Disclaimer: Alles gehört Tolkien bzw. seinen Erben. Hab ich schon erwähnt, dass das frustrierend ist? Hab ich wohl.

Kapitel 2: Zwergspinnen?

Mit gerunzelter Stirn beobachtete Elrond einige Stunden später, wie seine Söhne tuschelnd die Köpfe zusammen steckten. Er hätte Glorfindels Warnung ernster nehmen sollen, seufzte er im Stillen. Aber schließlich hatte er noch immer die Hoffnung, dass ihre gelegentlichen Anfälle von Unvernunft endlich der Vergangenheit angehörten. Man sollte doch annehmen, dass sie in ihrem Alter und bei der Erfahrung, die sie sonst auszeichnete, nicht immer noch ein unreifes Vergnügen daran hatten, absolut unwürdigen Schwachsinn anzustellen.

‚Hoffentlich weißt du, womit du mich da alleine gelassen hast!' schickte er einen stummen Vorwurf Richtung Valinor, zu Celebrian genauer gesagt, die diese Welt nicht mehr ertragen hatte. Wenn Elladan und Elrohir eine dieser Anwandlungen hatten, verspürte er allerdings auch recht häufig den Drang, ein Schiff nach Westen zu besteigen.

Glorfindel gesellte sich wieder zu ihm. Er hatte sich umziehen müssen, nachdem ein völlig hingerissenes Elbenmädchen eine ganze Karaffe Wein in seinen Schoß gegossen hatte. Diesmal hatte ihre Bewunderung allerdings nicht Glorfindel gegolten, sondern einem ganz anderen Elb. Galen, um genau zu sein, der in dem Moment, in dem die Elbin Glorfindels Weinglas passend zum Essen hatte auffüllen wollen, von den Zwillingen in den Speisesaal geführt worden war.

Elrond hatte selber seinen Augen nicht getraut. Wenn er nicht genau gewusst hätte, dass dies der gleiche Elb war, der vor Schmutz starrend in abgerissenen Kleidern noch kurz vorher in Imladris angekommen war, hätte er an einen Austausch geglaubt. Galen war zwar kleiner als die meisten anderen Elben und durch die Reise so abgemagert, dass er fast hager wirkte, doch der Junge war dadurch schon fast von ätherischer Schönheit. Sein schmales Gesicht war sehr feingezeichnet und vergleichbar mit den alten Gemälden, die die Hallen von Imladris schmückten. Am bemerkenswertesten waren jedoch seine hellen gewellten Haare, die sich wie eine silbrige Kaskade aus Mondlicht über seinen Rücken ergossen.

„Was etwas Wasser und Seife so alles ausmachen können", sagte Glorfindel spöttisch, während er seinen Blick über einige der weiblichen Gäste schweifen ließ, die Galen im Grenzbereich guten Benehmens anhimmelten. „Du solltest Wachen vor seiner Tür aufstellen lassen."

Elrond beschränkte sich auf ein unfrohes Lächeln. Nicht, dass ihm dieser Gedanke nicht auch schon gekommen war. Irritiert beobachtete er, wie das Elbenmädchen, das Glorfindel den Kleiderwechsel beschert hatte, nun an Galens Ende der Tafel auftauchte, wo sie eigentlich gar nichts zu suchen hatte. „Was macht sie da?"

Glorfindel zerkrümelte eine Scheibe Brot. „Ich denke, Aristil wird mir gerade untreu. Der Junge ist zu bedauern. Sie ist nämlich recht hartnäckig in ihrer Bewunderung. Als erstes wird sie anfangen, ihn mit Essen voll zu stopfen, damit er nicht so durchscheinend bleibt. Dann wird sie sich um seine Kleider kümmern, ihm Blumen ins Zimmer stellen und sich in seiner Nähe rumdrücken, bis ihm der Kragen platzt."

„Woher willst du das wissen?"

Glorfindel entblößte die Zähne zu einem wölfischen Grinsen. „Rate, mein Freund."

Der Rhûnar-Elb starrte mittlerweile etwas unglücklich auf den Teller, der ihm von Glorfindels abtrünniger Bewunderin serviert worden war. Selbst aus der Entfernung war zu erkennen, dass man mit dem Berg von Essen darauf nicht nur ihn sondern auch seine beiden Tischnachbarn zwei Tage hätte ernähren können.

