Disclaimer: Alles gehört Tolkien bzw. seinen Erben. Ich gebe sie zurück, ganz ehrlich.

3. Kapitel: Ein Elb auf der Flucht

Es war ein gutes Gefühl, wieder nach Hause zu kommen. Die letzten Monate im südlichen Düsterwald waren anstrengend gewesen und zu allem Überfluss auch nicht sehr erfolgreich. Sie kamen nicht weiter, weder gegen die Orks noch gegen alles übrige Gesindel und Gewürm, das sich dort herumtrieb.

Aragorn konnte fast Thranduils ewig grimmige Stimmung verstehen. Es war sicher nicht angenehm, sich seit JahRhûnderten quasi im Belagerungszustand zu befinden und formte den Charakter zu dem, was Thranduil von allen seines Volkes wohl am herausragendsten verkörperte. Legolas Vater war hart, schroff bis zur Grobheit und dauerhaft übel gelaunt.

Kein Wunder, dass sein Sohn sofort die Gelegenheit ergriffen hatte, Aragorn wieder nach Bruchtal zu begleiten, auch wenn Thranduil in seiner üblichen kurzangebundenen Art von überflüssigem Herumvagabundieren gegrollt hatte. Die Bemerkungen über die verweichlichten Bewohner Imladris würde Aragorn auch lieber für sich behalten. Elrond wäre zwar kaum überrascht, aber Legolas starb immer fast vor Verlegenheit, wenn sein Vater zum Rundumschlag gegen alle Elben außer denen in Düsterwald ausholte.

Allerdings hatte Thranduil seit einigen Wochen einen neuen Schandfleck des Elbentums ausgemacht: Elben aus Rhûnar. Aragorn hatte gar nicht gewusst, dass es dort Elben gab, doch Legolas erklärte ihm – während sein Vater lautstark gegen diese Gruppe Elben wetterte – dass es sich um diejenigen handelte, die einst Sauron und Morgoth entkommen waren. Da ihnen ihr eigenes Volk nicht mehr traute, irrten sie lange umher. Wenige hatten sich schließlich zusammengeschlossen und tief im Osten einen Platz gefunden, an dem sie lebten. Offenbar hatten einige von ihnen sehr zu Thranduils Verärgerung Düsterwald durchquert, um nach Imladris zu gelangen und Aragorns Neugierde war groß.

Nicht so groß allerdings wie seine Erleichterung, nachdem sie endlich den Bruinen überschritten hatten und in Bruchtals wunderschöne Wälder kamen.

„Ich werde einen Tag nur schlafen", verkündete er laut.

Legolas streifte ihn mit einem spöttischen Blick. „Vorher solltest du allerdings einen Tag baden, mein Freund. Ihr Menschen schafft es immer wieder, innerhalb kürzester Zeit wie Landstreicher auszusehen."

„Immerhin bin ich ein Waldläufer", grinste Aragorn. „Jedenfalls werde ich es bald."

„Und das bedeutet, dass du dich langsam in einen Ork verwandelst?"

Aragorn kam nicht mehr zu einer passenden Antwort. Ein kurzes Stück vor ihnen waren laute Geräusche im dichten Gebüsch am Wegesrand zu vernehmen. Auch wenn ihnen hier eigentlich keine Gefahr drohen konnte, griff Aragorn automatisch nach seinem Schwert. Legolas hatte in einer schnellen Bewegung seinen Bogen vom Rücken genommen und einen Pfeil eingelegt.

Im nächsten Moment stürmte ein fremder Elb aus dem Gebüsch und blieb wie angewurzelt stehen, allerdings nicht ohne einen gehetzten Blick über die Schulter.

„Ihr scheint in Bedrängnis", sagte Aragorn, nahm aber langsam das Schwert herunter. „Können wir Euch helfen, mein Freund?"

„Nein!" Der Fremde wippte nervös auf den Fußballen. „Ja, vergesst, dass Ihr mich gesehen habt."

Aragorn und Legolas wechselten einen verwunderten Blick. Lebensgefahr schien nicht zu bestehen, doch der Elb wirkte recht beunruhigt.

„Werdet Ihr verfolgt?" erkundigte sich Legolas.

„So ungefähr. Vielleicht könntet Ihr ihr sagen, dass ich in Richtung Norden gegangen bin."

„Ihr?" echote Aragorn.

„Eriwen, sie will mir Gesellschaft leisten."

Sie würden ihm auf jeden Fall helfen. So einen schlechten Charakter konnte kein Mann haben, dass man ihn hilflos Orodans Tochter überließ.

