Die Geschichte hat nichts mit Arenor zu tun, ist lange nicht so ernst und ich weiß genau, dass bei Tolkien in Rhûn keine Elben leben. Irgendwo mussten die, die Mordor entkommen sind, aber schließlich hin und warum also nicht nach Rhûn? Sie sind etwas exzentrisch ausgefallen, aber wenn man am Ende der Welt lebt, darf man das auch sein. Elben schrumpeln im Alter auch nicht ein, das wäre ja noch schöner.
Herzlichen Dank an Mystic Girl, die hartnäckig auf dem ^ bestanden hat und mir auf den Füßen rumtrampelte, um die Story zu beenden.
Disclaimer: Alles gehört Tolkien bzw. seinen Erben. Ich habe es nur geliehen und gebe sie ja nachher auch wieder zurück, auch wenn es schwer fällt.
1. Kapitel: Gastgeber und Gäste
Keiner der Anwesenden wusste genau, wie er reagieren sollte, als die beiden Neuankömmlinge die Kaminhalle betraten. Der junge Elb war nicht das Problem, er unterschied sich kaum von jedem anderen, der eine lange, harte Reise hinter sich hatte und nun Aufnahme in Imladris suchte. Jedenfalls nicht sehr, wenn man ignorierte, dass er wirklich außergewöhnlich dreckig und abgerissen aussah. Beinahe menschlich, fand Elladan und dachte an Estel nach einer längeren Reise.
Es war jedoch die alte Frau, die an seiner Seite ging und sich schwer auf den Arm ihres Begleiters stützte, die den heruntergekommenen Elb neben ihr in den Hintergrund drängte.
Unruhe ging durch die Anwesenden, ungläubiges Raunen und Flüstern. Die Zwillinge sahen gleichzeitig zu ihrem Vater, der ohne jedes Anzeichen einer Regung den langsamen Weg seiner neuen Gäste verfolgte. Dabei musste es ihn kaum weniger verwundern.
Mit einem erleichterten Seufzer stoppte die Alte vor ihm und neigte leicht den Kopf. „Es war ein weiter Weg, mein Lord."
Elrond gab ein kurzes Handzeichen und es wurde sofort ein Stuhl gebracht, auf den sie sich umständlich niederließ. Sie war alt und man sah es ihr an. Das Gesicht war mit Falten durchzogen, ihre Gestalt gebeugt und die Hände, die sich nun auf die Armlehnen legten, waren knotig und zitterten leicht. Dabei konnte das gar nicht sein, diese Frau war eine Elbin und Anzeichen des Alters wie bei den Menschen kannte man bei Elben nicht.
Ihr Begleiter, der sich offenbar mehr um die alte Frau sorgte als um gute Manieren, beugte sich besorgt zu ihr herunter. „Du solltest ruhen, Enach", hörten sie ihn vernehmlich flüstern. „Deine Kraft muss erneuert werden. Elrond Peredhil kann auch noch warten."
Beinahe gleichzeitig verschränkten die Zwillinge die Arme vor der Brust. Diese Bemerkung war extrem unhöflich, da ihr Gast sich auch nur wenig Mühe gemacht hatte, sie vor den Ohren aller Anwesenden zu verbergen.
Elronds einzige Reaktion bestand aus einem kurzen Heben der Augenbrauen, bevor er sich ebenfalls setzte. „Willkommen in Imladris", sagte er dann freundlich. „König Thranduil kündigte das Kommen seltener Gäste an, doch er war sparsam mit seinen Worten, um wen es sich handelt."
„Thranduil", schmunzelte die alte Frau. „Er war nicht erfreut, uns in Düsterwald zu wissen. Ihm konnte es gar nicht schnell genug gehen, dass wir weiterzogen. Sogar Pferde stellte er uns zur Verfügung, damit wir nur schnell wieder verschwinden."
Das konnte sich Elladan denken. Legolas Vater war berüchtigt für seine ganz besondere Form der Gastfreundschaft allen Fremden gegenüber.
„Was passierte mit Euren eigenen Pferden?"
„Ah, der Weg war weit, nicht wahr? Wir gingen ihrer unterwegs verlustig. Das kann vorkommen."
Ihr Begleiter drehte die Augen zur Decke, sagte aber nichts. Elrond hingegen musterte ihn interessiert. „Ihr scheint dies nicht so leicht zu nehmen wie Eure Herrin, junger Elb."
„Galen Ithilos hadert mit meiner Entscheidung von der ersten Minute unseres Aufbruchs an", sagte Enach und tätschelte dem Jungen leicht den verdreckten, zerschlissenen Ärmel. Elladan hätte sich nicht gewundert, wenn eine Schmutzwolke aufgestiegen wäre. „Jeder kleine Zwischenfall bestärkt ihn darin, dass wir nie unsere Heimat hätten verlassen sollen."
