"Oh- ja. Äh. Wir gehen in die gleiche Klasse", stotterte Lily. Oh Gott, wie
konnte das
sein? Sally war doch so furchtbar nett? Und David auch? Und sie waren die Eltern von
JAMES POTTER! Obwohl. wieso war ihr das nicht früher aufgefallen? Sally hatte exakt die
gleichen Augen wie er, und David trug ebenfalls eine Brille und hatte rabenschwarzes Haar,
welches ihm am Hinterkopf abstand und sich anscheinend einfach nicht glatt bürsten ließ. Die
Ähnlichkeit war offensichtlich. Trotzdem. Bedeutete das, sie würde ihn bei jedem Essen
sehen, womöglich auch noch in der Zwischenzeit ertragen müssen? Seine unausstehlich
arrogante Art, sein ätzendes Selbstbewusstsein, seine nervigen Scherze?
"Deinem Gesicht nach zu schließen magst du ihn nicht besonders", bemerkte Sally. Lily sah
sie erschrocken an. "Ich meinte- ich wollte damit nicht sagen, dass-" "Schon gut. Ich kann es
ein bisschen verstehen. Ich frage mich ja selber oft genug, was wir bei seiner Erziehung falsch
gemacht haben. Aber David meint, er wäre früher genauso gewesen, und schließlich bin ich
jetzt mit ihm verheiratet, also kann James auch nicht so schlecht sein, oder?" Sie lachte. "Ich
glaube, dadurch dass er ein Einzelkind ist, haben wir ihn etwas zu sehr verwöhnt. weißt du,
die Potters sind eine alte Zaubererfamilie, und dazu recht wohlhabend. Das hat halt auf James
abgefärbt. Ich glaube es tut ihm gut, dass Sirius jetzt seine Ferien hier verbringt. Das ist
vielleicht nicht annähernd soviel wie ein Geschwisterkind, aber immerhin besser als nichts."
"Oh, Sirius ist auch hier?" Lilys Schultern sanken. Gegen Sirius hatte sie nicht ganz soviel-
abgesehen davon, dass er James Potters bester Freund war, fast alle Mädchen auf der Schule
verrückt nach ihm waren, und er oft genauso nervig war wie James. Selbst Anlea und Sheila,
die sonst doch recht vernünftig waren, begannen zu kichern und mädchenhaft zu tuscheln,
wenn sie ihn sahen. Sie gingen jetzt schon seit sechs Jahren in die gleiche Klasse, und
dennoch trauten sie sich nicht, ihn anzusprechen, ohne rot zu werden und einem Kicheranfall
zu erlegen. Ein Verhalten, welches Lily absolut abstoßend fand. Vielleicht lag es daran, dass
Petunia sich auch so benahm, und sie dadurch so eine Art Kindheitstraume hatte, aber dieses
Quietschen und Giggeln, und Lästern und Schminke- alles was dazu gehörte, war ihr zu
wieder. Ein weiterer Faktor, der dazu beitrug, dass Lily auch als "die Eisblume" bekannt war-
absolut unerreichbar für die Jungen, da sie wählerischer als die anderen war. Tatsächlich war
sie letztes Jahr zum ersten Mal mit einem Jungen ausgegangen, Stevie Kiker, und als sie
herausfand, dass er mit seinen Freunden eine Wette abgeschlossen hatte, dass er sie noch im
selben Jahr herumkriegen würde, und sämtlichen Jungen der Schule genauestens beschrieben
hatte, wie er ihr unter die Bluse gegriffen hatte, hatte sie ihm nach dem Frühstück vor den
Augen aller Schüler eine geknallt und Schluss gemacht. Seitdem hatte erst einmal wieder
genug von Jungen. Stevies Annäherungsversuche wehrte sie kalt ab. Sie musste zugeben, dass
ihr "Eisblume" gefiel. eine weiße, eisige Lilie, rein und unberührt, alleine und selbst den
kältesten Winter überstehend. Warum sollte sie sich mühe geben, diesen Titel loszuwerden?