„Dort hinauf." Legolas deutete auf einen Baum am Wegrand. „Überlasst alles weitere uns."

„Wie heißt Ihr eigentlich?" fragte Aragorn, während der junge Elb sich bereits die unteren Äste hinaufzog.

„Galen o Rhûnar", erklang es aus dem dichten Laub.

Aragorn pfiff leise. Seine Neugierde wurde offenbar schneller befriedigt als er es gehofft hatte. Er setzte allerdings eine neutrale Miene auf, als ein Pferd auf den Weg gelenkt wurde, Orodans etwas aufgelöste Tochter auf dem Rücken.

„Hoheit!" flötete sie erfreut in Legolas Richtung. Aragorn erntete nur ein knappes Kopfnicken. Erstens war er nur ein Mensch und zweitens ohnehin vergeben. Mit Arwen würde sich selbst Eriwen nicht anlegen. „Schön, dass Ihr uns wieder einmal besucht. Es ist die richtige Zeit für einen Aufenthalt in Bruchtal, bald beginnen die Sommerfeste und ich weiß doch, was für ein großartiger Tänzer Ihr seid. Bleibt Ihr lange? Erholt Euch einfach so lange wie nötig. Man hört, Düsterwald ist zurzeit recht unruhig. Habt Ihr zufällig Galen gesehen?"

Legolas hatte mit schmerzlicher Grimasse ihren Redefluss angehört. „Wer ist Galen?"

Dummkopf, dachte Aragorn ärgerlich. Wie kann man ihr auch noch eine Frage stellen?

Er hätte einfach nur in irgendeine Richtung zeigen sollen.

„Galen, der Elb aus Rhûnar." Eriwen verdrehte schwärmerisch die Augen. „Als er hier eintraf war er eher ein Bündel Lumpen – so wie Ihr immer, Estel – aber Ihr solltet ihn jetzt sehen! Und so eine tragische Erscheinung. Er braucht Aufheiterung. Das habe ich ihm auch eben gesagt, als wir uns im Wald trafen, aber auf einmal war er weg. Nicht, dass er sich verlaufen hat."

In Bruchtal verlaufen! Aragorn hustete, damit sie sein Lachen nicht bemerkte.

„Etwas kleiner als Estel?" fragte Legolas sehr ernsthaft. „Silberne Haare und eine graue Tunika?"

„Das ist er", nickte Eriwen erfreut. „Ihr habt diese wunderschönen grünen Augen vergessen."

„Es war nur eine Kurzbeschreibung, Lady Eriwen, ich will ihn nicht heiraten."

Sie kicherte. „Natürlich nicht. Seid Ihr jetzt eigentlich schon gebunden?"

„Fast!" Legolas zeigte erste Anzeichen von Panik. „So gut wie sicher mit einer Elbin von Vaters Hof. Nicht wahr, Estel?"

„Hmhm."

„Bedauerlich." Mit einer Handbewegung tat sie die Enttäuschung ab. „Nun, was ist mit Galen? Mir scheint, Elladan hat wirklich recht: man kann ihn unmöglich alleine hier herumlaufen lassen. Er fühlt sich sicher völlig verlassen und irrt herum."

Elladan also, dachte Aragorn nur wenig überrascht. Offenbar hatten die Zwillinge in seiner Abwesenheit ein neues Opfer gefunden. „Er ist dort entlang, Lady Eriwen, uns sagte er, dass er Elronds Söhne aufsuchen wolle."

„Aber die sind auf dem Kampfplatz." Sie runzelte die hübsche Stirn. „Egal, dann leiste ich ihnen eben Gesellschaft. Wir sehen uns sicher noch."

Damit trieb sie ihr bedauernswertes Pferd auf Bruchtal zu. Die Zwillinge würden ihre wahre Freude haben, wenn sie bei ihnen auftauchte.

Legolas sackte leicht im Sattel zusammen. „Das war knapp. Warum findet dein Vater eigentlich keinen Gemahl für sie, damit wir anderen endlich Ruhe haben?"

„Und wen soll er dazu verdonnern?"

„Einen seiner Söhne", erklang es aus dem Baum. „Verdient hätten sie es."

Galen ließ sich langsam wieder zu Boden, zupfte sich einige Blätter aus den Haaren und verbeugte sich dann leicht vor ihnen. „Ich danke Euch für die Hilfe. Lange wäre ich ihr nicht mehr entkommen. Ihr Pferd ist wirklich schnell."