„Und ich hatte recht", knurrte Galen und ein trotziger Blick aus seegrünen Augen heftete sich auf Elrond, als ob er von dort Widerspruch erwartete. „Enach wird es Euch kaum erzählen, Lord Elrond, sie hat Bescheidenheit zu einer Kunstform erhoben."
„Unter diesem Charakterfehler leidet Ihr jedenfalls nicht." Elladan konnte sich nicht beherrschen.
„Wollt Ihr über mich urteilen?" Galens Hände schlossen sich fester um den langen Ebenholzstab, den er bislang fast nachlässig neben sich gehalten hatte. Es war ein schönes Stück, gleichmäßig gearbeitet, die Enden in handlange Silberhülsen gefasst, die mit Blattornamenten bedeckt waren. Außerdem war es eindeutig eine Waffe. „Hier und jetzt?"
Elladans Augen weiteten sich angesichts dieser kaum versteckten Kampfaufforderung, die ihm da entgegen geschleudert wurde. „Ihr wagt…"
„Genug." Der Herr von Imladris hatte es nicht nötig, seine Stimme zu erheben, der Tonfall alleine reichte bereits aus, dass Galen widerstrebend den Kopf in einer Geste der Entschuldigung neigte. „Ich bin mir sicher, Euer Weg war hart und lang. Vielleicht wäre es am besten, Ihr würdet Euch etwas ausruhen, während ich mit Eurer Herrin bespreche, was ihr Anliegen an mich ist. Elladan, Elrohir, kümmert Euch um unseren Gast."
Galen rührte sich nicht von der Stelle. „Ich bin nicht so erschöpft wie die Heilerin, Lord Elrond. Solange sie noch nicht zur Ruhe kommt, bleibe ich."
„Ach, Galen", seufzte Enach. „Die Reise hat dich mehr Kraft gekostet hat mich. Du kämpfst schon so lange, dass du kaum noch zwischen Freund und Feind unterscheiden kannst. Kläre deinen Geist, Quelle meiner Freude, du weißt, wie dringend du den Frieden brauchst."
Die irritierenden Worte schienen bei Galen den richtigen Nerv zu treffen. Mit einer stummen Verbeugung wandte er sich ab und ging hinaus. Die Zwillinge warteten nicht auf eine weitere Aufforderung sondern folgten ihm. Sehr unterschiedliche Gefühle beherrschten sie und keines davon war wirklich freundlich. Aber die Anweisung ihres Vater war deutlich: Galen war Gast in Imladris und es gehörte sich, ihm alle Höflichkeit zu schenken, für die dieser Ort berühmt war.
Allerdings schien ihr Gast seinerseits nur wenig Wert darauf zu legen. Er hatte zwar die große Halle verlassen, sich aber im Vorraum mit dem großen, geschwungenen Treppenaufgang sofort einen Platz in Sichtweite der sich nun wieder schließenden Tür gesucht. Kaum entspannt lehnte er an der Wand, den Stab wie ein Kind in den verschränkten Armen.
„Die Unterkünfte für unsere Gäste sind im ersten Stock", versuchte es Elrohir noch recht höflich. „Folgt mir, Galen, wir werden sicherlich auch noch neue Kleidung und etwas zu Essen für Euch beschaffen können."
„Ich warte auf Enach."
„Sie spricht mit unserem Vater." Elladans rechte Stiefelspitze tippte bereits in einem ungeduldigen Rhythmus auf den Fliesenboden. Am einfachsten würde es sein, sie packten ihn am Kragen und schleiften ihn kurzerhand in seine Unterkunft, mit einem dringend nötigen Umweg über das Bad natürlich. „Wir sind hier in Imladris und nicht in einer Orkhöhle. Es droht von keiner Seite Gefahr."
Bei Erwähnung der Orkhöhle glitt ein düsterer Schatten über das ohnehin nicht sehr fröhliche Gesicht des Jungen. „Dann sollte auch nichts dagegen sprechen, wenn ich hier warte."
„Außer der Befehl meines Vater", sagte Elrohir mit einem unheilverkündenden Lächeln. „Noch habt Ihr die Wahl, wie er erfüllt wird."
In einem Winkel ihrer Herzen wünschten sich beide Brüder inständig, dass dieser unverschämte Bengel sich weiter widersetzen würde. Kampfstock hin oder her, sie waren zu zweit und mit Sicherheit in sehr viel besserer Verfassung als dieser völlig ausgelaugte junge Elb, dessen Kleidung deutliche Kampfspuren zeigte. Nach seinen rotunterlaufenen Augen zu schließen war er seit Wochen nicht mehr dazu gekommen, sich lange genug auszuruhen, um die Kraft zu schöpfen, die er für einen Kampf mit ihnen brauchen würde.
