Disclaimer: Alles Tolkien bzw. seine Erben, mich nix.
5. Kapitel: Noch mehr Rhûna?
Seine Hände lagen flach auf der polierten Holzplatte seines Schreibtisches. Hätte er sie gehoben, wäre ein leichtes Zittern zu bemerken gewesen. Unterdrückter Zorn, der sich mit jeder Minute vergeblichen Wartens steigerte.
Seine Söhne saßen ihm gegenüber. Zuerst hatten sie gestanden, aber nachdem der letzte ‚Gast' dieses Treffens auf sich warten ließ, waren sie in stillschweigender Übereinkunft auf die beiden Stühle vor dem Schreibtisch geglitten. Kein Ton kam von ihnen, aber Elrond konnte in ihren Gesichtern lesen wie in einem Buch. So war es immer gewesen und nun blieb ihm die Irritation und wachsende Besorgnis der beiden nicht verborgen. Einzig Glorfindel, der an einem Bücherregal lehnte, war in seinen Emotionen und Gedanken so schwer zu erfassen wie eh und je.
Was die Beteiligung seiner Söhne an dieser Aktion anging, war es nur ein schwacher Trost, dass Elladan gerade eben wieder mit schmerzverzerrter Grimasse im Stuhl herumrückte. Elrond wusste, dass Elladans Schulter nach dem gestrigen Kampf eine einzige tiefschwarze Prellung sein musste. Sein Ältester war immerhin verwegen genug gewesen, tatsächlich die alte Rhûnar-Heilerin um Hilfe zu bitten. Wie Erestor Elrond mit kaum versteckter Genugtuung mitgeteilt hatte – Elrond fragte sich nicht zum ersten Mal, woher sein Berater wirklich alles erfuhr, was in diesem Haus gesagt und getan wurde – hatte Enach seinen Sohn gar nicht ernst genommen. Prellungen, egal wie schwer, gehörten bei den Rhûna offenbar in die gleiche Kategorie wie Kratzer und abgebrochene Fingernägel.
Elrond überlegte stirnrunzelnd, was ihn wohl am meisten erzürnte: dass Galen trotz seines Verbotes einen Kampf geführt hatte oder dass er nun offenbar zu feige war, sich den Konsequenzen seines Handelns zu stellen.
„Wir sollten nachsehen, wo er bleibt", schlug Elladan mit der gebotenen Vorsicht vor.
„Er ist kein Feigling", stimmte Elrohir ein.
Die ersten Anzeichen einer erwachenden Freundschaft hätten Elrond erfreuen müssen, doch sein Stirnrunzeln vertiefte sich nur.
„Ich werde ihn holen", erklärte Glorfindel nach weiteren Minuten schweigenden Wartens.
Er hatte noch nicht ausgesprochen, als es an der Tür klopfte. Auf Elronds unfreundliches ‚Herein' wurde sie vorsichtig geöffnet. Doch statt des Rhûna glitt Aristil schüchtern ins Zimmer.
„Verzeiht, Mylord", hauchte sie mit gesenktem Blick. „Galen o Rhûnar bat mich, Euch eine Nachricht zu überbringen."
„So?" Elrond knirschte fast mit den Zähnen.
Sie fummelte nervös mit ihren Gürtelbändern und bekam keinen Ton mehr heraus.
„Sprich, Aristil", forderte Glorfindel sie mit weicher Stimme auf. „Der Überbringer schlechter Nachrichten hat nichts zu befürchten."
„Er kann nicht kommen." Unglücklich seufzte sie, die Augen nur auf Glorfindel gerichtet. „Herr Galen sagt, er wird jede Strafe für das Vergehen, dessen er sich schuldig gemacht hat, akzeptieren."
„Aber es besteht keine Notwendigkeit, persönlich zu erscheinen", ergänzte Elrond mit vor Wut flacher Stimme.
„Er ist in Schwierigkeiten." Estel hatte beim Betreten des Raumes die letzten Worte gehört. „Verzeih, Adar, aber Legolas und ich hielten es für besser, ihn zu suchen und herzubringen."
„Schwierigkeiten?" Das Wort allein und Estels ungewöhnlich ernste Miene sorgten dafür, dass Elrond sofort seine sorgfältig zurecht gelegte Strafrede vergaß. „In welchen Schwierigkeiten kann er in Imladris sein?"
„Wir fanden ihn in deinem Arbeitszimmer, wo er hastig verschiedene Dinge in der Apotheke zusammen suchte. Als wir ihn zur Rede stellten, schrie er uns an, wir sollten ihn in Ruhe lassen. Legolas wollte beschwichtigen, doch Galen bedrohte ihn mit einem Messer."
Die Art der Schwierigkeiten zog wie eine dunkle Wolke am Horizont auf. Es war nur ein kurzer Blickwechsel zwischen Elrond und Glorfindel, dann waren beide auf dem Weg zur Tür.
„Wo ist er?" fragte Elrond.
„Bei Enach. Er hat sich dort eingeschlossen."
„Wir werden sehen", erklärte Elrond grimmig und marschierte hinaus.
