlandschaft hinaus und wickelte sich fester in ihren Umhang, die Tasche geschultert und bereit für den Aufbruch.
Schlitternd kam Lucius neben ihr zum Stehen und sein Atem war gepresst, als er sich entschuldigte: „Verzeih, ich habe die Zeit vergessen. Können wir los?"
Sie war immer noch wütend auf Lucius, aber ihr Trotz Ginger gegenüber war stärker. Auch wenn ihr mehr danach war, dem kalten Fisch eine Abfuhr zu erteilen, lächelte sie gekünstelt und nickte – wohl wissend, daß Ginger sich hinter einer Ecke in der Eingangshalle verschanzt hatte, um zu sehen, ob Narcissa wirklich mit dem unterkühlten Malfoy verabredet war. Sie konnte fast hören, wie ihre Klassenkollegin vor Neid zerplatzte, als Lucius den Arm kurz um sie legte und sie durch die Masse von aufgedrehten Drittklässlern führte, die heute zum ersten Mal nach Hogsmeade durften.
Die ersten Minuten gingen sie schweigend neben einander her, während sie sich beide den Kopf zerbrachen, worüber sie nur reden sollten. Narcissa beschloß, das Schweigen zu brechen: „Ich müßte mit noch neue Tinte holen und eine Bürste für Jason – meinen Kater."
Lucius atmete erleichtert auf: „Ich brauche auch neue Tinte, aber ich weiß nicht, wo man Bürsten für Tiere her bekommt. Meine Eule haart eher selten..."
Narcissa mußte lächeln – der Witz war zwar nicht gut, aber seine Nervosität war ihm nicht entgangen. ‚Wachs in meinen Händen...', dachte sie sich und ihre Laune besserte sich schlagartig: Lucius Malfoy, Sproß einer der reichsten Zaubererfamilien in Großbritannien und in Insider-Kreisen auch als „der kalte Fisch"bekannt, war nervös wie – ein Schuljunge!
„Wenn sie das tun würde, würde ich an deiner Stelle zuerst die Zusammenstellung ihres Futters überprüfen!", konterte Narcissa selbstsicher und Lucius entgleisten die Gesichtszüge: zuerst ratlos, dann lächelnd griff er nah ihrem Arm und hakte sie ein: „Ich sehe schon, dies wird mein bisher amüsantester Ausflug nach Hogsmeade werden!"
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Sie wanderten den ganzen Vormittag über unbefangen durch Hogsmeade, betraten Läden, in denen Lucius nie zuvor war und zur Mittagszeit setzten sie sich in die „Drei Besen".
„Was möchtest du essen?", fragte Lucius und reichte ihr die kurze Speisekarte des Pubs über den Tisch, den sie sich in einer stilleren Ecke ergattert hatten.
Narcissa atmete tief durch: sie hatte kein Geld mehr, weil ihre Reserven durch den Einkaufsbummel fast gänzlich aufgebraucht waren. Weihnachten würde dieses Jahr entweder von ihren Eltern finanziert werden müssen oder aber sehr mager für Anderen von ihrer Seite aus ausfallen. Und nun auch noch Essen in den „Drei Besen"– die Kleinigkeiten hier kosteten zwar nur wenig, aber in ihrem Budget war höchstens noch ein Butterbier drin.
„Danke, ich möchte nur etwas zu Trinken. Ein Butterbier wäre jetzt schön.", wand sie sich aus der Situation, aber Lucius ließ nicht locker: „Komm schon – ich habe Hunger und mag nicht allein essen. Ich lade dich auch ein!"
Narcissa zögerte – vom Frühstück hatte sie nicht wirklich viel gehabt, beziehungsweise runter bekommen können und ihr Magen begann langsam aber sicher zu knurren, aber wenn sie sich jetzt von Lucius einladen ließ, war sie ihm etwas schuldig.
„Nein, danke. Ein Butterbier reicht mir!", entgegnete sie nun bestimmt und Lucius zuckte mit den Schultern: „Wie du möchtest – ich gehe bestellen."
Er drängte sich durch den mehr als gefüllten Pub zur Bar hindurch und überließ Narcissa ihren plötzlich nicht mehr so fröhlichen und gelösten Gedanken. Erneut wurde ihr die zwar nicht unbedingt prekäre, aber doch eben nicht völlig befriedigende finanzielle Lage ihrer Familie bewußt. Während Tante Adolfina im Londoner Stammhaus der Blacks lebte, lebte ihre eigene Familie in wesentlich bescheideneren Verhältnissen in Cornwall. Ihr Vater führte für Onkel Ernest die Immobiliengeschäfte durch und die Provision war relativ mager. Sie lebten zwar nicht schlecht, aber auch nicht luxuriös. Und daher war Narcissa's Taschengeld so gut wie aufgebraucht.
‚Er hat solche Sorgen natürlich nicht!', dachte sie und seufzte innerlich. Der Vormittag war bis zu diesem Augenblick völlig sorgenfrei gewesen – nun war diese Stimmung hinüber. ‚Dann kann ich ihn ja jetzt auch ausquetschen!'
