"Oh- ja. Äh. Wir gehen in die gleiche Klasse", stotterte Lily. Oh Gott, wie konnte das

sein? Sally war doch so furchtbar nett? Und David auch? Und sie waren die Eltern von

JAMES POTTER! Obwohl. wieso war ihr das nicht früher aufgefallen? Sally hatte exakt die

gleichen Augen wie er, und David trug ebenfalls eine Brille und hatte rabenschwarzes Haar,

welches ihm am Hinterkopf abstand und sich anscheinend einfach nicht glatt bürsten ließ. Die

Ähnlichkeit war offensichtlich. Trotzdem. Bedeutete das, sie würde ihn bei jedem Essen

sehen, womöglich auch noch in der Zwischenzeit ertragen müssen? Seine unausstehlich

arrogante Art, sein ätzendes Selbstbewusstsein, seine nervigen Scherze?

"Deinem Gesicht nach zu schließen magst du ihn nicht besonders", bemerkte Sally. Lily sah

sie erschrocken an. "Ich meinte- ich wollte damit nicht sagen, dass-" "Schon gut. Ich kann es

ein bisschen verstehen. Ich frage mich ja selber oft genug, was wir bei seiner Erziehung falsch

gemacht haben. Aber David meint, er wäre früher genauso gewesen, und schließlich bin ich

jetzt mit ihm verheiratet, also kann James auch nicht so schlecht sein, oder?" Sie lachte. "Ich

glaube, dadurch dass er ein Einzelkind ist, haben wir ihn etwas zu sehr verwöhnt. weißt du,

die Potters sind eine alte Zaubererfamilie, und dazu recht wohlhabend. Das hat halt auf James

abgefärbt. Ich glaube es tut ihm gut, dass Sirius jetzt seine Ferien hier verbringt. Das ist

vielleicht nicht annähernd soviel wie ein Geschwisterkind, aber immerhin besser als nichts."

"Oh, Sirius ist auch hier?" Lilys Schultern sanken. Gegen Sirius hatte sie nicht ganz soviel-

abgesehen davon, dass er James Potters bester Freund war, fast alle Mädchen auf der Schule

verrückt nach ihm waren, und er oft genauso nervig war wie James. Selbst Anlea und Sheila,

die sonst doch recht vernünftig waren, begannen zu kichern und mädchenhaft zu tuscheln,

wenn sie ihn sahen. Sie gingen jetzt schon seit sechs Jahren in die gleiche Klasse, und

dennoch trauten sie sich nicht, ihn anzusprechen, ohne rot zu werden und einem Kicheranfall

zu erlegen. Ein Verhalten, welches Lily absolut abstoßend fand. Vielleicht lag es daran, dass

Petunia sich auch so benahm, und sie dadurch so eine Art Kindheitstraume hatte, aber dieses

Quietschen und Giggeln, und Lästern und Schminke- alles was dazu gehörte, war ihr zu

wieder. Ein weiterer Faktor, der dazu beitrug, dass Lily auch als "die Eisblume" bekannt war-

absolut unerreichbar für die Jungen, da sie wählerischer als die anderen war. Tatsächlich war

sie letztes Jahr zum ersten Mal mit einem Jungen ausgegangen, Stevie Kiker, und als sie

herausfand, dass er mit seinen Freunden eine Wette abgeschlossen hatte, dass er sie noch im

selben Jahr herumkriegen würde, und sämtlichen Jungen der Schule genauestens beschrieben

hatte, wie er ihr unter die Bluse gegriffen hatte, hatte sie ihm nach dem Frühstück vor den

Augen aller Schüler eine geknallt und Schluss gemacht. Seitdem hatte erst einmal wieder

genug von Jungen. Stevies Annäherungsversuche wehrte sie kalt ab. Sie musste zugeben, dass

ihr "Eisblume" gefiel. eine weiße, eisige Lilie, rein und unberührt, alleine und selbst den

kältesten Winter überstehend. Warum sollte sie sich mühe geben, diesen Titel loszuwerden?