"Ja, Sirius ist letztes Jahr von Zuhause weggelaufen- ich will es ihm nicht verdenken. Bei
solchen Eltern. Er und James treiben sich bestimmt irgendwo draußen herum. Du wirst sie
nicht vor heute Abend zu sehen bekommen, meistens machen sie den ganzen Tag Unsinn, um
sich von den ernsten Dingen abzulenken, und kommen nur zum Essen ins Haus. Letzten
Sommer haben sie sogar draußen auf der Wiese übernachtet- Aber dieses Jahr ist es zu
gefährlich." Sally deutete zum Küchenfenster hinaus. Lily sah sich um und erhaschte einen
blick auf eine saftig-grüne Wiese, dahinter etwas, das wie ein Stall aussah, und dahinter
dunkelgrüne Tannenspitzen. Ein Vogel kam über die Baumwipfel geflogen. Eine Eule. Sally
sah sie ebenfalls und öffnete vorsorglich das Fenster. Stumm warteten sie, bis die Eule
hereingesegelt kam und elegant auf der Lehne von Lilys Stuhl landete. Sie trug einen Brief im
Schnabel, auf dem Sallys Name stand. Sie nahm ihn und las ihn durch. Eine Sorgenfalte
bildete sich auf ihrer Stirn. Lily trank einen Schluck Kürbissaft und versuchte, nicht neugierig
auszusehen. "Vom Dumbledore." Sally winkte mit dem Pergament hin und her. "Lily, der
Tropfende Kessel ist zurzeit unbewohnbar, deshalb bittet Dumbledore darum, dass du den
Rest der Ferien hier verbringst. David bringt nachher deine Sachen mit. In Ordnung?" Lily
nickte langsam. "Wenn ich ihnen keine Arbeit mache." "Ach was, Liebes, James und Sirius
machen zusammen schon soviel Aufwand wie ein ganzer Kindergarten, da wirst du gar nicht
auffallen." Sie lachten. "Dann ist es okay." Lily lehnte sich zurück und strich der Eule durchs
Gefieder, woraufhin diese leise schuhute. Sally ging los, um nach Feder und Tinte zu suchen,
um Dumbledore zu antworten. Lily blieb in der Küche zurück. Nun gut, dann würde sie halt
noch gut vier Wochen Potter und Black ertragen müssen. Oder besser gesagt James und
Sirius, schließlich konnte sie die beiden in James Elternhaus nicht mit ihren Nachnamen
anreden. Worauf hatte sie sich bloß eingelassen? Zwar hatten Sirius und James ihr persönlich
noch nie etwas getan (abgesehen davon, dass Sirius ihr in der ersten Klasse einmal die Haare
Grün gefärbt hatte), aber- ihre bloße Anwesenheit empfand Lily einfach manchmal als
störend. Niemals schienen sie ernst zu sein, immer heimlich über irgend etwa lachend, und
dann waren sie so toll, und so perfekt, und alle liebten sie. Lily schüttelte sich. James fragte
sie inzwischen nicht mehr, ob sie mit ihm ausgehen würde, und das war ihr auch recht so. Sie
war vermutlich das einzige Mädchen der Schule, das solch ein Angebot abgelehnt hatte.
Sheila und Anlea hatten sie für wahnsinnig erklärt, weil sie nicht mit dem großartigen James
Potter ausgegangen war. Aber wieso sollte sie das tun? Sie hatte ihm nichts zu sagen, sie
kannte ihn ja noch nicht einmal wirklich. Die einzigen Gespräche, die sie mit ihm führte,
drehten sich um sein ätzendes Verhalten, wenn sie ihn als Vertrauensschülerin ermahnen
musste, oder er wieder irgendetwas absolut unausstehliches getan hatte. Nicht, dass er nur
dumme Sachen machte; Lily musste zugeben, das sie sich heimlich über manche Scherze der
Marauder prächtig amüsieren konnte. Es geschah Snape ganz recht, wenn ihm mal jemand
eine Lektion erteilte, da gab sie James Recht. Nur, musste es vor der ganzen Schule sein? Und
gemeinsam mit Sirius, so dass Snape überhaupt keine Chance mehr hatte? Das war nicht
mutig, edel oder einfach lustig, das war feige! Okay, zugegebener Maßen war James, ebenso
wie Sirius, ein exzellenter Zauberer und beherrschte sämtliche Zauber im Schlaf, ohne lange
dafür zu üben, aber das gab ihm nicht das Recht, einfach jemanden zu verhexen, nur weil ihm
gerade langweilig war!