Aragorn betrachtete ihn nun etwas genauer. Kein Wunder, dass Eriwen ihm gnadenlos nachstellte. Galens Erscheinung machte seine laut Thranduil zweifelhafte Herkunft sicherlich wieder wett. „Auf Dauer müsst Ihr Euch dieser Herausforderung wohl stellen, mein Freund. Macht es am besten wie unser Prinz hier und behauptet, Ihr stündet kurz vor einer Verlobung."

„Es ist wirklich lästig." Trotz der ärgerlichen Worte lächelte er. „Sagt Ihr mir nun Eure Namen, damit ich Euch auch nochmals danken kann?"

Aragorn stellte sich vor und dann auch Legolas. Als er ihn als Prinzen aus Düsterwald benannte, runzelte Galen kurz die Stirn.

„Die Ähnlichkeit mit Eurem Vater kann nur gering sein", murmelte er. „Er hätte sie wohl noch den Baum hinaufgehoben."

Legolas schloss gequält die Augen. „Er meint es nicht so", sagte er lahm. „Mein Vater ist manchmal etwas schwer zu verstehen."

„Ich fand seine Botschaft recht deutlich." Galen lächelte plötzlich. „Immerhin hat er uns nicht in Düsterwald einfach uns selbst überlassen. Wenn Ihr ihn das nächste Mal seht, richtet ihm bitte unseren Dank aus und teilt ihm mit, dass wir die Pferde heil bis nach Imladris gebracht haben. Jedenfalls die meisten....zwei um genau zu sein. Ich weiß leider nicht, wo die anderen abgeblieben sind."

„Ich hörte, Ihr ward zu fünft", sagte Aragorn.

„Waren", bestätigte Galen düster. „Drei unserer Begleiter überlebten das Nebelgebirge nicht. Lawinen, Steinschlag und Orks. Es war keine sehr angenehme Mischung."

Aragorn und Legolas ließen sich aus dem Sattel gleiten. Es wäre recht unhöflich gewesen, weiterhin zu reiten, während ihr Begleiter zu Fuß unterwegs war. Langsam und entspannt schlenderten sie nach Bruchtal hinein.

„Also aus dem Osten kommt Ihr", meinte Aragorn nach einer Weile angenehmen Schweigens. Nach Eriwen brauchte man das. „Ich habe vorher noch nie von Rhûnar-Elben gehört."

„Wir sind kein Gesprächsthema." Galen schoss einen losen Stein beiseite. „Die nächstgelegene Elbensiedlung ist Düsterwald und Thranduil hält nicht sehr viel von uns. Damit ist er kaum alleine."

„Mein Vater hält nur von sehr wenigen Elben etwas", grinste Legolas. „Und die wenigen stammen zufälligerweise alle aus Düsterwald. Am allerwenigsten hält er von Lord Elrond."

„Wieso?" fragte Galen erstaunt. „Meister Elrond ist wirklich bewundernswert. Enach hat immer nur Gutes von ihm erzählt. Enach ist unsere Heilerin. Sie sucht Rat bei Meister Elrond, auch wenn ich nicht glaube, dass er uns weiterhelfen kann."

„Was habt Ihr für Schwierigkeiten?" fragte Aragorn neugierig.

Der junge Elb zog sich deutlich zurück. „Etwas, das nur Heiler lösen können. Wer seid Ihr eigentlich? Einen Menschen hätte ich hier nicht erwartet."

Legolas stieß Aragorn in die Seite. „Er hat Sonderrechte. Estel ist Elronds Ziehsohn. Wenn er hier ist, dürftet Ihr Ruhe vor den Zwillingen haben. Sie legen sich lieber mit ihm an."

„Oh gut, dann überstehe ich wenigstens die nächsten fünf Tage."

„Warum fünf Tage?" fragte Aragorn.

„Solange hat mir Euer Vater verboten, mit ihnen zu kämpfen."

Die beiden schüttelten gleichzeitig den Kopf.

„Und ihnen mit mir. Es ist eindeutig zu lange, finde ich."

„Nicht lange genug", sagte Aragorn, eingedenk vieler Wettkämpfe mit seinen Brüdern. Sie würden den schmalen Rhûna ernstlich verletzten, selbst wenn sie sich zurückhielten. „Vermeidet es lieber, auch wenn die Frist meines Vaters abgelaufen ist, mein Freund. Elladan und Elrohir sind exzellente Kämpfer."

„Sind sie das?" Galens Augen glitzerten seltsam. „Und sie sind zu zweit, nicht wahr?"