"Ja, Sirius ist letztes Jahr von Zuhause weggelaufen- ich will es ihm nicht verdenken. Bei

solchen Eltern. Er und James treiben sich bestimmt irgendwo draußen herum. Du wirst sie

nicht vor heute Abend zu sehen bekommen, meistens machen sie den ganzen Tag Unsinn, um

sich von den ernsten Dingen abzulenken, und kommen nur zum Essen ins Haus. Letzten

Sommer haben sie sogar draußen auf der Wiese übernachtet- Aber dieses Jahr ist es zu

gefährlich." Sally deutete zum Küchenfenster hinaus. Lily sah sich um und erhaschte einen

blick auf eine saftig-grüne Wiese, dahinter etwas, das wie ein Stall aussah, und dahinter

dunkelgrüne Tannenspitzen. Ein Vogel kam über die Baumwipfel geflogen. Eine Eule. Sally

sah sie ebenfalls und öffnete vorsorglich das Fenster. Stumm warteten sie, bis die Eule

hereingesegelt kam und elegant auf der Lehne von Lilys Stuhl landete. Sie trug einen Brief im

Schnabel, auf dem Sallys Name stand. Sie nahm ihn und las ihn durch. Eine Sorgenfalte

bildete sich auf ihrer Stirn. Lily trank einen Schluck Kürbissaft und versuchte, nicht neugierig

auszusehen. "Vom Dumbledore." Sally winkte mit dem Pergament hin und her. "Lily, der

Tropfende Kessel ist zurzeit unbewohnbar, deshalb bittet Dumbledore darum, dass du den

Rest der Ferien hier verbringst. David bringt nachher deine Sachen mit. In Ordnung?" Lily

nickte langsam. "Wenn ich ihnen keine Arbeit mache." "Ach was, Liebes, James und Sirius

machen zusammen schon soviel Aufwand wie ein ganzer Kindergarten, da wirst du gar nicht

auffallen." Sie lachten. "Dann ist es okay." Lily lehnte sich zurück und strich der Eule durchs

Gefieder, woraufhin diese leise schuhute. Sally ging los, um nach Feder und Tinte zu suchen,

um Dumbledore zu antworten. Lily blieb in der Küche zurück. Nun gut, dann würde sie halt

noch gut vier Wochen Potter und Black ertragen müssen. Oder besser gesagt James und

Sirius, schließlich konnte sie die beiden in James Elternhaus nicht mit ihren Nachnamen

anreden. Worauf hatte sie sich bloß eingelassen? Zwar hatten Sirius und James ihr persönlich

noch nie etwas getan (abgesehen davon, dass Sirius ihr in der ersten Klasse einmal die Haare

Grün gefärbt hatte), aber- ihre bloße Anwesenheit empfand Lily einfach manchmal als

störend. Niemals schienen sie ernst zu sein, immer heimlich über irgend etwa lachend, und

dann waren sie so toll, und so perfekt, und alle liebten sie. Lily schüttelte sich. James fragte

sie inzwischen nicht mehr, ob sie mit ihm ausgehen würde, und das war ihr auch recht so. Sie

war vermutlich das einzige Mädchen der Schule, das solch ein Angebot abgelehnt hatte.

Sheila und Anlea hatten sie für wahnsinnig erklärt, weil sie nicht mit dem großartigen James

Potter ausgegangen war. Aber wieso sollte sie das tun? Sie hatte ihm nichts zu sagen, sie

kannte ihn ja noch nicht einmal wirklich. Die einzigen Gespräche, die sie mit ihm führte,

drehten sich um sein ätzendes Verhalten, wenn sie ihn als Vertrauensschülerin ermahnen

musste, oder er wieder irgendetwas absolut unausstehliches getan hatte. Nicht, dass er nur

dumme Sachen machte; Lily musste zugeben, das sie sich heimlich über manche Scherze der

Marauder prächtig amüsieren konnte. Es geschah Snape ganz recht, wenn ihm mal jemand

eine Lektion erteilte, da gab sie James Recht. Nur, musste es vor der ganzen Schule sein? Und

gemeinsam mit Sirius, so dass Snape überhaupt keine Chance mehr hatte? Das war nicht

mutig, edel oder einfach lustig, das war feige! Okay, zugegebener Maßen war James, ebenso

wie Sirius, ein exzellenter Zauberer und beherrschte sämtliche Zauber im Schlaf, ohne lange

dafür zu üben, aber das gab ihm nicht das Recht, einfach jemanden zu verhexen, nur weil ihm

gerade langweilig war!