In Gedanken wütete Lily weiter, regte sich über James auf und kraulte dabei der Eule das
Gefieder, bis Sally zurückkehrte und den fertig geschriebenen Antwortbrief dem Vogel
überreichte. Mit raschelndem Gefieder entschwand sie, und Sally warf einen Blick auf die
Uhr. "Gleich Teezeit", bemerkte sie. "Das bedeutet, dass zumindest Sirius bald hier
auftauchen wird. Muffins!" kommandierte sie. Aus dem nichts erschien leckere
Schokoladenmuffins auf einer Platte vor ihr. In Sekundenschnelle hatte sie den Tisch gedeckt
und steckte gerade den Zauberstab in die Tasche zurück, als die Tür aufging, und ein großer,
schlanker Junge eintrat. Lily stand so hinter Sally, dass sie ihn nicht genau sehen konnte, aber
sie wusste genau, dass es Sirius war. Man spürte es einfach, wenn er einen Raum betrat; als
würde ein Schwall gute Laune, Sarkasmus und Gelächter den Raum füllen, wenn er anwesend
war. "Oh Sirius, da bist du ja. Kommt James auch gleich?" fragte Sally. "Nö, der hat keinen
Hunger. Er ist nach Oben gegangen." "Auch gut. Wir haben für die Ferien über einen Gast,
Sirius, aber ich denke du kennst sie." Sally trat beiseite und gab den Blick auf Lily frei, die
ein Lächeln angesichts Sirius verblüffter Miene nicht unterdrücken konnte. "Hi Sirius", sagte
sie. "Lily?" Sirius fasste sich schnell und ein breites Grinsen erschien auf seinem Gesicht.
"Hey, schön dich zu sehen! Ich freue mich schon auf James Gesicht, wenn er dich sieht."
Lilys Gesicht verdüsterte sich, woraufhin Sirius und Sally in Gelächter ausbrachen. "Und ich
hoffe, mein Sohn benimmt sich auch", erklang eine Stimme hinter ihnen. "Wenn nicht, sag
mir einfach bescheid, Lily, und ich werde ihm die Ohren lang ziehen. Das hat er sowieso
verdient." Ein lächelnder David Potter trat in die Küche. "Oh, Tee. Kommt James auch?"
"Nein, er ist oben." Sirius nickte mit dem Kopf zur Decke. Lily war leicht nervös, als sie sich
wieder am Tisch nieder ließ. Sie erwartete, das Sirius jeden Moment eine seiner
unausstehlichen Bemerkungen machte, dass sie irgend etwas ungeschicktes tat, wusste nicht
was sie sagen sollte. Aber Nichts dergleichen geschah. "Lily, ich habe deine Sachen vorne im
Flur stehen lassen, Sully wird sie nachher hochbringen", sagte Mr Potter. Auf Lilys fragenden
Gesichtsausdruck hin erklärte er, "Unser Hauself." "Warum bist du überhaupt hier?" fragte
Sirius und wischte sich einen Krümel vom Mundwinkel. Lily sah ihn an. Bevor sie den Mund
aufmachte, sprach Mr Potter schon. "Eine Gruppe Todesser hat heute im Tropfenden Kessel
randaliert und einige Zauberer angegriffen. Der Pub ist völlig ruiniert. Es wird ewig dauern,
bis alles wieder hei aufgerichtet ist. Lily war dabei und musste in Sicherheit gebracht
werden." Während er sprach, erschien eine Sorgenfalte auf Sirius Stirn. Tatsächlich war es
das erste Mal, dass Lily ihn völlig ernst und ohne etwas Humor sah. "Wisst ihr, wer es war?"
fragte er leise. Mr Potter schüttelte den Kopf. "Sie sind entkommen. Aber ich bin mir
ziemlich sicher, dass MacNair dabei war, vielleicht auch einer der Malfoys. Wir konnten
keinen erwischen." Sirius schüttelte düster den Kopf. Dann sah er wieder Lily an. "Ich will ja
nicht unhöflich sein, aber wieso bist du dann nicht nach Hause gegangen?" fragte er
neugierig. "Ich hab im Tropfenden Kessel gewohnt", erklärte sie knapp. Sirius öffnete den
Mund, wohl um zu fragen, was mit ihren Eltern war, aber Mrs Potter warf ihm einen
warnenden Blick zu, und er schloss ihn schnell wieder. Schweigend aßen sie weiter. "Ich
muss noch einmal ins Büro", teilte Mr Potter seiner Frau kleinlaut mit. Sie warf ihm einen
bösen Blick zu und schürzte die Lippen. "Bleib nicht zu lange weg", ermahnte sie. "Sirius,
zeigst du Lily das Haus?" Er nickte. Na toll dachte Lily. Sie standen auf. Mr Potter
apparierte, und Sally räumte schnell die Küche auf, bevor sie durch die Küchentür
verschwand und irgendetwas von "Wolle" murmelte. "Na dann komm", grinste Sirius und
bedeutete ihr mit einer Handbewegung, ihm zu folgen. Sie traten in einen kleinen Flur, der um
die Ecke verschwand. An der linken Wand hingen Portraits und Photographien. Sirius
bemerkte Lilys interessierten Blick. "Sämtliche Potters" erklärte er, "Die Photos sind die
neueren. Das da ist James." Er deutete auf ein Farbphoto ganz am Ende der Bildergalerie. Es
zeigte einen etwa zwölfjährigen Jungen, der strahlend auf einem riesigen Berg purpurroter
Kissen saß und voller Stolz seinen neuen Besen hochhielt. Sein Lächeln war ansteckend. Lily bemerkte, wie ihre Mundwinkel sich nach oben bogen, obwohl sie es gar nicht beabsichtigt
hatte. Sie erinnerte sich, dass James schon in der zweiten Klasse als Ersatzspieler für das
Quidditchteam ausgesucht worden war.