Seltsamerweise war es genau diese Feststellung, die sie beide wieder zur Vernunft brachte. Ein Kampf in der Vorhalle ihre Vaters war ohnehin keine blendende Idee und würde Elrond allenfalls in Rage versetzen. Das war niemals eine angenehme Erfahrung, die sie leider schon zu oft gemacht hatten. Allerdings war in letzter Zeit Ruhe gewesen. Es mochte daran liegen, dass Estel sich entschlossen hatte, Erfahrungen in der Welt zu sammeln. Ohne sie beide, wie er betont hatte.
„Wie Ihr wollt", meinte Elladan mit einem Achselzucken. Sie hatten schließlich beide Erfahrungen mit einem sehr viel jüngeren Bruder. Es gab immer Mittel und Wege, halbe Kinder übers Ohr zu hauen, ohne ihnen die Seele aus dem Leib zu prügeln. „Dann bleibt eben hier stehen, bis Ihr in Ohnmacht fallt. Oben wartet zwar ein freundliches Zimmer, frische Kleidung und sehr viel heißes Wasser und Seife auf Euch, aber es läuft Euch wohl nicht weg. Wir sagen in der Küche bescheid, dass Ihr jetzt noch nichts essen wollt. Bis zum Abendessen sind es sowieso nur noch ein paar Stunden."
Galens verstockte Fassade bröckelte merklich. Wie lange mochte er schon unterwegs sein ohne jede Bequemlichkeit? In Düsterwald hatte man ihn und Enach sicher nicht mit der gleichen Freundlichkeit empfangen wie hier in Imladris. Nach dem Brief König Thranduils kamen Enach und Galen weit aus dem Osten. Die Zwillinge hatten nicht einmal gewusst, dass hinter Thranduils unfreundlichem Königreich überhaupt noch andere Elben siedelten.
„Das ist lächerlich!" herrschte Elrohir ihn nun an. „Bewegt Euch endlich, Galen. Ihr verratet nicht gleich Eure Herrin, wenn Ihr Euch einfach nur von diesen Dreckschichten befreit und Euren Magen füllt. Ich schwöre, mein Vater wird ihr da drin nicht den Kopf abreißen."
Zögernd stieß sich der Junge von der Wand ab und machte einige Schritte in ihre Richtung. Sein Blick wechselte gequält von den verschlossenen Türen zur Treppe. „Werdet Ihr Enach auch dort in die Unterkünfte bringen?"
Wie Estel, wenn er besonders übel drauf war, dachte Elladan und hätte fast gelacht. „Ich schwöre es."
Elrohir räusperte sich. „Und wir sagen Euch sicher auch Bescheid, wenn die Besprechung vorbei ist."
Endlich gab sich dieser sture Bengel einen Ruck und folgte ihnen, wenn auch mit offenkundigem Widerwillen, die Treppe hinauf. Den beiden entging nicht, dass er verstohlen die prächtige Ausstattung musterte und einige Male schluckte, wenn sie an einem besonders schönen Stück elbischer Handwerkskunst vorbeikamen, mit denen Imladris voll war. Es war eine kleine Rache dafür, dass er sich so unhöflich benommen hatte, dass sie ihn ausgerechnet in das beste, den höchsten Gästen Elronds vorbehaltene Gemach führten. Galen hatte sichtlich Mühe, angesichts des Luxus, der ihn umgab, nicht die Fassung zu verlieren.
„Es wird Euch gleich heißes Wasser gebracht", erklärte Elladan mit einem boshaften Grinsen. „Ich denke, die Spuren der Reise sollten sich damit tilgen lassen. Braucht Ihr Kleidung?"
„Ich-„ Galen schluckte, nahm die Demütigung aber mit einigem Stehvermögen. „Das wäre wohl angebracht."
Elladan war aber noch nicht fertig. „Etwas zu Essen oder wollt Ihr bis heute Abend warten?"
Wenn er auch sonst nichts hatte, Stolz war im Übermaß in ihm. „Heute Abend wird reichen."
„Wie Ihr meint." Elladan wandte sich zur Tür. „Nennt Eure Wünsche den Dienern. Wir sehen uns dann später."
„Wir...ich...." Galen kämpfte mit sich. „Enach braucht mehr Ruhe als sie zugeben wird. Könntet Ihr Euren Vater bitten, ihr dieses Abendessen heute zu ersparen?"