Bis zum Ende des Banketts hatte sich Galen tapfer durch einen kleinen Teil des Essens gearbeitet und Aristils Nachfüllversuche solange höflich abgewehrt, bis die Elbin zu seiner Rechten offenbar ein Machtwort gesprochen und sie für eine Weile in die Flucht geschlagen hatte.

Elrond gratulierte sich im Stillen dafür, ihn zwischen Naerwen und Anthuil platziert zu haben. Das Paar lebte schon mit ihm in Imladris, seit er vor langen Jahren hier angekommen war und gehörte zu den Fundamenten an Ruhe und Freundlichkeit, auf denen Elronds Diplomatie und Gastfreundschaft gründete. Auch Galen entspannte sich offenbar langsam etwas und unterhielt sich sogar mit seinen beiden Tischnachbarn, auch wenn er mehr zuhörte als selber einen Ton von sich zu geben.

Das Fest unterschied sich wenig von den vielen anderen, mit denen in Imladris die Abende verbracht wurden. Die Zusammensetzung wechselte häufig, denn es kamen ständig neue Gäste an oder alte verabschiedeten sich. Elrond kannte seine Pflichten als Gastgeber. Es gab Musik und Gesang, Geschichten machten die Runde und Gespräche wurden in der Runde geführt, die manchmal zu besseren Ergebnissen führten, als eine offizielle Zusammenkunft.

Trotz allem schweifte Elronds Blick immer wieder wachsam zu seinem ganz besonderen Gast und auch zu seinen Söhnen. Irgendetwas ging vor, denn Elladan schlenderte gerade mit einem beängstigend unschuldigen Lächeln zu Galen, Naerwen und Anthuil hinüber, während Elrohir auf Eriwen zusteuerte, die jüngste Tochter seines Stallmeisters Orodan.

„Oh", machte Glorfindel. „Jetzt wird es aber ungemütlich für unseren Rhûna."

„Wovon redest du?"

Sein Berater machte eine Kopfbewegung in Richtung Eriwen. „Jung, unverheiratet, abenteuerlustig und sie redet wie ein Wasserfall. Redet sie einmal nicht, singt sie oder tanzt. Sie kann dir den letzten Nerv rauben und eine Reise nach Westen zur einzig wahren Idee machen. Ich wette, Elrohir setzt sie gerade auf ihn an."

Elrond drückte einen Punkt oberhalb seiner Nasenwurzel, um aufsteigende Kopfschmerzen zu vertreiben. Dies war ein wirklich schlechter Traum, denn es konnte nicht die Wirklichkeit sein, die sich da vor seinen Augen entrollte. Vielleicht sollte er weniger Zeit bei seinen Studien und Beratungen verbringen und sich stattdessen mehr um den Alltag in Imladris kümmern. Offenbar gingen in seinem Reich einige Dinge vor, die sich stark von den idealisierten Lebensbeschreibungen in den Büchern unterschieden.

„Woher kennst du dich eigentlich so gut mit sämtlichen weiblichen Bewohnern Imladris aus?"

„Das täuscht", lächelte Glorfindel harmlos. „Was gedenkst du zu unternehmen? Ich glaube, sie setzt sich schon in Bewegung."

Celebrian hätte niemals gehen dürfen, niemals! Wenn wenigstens Arwen hier wäre. Sie war bereits gebunden, hatte ihre Brüder recht gut unter Kontrolle und würde sich auch um den Rhûna kümmern. Er würde gleich morgen einen Brief nach Lorien senden und Galadriel bitten, seine Tochter beizeiten heimzuschicken. So wie er seine Schwiegermutter kannte, konnte das allerdings noch zehn Jahre dauern.

„Vielleicht gefällt Galen die Abwechslung", sagte Elrond mit schwacher Stimme.

„Oh ja", machte Glorfindel. „Gleich fällt er vor Begeisterung um."

An Elrohirs Arm hängend hatte Eriwen die kleine Gruppe erreicht. Der Rhûna stand nur stumm da. Mehr wurde wohl auch nicht von ihm erwartet, denn Eriwens Lippen bewegten sich unablässig und übergossen ihn mit einem Strom von Worten. Während Galens Augen langsam glasig wurden, sinnierte Elrond darüber nach, wie lange Orodans Tochter wohl ohne Luft zu holen so weitermachen konnte. Möglicherweise hatte sie auch einen wundersamen Weg gefunden, gleichzeitig zu sprechen und zu atmen.