Sirius führte sie weiter und präsentierte ihr jeden Raum im Tonfall eines Touristenführers, der
seiner Gruppe eine Sehenswürdigkeit nach der anderen zeigt. Er wies sie auf jede Vorzüge
und Nachteile der Räume hin ("Vorsicht, diese Lampe BEIßT!"), wer sie meistens benutzte
und wozu es sie überhaupt gab (Eine kleine Kammer, die gefüllt mit brennenden rosa Kerzen
war, konnte auch Sirius sich nicht erklären). "Hier, das ist dein Zimmer." Er öffnete eine Tür.
Lily sah sich begeistert um. Das Zimmer war nicht sonderlich groß, mit einer gemütlichen,
dunklen Einrichtung und weißen Stoffen. Ihre Koffer standen in der Mitte des Zimmers, als
ob sie darauf warteten, ausgepackt zu werden. "Du kannst dich gleich häuslich einrichten, ich
zeig dir nur schnell noch die letzten paar Räume, ja?" Sirius schloss die Tür wieder und Lily
blickte auf die letzten drei verbleibenden Türen im Flur des ersten Stocks. "Das hier", Sirius
machte eine galante Verbeugung, "Ist das Bad, dass du benutzen kannst. Die Tür daneben
führt zu einem zweiten Bad, welches James und ich benutzen. Und hier", er ging auf die letzte
Tür am ende des Flurs zu und ergriff die Klinke, "Hier schlafen James und ich." Mit diesen
Worten öffnete er die Tür, und Lily musste einen Schrei unterdrücken.
Das Zimmer war nicht viel größer als ihr eigenes, allerdings wirkte es wesentlich kleiner.
Neben dem großen Fenster (Auf dem Sims standen mehrere höchst verdächtig aussehende
Pflanzen) stand ein Möbelstück, von dem Lily nicht genau sagen konnte, ob es ein Bett, eine
Couch, ein gepolsterter Tisch oder irgendetwas anderes darstellen sollte. Auf jeden Fall sah es
gemütlich aus, und war breit genug, dass vier Leute bequem darauf Platz gefunden hätten.
Dahinter Hing ein Bücherregal von der Decke. Lily musste zweimal hinsehen, bis sie sich
sicher war, dass es wirklich auf dem Kopf stand und die Bücher auf der Unterseite der
Regalbretter klebten. Es schien aus purpurrotem Holz geschnitzt zu sein. Der Kalender über
dem Bett zeigte nichts als "Heute" an, nur an der rechten Kante befand sich ein kleiner Pfeil
und der sinnvolle Text "Vermutlich morgen". Die Decke des Raumes war nicht ebenmäßig,
sondern Kuppelartig gewölbt, und kleine blaue Kugeln schwebten dort, verschmolzen
miteinander und teilten sich in neue Blasen auf. Sie leuchteten auf eine seltsam unwirkliche
Weise. Auf dem Boden lagen Pergamente und Federn verstreut. In einer Ecke stapelten sich
Schulbücher, achtlos auf einen Haufen geworfen.
Der Schreibtisch neben der Tür war vollgemüllt mit den seltsamsten Dingen. Am meisten
beunruhigte Lily der Rauch, der von den Sachen aufstieg. Die Luft war erfüllt mir
Rauchschwaden, Sternen, Funken, glitzernden Wolken und sich selbstständig machenden
Wassertropfen, die nicht senkrecht nach unten, sondern kreuz und quer durch den Raum
flogen. Das Ganze Zimmer schien sich dabei langsam um sich selbst zu drehen, denn am
Fenster zogen Wiesen und Felder vorbei, dann ein Hof, der Stall, den Lily schon aus dem
Küchenfenster gesehen hatte, dann wieder Wald. und mitten in dem Chaos, bäuchlings auf
einem Haufen Zaubererroben, lag James Potter und unterhielt sich mit einem kleinen rosa
Ferkel.