„Ich werde es ihm sagen", nickte Elronds Sohn. „Und was ist mit Euch? Seid Ihr auch so erschöpft, dass wir auf Eure Gegenwart verzichten müssen?"
„Es geht mir gut", schnappte der Junge sofort.
Sie beließen es dabei, obwohl es noch sicher einiges zu dieser Behauptung hätte zu sagen gegeben.
„Bei den Valar!" stöhnte Elrohir auf, als sie sich wieder auf den Rückweg in die Kaminhalle machten. „Wo ist er aufgewachsen – unter Höhlentrollen?"
„Lass ihn", lächelte Elladan. „Wir geben ihm drei Tage zur Erholung. Ich will mir nicht vorwerfen lassen, unfair zu sein, wenn ich ihm eine Lektion mit diesem Kampfstab erteile."
„Wieso du?"
„Ah, du hast Recht. Er wird es sicher mit uns beiden zusammen aufnehmen wollen."
***
Galen hatte schweigend gewartet, bis die Diener sich wieder zurückgezogen hatten, bevor er sich in den großen Baderaum traute, der an sein Schlafzimmer angrenzte. Der Luxus, der aus jedem Ding in Imladris strahlte, verunsicherte ihn. Andererseits wäre es Verschwendung gewesen, das viele heiße Wasser, das man in die tiefe, im Boden eingelassene Wanne gegossen hatte, nicht auch zu nutzen. Er streifte seine zerschlissenen, dreckigen Kleider ab, die er schon seit Wochen nicht mehr hatte wechseln können und ließ sich dann vorsichtig in die Wanne sinken. Zuerst protestierte sein Körper vor der Hitze und den Kräuterölen, die in den vielen Verletzungen brannten, die ihn von oben bis unten zeichneten, doch dann entspannte er sich langsam.
Den Kopf auf den Wannenrand gelegt schloss Galen die Augen und ließ sich von der Schwerelosigkeit des Wassers treiben. Es half, die Schmerzen zu verdrängen, die ihn seit den ersten Kämpfen begleiteten. Orcs, Ostlinge, Warge, Fledermäuse und Spinnen. Nicht zu zählen auch noch der menschliche Abschaum, der sie hatte ausrauben wollen auf ihrem langen Weg von Rhûnar bis hierher nach Imladris.
Galens Körper sah aus wie ein Atlas der Kampfverletzungen in den verschiedenen Stadien der Heilung. Er hatte immer nur zugelassen, dass Enach die nötigsten Heilungen vornahm, nachdem sie schon recht früh auf ihrer Reise ihre Heilmittel und Kräuter bei einer wilden Flucht vor einer Horde Warge verloren hatten. Sie musste mit ihren Kräften haushalten und Galen ertrug lieber die Schmerzen, als der alten Frau noch mehr aufzubürden, als sie ohnehin schon erleiden musste.
‚Wir hätten Rhûnar nicht verlassen sollen.' Wie ein Glaubensbekenntnis wiederholte sich seit drei Monaten immer wieder dieser eine Satz in seinen Gedanken. ‚Elrond wird uns nicht helfen können, niemand kann das.'
Unwillkürlich bildete sich ein Kloß in seinem Hals und er spürte erneut Tränen in sich aufsteigen. Die Rhûna starben qualvoll und langsam. Elben, die an einer Krankheit verendeten wie Tiere, der Anblick verfolgte ihn. Jedenfalls nahmen sie an, dass es eine war. Keiner der Rhûnar-Heiler hatte Erfahrung damit. Enach mit ihren Heilkräften war an ihre Grenzen gestoßen und Galen, solange er seine noch besessen hatte, auch. Enach selber hatte schließlich den Vorschlag in den Rat eingebracht, bei Meister Elrond um Hilfe zu bitten.
Was für eine naive Idee, dachte Galen bitter. Als ob sich irgendeiner der Elben für die traurigen, unseligen Verwandten im Osten interessieren würde. Der Schandfleck des Elbentums, hervorgegangen aus den Sklaven Saurons, denen zwar die Flucht vor dem dunklen Herrscher gelungen, die aber niemals wieder von ihren Brüder aufgenommen worden waren.
Galen biss die Zähne zusammen und richtete sich wieder auf. Entschlossen griff er nach einem Stück Seife, um den Schmutz der langen Reise von seinem abgemagerten Körper zu schrubben. Einige Male sog er scharf die Luft ein, wenn er an noch nicht verheilte Schnitte kam oder der Druck auf schwarzblaue Prellungen etwas zu heftig ausfiel. Er kannte seine Verletzungen genau, seine Heilkräfte hatten fast denen Enachs entsprochen, bevor sie zugunsten der Fähigkeiten eines Kriegers für die Dauer dieses Unternehmens hatten weichen müssen.