Galens Rettung nahte von unerwarteter Seite. Mit einer ungewöhnlichen Tollpatschigkeit fiel Aristil über den Saum ihres Kleides und kippte Eriwen ein vollbeladenes Tablett mit gefüllten Weingläsern vor die Brust. Der spitze Schrei, der auf dieses Unglück folgte, übertönte sogar die Musik.

Galen war vor den fallenden Gläsern mit einer schnellen Bewegung zurückgewichen, gegen Elladan geprallt, der sich an seinen Schultern festhielt, um nicht auf dem Boden zu landen. Der nächste Schrei stammte von Galen und war eindeutig durch Schmerzen ausgelöst. Der Rhûna – kreideweiß jetzt – fuhr in einem Reflex herum und machte Anstalten, Elronds Sohn mit bloßen Händen anzugreifen. Elrohir drängte sich in dem Versuch, seinem Zwilling zur Seite zu stehen, etwas zu energisch zwischen Aristil und Eriwen durch, die sich ohnehin bereits beschimpften. Aristil wurde von Naerwen aufgefangen, Eriwen von Anthuil und dann auch sofort zurückgehalten, sich auf die jeweilige Rivalin zu stürzen. Zum Glück hatte sich Glorfindel gewarnt durch Jahrtausende der Kriegserfahrung schon längst auf das Schlachtfeld begeben und fing Elrohir ab, bevor dieser einen Gast Elronds attackieren konnte.

„DAS GENÜGT JETZT!" Elrond übertönte mühelos die diversen, aufgebrachten Stimmen. Schlagartig trat Ruhe ein und alle rückten etwas auseinander.

Ausgerechnet das unschuldige Opfer dieser ganzen alptraumhaften Szenerie lud die volle Schuld auf seine ohnehin angeschlagenen Schultern. Galen trat einen Schritt vor und neigte den Kopf. „Ich bitte um Verzeihung, Lord Elrond. Es lag nicht in meiner Absicht, Euer Fest in irgendeiner Art zu stören oder Eure Gäste zu brüskieren. Lasst es darin gründen, dass einer meiner Art mit dieser Gesellschaft keine Erfahrung hat – aber das wurde wohl auch nicht erwartet."

Er wartete gar nicht erst ab, ob Elrond dazu etwas zu sagen hatte, sondern verließ mit schnellen Schritten den Saal. In Elronds Brust ballte sich ein heißes Gefühl von Ärger zusammen. Nicht auf den unglücklichen Rhûna, der diese Abfolge von Peinlichkeiten mit der größtmöglichen Würde getragen hatte, sondern auf seine eigenen Söhne, die nun auch noch die Frechheit besaßen, verstohlen zu grinsen. Ein Grinsen, das sehr schnell erlosch, als sie den Blick ihres Vaters bemerkten.

***

Galens Hände zitterten, so sehr strengte es ihn an, seine Wut unter Kontrolle zu halten.

Diese beiden Bastarde hatten ihn vorgeführt!

Ausgerechnet als er sich langsam entspannt hatte, weil Naerwen und Anthuil wirklich sehr freundlich zu ihm gewesen waren, musste Elrohir diese entsetzliche Elbin anschleppen, die ohne Unterbrechung auf ihn eingeredet hatte. Dann auch noch diese andere Elbin und schließlich der rasende Schmerz in seiner linken Schulter, an der sich Elladan sicher mit Absicht festgehalten hatte. Galen wäre bei Elronds ärgerlichem Ausruf am liebsten im Boden versunken.

Er hasste Imladris, er hasste jeden Ort außer Rhûnar und er würde sein Gemach nicht eher wieder verlassen, bis Elrond entweder ein Heilmittel gegen die dunkle Pest gefunden hatte oder sein Scheitern offensichtlich war.

„Galen Ithilos."

Seufzend hielt er an. Er hätte sich denken können, dass Enach noch auf ihn wartete. Sie hatte sogar die Tür aufgelassen und saß in einem Sessel, der genau so platziert war, dass sie jeden bemerkte, der über den Gang lief.

„Guten Abend, Enach. Solltest du nicht ruhen?"

„Komm herein zu mir." Sie winkte ihn heran und deutete auf einen Sessel in ihrer Nähe. „Willst du mir erzählen, wie dieses Bankett gelaufen ist?"

Er schickte nur einen düsteren Blick in ihre Richtung und nahm sich etwas Wasser. Wein wäre jetzt nicht gut, besonders keine großen Mengen, sonst würde er noch losziehen und diese Zwillinge zu einem nächtlichen Kampf herausfordern.