sein? Sally war doch so furchtbar nett? Und David auch? Und sie waren die Eltern von
JAMES POTTER! Obwohl. wieso war ihr das nicht früher aufgefallen? Sally hatte exakt die
gleichen Augen wie er, und David trug ebenfalls eine Brille und hatte rabenschwarzes Haar,
welches ihm am Hinterkopf abstand und sich anscheinend einfach nicht glatt bürsten ließ. Die
Ähnlichkeit war offensichtlich. Trotzdem. Bedeutete das, sie würde ihn bei jedem Essen
sehen, womöglich auch noch in der Zwischenzeit ertragen müssen? Seine unausstehlich
arrogante Art, sein ätzendes Selbstbewusstsein, seine nervigen Scherze?
"Deinem Gesicht nach zu schließen magst du ihn nicht besonders", bemerkte Sally. Lily sah
sie erschrocken an. "Ich meinte- ich wollte damit nicht sagen, dass-" "Schon gut. Ich kann es
ein bisschen verstehen. Ich frage mich ja selber oft genug, was wir bei seiner Erziehung falsch
gemacht haben. Aber David meint, er wäre früher genauso gewesen, und schließlich bin ich
jetzt mit ihm verheiratet, also kann James auch nicht so schlecht sein, oder?" Sie lachte. "Ich
glaube, dadurch dass er ein Einzelkind ist, haben wir ihn etwas zu sehr verwöhnt. weißt du,
die Potters sind eine alte Zaubererfamilie, und dazu recht wohlhabend. Das hat halt auf James
abgefärbt. Ich glaube es tut ihm gut, dass Sirius jetzt seine Ferien hier verbringt. Das ist
vielleicht nicht annähernd soviel wie ein Geschwisterkind, aber immerhin besser als nichts."
"Oh, Sirius ist auch hier?" Lilys Schultern sanken. Gegen Sirius hatte sie nicht ganz soviel-
abgesehen davon, dass er James Potters bester Freund war, fast alle Mädchen auf der Schule
verrückt nach ihm waren, und er oft genauso nervig war wie James. Selbst Anlea und Sheila,
die sonst doch recht vernünftig waren, begannen zu kichern und mädchenhaft zu tuscheln,
wenn sie ihn sahen. Sie gingen jetzt schon seit sechs Jahren in die gleiche Klasse, und
dennoch trauten sie sich nicht, ihn anzusprechen, ohne rot zu werden und einem Kicheranfall
zu erlegen. Ein Verhalten, welches Lily absolut abstoßend fand. Vielleicht lag es daran, dass
Petunia sich auch so benahm, und sie dadurch so eine Art Kindheitstraume hatte, aber dieses
Quietschen und Giggeln, und Lästern und Schminke- alles was dazu gehörte, war ihr zu
wieder. Ein weiterer Faktor, der dazu beitrug, dass Lily auch als "die Eisblume" bekannt war-
absolut unerreichbar für die Jungen, da sie wählerischer als die anderen war. Tatsächlich war
sie letztes Jahr zum ersten Mal mit einem Jungen ausgegangen, Stevie Kiker, und als sie
herausfand, dass er mit seinen Freunden eine Wette abgeschlossen hatte, dass er sie noch im
selben Jahr herumkriegen würde, und sämtlichen Jungen der Schule genauestens beschrieben
hatte, wie er ihr unter die Bluse gegriffen hatte, hatte sie ihm nach dem Frühstück vor den
Augen aller Schüler eine geknallt und Schluss gemacht. Seitdem hatte erst einmal wieder
genug von Jungen. Stevies Annäherungsversuche wehrte sie kalt ab. Sie musste zugeben, dass
ihr "Eisblume" gefiel. eine weiße, eisige Lilie, rein und unberührt, alleine und selbst den
kältesten Winter überstehend. Warum sollte sie sich mühe geben, diesen Titel loszuwerden?