Einen Rippenbruch verdankte er einem Orkangriff, eine Stichwunde in der rechten Schulter ebenfalls. Eine weitere Rippe hatten dran glauben müssen, als sie Höhlentrollen begegneten und ein halbes Dutzend bösartiger Prellungen waren im Nebelgebirge bei einem Sturz in einem Steilhang hinzugekommen. In seiner linken Schulter wütete noch immer das Gift eines Spinnenbisses im Düsterwald. Die Bissstelle war geschwollen und feuerrot, doch auch sie heilte bereits.
Nichts Ernsthaftes. Galen grinste fast. Er löste seine langen Haare aus der festen Umknotung eines schmutzstarren Bandes und tauchte einmal ganz in dem Wasser unter. Es bereitete ihm ein fast kindliches Vergnügen, beim Auftauchen die langen silberblonden Haare auf der Wasseroberfläche ausgebreitet zu sehen. Eitel wie ein Mädchen, lachte er im Stillen und seifte sie energisch ein. Rhûnar-Elben waren keine schmutzigen Landstreicher, auch wenn Elronds Söhne ihn genauso angesehen hatten.
Arrogante Bastarde! Der schlimmste Moment ihres Lebens war sicherlich gewesen, als in ihrer Lieblingsbrokatrobe der Saum einriss. Auf jeden Fall sahen sie genau so aus, wie sich Galen in seinen schlimmsten Alpträumen diesen Moment ihrer Ankunft in Imladris vorgestellt hatten.
Das Wasser kühlte bereits ab, als sich Galen endlich überwinden konnte, die Wanne wieder zu verlassen. Im Schlafraum musste zwischenzeitlich jemand gewesen sein. Eine Tatsache, die ihm überhaupt nicht gefiel, auch wenn er widerstrebend dankbar für die Kleider war, die auf dem Bett ausgebreitet lagen. Er hätte sich jetzt nur schwer wieder überwinden können, seine eigenen über seinen sauberen Körper zu ziehen.
Zögernd griff Galen nach den aufwendigen Kleidungsstücken. Zu aufwendig für einen Rhûnar-Elben, befand er voller Selbstironie. Trotzdem streifte er die dunkelblaue Samthose über, das graue Hemd aus raschelnder Wildseide und die ebenfalls blaue Jacke aus Brokat. Hemd und Jacke waren mit hohen Kragen und schmalen Ärmeln, sie verbargen was auch immer er an Blessuren vorweisen konnte. Das war gut, denn niemanden ging an, wie schwer der Weg bis hierher gewesen war.
Galen streckte sich auf dem riesigen, weichen Bett aus und starrte hoch an die mit einem Sternenhimmel verzierte Zimmerdecke. Wenn er jetzt noch etwas zu Essen gehabt hätte, wäre er ein glücklicher Elb gewesen, wenigstens für kurze Zeit. Müde irrten seine Gedanken ab und versanken schließlich in ferner Vergangenheit.
***
„Ihr müsst ihm verzeihen", murmelte die alte Frau, nachdem die Tür hinter den Zwillingen ins Schloss gefallen war. „Galen ist am Ende seiner Kraft, eigentlich hat er schon mehr gegeben, als ihm überhaupt möglich war."
„Es ist nichts zu verzeihen", wehrte Elrond ab und erhob sich. Dies war nicht der Ort, um mit Enach zu reden. Er hatte ihr Ehre erweisen wollen durch den offiziellen Empfang, doch nun wurde ihm klar, dass das genaue Gegenteil eingetreten war. Dies waren Rhûnar-Elben, nicht an den Prunk gewöhnt. Für sie musste es ein Schlag ins Gesicht sein, in ihrer Verfassung einer Versammlung wie dieser ausgesetzt zu sein. „Wir sollten unser Gespräch in der Bibliothek fortsetzen."
Ungefragt trat Glorfindel vor, um Enach die Stütze zu sein, die ihr zuvor Galen gewesen war. Mit einem dankbaren Lächeln ließ sie sich von dem Elbenfürsten aufhelfen und legte dann ihre knotige Hand auf den samtbedeckten Arm, den er ihr anbot. Enach hatte trotz ihres entsetzlich gealterten Zustandes die Würde einer Königin und es war nichts Verlegenes an ihr, als sie neben dem hochgewachsenen Elben aus der Halle schritt, um Elrond in die stillere Umgebung seiner Bibliothek zu folgen.