Legolas stöhnte auf. „Ihr beabsichtigt doch nicht, sie beide gleichzeitig zu fordern? Galen, macht keinen Fehler. Ich weiß zwar nicht, was zwischen Euch vorgefallen ist, aber gebt einfach nach."

Nach Galens trotziger Haltung zu urteilen, hätte sich Aragorns Freund die Worte auch sparen können. Aragorn ahnte wirklich Schlimmes und er würde mit seinen Brüdern ein ernstes Wort darüber sprechen müssen.

***

Es gab Tage, die begannen bereits gut und versprachen im weiteren Verlauf immer größere Perfektion. Für Elladan konnte dies nur einer dieser Tage sein, nachdem er von Aristil geweckt wurde, die mit einem winzigen Kichern durch seinen Schlafraum huschte und einen Stapel frischer Kleidung in einen der Wandschränke räumte.

„Aristil, meine Blume", strahlte Elladan sie an. „Von dir geweckt zu werden, versüßt mir selbst die Aussicht auf die Besprechung mit meinem Vater."

Wieder kicherte sie nur und flitzte dann hinaus. Elladan ließ sich in die weichen Kissen zurückfallen und rief sich Aristils gefällige Erscheinung vor Augen. Es war äußerst verheißungsvoll, dass sie sich um seine Belange kümmerte. Normalerweise hing sie wie eine Klette an Glorfindel oder seit drei Tagen an Galen, was noch sehr viel ärgerlicher war. Elladan knurrte leise.

„Hast du einen Alptraum?" Elrohir marschierte durch die Terrassentür und zog seinem Bruder die Decke weg. „Steh schon auf, Vater wird nicht auf uns warten. Du hast Legolas und Estel gestern Abend gehört, es braut sich irgend etwas in Düsterwald zusammen."

„Mhmh", brummte Elladan und zog sich ein Kissen über das Gesicht. „Aristil, die Unerreichbare, hat sich eben mit einem Stapel Hemden hierher verirrt und du erzählst mit etwas über Düsterwald."

„Verirrt trifft es ganz gut. Wahrscheinlich hat sie dich im Halbdunkel mit unserem Lieblingsgast verwechselt."

Selbst Galens Erwähnung verdarb Elladan nicht die gute Stimmung. In vier Tagen würde der Bursche sie prompt herausfordern und dann wäre die Sache geklärt. Vorher leider nicht, daran hatte Glorfindel keinen Zweifel gelassen. In der Zwischenzeit würden sie ihn dank Eriwen durch Bruchtal scheuchen und sich ein bisschen mit Estel und Legolas im Kampf üben. 

Elladan brauchte nicht lange, bis er fertig angezogen neben seinem Bruder Richtung der großen Kaminhalle schlenderte, in der diese eher formlose Versammlung stattfinden sollte. Er genoss den sonnigen Morgen, den angenehm frischen Duft, der von seinem Hemd ausging - eines derjenigen natürlich, die Aristil gerade erst gebracht hatte - die Aussicht auf einige nette Rangeleien mit Estel und Legolas und natürlich auf den Anblick ihres geschätzten Gastes, der wie ein aufgescheuchtes Huhn vor Eriwens Interesse quer durch Bruchtal floh.

Gerade eben floh er allerdings ausnahmsweise einmal nicht, sondern stand zwischen Glorfindel und Estel und unterhielt sich leise.

„Galen ist auf meine Bitte hier", erklärte Elrond auf die fragenden Blicke seiner Söhne hin. „Eine neue Sicht der Dinge ist niemals von Nachteil."

Er erntete nur ein Achselzucken. Sie würden friedlich sein, freundlich und ganz sicher nicht den Unmut ihres Vaters auf sich ziehen. Jedenfalls nicht innerhalb der nächsten vier Tage.

Ihr Gegner schien ebenso zu denken, denn er lächelte so sanft, dass Elladan schon wieder misstrauisch wurde und erst einmal seine Sitzgelegenheit unauffällig untersuchte. Er an Galens Stelle hätte sicherlich irgendetwas damit angestellt, doch so viel Kreativität konnte man bei einem Rhûnar-Elben wohl nicht erwarten.

„Estel ist hier als Bote der Waldläufer", begann Elrond in seiner ruhigen Art. „Offenbar gibt es Dinge in Düsterwald, die die Waldläufer für ungewöhnlich erachten."

Ein blauer Schmetterling fand seinen Weg durch die offenen Terrassentüren, tanzte zwischen den Anwesenden herum und ließ sich dann auf Elladans Arm nieder. Der Elb ließ ihn gewähren, ihn interessierte vielmehr, was sein Bruder zu sagen hatte.