"Ja, Sirius ist letztes Jahr von Zuhause weggelaufen- ich will es ihm nicht verdenken. Bei
solchen Eltern. Er und James treiben sich bestimmt irgendwo draußen herum. Du wirst sie
nicht vor heute Abend zu sehen bekommen, meistens machen sie den ganzen Tag Unsinn, um
sich von den ernsten Dingen abzulenken, und kommen nur zum Essen ins Haus. Letzten
Sommer haben sie sogar draußen auf der Wiese übernachtet- Aber dieses Jahr ist es zu
gefährlich." Sally deutete zum Küchenfenster hinaus. Lily sah sich um und erhaschte einen
blick auf eine saftig-grüne Wiese, dahinter etwas, das wie ein Stall aussah, und dahinter
dunkelgrüne Tannenspitzen. Ein Vogel kam über die Baumwipfel geflogen. Eine Eule. Sally
sah sie ebenfalls und öffnete vorsorglich das Fenster. Stumm warteten sie, bis die Eule
hereingesegelt kam und elegant auf der Lehne von Lilys Stuhl landete. Sie trug einen Brief im
Schnabel, auf dem Sallys Name stand. Sie nahm ihn und las ihn durch. Eine Sorgenfalte
bildete sich auf ihrer Stirn. Lily trank einen Schluck Kürbissaft und versuchte, nicht neugierig
auszusehen. "Vom Dumbledore." Sally winkte mit dem Pergament hin und her. "Lily, der
Tropfende Kessel ist zurzeit unbewohnbar, deshalb bittet Dumbledore darum, dass du den
Rest der Ferien hier verbringst. David bringt nachher deine Sachen mit. In Ordnung?" Lily
nickte langsam. "Wenn ich ihnen keine Arbeit mache." "Ach was, Liebes, James und Sirius
machen zusammen schon soviel Aufwand wie ein ganzer Kindergarten, da wirst du gar nicht
auffallen." Sie lachten. "Dann ist es okay." Lily lehnte sich zurück und strich der Eule durchs
Gefieder, woraufhin diese leise schuhute. Sally ging los, um nach Feder und Tinte zu suchen,
um Dumbledore zu antworten. Lily blieb in der Küche zurück. Nun gut, dann würde sie halt
noch gut vier Wochen Potter und Black ertragen müssen. Oder besser gesagt James und
Sirius, schließlich konnte sie die beiden in James Elternhaus nicht mit ihren Nachnamen
anreden. Worauf hatte sie sich bloß eingelassen? Zwar hatten Sirius und James ihr persönlich
noch nie etwas getan (abgesehen davon, dass Sirius ihr in der ersten Klasse einmal die Haare
Grün gefärbt hatte), aber- ihre bloße Anwesenheit empfand Lily einfach manchmal als
störend. Niemals schienen sie ernst zu sein, immer heimlich über irgend etwa lachend, und
dann waren sie so toll, und so perfekt, und alle liebten sie. Lily schüttelte sich. James fragte
sie inzwischen nicht mehr, ob sie mit ihm ausgehen würde, und das war ihr auch recht so. Sie
war vermutlich das einzige Mädchen der Schule, das solch ein Angebot abgelehnt hatte.
Sheila und Anlea hatten sie für wahnsinnig erklärt, weil sie nicht mit dem großartigen James
Potter ausgegangen war. Aber wieso sollte sie das tun? Sie hatte ihm nichts zu sagen, sie
kannte ihn ja noch nicht einmal wirklich. Die einzigen Gespräche, die sie mit ihm führte,
drehten sich um sein ätzendes Verhalten, wenn sie ihn als Vertrauensschülerin ermahnen
musste, oder er wieder irgendetwas absolut unausstehliches getan hatte. Nicht, dass er nur
dumme Sachen machte; Lily musste zugeben, das sie sich heimlich über manche Scherze der
Marauder prächtig amüsieren konnte. Es geschah Snape ganz recht, wenn ihm mal jemand
eine Lektion erteilte, da gab sie James Recht. Nur, musste es vor der ganzen Schule sein? Und
gemeinsam mit Sirius, so dass Snape überhaupt keine Chance mehr hatte? Das war nicht
mutig, edel oder einfach lustig, das war feige! Okay, zugegebener Maßen war James, ebenso
wie Sirius, ein exzellenter Zauberer und beherrschte sämtliche Zauber im Schlaf, ohne lange
dafür zu üben, aber das gab ihm nicht das Recht, einfach jemanden zu verhexen, nur weil ihm
gerade langweilig war!