Nicht wenige Blicke hefteten sich auf die fünf Männer auf ihrem raschen Weg durch die Gänge. Auch Legolas, der vor Enachs Tür wartete, wirkte leicht erstaunt, gleich so zahlreich Hilfe zu bekommen.
„Er war fast in Panik", erklärte er mit einer Kopfbewegung zur Tür.
Glorfindel nickte nur und klopfte dann energisch mit der Faust gegen das dicke Eichentürblatt. „Galen, macht auf! Lord Elrond ist hier."
Es dauerte einen Moment, bis aus dem Raum dahinter Geräusche zu hören waren. „Bitte geht", erklang dann die Stimme des Rhûna.
„Ihr wisst, dass wir das nicht können."
Glorfindel nahm bereits die Stabilität der Tür näher in Augenschein. Er war noch nie ein Mann gewesen, der lange Diskussionen führte. „Entweder Ihr öffnet, oder wir brechen die Tür auf."
Elladan und Elrohir bauten sich eifrig hinter dem Elbenfürsten auf.
Für derartige Aktionen sind sie immer zu begeistern, seufzte Elrond im Stillen.
Allerdings hatte er nicht vor, das Haus von seinen Söhnen zerlegen zu lassen. Energisch schob er alle beiseite.
„Öffnet", befahl er beinahe leise. „Denkt Ihr etwa, ich weiß nicht, was mit Enach ist?"
„Dann solltet Ihr mich verstehen, Mylord." Selbst durch die geschlossene Tür war die tiefe Verzweiflung noch zu hören. „Wir haben es in Euer Haus getragen. Ich werde nicht zulassen, dass Ihr oder einer der Euren weiter in Gefahr geratet."
„Mylord?" Aristil versteckte sich halb hinter Glorfindels Rücken. Keiner hatte gemerkte, dass sie ihnen gefolgt war. „Ich wüsste einen Weg."
Eilig dirigierte Glorfindel sie außer Hörweite, Elrond folgte ihm. „Nun?"
„Das Badezimmer", flüsterte sie. „Es hat einen zweiten Zugang, damit wir uns dort ohne Störung für die Gäste bewegen können."
Mit diesen Worten zog sie aus einer der Falten ihres Kleides einen kleinen Schlüssel. Glorfindel nahm ihn ihr ab und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. Aristil lief rot an und drohte, in eine Ohnmacht zu versinken. Ein Phänomen, mit dem sich Elrond irgendwann einmal befassen würde. Nur jetzt eben nicht, denn Glorfindel hatte bereits die dezent verborgene Tür geöffnet und war im Bad verschwunden.
„Alle anderen warten", befahl Elrond, bevor er Glorfindel folgte. Irgendwie wunderte es ihn nicht einmal, dass trotzdem hinter ihm alle nachdrängten. Seine Autorität hatte stark gelitten, seit der Rhûna im Haus wohnte.
Sie fanden, was zu erwarten gewesen war. Enach lag auf ihrem Bett, Galen hingegen wachte noch immer an der Tür. Nur aus dem Augenwinkel heraus registrierte Elrond, dass Glorfindel sehr schnell neben Galen auftauchte und ihm den Kampfstab aus den Händen wand.
„Den braucht Ihr jetzt nicht", erklärte der Elbenfürst mit einem warnenden Lächeln und drehte ihn einmal kurz in der Hand, damit Galen auch begriff, dass Glorfindel mit dieser Waffe umzugehen verstand.
Elrond setzte sich auf die Bettkante und betrachtete eingehend das gräuliche Gesicht der alten Rhûna. Es war erschreckend, in welch schlechtem Zustand sie war. „Wie lange geht das schon so?"
„Seit wenigen Stunden", erklärte Galen und trat an die andere Seite des Bettes. „Ihr solltet nicht hier sein, Meister Elrond, keiner von Euch. Offenbar tragen wir die Krankheit in uns."
Enachs Blick klärte sich etwas. „Sorg dich nicht, mein Junge. Sie ist nicht ansteckend."
Die Sicherheit dieser Behauptung ließ Elrond kurz in seiner Untersuchung innehalten, aber Enach driftete bereits wieder in einem Fieberdämmer ab. Prüfend legte er die Hand auf ihre Stirn und konzentrierte sich auf die unsichtbaren Ströme ihres Lebens. Es traf ihn völlig unvorbereitet, dass sie eine schier unüberwindliche Mauer der Abwehr aufgebaut hatte. Enach wies seine Hilfe aus einem unerklärlichen Grund massiv zurück. Es würde sie beide wahrscheinlich umbringen, wenn er weiter in sie drang.
Er zog seine Hand zurück. Nachdenklich glitt sein Blick über die Arzneien, die Galen herangeschafft hatte. Eine andere Wahl hätte er auch nicht getroffen. „Hat Enach Euch diese Mittel holen lassen?"