„Es tut mir leid", sagte seine Tante. „Imladris ist wohl nicht mit Rhûnar vergleichbar. Du bist es einfach nicht gewöhnt."

„Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern."

„Es ist kein schlechter Ort, Galen, und Elrond ein guter Heiler."

„Wenn er ein Heilmittel findet, werde ich dir sicherlich zustimmen." Galen bewegte vorsichtig seine Schulter. Es brannte stärker als zuvor. Enach hatte das Gift zwar eingrenzen, aber nicht völlig entkräften können. Auf dem Rückweg würde er sich vor diesen Spinnen besser in Acht nehmen. „Ihm läuft nur leider genau wie uns die Zeit davon und das weißt du ganz genau. Wenn ich zu lange warte, finde ich bei meiner Rückkehr nur noch Tote vor."

„Deiner Rückkehr?"

Galen wich ihrem Blick aus. „Ich möchte nicht, dass du mich begleitest."

„Was redest du da?"

„Enach, ich habe nicht alle meine Gaben verloren. Dein Körper sehnt sich nach Ruhe und die findest du zu hause nicht. Hier unter Elronds Dach wirst du den Frieden haben und auch die Bequemlichkeiten, die du einmal gewöhnt warst."

„Du könntest ebenfalls bleiben."

„Hier?" Er spuckte das Wort fast aus. „Niemals, ganz sicher nicht. Eher stelle ich mich Saurons Pesthauch, bevor ich länger als nötig mit diesen rausgeputzten Ignoranten meine Zeit verschwende."

Er bereute seine Worte sofort. Enach schien regelrecht in sich zusammen zu fallen, die unnatürlichen Zeichen ihres hohen Alters traten weiter hervor. Er hatte sie verletzt und das war das letzte, das er gewollt hatte. Doch am Sinn änderte es nichts. Das schien sogar seine Tante einzusehen, denn sie wechselte das Thema.

„Was macht deine Schulter?"

„Welche meinst du?"

Ärgerlich schlug sie ihm leicht auf den Arm. Genau auf eine Stelle, an der eine schwarzrote, handgroße Prellung unter dem Ärmel lauerte. Galen behielt nur mit Mühe seine ausdruckslose Miene bei. „Die linke, wo dich die Spinne erwischt hat. Die rechte mit der Stichwunde dürfte kaum Probleme machen."

„Sie ist noch dran", antwortete er in dem schwachen Versuch, ihr auszuweichen. „Die Schulter, nicht die Spinne."

Enach seufzte leicht. „Wenn du zu den Kranken genau so hart wärst wie zu dir selbst, würde unser Volk dich verjagen. Von mir kannst du das wohl kaum gelernt haben."

„Da irrst du dich wohl. Ich kenne keinen, der so ungnädig mit den eigenen Schwächen ist wie du."

„Dummer Junge." Enach rieb ihre steifen Hände aneinander. „Lass mich deine Schulter heilen."

„Du hast das Gift begrenzt, das reicht." Schnell entzog er sich ihrer Reichweite. „Solange wir hier in Imladris sind, hat diese Ruine, die einmal mein Körper war, genug Zeit, sich alleine zu erholen. Spar dir deine Kräfte auf, Enach."

„Du bist genau wie dein Vater!" schimpfte sie ihm hinterher, während er aus dem Zimmer ging und die Tür hinter sich schloss. Etwas unschlüssig blieb er dann auf dem Gang stehen. Er war nicht wirklich müde, es zog ihn aber auch nicht zu dem Fest zurück, dessen Musik und Stimmengewirr er leise hören konnte.

„Wie wäre es mit einem Spaziergang?"

Galen fuhr herum und starrte den hochgewachsenen, blonden Elben an, der einige Schritte von ihm entfernt entspannt an der Wand lehnte. „Was macht Ihr hier?"

„Lauschen." Glorfindel wirkte in keiner Weise schuldbewusst. „Ich dachte mir, Ihr könntet vielleicht etwas Hilfe beim Packen gebrauchen."

„Wovon redet Ihr?" fragte Galen verwirrt.

Der andere stieß sich von der Wand ab und bedeutete ihm mit einer Geste, ihm zu folgen. Galen war zu verblüfft, um sich der Aufforderung zu widersetzen. „Nach diesem Fiasko eben schien mir, Ihr würdet Euren Aufenthalt in Imladris vielleicht verkürzen wollen", erklärte ihm Glorfindel freundlich.