Lucius kehrte mit zwei Gläsern Butterbier an den Tisch zurück und setzte sich ihr wieder gegenüber – das Pub war gerammelt voll mit Schülern von Hogwarts und nicht wenige guckten mehr oder weniger unverhohlen neugierig zu den beiden Slytherins hinüber. „Möchte mal wissen, was die alle so spannend finden...", brummelte er vor sich hin.
„Ist es dir etwa peinlich, mit mir gesehen zu werden?", fragte Narcissa kühl und trank einen Schluck aus dem Glas. Innerlich begann sie gerade zu kochen vor Wut.
Lucius schluckte, „Nein, natürlich nicht, ganz im Gegenteil... es ist nur...", stammelte er vor sich hin und ahnte, daß er einen Fehler gemacht hatte. In Narcissa's Gesicht war keine Regung zu erkennen. „Hör zu, ehrlich gesagt fühle ich mich... geehrt, mit dir heute den Vormittag verbringen zu dürfen – und ich hoffe, daß es nicht das letzte Mal war. Was mich nervt, sind nur diese neugierigen Blicke. Als hätten die selbst alle kein Privatleben!", raunzte er über den Tisch und hoffte auf eine positive Reaktion, doch Narcissa's Miene war wie versteinert.
Plötzlich wechselte sie das Thema: „Ich habe gehört, du willst nach diesem Jahr in Frankreich studieren. Warum?"
Lucius war völlig überrumpelt und antwortete aus dem Bauch heraus: „Weil es weit weg von meinen Eltern ist..."Dafür hätte er sich ohrfeigen können: Narcissa sollte (noch) nicht erfahren, welch kompliziertes Verhältnis er zu seinen Eltern pflegte.
Nun war Narcissa verwirrt, fing jedoch an zu lächeln: so ungeschönt, wie er geantwortet hatte, so ehrlich klang es. „Ach? Nur deshalb?"
„Und weil ich dort bei meiner Tante wohnen kann. Meine Familie dort ist nicht halb so anstrengend wie die hier. Ist halt ein anderer Lebensstil. Wenn es nach meinen Eltern geht, lerne ich erst für 2 Jahre bei Gringotts, um dann die Geschäfte nach und nach zu übernehmen. Mit 25 wäre mein Leben vorbei, bevor es richtig angefangen hätte.", antwortete er nun überlegter, aber genauso ehrlich. „Und zwischendurch suchen sie mir noch eine Frau aus, mit der ich einen Stall voll Kinder bekommen soll. Nein danke."
Narcissa lächelte nun nicht mehr. Offensichtlich war Lucius doch nicht so glücklich, wie sie immer gedacht hatte, daß es Kinder aus reichen Familien wären. Aber zumindest schien keine Freundin aus Beauxbatons dahinter zu stecken.
„Und was willst du nach der Schule machen?", fragte er sie und empfing von Madame Rosmerta sein bestelltes Sandwich. Damit brachte er Narcissa in arge Verlegenheit. Sie selbst hatte bisher noch überhaupt nicht darüber nachgedacht, was sie tun könnte. Zumindest nicht ernsthaft. Wenn sie jetzt antwortete: „Heiraten und Kinder kriegen!"war das zwar ehrlich aber nicht besonders intelligent.
„Ich weiß es noch nicht.", antwortete sie stattdessen, „Meine Familie hat ganz gute Kontakte zum Ministerium – vielleicht fange ich dort im Büro an. Oder ich schaue, ob ich im St. Mungos anfangen könnte. Auf der Kinderstation. Meine kleine Schwester war vor 3 Jahren dort nach einem Gnombiss, der sich entzündete. Die Arbeit dort schien viel Spaß zu machen."
„Magst du Kinder?", fragte er und aß sein Sandwich weiter.
„Ja. Warum nicht? Bis auf meinen Cousin sind alle Kinder recht angenehm..."
„Was ist mit deinem Cousin? Ist er hier in Hogwarts?"
„Ja. Dieses Jahr aufgenommen worden. Und die letzte Nervensäge!"
Lucius runzelte die Stirn. Er hatte nur eine Nervensäge aus der ersten Klasse bisher wahrgenommen: ein dürrer Junge mit fettigem schwarzen Haar, der die meiste Zeit in der Bibliothek verbrachte. Aber er konnte nicht glauben, daß Narcissa mit ihm verwandt war – sie waren sich überhaupt nicht ähnlich.
Narcissa schüttelte die Gedanken an Sirius ab, trank einen weiteren Schluck aus ihrem Glas und blickte durch das Fenster nach draußen – es war immer noch sehr kalt und die Sonne verschwand langsam hinter dichtem Hochnebel. Der Tag wurde so trüb wie ihre Stimmung. Gedanken über die Zukunft oder ihre Familie machten sie häufig wütend und hilflos. Da half es ihr nun auch nicht, endlich eine Verabredung mit ihrem großen Schwarm zu haben.