Ein Feuer wurde im Kamin entzündet, denn noch waren die Frühlingsnachmittage nicht immer warm. Diener stellten drei bequeme Sessel davor und Elrond selber versorgte seinen ungewöhnlichen Gast mit einem Glas Wein. Die alte Frau ließ eine Weile diese Fürsorglichkeit zu, dann seufzte sie und löste ihren Blick vom Feuer, um ihn auf Elrond zu richten. Ihre Augen waren von der Farbe alten Goldes und in ihnen war einiges von der Frau zu erkennen, die sie einst gewesen sein musste.
„Ihr wisst natürlich, wer wir sind."
„Rhûnar-Elben", nickte Elrond. „Euer Volk lebt am Meer von Rhûn in einem Wald. Es gibt schon lange keinen Kontakt mehr zu den anderen Völkern."
„Nicht, das wir uns dies so ausgesucht hätten", sagte sie ohne jede Verbitterung. „Es war nicht leicht für die anderen, mit denen zu leben, die Sauron mit seinem bösen Hauch belegt hat. Man traute uns nicht mehr, manchen sicher zu recht nicht."
„Aber nicht allen", sagte Glorfindel gedehnt. „Es war Unrecht, Hohe Frau."
„Man kann es nicht ungeschehen machen." Mit allen Anzeichen von Freude betrachtete sie den wohlgestalteten Elben. „Sorgt Euch nicht, Lord Glorfindel, es ist nicht die Vergangenheit, die uns herführte."
„Thranduil schrieb, dass Ihr Hilfe eines Heilers benötigt", sagte Elrond und musterte sie eingehend. „Was ist Euch zugestoßen?"
Sie stutzte etwas, dann glitt ein unendlich trauriges Lächeln über ihr Gesicht. Elrond wusste sofort, dass er eine fatale Fehleinschätzung auch noch laut ausgesprochen hatte. Dies geschah ihm selten und er ärgerte sich im Stillen. „Verzeiht, Enach."
„Wie solltet Ihr auch anders reagieren? Nein, Meister Elrond, dies hier geschah vor langer Zeit und es lässt sich auch nicht mehr umkehren. Ich war kaum älter als Galen es jetzt ist, als Sauron sich ein Spiel daraus machte, mir die einzelnen Stufen eines menschlichen Alterungsvorgangs am eigenen Leib nahe zu bringen. Ich war jung, schön und fühlte mich großartig, als ich ihm zuerst die Stirn bot. Man zahlt einen hohen Preis, wenn man den dunklen Herrscher herausfordert."
„Er ließ Euch gehen?"
„Aber natürlich, damit war seine Rache doch erst wirklich vollendet. Tröstlich ist, dass es ihn selber viel zu viel Kraft gekostet hat. Das hat dem Rest unserer Art wahrscheinlich Wiederholungen erspart." Enach schüttelte leicht den Kopf, als könnte sie damit die Erinnerungen loswerden. „Nein, nein, ich bedarf Eurer Hilfe nun wirklich nicht."
„Galen?"
„Machte er auf Euch diesen Eindruck?"
„Ich bin ein Heiler, hohe Frau, was denkt Ihr wohl?"
„Nun müsst Ihr wohl mir verzeihen", schmunzelte sie. „Galen ist aber nicht der Grund für unser Hiersein. Als wir aufbrachen, war er völlig in Ordnung. Was Ihr an ihm bemerktet, hat erst die Reise selbst verursacht. Er wird es überleben. Galen ist das einzige Kind meines verstorbenen Bruders, zäh wie Leder und unverwüstlich. Macht Euch um ihn keine Gedanken, ein paar Knochenbrüche und Stichverletzungen steht er auch so durch."
Elrond verbiss sich einen Kommentar zu dieser rustikalen Feststellung. Seiner Meinung nach konnte der Junge vor Schmerzen kaum noch gerade gehen, aber wenn seine Tante es so einschätzte, würde er sich nicht einmischen – jedenfalls noch nicht. Etwas würde er noch warten, allerdings nicht sehr lange. Niemand in Imladris brauchte unnötig zu leiden, auch wenn man das bei den Rhûna anders anging.
„Da wir nun Euch und Euren Neffen ausgeschlossen haben, bleibt eigentlich nur noch eins", ließ sich Glorfindel vernehmen. „Ihr unternehmt eine gefährliche Reise, setzt Euer Leben aufs Spiel und beendet eine lange Zeit der Isolation. Es muss also eine Bedrohung für Euer gesamtes Volk geben."