„Schickt Euch Lord Elrond?" erkundigte sich Galen misstrauisch.

„Um Euch an die Luft zu setzen?" Glorfindel schüttelte heiter den Kopf. „Meinen alten Freund drängt es zurzeit eher, dies mit seinen Söhnen zu machen."

„Mir fallen dazu noch ganz andere Sachen ein."

„Schreibt sie auf und arbeitet die Liste dann ab. Elladan und Elrohir könnten einen ebenbürtigen Gegner ganz gut gebrauchen, seit Estel nicht mehr hier ist."

Galen traute seinen Ohren nicht. Sprachlos folgte er dem Ratgeber Elronds hinaus in die Gärten. Es war Vollmond und die sorgfältig angelegten Wege waren deutlich zu erkennen. Eine Weile schritten sie schweigend durch die auch bei Nacht wunderschöne Gartenanlage, in der bereits die ersten Frühlingsblumen ihre angenehmen Gerüche verströmten.

„Aber das ist kindisch", sagte Galen dann. „Ich meine, ich kann doch nicht herumschleichen und den beiden absichtlich Ärger bereiten. Wer macht denn so etwas?"

„Elladan und Elrohir zum Beispiel", sagte Glorfindel.

„Als gäbe es keine anderen Probleme im Leben." Mit einem Kopfschütteln sank Galen auf eine niedrige Steinbank am Rand einer kleinen Wiese. „Ich kann nicht glauben, dass sich Elronds Erben wie Kinder aufführen. In Rhûnar kenne ich Zwölfjährige, die mehr Verantwortungsbewusstsein haben."

„Ich wette, Ihr wart so einer."

Galen nickte nur. In diesem Alter hatte er seine Eltern verloren, ein Jahr später griffen Ostlinge den Wald an und Galen fand sich mit einem Schwert in der Hand bei der Verteidigung ihrer Außengrenze wieder. Die Waffe war fast größer gewesen als er, doch darauf konnte niemand Rücksicht nehmen.

„Wann seid Ihr geboren, Galen o Rhûnar?" fragte Glorfindel.

Den Sinn der Frage verstand Galen zwar nicht, aber es gab auch keinen Grund, Glorfindel nicht wahrheitsgemäß zu antworten. „2510 in diesem Zeitalter."

„Ahja", machte der sehr viel ältere Elb. „Die Zwillinge sind Euch gute zwei Jahrtausende voraus. Ein Jahr vor Eurer Geburt ritten sie in Orkhöhlen und befreiten daraus ihre eigene Mutter, die man dort gefangen hielt und quälte."

„Dann verstehe ich ihr Verhalten noch weniger." Galen runzelte die Stirn. „Hat es ihren Geist verwirrt? Ich meine, das wäre natürlich möglich. Ich habe es selbst bei einigen unserer sehr Alten erlebt. Sie konnten die Erinnerung an die Schrecken Saurons einfach nicht mehr ertragen und ihr Verstand verdunkelte sich. Dagegen kann man wenig machen."

Glorfindels schallendes Gelächter füllte die Lichtung. „Diese Theorie werde ich Elrond vortragen", meinte er, als er sich wieder etwas gefasst hat. „Vielleicht tröstet es ihn beim nächsten Mal, wenn die zwei wieder zugeschlagen haben."

„Ich wollte niemanden beleidigen."

„Das weiß ich, mein Junge. Also, was meint Ihr – gebt Ihr Imladris noch eine zweite Chance?"

„Ich wäre jetzt sowieso nicht abgereist."

„Wie beruhigend." Glorfindel stand wieder auf. „Dann begleitet mich zu Lord Elrond, damit wir etwas für Eure Schulter tun können."

„Das ist nicht nötig."

Unter Glorfindels schöner, verständnisvoller Fassade war plötzlich deutlich ein adamantharter Kern zu erkennen. Er beugte sich vor und legte Galen leicht die Hand auf die Schulter. „Das denke ich doch und Elrond wird mir sicher zustimmen."

Galen schüttelte trotzdem den Kopf. Er mochte sehr viel jünger sein, aber Rhûnar formte schon früh einen kaum weniger harten Charakter. Außerdem hatte er nicht vor, sich hier in Imladris bevormunden zu lassen.