„Im südöstlichen Düsterwald finden Treffen statt", berichtete Estel. „Treffen zwischen Orks, uns unbekannten Gestalten und Waldmenschen aus dem Südwald."

„Meint Ihr, sie rotten sich zusammen gegen Euren Vater?" fragte Elrond Legolas.

Der Waldelben-Prinz nickte bedächtig. „Es scheint zumindest so. Andererseits könnte auch Lorien das Ziel sein. Von Dol Guldur ist es nicht weit bis dorthin."

Zwei weitere Schmetterlinge, gelb diesmal, suchten ihren Weg durch die Kaminhalle, umtanzten Elladan einen Moment und landeten dann einer auf seiner rechten Schulter, der andere weiter unten auf dem Arm.

„Diese Unbekannten", sagte Glorfindel. „Ihr habt sie wirklich noch nie gesehen?"

„Nein, aber es gibt Beschreibungen."

Noch mehr Schmetterlinge flatterten heran. Etwas irritiert versuchte Elladan, die aufdringlichen Insekten wieder aufzuscheuchen, doch ungewöhnlich hartnäckig kamen sie sofort wieder zurück.

„Elladan!" Sein Vater betrachtete ihn mit gerunzelter Stirn. „Was machst du da eigentlich?"

Er winkte ab, mitten durch eine kleine Wolke dunkelroter Exemplare, die sich wie große Blutstropfen auf seiner Brust niederließen.

„Also diese Fremden." Legolas versuchte irritiert, den Faden seiner Beschreibung wieder zu finden. „Es scheinen Menschen zu sein, sehr dunkel, klein und die Gruppe ist wohl nicht groß. Offenbar werden sie von Orks begleitet. Verdammt, Elladan, du machst mich wahnsinnig!"

„Ich dich?" echote Elronds Sohn durch einen dichter werdenden Vorhang der fliegenden Insekten, die offenbar von ihm ganz hingerissen waren. Er schielte auf einen wirklich winzigen weißen Schmetterling, der sich auf seiner Nase recht wohl zu fühlen schien.

„Sie verwechseln ihn mit einer Blumenwiese", grinste Elrohir, der von ihm abgerückt war, um nicht in die Wolke zu geraten. „Jedenfalls riecht er so."

„Dann solltet Ihr vielleicht Euer Duftwasser wechseln." Galens Stimme war trügerisch freundlich.

Elladan vergaß den Schmetterling auf seiner Nase und starrte den Rhûna durchdringend an. In den Tiefen dieser grünen Augen tanzte ein boshaftes Funkeln. „Das ward Ihr!"

„Ich?" Galen war die Unschuld in Person. „Ich würde niemals diese gefährlichen Monster auf Euch hetzen, Lord Elladan. Wie auch?"

Elladan schnappte nach Luft und atmete prompt eines der Tiere mit ein. Hustend und spuckend versuchte er, das flatternde Geschöpf wieder aus seinem Mund loszuwerden. Elrohir schlug ihm kräftig auf den Rücken und schließlich flog ein reichlich angeschlagener Schmetterling aus seinem Mund, um dann durch die Luft von dannen zu torkeln.

Elrond sah von seinem Sohn zu Galen und wieder zurück. Auf einmal kräuselte ein Lächeln seine Lippen und Elladan wusste genau, dass sein Vater die Ursache für die Anhänglichkeit der Schmetterlinge entdeckt hatte.

„Ich denke, du solltest ein Bad nehmen", erklärte Elrond gedehnt und bedachte den Rhûna mit einem leichten Kopfschütteln. „Wahrscheinlich bist du mit einem Lockstoff in Berührung gekommen, ohne es zu bemerken. Es dürfte sich wohl nicht wiederholen."

Elladan sprang auf. „Sicher nicht in den nächsten vier Tagen."

„Lady Eriwen könnte Euch bei der Schmetterlingsjagd behilflich sein", meinte Galen und richtete sich etwas in seinem Stuhl auf. „Ich habe den Eindruck, Ihr haltet ihre Gegenwart für sehr erfreulich."