Enach stellte ihr Weinglas vorsichtig auf dem Tischchen neben ihr ab und richtete sich etwas auf. „Ich bin eine Heilerin, Meister Elrond. Seit langer Zeit gab es bei den Rhûna wenig, das meinen Kräften widerstehen konnte, außer vielleicht jugendlicher Liebeskummer, gegen den wohl nie ein Kraut wachsen wird." Sie kicherte ganz kurz, als Elrond unwillkürlich seufzte. „Genug davon, auch wenn Ihr sicherlich Eure eigenen Erfahrungen damit gemacht habt. Wie gesagt, ich bin eine Heilerin, Meister Elrond, aber jetzt ist etwas über mein Volk gekommen, das ich auch mit all meiner Erfahrung nicht in den Griff bekomme."
„Eine Krankheit?"
„Ihr zweifelt? Dann geht es Euch wie mir zu Anfang dieser Pest. Vor gut einem Jahr hatten wir einige Probleme mit den Ostlingen. Nach einer langen Zeit der Ruhe griffen sie unsere Dörfer am Waldrand an, kurze Überfälle nur, Plünderungen und Verwüstungen. Nichts Schlimmes, damit leben wir schon immer. Einmal drangen sie sogar bis in die Quellstadt vor, zogen sich aber recht schnell wieder zurück. Danach begann es dann. Erst nur sehr wenige meines Volkes erkrankten an einer Art Mattigkeit, die sich langsam zu einem hohen Fieber und Schmerzen am ganzen Körper auswuchs. Schließlich fallen die Erkrankten in ihrem Schmerz in Raserei, um dann innerhalb weniger Stunden zu verenden wie ein Tier.
Ich dachte zuerst an eine Vergiftung, denn unser gesamtes Wasser wird aus den Quellen der Stadt entnommen, wir leiten es bis in die Dörfer. Doch das Wasser ist in Ordnung. Ich habe alles versucht, doch nichts hilft. Wenn es so weitergeht, bricht unsere Verteidigung gegen die Ostlinge zusammen."
„Befällt es nur die Krieger, die gegen sie gekämpft haben?"
„Nein, daran dachte ich auch zuerst. Aber diese Pest ist gerecht auf ihre Weise. Frauen, Männer, Kinder, es gibt kein Muster." Sie beugte sich etwas vor, ein verzweifeltes Schimmern in den Augen. „Mein Volk stirbt, Meister Elrond, wir brauchen Eure Hilfe. Ich weiß, dass viele der Meinung sind, dass wir schon zu lange überlebt haben, aber meine ganze Liebe gehört den Rhûna. Wir sind kein schlechtes Volk, auch wenn Sauron viele von uns gezeichnet hat.
Seht Euch Galen an. Das Kind wurde weit nach der schrecklichen Zeit geboren, er verdient es nicht, auf so jämmerliche Weise zu enden."
„Jetzt ist er ohnehin hier in Sicherheit", beruhigte Elrond sie.
„Aber er wird nicht bleiben", sagte sie voller Kummer. „Galen wollte nicht herkommen. Der Rat schickte ihn und es hat Galen fast umgebracht, diesmal zu gehorchen. Unsere Nachkömmlinge sind mit einem Stolz erfüllt, den wir Überlebenden der Dunklen Höhlen Saurons schon vor langer Zeit verloren haben. Wenn Galen auch nur den kleinsten Eindruck hat, dass diese Reise vergebens war, wird er sofort wieder zurückkehren."
„Und Euch die neue Strapaze zumuten?" Glorfindel wirkte irritiert.
„Nein, mein Lord." Enach strich sich abwesend die langen, grauen Haare glatt, die einstmals so dunkel und glänzend wie die Elronds gewesen sein mussten. „Das dumme Kind würde heimlich aus diesen gastlichen Hallen verschwinden, um mich hier in Eurer Sicherheit zurückzulassen."
Elrond durchschaute Enach. Sicherlich war sie hier, um Hilfe für die Rhûna zu suchen, auch wenn sie nicht mehr wirklich an eine Rettung glaubte, doch gleichzeitig dachte sie genauso wie ihr Neffe. Hier war der Junge in Sicherheit und sie würde die Zeit so lange ausdehnen wie nur möglich. „Habt Ihr eigene Kinder, Enach?"
„Man kann Euch wirklich nicht lange täuschen. Aber nein, Meister Elrond, eigene waren mir nie vergönnt. Leider konnte auch mein Bruder sich nicht lange an diesem Geschenk der Valar erfreuen. Ihn und Galens Mutter metzelten Orks nieder, als sie an der Küste unterwegs waren, um mit einigen Menschen Geschäfte zu machen.
Unsere Kinder sind unser kostbarster Besitz. Erst seit zwei Generationen werden solche wie Galen geboren. In ihnen ist keine Spur mehr von Saurons Berührung. Könnt Ihr Euch vorstellen wie wir uns fühlten, als die ersten von ihnen an dieser Pest starben?"