Eine Minute später stolperte er neben Glorfindel wieder auf Elronds Haus zu. Vor seinen Augen tanzten immer noch blasse Sterne, nachdem der Elbenfürst mit einem trügerisch milden Lächeln einfach den Druck seiner Hand auf Galens Schulter so lange verstärkt hatte, bis Galen dachte, die Spinne würde immer noch mit ihren Fängen in seinem Fleisch hängen und hätte auch noch gleich Verstärkung mitgebracht.

***

Für Gäste war Imladris meistens ein Ort, der sie mit Erstaunen und Bewunderung erfüllte. Es kam oft genug vor, dass man ihnen in den Gängen und Gärten begegnete, wie sie sich umschauten und die wertvollen Kunstwerke bewunderten. Eher seltener geschah es, dass einer der Gäste die gleiche Entrücktheit zeigte, wenn er Elronds Arbeitsraum durchstreifte.

An einen der hohen Arbeitstische gelehnt, auf denen sich Bücher und komplizierte Aufbauten zur Gewinnung der Heiltränke türmten beobachtete Glorfindel geduldig, wie sich der Rhûna langsam durch den Raum arbeitete, mit seitlich geneigtem Kopf vor den hohen Bücherregalen entlang spazierte und schließlich in das Studium der Batterie kunstvoller Glasflaschen versank, die alle ein sorgfältig beschriftetes Etikett trugen.

„Das ist interessant", murmelte Galen. Er nahm eine hohe Flasche aus rotem Glas aus dem Regal, entfernte vorsichtig den ebenfalls gläsernen Stopfen und roch daran. „Enach hat mir erzählt, dass dieser Trank aus über dreißig verschiedenen Kräutern destilliert wird."

„Und es dauert zwei Jahre, bis er vollendet ist." Elrond schloss bei seinem Eintritt die Tür seines Arbeitszimmers hinter sich und die Geräusche des Festes, die in diesem Teil des Hauses ohnehin nur sehr leise zu hören waren, verstummten. „Es ist das einzige Mittel, dass es gegen das tödliche Fieber gibt, mit dem die Sterblichen manchmal aus den Sümpfen zurückkehren."

Galen stellte eilig die Flasche wieder an ihren Platz zurück. „Entschuldigt, Meister Elrond, ich wollte nicht-„

„Seht Euch nur um. Dieser Raum steht Euch jederzeit zur Verfügung."

Glorfindel hob eine Braue. Das war ihm neu. Es traute sich schon kaum einer hinein, wenn Elrond anwesend war, geschweige denn, wenn er es nicht war. Vor sehr langer Zeit hatte es Elladan einmal gewagt – oder Elrohir, Glorfindel erinnerte sich nicht mehr so genau – auf der Suche nach einem Kraut, um sich bei der brüderlichen Rivalität um ein Elbenmädchen einen unfairen Vorteil zu verschaffen. Elrond hatte dem Jungen damals neben einigen anderen Dingen sehr glaubwürdig angedroht, ihn in einen Stein zu verwandeln und ohne Celebrians beherztes Eingreifen würde er wohl heute noch auf der Flucht vor seinem Vater sein.

„Dies ist eher für Enach eine Ehre", sagte Galen zögernd. „Sie ist unsere Heilerin und sie ist wirklich gut, Meister Elrond. Es gibt viele Kräuter in Rhûnar, die es sonst nirgends gibt. Enach hat ihre Wirkung ohne jede Hilfe herausgefunden. Andere, die Euch hier hilfreich sind, fehlen uns gänzlich und so musste sie andere Wege finden, die Heilung zu bringen."

Elrond legte seine feingliedrige Hand beinahe sanft auf ein großes grüngebundenes Buch mit goldenen Verzierungen auf dem Einband. „Dabei hatte ich vor, Euch die Lektüre der ‚Chronik von Licht und Schatten' zu empfehlen. Doch wenn es Euch nicht interessiert...."

Glorfindel behielt nur mit Mühe seine ausdruckslose Miene bei, als der Junge allein beim Anblick des Buches dahinschmolz. Galen musste noch eine Menge lernen, bevor er einen erfahrenen Mann wie Elrond auch nur ansatzweise täuschen konnte.

„Ich könnte vielleicht einen Blick hineinwerfen", seufzte Galen.