Elladan hätte dazu gerne einige Worte verloren, aber er traute sich nicht mehr, den Mund zu öffnen, so sehr umschwirrten ihn die Tiere jetzt. Mit einer gezwungenen Verbeugung in Richtung seines Vaters, der inzwischen breit lächelte, stürmte er wieder hinaus. So schnell es ging marschierte er in seine Gemächer und riss sich die Kleider vom Leib, die in hohem Bogen hinaus auf die Terrasse flogen. Dann versenkte er sich in der Badewanne mit längst abgekühlten, gebrauchten Badewasser. Das alleine war schon widerlich genug, aber der Gedanke, dass ihn dieser Rhûna wie eine Witzfigur hatte dastehen lassen, ließ ihm fast das Abendessen vom Vortag wieder hochkommen.

„Ich bringe ihn um!" prustete er, als er wieder aus dem abgestandenen Wasser auftauchte. „Ich bringe ihn wirklich um."

„Lustig war es schon", meinte sein Bruder von der Tür aus. „Vater denkt, ein einfaches Bad dürfte reichen. Wahrscheinlich hängt das Zeug ohnehin nur in deiner Kleidung."

„Aristil", heulte Elladan auf. „Sie hat ihm geholfen."

Elrohir schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht, dass sie es wirklich wusste. Lass deinen Ärger nicht an ihr aus."

„Was machst du überhaupt hier?"

„Wir haben die Sitzung abgebrochen und auf morgen vertagt." Elrohir wedelte etwas in der Luft rum. „Zu viele Schmetterlinge im Raum."

***

Das Gefühl eines schmerzlichen Verlustes überkam ihn ohne jede Vorwarnung. Von einer Sekunde zur anderen verdunkelte sich der helle Tag, verlor seine Umgebung die leuchtende Kraft ihrer Farben, traten die Geräusche des Tales zurück und es blieb nur tiefe Trauer, die sich wie ein schwerer Mantel um ihn legte.

„Galen." Enach legte ihre Hand auf seinen angespannten Arm. Traurigkeit drückte ihre zerbrechliche Gestalt nieder. „Wer ist es?"

„Caranir", flüsterte er und fasste den Kampfstab fester, den er von diesem erfahrenen Krieger vor ihrer Abreise erhalten hatte. „Sie hat ihn geholt. Ich hätte eher bemerken müssen, dass es ihm schlecht geht."

„Nicht hier", sagte Enach und strich über seinen Arm. „Das Tal wird geschützt. Es tut mir so leid, mein Kind."

Galen sah sie lange an, bevor er sie weiter durch die verzauberten Gärten Bruchtals führte. Eine Gewohnheit, die Enach bereits am Tag nach ihrer Ankunft aufgenommen hatte. Jeden Morgen ein Spaziergang durch die Schönheit des Tals, den Rest des Tages erfüllte dann ein sanftes Schimmern ihr gewaltsam gealtertes Gesicht. Enach lebte auf in dieser Umgebung. Dies waren ihresgleichen, auch wenn sie schon eine Ewigkeit bei den Rhûna war, ihre wahre Heimat konnte nur ein Ort voller Schönheit wie Imladris gewesen sein. Es ging ihr damit wie vielen der Alten, von denen es langsam immer weniger gab.

Es war leicht, sich hier einzugewöhnen. Selbst die Ärgernisse mit dieser aufdringlichen Elbin und den Zwillingen waren beinahe entspannend gegen den Überlebenskampf in Rhûnar. Galen stellte zu seinem eigenen Entsetzen fest, dass nur die wenigen Tage allein genügt hatten, sich heimisch zu fühlen, sicher und geschützt vor der eigentlichen Welt. Die Dunkelheit draußen hatte sich jetzt ohne Vorwarnung wieder in Erinnerung gerufen.

Caranir, dachte Galen und wand sich innerlich. Der Hauptmann der Quellstadt, die mit seinem Tod fast schutzlos zurückblieb. Seine Erfahrung blieb zwar jetzt durch Galen erhalten, doch Bruchtal war weit weg von Rhûnar.

„Du bist ein würdiger Erbe", sagte Enach in dem Versuch, Trost zu bringen. „Er hatte keine Kinder, Galen, und als er es an dich weitergab war er sehr stolz."

„Es ist zu früh", erwiderte er unfreundlich. Er wollte jetzt keinen Trost und er wollte auch nicht Caranirs Gaben. „Hier kann ich ihnen nicht helfen. Außerdem war es nie mein Ziel, ein Krieger zu werden. Ihre Kraft sollte nur eine Leihgabe sein bis einer der anderen alt genug ist, sie zu übernehmen. Das weißt du ganz genau!"