In Gedanken wütete Lily weiter, regte sich über James auf und kraulte dabei der Eule das

Gefieder, bis Sally zurückkehrte und den fertig geschriebenen Antwortbrief dem Vogel

überreichte. Mit raschelndem Gefieder entschwand sie, und Sally warf einen Blick auf die

Uhr. "Gleich Teezeit", bemerkte sie. "Das bedeutet, dass zumindest Sirius bald hier

auftauchen wird. Muffins!" kommandierte sie. Aus dem nichts erschien leckere

Schokoladenmuffins auf einer Platte vor ihr. In Sekundenschnelle hatte sie den Tisch gedeckt

und steckte gerade den Zauberstab in die Tasche zurück, als die Tür aufging, und ein großer,

schlanker Junge eintrat. Lily stand so hinter Sally, dass sie ihn nicht genau sehen konnte, aber

sie wusste genau, dass es Sirius war. Man spürte es einfach, wenn er einen Raum betrat; als

würde ein Schwall gute Laune, Sarkasmus und Gelächter den Raum füllen, wenn er anwesend

war. "Oh Sirius, da bist du ja. Kommt James auch gleich?" fragte Sally. "Nö, der hat keinen

Hunger. Er ist nach Oben gegangen." "Auch gut. Wir haben für die Ferien über einen Gast,

Sirius, aber ich denke du kennst sie." Sally trat beiseite und gab den Blick auf Lily frei, die

ein Lächeln angesichts Sirius verblüffter Miene nicht unterdrücken konnte. "Hi Sirius", sagte

sie. "Lily?" Sirius fasste sich schnell und ein breites Grinsen erschien auf seinem Gesicht.

"Hey, schön dich zu sehen! Ich freue mich schon auf James Gesicht, wenn er dich sieht."

Lilys Gesicht verdüsterte sich, woraufhin Sirius und Sally in Gelächter ausbrachen. "Und ich

hoffe, mein Sohn benimmt sich auch", erklang eine Stimme hinter ihnen. "Wenn nicht, sag

mir einfach bescheid, Lily, und ich werde ihm die Ohren lang ziehen. Das hat er sowieso

verdient." Ein lächelnder David Potter trat in die Küche. "Oh, Tee. Kommt James auch?"

"Nein, er ist oben." Sirius nickte mit dem Kopf zur Decke. Lily war leicht nervös, als sie sich

wieder am Tisch nieder ließ. Sie erwartete, das Sirius jeden Moment eine seiner

unausstehlichen Bemerkungen machte, dass sie irgend etwas ungeschicktes tat, wusste nicht

was sie sagen sollte. Aber Nichts dergleichen geschah. "Lily, ich habe deine Sachen vorne im

Flur stehen lassen, Sully wird sie nachher hochbringen", sagte Mr Potter. Auf Lilys fragenden

Gesichtsausdruck hin erklärte er, "Unser Hauself." "Warum bist du überhaupt hier?" fragte

Sirius und wischte sich einen Krümel vom Mundwinkel. Lily sah ihn an. Bevor sie den Mund

aufmachte, sprach Mr Potter schon. "Eine Gruppe Todesser hat heute im Tropfenden Kessel

randaliert und einige Zauberer angegriffen. Der Pub ist völlig ruiniert. Es wird ewig dauern,

bis alles wieder hei aufgerichtet ist. Lily war dabei und musste in Sicherheit gebracht

werden." Während er sprach, erschien eine Sorgenfalte auf Sirius Stirn. Tatsächlich war es

das erste Mal, dass Lily ihn völlig ernst und ohne etwas Humor sah. "Wisst ihr, wer es war?"

fragte er leise. Mr Potter schüttelte den Kopf. "Sie sind entkommen. Aber ich bin mir

ziemlich sicher, dass MacNair dabei war, vielleicht auch einer der Malfoys. Wir konnten

keinen erwischen." Sirius schüttelte düster den Kopf. Dann sah er wieder Lily an. "Ich will ja

nicht unhöflich sein, aber wieso bist du dann nicht nach Hause gegangen?" fragte er

neugierig. "Ich hab im Tropfenden Kessel gewohnt", erklärte sie knapp. Sirius öffnete den

Mund, wohl um zu fragen, was mit ihren Eltern war, aber Mrs Potter warf ihm einen

warnenden Blick zu, und er schloss ihn schnell wieder. Schweigend aßen sie weiter. "Ich

muss noch einmal ins Büro", teilte Mr Potter seiner Frau kleinlaut mit. Sie warf ihm einen

bösen Blick zu und schürzte die Lippen. "Bleib nicht zu lange weg", ermahnte sie. "Sirius,

zeigst du Lily das Haus?" Er nickte. Na toll dachte Lily. Sie standen auf. Mr Potter

apparierte, und Sally räumte schnell die Küche auf, bevor sie durch die Küchentür

verschwand und irgendetwas von "Wolle" murmelte. "Na dann komm", grinste Sirius und

bedeutete ihr mit einer Handbewegung, ihm zu folgen. Sie traten in einen kleinen Flur, der um

die Ecke verschwand. An der linken Wand hingen Portraits und Photographien. Sirius

bemerkte Lilys interessierten Blick. "Sämtliche Potters" erklärte er, "Die Photos sind die

neueren. Das da ist James." Er deutete auf ein Farbphoto ganz am Ende der Bildergalerie. Es

zeigte einen etwa zwölfjährigen Jungen, der strahlend auf einem riesigen Berg purpurroter