Wie ein derartiges Werk über die Wirkungsweise der Kräuter Mittelerdes zu den verschiedenen Tageszeiten diese Reaktion auslösen konnte war Glorfindel ein Rätsel. Ein einziges Mal in seinem nun wirklich extrem langen Leben hatte er mit der Lektüre begonnen. Stunden später wachte er wieder auf, die Augen immer noch auf Seite vier gerichtet und schon wieder müde.

„Schön", lächelte Elrond. „Dann werden wir uns jetzt um Eure Schulter kümmern, damit Ihr es überhaupt tragen könnt. Welche ist es?"

„Es besteht eigentlich keine Notwendigkeit."

„Welche ist es?"

„Die linke."

„Beide." Glorfindel hatte gleichzeitig mit Galen gesprochen und wurde nun Ziel seiner ganzen Empörung.

„Ihr habt gelauscht!"

„Das sagte ich Euch doch. Es sind beide, Elrond. In der rechten hat er eine Stichverletzung durch einen Ork und in der linken einen Spinnenbiss."

Galen zog ein finsteres Gesicht. „Beides wurde behandelt. Es braucht eben seine Zeit."

„Die Stichwunde mag weniger Probleme bereiten", erklärte Glorfindel, ohne sich von Galens tödlichen Blicken beeindrucken zu lassen. „Der Spinnenbiss wurde von Enach nur eingegrenzt. Das Gift ist wohl noch aktiv."

Elrond wandte sich ab und nahm aus einem der Regale eine blassblaue Phiole. „Wie groß war die Spinne?"

„Nicht sehr groß." Nach Galens Geste erreichte sie einschließlich aller acht Beine den Umfang einer Blaubeere. „Wirklich nicht."

„Interessant", murmelte Elrond mit hochgezogenen Brauen. „Offenbar gibt es in Düsterwald eine ganz neue Art von Spinnen."

„Zwergspinnen", grinste Glorfindel. „Erinnerst du dich, dass Prinz Legolas davon erzählte?"

„Jetzt wo du es erwähnst. Winzig kleine Spinnen, deren Gift das Urteilsvermögen trübt."

„Wahrnehmungsstörungen", nickte Glorfindel.

Galen erdolchte ihn geradezu mit Blicken. Zum Glück hatten sie keine wirkliche Kraft, sonst hätte er sich erneut in Mandos Hallen wiedergefunden.

„Und sie erhöhen die Angriffsbereitschaft", zischte der Rhûna ihn an.

„Nachdem sie zu grenzenloser Selbstüberschätzung geführt haben", lächelte Glorfindel freundlich.

„Versuchen wir es damit." Elrond schwenkte die Phiole vor Galens Gesicht und lenkte ihn damit ab. Es hätte Glorfindel auch leid getan, dem ohnehin angeschlagenen Stolz des Jungen den Todesstoß zu versetzen, würde er es wirklich wagen, ihn frontal anzugreifen.

„Was ist das?"

„Das übliche Gegengift. Wenn es bei den bekannten Spinnen Düsterwalds wirkt, dürfte es bei Euren seltenen Zwergexemplaren auch helfen."

„Und woraus besteht es?"

„Aus den Spinnen selbst und einigen anderen Zutaten." Elrond tippte ihn leicht an. „Zeigt mir jetzt Eure Schulter. Ich hatte nicht vor, diese kostbare Essenz durch Eure Jacke sickern zu lassen. Es sei denn, Ihr besorgt mir umgehend Nachschub an diesen Spinnen."

„Nur den Spinnenbiss", warnte Galen ihn trotzig und als er seine Jacke und das Hemd von der linken Körperseite zog, verstanden die beiden Elben auch warum. Davon abgesehen, dass er erbärmlich abgemagert war, schien eine ganze Horde Orks über ihn hinweggetrampelt zu sein. Allerdings war der Biss, um den in weitem Umkreis das Gift offenkundig ungehemmt wütete, bei weitem das Schlimmste.

„Ich nehme an, der Rest von Euch zeigt ähnliche Spuren", sagte Elrond mit leichter Schärfe in der Stimme.

„Es ist nicht so schlimm." Mumm hatte der Rhûna, sonst hätte er dem Elbenlord nicht so offen ins Gesicht gelogen. „Ein paar Prellungen, die schon verblassen."

Unerwartet goss Elrond fast den halben Inhalt der Phiole über Galens Schulter. „Dann bin ich ja beruhigt. Wie fühlt sich das an?"

„Es brennt etwas", keuchte der junge Elb und hielt sich mit einer Hand an der Tischkante so fest, dass die Fingerknöchel weiß hervortraten.