„Nein", antwortete er ehrlich. „Es liegt außerhalb meiner Vorstellungskraft. Aber ich werde mich bemühen, Euch weiteren Schmerz zu ersparen."
„Dann meint Ihr, uns helfen zu können?"
„Ich weiß es nicht, Enach, aber ich werde meine ganze Aufmerksamkeit darauf richten." Elrond erhob sich. „Ihr werdet müde sein. Es gibt heute Abend ein Festmahl-„
Mit einer kurzen Geste unterbrach sie ihn. „Nicht für mich, Meister Elrond, nicht für mich. Dieser Körper sieht nicht nur alt aus, er hat auch alle Mängel, die damit einhergehen. Gebt mir einen Platz zum Schlafen und ich bin eine glückliche Frau. Ich will Euch nicht zur Last fallen."
„Das werdet Ihr nicht", lächelte er und verneigte sich. „Seid mein Gast, solange Ihr möchtet und wenn es bis zum Ende der Zeitalter ist."
Glorfindel hatte bereits einen Diener herbeigerufen und ihm entsprechende Weisungen erteilt. Behutsam stützte der Mann Enach beim Hinausgehen. Er würde dafür sorgen, dass der Heilerin der Rhûna alle Ehren zuteil wurden, die einem hochgestellten Gast gebührten.
„Nun?" Glorfindel schenkte sich Wein nach und setzte sich wieder. „Was hältst du davon, mein Freund?"
„Dasselbe wie du. Es droht neue Gefahr aus Mordor. Ich könnte schwören, dass Sauron an den Rhûna eine neue Teufelei ausprobiert, mit der er uns allen schaden will."
„Wahrscheinlich hat er nicht damit gerechnet, dass Enach sich bis hierher bemühen würde, um Hilfe zu bekommen."
„Sei ehrlich, hättest du es an seiner Stelle?"
„Ich an Saurons Stelle." Glorfindel zog eine Grimasse. „Eine unangenehme Vorstellung. Nein, wenn ich mich richtig erinnere, haben diese Leute Rhûn seit Jahrtausenden nicht mehr verlassen und selbst damals sind sie nicht einmal bis auf Sichtweite von Düsterwald gekommen."
„Thranduil hat wahrscheinlich an einen Alptraum geglaubt, als sie ihm gemeldet wurden", sagte Elrond. Eine gewisse Schadenfreude konnte er sich nicht verkneifen. König Thranduil war ein sturer Charakter, dem die Gebote der Höflichkeit nur bedingt bekannt waren. „Wahrscheinlich hat er sie im Eiltempo durch Düsterwald geschleust."
„Immerhin hat er dir geschrieben", grinste sein Berater.
„Sofern man drei Sätze einen Brief nennen kann." Elronds gute Laune verflog. „Sie glaubt nicht wirklich daran, dass wir etwas gegen diese ‚Pest' finden."
„Es ist der Junge", sagte Glorfindel ebenso ernst. „Sie wird dir das Versprechen abnehmen, ihn keiner Gefahr mehr auszusetzen."
„Ich weiß."
„Und du wirst es ihr natürlich gewähren."
„Ich habe Kinder, Glorfindel, ich kann sie verstehen."
„Überleg dir das sehr gut. Er will nicht hier in Imladris bleiben. Wenn er merkt, dass wir kein Gegenmittel haben, wirst du ihn festketten müssen."
„Ich vertraue ihn meinen Söhnen an."
In einer fast schon theatralischen Geste hob Glorfindel die Hände zur Decke. „Und ich dachte, die schlechten Zeiten sind vorbei, seit Estel bei den Waldläufern ist. Fang besser an, die Bestände deiner Heilmittel aufzustocken, denn du hast gerade Blutvergießen und Knochenbrüche vorherbestimmt."
„Du übertreibst."
„Tatsächlich?"
„Sie sind ruhiger geworden."
Sein alter Freund hob spöttisch die Brauen. „Dann kann das erst vor kurzem passiert sein. Mir erscheinen sie immer noch so unruheträchtig wie eh und je."
„Man kann Unheil auch herbeireden", grollte Elrond.
„Ich stelle nur Tatsachen fest. Selbst du kannst nicht die Augen davor verschließen, immerhin liegt es an dir, sie danach auch wieder zusammenzuflicken."
„Enach und Galen sind einfach nur Gäste in Bruchtal. Was soll schon groß passieren?" Elrond ertappte sich dabei, etwas unruhig mit den Augen den Raum abzusuchen. Wenn ihn die falschen Mächte gehört hatten, würde es sich rächen.
tbc