Kissen saß und voller Stolz seinen neuen Besen hochhielt. Sein Lächeln war ansteckend. Lily bemerkte, wie ihre Mundwinkel sich nach oben bogen, obwohl sie es gar nicht beabsichtigt

hatte. Sie erinnerte sich, dass James schon in der zweiten Klasse als Ersatzspieler für das

Quidditchteam ausgesucht worden war.

Sirius führte sie weiter und präsentierte ihr jeden Raum im Tonfall eines Touristenführers, der

seiner Gruppe eine Sehenswürdigkeit nach der anderen zeigt. Er wies sie auf jede Vorzüge

und Nachteile der Räume hin ("Vorsicht, diese Lampe BEIßT!"), wer sie meistens benutzte

und wozu es sie überhaupt gab (Eine kleine Kammer, die gefüllt mit brennenden rosa Kerzen

war, konnte auch Sirius sich nicht erklären). "Hier, das ist dein Zimmer." Er öffnete eine Tür.

Lily sah sich begeistert um. Das Zimmer war nicht sonderlich groß, mit einer gemütlichen,

dunklen Einrichtung und weißen Stoffen. Ihre Koffer standen in der Mitte des Zimmers, als

ob sie darauf warteten, ausgepackt zu werden. "Du kannst dich gleich häuslich einrichten, ich

zeig dir nur schnell noch die letzten paar Räume, ja?" Sirius schloss die Tür wieder und Lily

blickte auf die letzten drei verbleibenden Türen im Flur des ersten Stocks. "Das hier", Sirius

machte eine galante Verbeugung, "Ist das Bad, dass du benutzen kannst. Die Tür daneben

führt zu einem zweiten Bad, welches James und ich benutzen. Und hier", er ging auf die letzte

Tür am ende des Flurs zu und ergriff die Klinke, "Hier schlafen James und ich." Mit diesen

Worten öffnete er die Tür, und Lily musste einen Schrei unterdrücken.

Das Zimmer war nicht viel größer als ihr eigenes, allerdings wirkte es wesentlich kleiner.

Neben dem großen Fenster (Auf dem Sims standen mehrere höchst verdächtig aussehende

Pflanzen) stand ein Möbelstück, von dem Lily nicht genau sagen konnte, ob es ein Bett, eine

Couch, ein gepolsterter Tisch oder irgendetwas anderes darstellen sollte. Auf jeden Fall sah es

gemütlich aus, und war breit genug, dass vier Leute bequem darauf Platz gefunden hätten.

Dahinter Hing ein Bücherregal von der Decke. Lily musste zweimal hinsehen, bis sie sich

sicher war, dass es wirklich auf dem Kopf stand und die Bücher auf der Unterseite der

Regalbretter klebten. Es schien aus purpurrotem Holz geschnitzt zu sein. Der Kalender über

dem Bett zeigte nichts als "Heute" an, nur an der rechten Kante befand sich ein kleiner Pfeil

und der sinnvolle Text "Vermutlich morgen". Die Decke des Raumes war nicht ebenmäßig,

sondern Kuppelartig gewölbt, und kleine blaue Kugeln schwebten dort, verschmolzen

miteinander und teilten sich in neue Blasen auf. Sie leuchteten auf eine seltsam unwirkliche

Weise. Auf dem Boden lagen Pergamente und Federn verstreut. In einer Ecke stapelten sich

Schulbücher, achtlos auf einen Haufen geworfen.

Der Schreibtisch neben der Tür war vollgemüllt mit den seltsamsten Dingen. Am meisten

beunruhigte Lily der Rauch, der von den Sachen aufstieg. Die Luft war erfüllt mir

Rauchschwaden, Sternen, Funken, glitzernden Wolken und sich selbstständig machenden

Wassertropfen, die nicht senkrecht nach unten, sondern kreuz und quer durch den Raum

flogen. Das Ganze Zimmer schien sich dabei langsam um sich selbst zu drehen, denn am

Fenster zogen Wiesen und Felder vorbei, dann ein Hof, der Stall, den Lily schon aus dem

Küchenfenster gesehen hatte, dann wieder Wald. und mitten in dem Chaos, bäuchlings auf

einem Haufen Zaubererroben, lag James Potter und unterhielt sich mit einem kleinen rosa

Ferkel.