In Gedanken wütete Lily weiter, regte sich über James auf und kraulte dabei der Eule das
Gefieder, bis Sally zurückkehrte und den fertig geschriebenen Antwortbrief dem Vogel
überreichte. Mit raschelndem Gefieder entschwand sie, und Sally warf einen Blick auf die
Uhr. "Gleich Teezeit", bemerkte sie. "Das bedeutet, dass zumindest Sirius bald hier
auftauchen wird. Muffins!" kommandierte sie. Aus dem nichts erschien leckere
Schokoladenmuffins auf einer Platte vor ihr. In Sekundenschnelle hatte sie den Tisch gedeckt
und steckte gerade den Zauberstab in die Tasche zurück, als die Tür aufging, und ein großer,
schlanker Junge eintrat. Lily stand so hinter Sally, dass sie ihn nicht genau sehen konnte, aber
sie wusste genau, dass es Sirius war. Man spürte es einfach, wenn er einen Raum betrat; als
würde ein Schwall gute Laune, Sarkasmus und Gelächter den Raum füllen, wenn er anwesend
war. "Oh Sirius, da bist du ja. Kommt James auch gleich?" fragte Sally. "Nö, der hat keinen
Hunger. Er ist nach Oben gegangen." "Auch gut. Wir haben für die Ferien über einen Gast,
Sirius, aber ich denke du kennst sie." Sally trat beiseite und gab den Blick auf Lily frei, die
ein Lächeln angesichts Sirius verblüffter Miene nicht unterdrücken konnte. "Hi Sirius", sagte
sie. "Lily?" Sirius fasste sich schnell und ein breites Grinsen erschien auf seinem Gesicht.
"Hey, schön dich zu sehen! Ich freue mich schon auf James Gesicht, wenn er dich sieht."
Lilys Gesicht verdüsterte sich, woraufhin Sirius und Sally in Gelächter ausbrachen. "Und ich
hoffe, mein Sohn benimmt sich auch", erklang eine Stimme hinter ihnen. "Wenn nicht, sag
mir einfach bescheid, Lily, und ich werde ihm die Ohren lang ziehen. Das hat er sowieso
verdient." Ein lächelnder David Potter trat in die Küche. "Oh, Tee. Kommt James auch?"
"Nein, er ist oben." Sirius nickte mit dem Kopf zur Decke. Lily war leicht nervös, als sie sich
wieder am Tisch nieder ließ. Sie erwartete, das Sirius jeden Moment eine seiner
unausstehlichen Bemerkungen machte, dass sie irgend etwas ungeschicktes tat, wusste nicht
was sie sagen sollte. Aber Nichts dergleichen geschah. "Lily, ich habe deine Sachen vorne im
Flur stehen lassen, Sully wird sie nachher hochbringen", sagte Mr Potter. Auf Lilys fragenden
Gesichtsausdruck hin erklärte er, "Unser Hauself." "Warum bist du überhaupt hier?" fragte
Sirius und wischte sich einen Krümel vom Mundwinkel. Lily sah ihn an. Bevor sie den Mund
aufmachte, sprach Mr Potter schon. "Eine Gruppe Todesser hat heute im Tropfenden Kessel
randaliert und einige Zauberer angegriffen. Der Pub ist völlig ruiniert. Es wird ewig dauern,
bis alles wieder hei aufgerichtet ist. Lily war dabei und musste in Sicherheit gebracht
werden." Während er sprach, erschien eine Sorgenfalte auf Sirius Stirn. Tatsächlich war es
das erste Mal, dass Lily ihn völlig ernst und ohne etwas Humor sah. "Wisst ihr, wer es war?"
fragte er leise. Mr Potter schüttelte den Kopf. "Sie sind entkommen. Aber ich bin mir
ziemlich sicher, dass MacNair dabei war, vielleicht auch einer der Malfoys. Wir konnten
keinen erwischen." Sirius schüttelte düster den Kopf. Dann sah er wieder Lily an. "Ich will ja
nicht unhöflich sein, aber wieso bist du dann nicht nach Hause gegangen?" fragte er
neugierig. "Ich hab im Tropfenden Kessel gewohnt", erklärte sie knapp. Sirius öffnete den
Mund, wohl um zu fragen, was mit ihren Eltern war, aber Mrs Potter warf ihm einen
warnenden Blick zu, und er schloss ihn schnell wieder. Schweigend aßen sie weiter. "Ich
muss noch einmal ins Büro", teilte Mr Potter seiner Frau kleinlaut mit. Sie warf ihm einen
bösen Blick zu und schürzte die Lippen. "Bleib nicht zu lange weg", ermahnte sie. "Sirius,
zeigst du Lily das Haus?" Er nickte. Na toll dachte Lily. Sie standen auf. Mr Potter
apparierte, und Sally räumte schnell die Küche auf, bevor sie durch die Küchentür
verschwand und irgendetwas von "Wolle" murmelte. "Na dann komm", grinste Sirius und
bedeutete ihr mit einer Handbewegung, ihm zu folgen. Sie traten in einen kleinen Flur, der um
die Ecke verschwand. An der linken Wand hingen Portraits und Photographien. Sirius
bemerkte Lilys interessierten Blick. "Sämtliche Potters" erklärte er, "Die Photos sind die
neueren. Das da ist James." Er deutete auf ein Farbphoto ganz am Ende der Bildergalerie. Es
zeigte einen etwa zwölfjährigen Jungen, der strahlend auf einem riesigen Berg purpurroter
Kissen saß und voller Stolz seinen neuen Besen hochhielt. Sein Lächeln war ansteckend. Lily bemerkte, wie ihre Mundwinkel sich nach oben bogen, obwohl sie es gar nicht beabsichtigt
hatte. Sie erinnerte sich, dass James schon in der zweiten Klasse als Ersatzspieler für das
Quidditchteam ausgesucht worden war.