Er war verletzend, doch diesmal wollte er sich nicht zurücknehmen. Enach hatte ihren Willen im Rat durchgesetzt und ihn erwählen lassen, obwohl man seine eigentlichen Gaben nach ihrer Abreise in Rhûnar viel dringender gebraucht hätte. Ihretwegen hatte er sie fast ganz verloren und dafür andere aufnehmen müssen, die noch nie seiner eigentlichen Natur entsprochen hatten. Einen Großteil seiner Stärke hatte er an Varya übertragen können, die eine gute Heilerin war, doch noch sehr jung und kaum fähig, alleine gegen die Pest weiter anzukämpfen. Hätte sie es gekonnt, würde er jetzt nicht den Tod Caranirs in seiner Seele spüren.

Er seufzte vernehmlich. „Ich muss zurück, Enach, bald. Noch leben die beiden anderen und ich kann zurückgeben, was zuviel Raum einnimmt. Es war keine gute Sache, die du gemacht hast und das weißt du. Ich denke, Elrond wäre nicht sehr erfreut, wenn er davon Kenntnis hätte."

„Elrond hat sehr viel erlebt, Galen. Er kennt die Situation, in der man auch zum letzten Mittel greifen muss."

„Wenn du es sagst."

Eigentlich wollte er gar nicht mit ihr streiten. Sie hatte ihre eigene Sicht der Dinge, die sich wie bei so vielen Alten stark von der unterschied, die die jungen Rhûna hatten. Für die Alten war Rhûnar immer noch das Exil, für die Elben aus Galens Generation ihre Heimat. Sie hatten nie eine andere kennen gelernt und liebten den Wald und das Seeufer über alles. Nicht immer wurde ihre Liebe auch erwidert, aber es änderte sich langsam.

Das leichte Klirren von Schwertern schreckte ihn aus seinen düsteren Gedanken. Ein Stück vor ihnen wurde gekämpft, unwillkürlich drehte seine Hand den Kampfstab und nahm ihn leicht vor. Als er vertraute Stimmen lachen hörte, fiel die Verteidigungsbereitschaft von ihm ab, dafür stellte sich eine gewisse Grimmigkeit ein.

„Das klingt wie Elronds Söhne." Enach lächelte ihn voller Unschuld an. „Es scheint, sie üben sich vor uns im Kampf."

„Es scheint so", bestätigte er und bedachte sie mit einem durchdringenden Blick. „Und du hattest natürlich keine Ahnung, dass sie hier zu finden sind."

„Natürlich nicht. Wir sollten sie begrüßen. Außerdem hast du dann Gelegenheit, sie dir näher anzusehen. Es ist immer gut, seinen Gegner zu kennen."

Galen schluckte. „Ich weiß nicht, wovon du redest."

„Ich bin alt, Junge, nicht schwachsinnig." Sanft, aber bestimmt dirigierte sie ihn in die Richtung, aus der die Geräusche kamen. „Von allen ist mir am besten vertraut, was in dir ist. Die Geschichte mit den Schmetterlingen war wirklich erheiternd, doch nicht das, auf was alles hinausläuft."

Auf seinen Arm gestützt gingen sie weiter durch einen kleinen Wald, bis sie an eine sonnenüberflutete Lichtung gelangten. Einer der Zwillinge und der Mensch Estel standen in ihrer Mitte und schlugen eher spielerisch mit Schwertern aufeinander ein.

Auf einem umgestürzten Baumstamm am Rande der Lichtung saßen der andere Zwilling und der Prinz aus Düsterwald. Sie schienen sich über die beiden Kämpfer köstlich zu amüsieren.

„Du warst wohl zu lange nur hinter Weiberröcken her!" spottete Estel, während er mit seinem Schwert auf Elladans nachlässig herumtändelnde Klinge eindrosch.

„Stell dir vor es ist ein Schmetterlingsangriff!" lachte Legolas.

Elladan zog ein finsteres Gesicht. „Erinnere mich nicht daran. Ich werde ihm-„

Der Mensch hatte offenbar die Neuankömmlinge entdeckt und räusperte sich vernehmlich. „Lady Enach, Galen."

Elrohir und Legolas erhoben sich und grüßten mit einer höflichen Verbeugung. Eine Geste, die Elladan auch in Richtung Enach wiederholte, Galen aber nur aus schmalen Augen anstarrte.

Galen ertappte sich selbst dabei, diesen Blick in der gleichen Art zurückzugeben und auch noch langsam den Stab kreisen zu lassen.

„Also übt Ihr auch an einem so schönen, friedlichen Tag Eure Fertigkeiten", sagte Enach harmlos, während sie sich auf den Baumstamm setzte. „Erwartet Ihr denn einen Angriff?"