„Nur etwas?" Elrond schüttelte die Phiole. „Ich befürchte, die Essenz verliert ihre Wirkung. Ich werde eine neue nehmen müssen."

„Etwas sehr meinte ich", korrigierte sich Galen undeutlich. „Ziemlich stark sogar. Ich denke, die Wirkung ist noch völlig in Ordnung."

„Sehr beruhigend. Wir werden es dennoch wiederholen müssen. Das Gift ist schon zu lange in Eurem Körper."

„Gebt mir die Phiole", verlangte Galen, während er sich vorsichtig wieder anzog. „Enach wird mir helfen. Ihr hattet schon genug Mühe."

Zu Glorfindels Überraschung reichte Elrond ihm ohne Zögern die kostbare Flüssigkeit. „Ihr wisst, dass man damit sparsam umgehen muss."

„Das habe ich eben gemerkt", murmelte der Rhûna. „Kann ich jetzt gehen?"

„Für heute schon." Elrond bedachte ihn mit einem scharfen Blick. „Noch etwas, Galen, Ihr braucht Ruhe für die Heilung. Sollte ich innerhalb der nächsten sieben Tage feststellen, dass Ihr meine Söhne zum Kampf fordert oder Euch von ihnen fordern lasst, werdet Ihr alle drei es bereuen."

Etwas Unergründliches trat in Galens grüne Augen. „Keine Sorge, Lord Elrond. Euren Erben wird nichts geschehen."

„Elbereth!" stieß Glorfindel halb amüsiert, halb fassungslos aus, als sich die Tür leise hinter dem Rhûna schloss. „Ihnen wird nichts geschehen? Der Junge hat wirklich Nerven. Elladan und Elrohir machen Sägespäne aus seinem Kampfstab eher er auch nur durchatmet."

Zu seiner Überraschung runzelte Elrond die Stirn. „Ich wäre mir an deiner Stelle nicht ganz so sicher, mein Freund. An ihm ist mehr als es scheint. Er hat Enach drei Monate sicher durch die feindlichsten Gegenden ganz Mittelerdes geleitet. Sprich mit meinen Söhnen. Für sie gilt das gleiche, dass ich ihm eben gesagt habe. Ich bitte dich, in den nächsten Tagen auf alle ein Auge zu haben."

Mit einer leichten Verbeugung verabschiedete sich Glorfindel. Auf dem Weg zu seinen Gemächern fragte er sich, wo er das dritte benötigte Auge herbekommen sollte. Viel sinnvoller wäre es, eine Abteilung der Bruchtal-Garde zur Verstärkung abzustellen. Oder er könnte die drei Streithähne solange in einem verlassenen Felsenkeller einmauern, nur einen Schlitz für Nahrung würde er offen lassen. Glorfindels Phantasie beschleunigte sich, es gab unendlich viele Möglichkeiten, diese Unruheherde für wirklich lange Zeit außer Gefecht zu setzen.

Der Vanya machte sich auf die Suche nach Erestor. Sie hatten schon lange Abende damit verbracht, sich die neuesten Varianten auszumalen, Elronds Söhne etwas in ihrem Bewegungsdrang, wenn man es so nennen konnte, zu bremsen.

Tbc

@Shelley: Ja, du hast recht, aber frei nach dem Motto ‚Augen zu und durch' habe ich's hinter den Vorhang der ME-Geschichte geschoben und ignoriere es jetzt. Mitleid *bettel*.

@Amélie: Ada ist der Beste, keine Frage. Allerdings...nö, wird noch nicht verraten.

@Loriel: *energisches Kopfschütteln* Lieblingselb fängt immer noch mit H an und hört mit aldir auf.

@Sally Tse Schiep: Es wäre zumindest nicht schlecht, wenn die Bruchtal-Elben mit dem Kofferpacken anfangen.

@Dani: Prügeleien? Elladan, Elrohir? Die doch nicht, niemals. So ernsthafte, verantwortungsbewusste Elben...

@Feanen: Danke

@Mystic Girl: Mystic, was steht doch gleich in deinem Pass? Die winzigste Elbin, die rumläuft? Sozusagen eine Mischung aus einem Zwerg und einem Elb, eine Zwelbin...die Erfinderin der Elladan-Frikadelle.

Galen: Genau deswegen mag ich Mystic.

Elladan: Prügel haben wollen?

Galen: Prügel kriegen wollen?