Sirius führte sie weiter und präsentierte ihr jeden Raum im Tonfall eines Touristenführers, der
seiner Gruppe eine Sehenswürdigkeit nach der anderen zeigt. Er wies sie auf jede Vorzüge
und Nachteile der Räume hin ("Vorsicht, diese Lampe BEIßT!"), wer sie meistens benutzte
und wozu es sie überhaupt gab (Eine kleine Kammer, die gefüllt mit brennenden rosa Kerzen
war, konnte auch Sirius sich nicht erklären). "Hier, das ist dein Zimmer." Er öffnete eine Tür.
Lily sah sich begeistert um. Das Zimmer war nicht sonderlich groß, mit einer gemütlichen,
dunklen Einrichtung und weißen Stoffen. Ihre Koffer standen in der Mitte des Zimmers, als
ob sie darauf warteten, ausgepackt zu werden. "Du kannst dich gleich häuslich einrichten, ich
zeig dir nur schnell noch die letzten paar Räume, ja?" Sirius schloss die Tür wieder und Lily
blickte auf die letzten drei verbleibenden Türen im Flur des ersten Stocks. "Das hier", Sirius
machte eine galante Verbeugung, "Ist das Bad, dass du benutzen kannst. Die Tür daneben
führt zu einem zweiten Bad, welches James und ich benutzen. Und hier", er ging auf die letzte
Tür am ende des Flurs zu und ergriff die Klinke, "Hier schlafen James und ich." Mit diesen
Worten öffnete er die Tür, und Lily musste einen Schrei unterdrücken.
Das Zimmer war nicht viel größer als ihr eigenes, allerdings wirkte es wesentlich kleiner.
Neben dem großen Fenster (Auf dem Sims standen mehrere höchst verdächtig aussehende
Pflanzen) stand ein Möbelstück, von dem Lily nicht genau sagen konnte, ob es ein Bett, eine
Couch, ein gepolsterter Tisch oder irgendetwas anderes darstellen sollte. Auf jeden Fall sah es
gemütlich aus, und war breit genug, dass vier Leute bequem darauf Platz gefunden hätten.
Dahinter Hing ein Bücherregal von der Decke. Lily musste zweimal hinsehen, bis sie sich
sicher war, dass es wirklich auf dem Kopf stand und die Bücher auf der Unterseite der
Regalbretter klebten. Es schien aus purpurrotem Holz geschnitzt zu sein. Der Kalender über
dem Bett zeigte nichts als "Heute" an, nur an der rechten Kante befand sich ein kleiner Pfeil
und der sinnvolle Text "Vermutlich morgen". Die Decke des Raumes war nicht ebenmäßig,
sondern Kuppelartig gewölbt, und kleine blaue Kugeln schwebten dort, verschmolzen
miteinander und teilten sich in neue Blasen auf. Sie leuchteten auf eine seltsam unwirkliche
Weise. Auf dem Boden lagen Pergamente und Federn verstreut. In einer Ecke stapelten sich
Schulbücher, achtlos auf einen Haufen geworfen.
Der Schreibtisch neben der Tür war vollgemüllt mit den seltsamsten Dingen. Am meisten
beunruhigte Lily der Rauch, der von den Sachen aufstieg. Die Luft war erfüllt mir
Rauchschwaden, Sternen, Funken, glitzernden Wolken und sich selbstständig machenden
Wassertropfen, die nicht senkrecht nach unten, sondern kreuz und quer durch den Raum
flogen. Das Ganze Zimmer schien sich dabei langsam um sich selbst zu drehen, denn am
Fenster zogen Wiesen und Felder vorbei, dann ein Hof, der Stall, den Lily schon aus dem
Küchenfenster gesehen hatte, dann wieder Wald. und mitten in dem Chaos, bäuchlings auf
einem Haufen Zaubererroben, lag James Potter und unterhielt sich mit einem kleinen rosa
Ferkel.