Das macht sie absichtlich, erkannte Galen erstaunt. Sie will wirklich diesen Kampf provozieren, wohlwissend, was Elrond angeordnet hat. Vorsichtshalber bewegte er leicht seine Schulter. Die Einschränkungen waren kaum noch zu bemerken. Wenn es sie also glücklich machte....

„Es sind keine friedlichen Zeiten", erklärte Estel, schob aber sein Schwert wieder in die Hülle. „Doch für heute wird es wohl reichen. Elladan hat in mir nicht gerade einen angemessenen Gegner."

Legolas stöhnte leise auf. „Gut gemacht, Freund."

„Das wird sich wohl bald ändern", murmelte Elrohir. „Euer Begleiter scheint mir recht ungeduldig, Lady Enach."

„So ist die Jugend", sagte Galens Tante. „Allerdings ist es wohl keine ausgewogene Auseinandersetzung, die Ihr da ins Auge gefasst habt. Ein Schwert gegen einen Rhûnar-Stab bringt Euch in Nachteil."

Galen grinste. Sie konnte manchmal eine richtige Hexe sein. „Warn ihn nicht vor, Enach. Er wird noch früh genug am Boden liegen."

„Jetzt reicht es!" fauchte Elladan. „Nein, lass meinen Arm los, Estel. Ich werde diesem Bengel eine Lektion erteilen."

Galen konnte sein Lachen kaum noch beherrschen. „Ihr macht mir richtig Angst, Lord Elladan. Ich werde mich die nächsten drei Tage im Wandschrank verstecken. Vielleicht leisten mir ein paar der Schmetterlinge Gesellschaft, die seit gestern durch die Räume schwirren."

„Galen, lasst es." Legolas stellte sich zwischen ihn und Elladan. Einen so warnenden Ausdruck auf dem ernsten Gesicht, dass Galen fast nachgegeben hätte.

„Außerdem hat Euer Vater es verboten", ließ sich Enach vernehmen. „So hörte ich jedenfalls. Nun, ich würde mich auch um meine Kinder sorgen."

Legolas warf ihr einen scharfen Blick zu. Spätestens jetzt durfte auch ihm klar sein, dass die Rhûna-Heilerin hier nicht als Stimme der Vernunft auftreten wollte.

„Außer uns ist niemand hier", sagte Elrohir gedehnt. „Und Euch scheint es ja nicht zu stören, Lady Enach."

„Was sollte mich daran stören?" wunderte sie sich. „Außerdem bin ich alt, sehe nicht mehr richtig, höre kaum noch etwas und vergesse bereits, was vor fünf Minuten passierte."

Kopfschüttelnd wandte sich Galen ab. Sie wollte diese Auseinandersetzung mehr sogar als er. Warum konnte er nicht genau ausmachen, aber es störte ihn auch nicht. Er zog langsam seine Jacke aus, um in den Bewegungen nicht behindert zu werden. Dann löste er eines der weichen Lederbänder mit den Segenssprüchen für die Reise von seinem rechten Handgelenk. Ausgerechnet das von Varya, die wahrscheinlich vor Schreck in Ohnmacht fiel, wenn sie jemals von diesem Kampf erführe. Galen band seine langen Haare im Nacken damit zusammen und lockerte etwas seine Arme und Beine.

„Gut, wer will zuerst Prügel haben?" Oh, damit brachte er sie beide in Rage und das gefiel ihm. „Nacheinander oder zusammen?"

Langsam trat er auf Elladan zu, der immer noch in der Mitte der Lichtung stand. Estel kam aus seinem Weg an ihm vorbei, deutliche Missbilligung im Blick. Galen hätte ihn gerne beruhigt, ihm gesagt, dass dies kein Kampf auf Leben und Tod sein würde und dass er nicht vorhatte, Elronds Söhne zu unterschätzen. Aber er nickte ihm nur stumm zu.

Tbc

@Amélie: Granit? Klingt gut, kann er auch brauchen bei den Twins.

@feanen: Zufrieden?

@Dani: Mystic steht nicht nur auf Glori und die Twins...*bedeutungsvolles Grinsen* Sie ist heimliche Verehrerin eines Galdadhrim. Von wegen ‚ich mag keine arroganten Elben'.

@Mystic Girl: Zwelbin, für jemanden der Elladan mag, haust du übel auf ihn drauf. Okay, das später wieder Zusammenpuzzeln hat was. Glorfis Aufzählung seiner Freizeitbeschäftigungen *im Telegramm-Stil bitte* dürfte die Lebenspanne eines Sterblichen überschreiten.