„An manche erinnerte ich mich noch", erklärte der Rhûnar-Elb. Er rieb seine Schläfen, als könnte er seine Gedanken damit klären. „Andere musste sie mir nennen. Ich wünschte-„
„Beruhigt Euch", meinte Glorfindel sofort beschwichtigend. Mit sanfter Gewalt schob er ihn auf die Ausgangstür zu und gab gleichzeitig den anderen im Raum ein Zeichen. „Es ist besser, Ihr lasst Lord Elrond ungestört seine Arbeit tun. Ihr würdet nur im Weg sein, glaubt mir. Elladan, Elrohir, kümmert Euch um ihn."
Glorfindel gab ihm einen leichten Schubs, der ihn endgültig in die Reichweite der Zwillinge beförderte. Elronds Söhne nahmen ihn in die Mitte und drängten ihn dann zur Zimmertür hinaus. Estel und Legolas folgten ihnen.
Als sich Glorfindel wieder zu Elrond umwandte, war seine zuversichtliche Miene verschwunden. „Sind seine Befürchtungen begründet?"
„Was ihren nahen Tod betrifft wohl schon.....Ansteckend wird die Erkrankung jedoch nicht sein, dafür war sie sich einfach zu sicher." Elrond nahm eine der Arzneiflaschen und gab eine hohe Dosis in ein Wasserglas. Dies war keine Krankheit, die eine vorsichtige Behandlung erlaubte. „Enach weiß Dinge über die Schwarze Pest, die sie vor uns allen verborgen hält. Selbst Galen scheint sie nicht zu trauen."
Bei allem, was er bislang erlebt hatte, so war er doch nicht darauf vorbereitet, einen derartigen Verfall eines Elben beobachten zu müssen und einfach nur hilflos dabeizustehen. Elrond kämpfte um dieses eine Leben und kam nicht einen Schritt weiter. Vom Beginn der Krankheit an schwand ihm die alte Heilerin unter den Händen weg.
Er bot seine gesamten Kenntnisse der Kräuterkunde auf und erreichte doch nur, dass sich die Schmerzen, die sie nach wenigen Tagen fast zur blinden Raserei trieben etwas milderten. Einzig wenn Galen in ihrer Nähe war, schien sich seine Tante wenigstens etwas zu beruhigen. Dies führte nur dazu, dass der Junge nicht mehr von ihrer Seite zu lösen war und nach einer Woche vor Elronds Augen zusammenbrach.
Kaum hatte er sich etwas erholt, wollte er dieses selbstzerstörerische Spiel von neuem beginnen. Glorfindel wurde schließlich handgreiflich und er reglementierte für ihn den Zutritt zu Enachs Krankenzimmer, indem er die Zwillinge, Legolas und Estel mit der undankbaren Aufgabe betraute, ihn im Auge zu behalten.
Elrond verdrängte den Gedanken an diese unfallträchtige Kombination, da er sich fast nur noch auf Enach konzentrierte. Ihre innere Abwehr bröckelte mit dem Fortschreiten der Krankheit dahin. Zunächst nur selten und kurz erlangte er Zugang zu ihren Gedanken und Geheimnissen. Etwas, das sich als keine angenehme Erfahrung entpuppte. Allein die wenigen Momente genügten zu der Erkenntnis, dass Enach am Ende ihres Lebens einen Weg eingeschlagen hatte, der niemals gutgeheißen werden konnte.
Fast zwei Wochen war sie erkrankt, als Elrond die Mauern endgültig niederriss und sich in einer Erinnerung und Gedankenwelt wiederfand, die ihn erschütterte.
Tief in Gedanken versunken fand ihn Glorfindel spät am Abend alleine in der Kaminhalle. Elrond war erschöpft in seinen Lehnstuhl an einem der Fenster gesunken und grübelte darüber, wie er Galen mit dem Wissen vertraut machen sollte, dass ihm vor wenigen Stunden offenbart worden war.
„So schlimm?" erkundigte sich der Elbenfürst und ließ sich in seiner Nähe nieder.
„Verrat, Betrug und Dunkle Magie." Elrond rieb sich über die Stirn. „Sie wollte hunderte von Leben opfern, um das des Jungen zu retten. Enach ist nicht hierher gekommen, weil sie Hilfe gegen diese Krankheit suchte."
„Nicht?"
„Sie kennt die Ursache und ich kenne sie jetzt auch. Aber anstatt ihr Wissen zu teilen und nach einer Lösung zu suchen, war sie nur noch davon beherrscht, Galens Leben zu retten. Wir können hier gar nichts dagegen tun, denn es ist ein dunkler Fluch, gebunden an einen Gegenstand aus dem Eigentum des Sterbenden."
„Hexerei." Glorfindel schien nicht einmal sehr überrascht. „Du wirst es ihm sagen müssen."
Widerstrebend stand Elrond auf. „Am besten gleich. Sie hat nur noch wenige Tage und er muss seinen Frieden mit ihr machen. Weißt du, wo er ist?"
Glorfindels Miene war ein bisschen zu ausdruckslos, als er nickte. „Ich denke schon. Erestor sucht seit einigen Stunden den Schlüssel zu deinem Weinkeller und eben huschte Aristil mit einem großen Korb voller Käse und Brot an mir vorbei."
„Du meinst…?" Elrond runzelte die Stirn.
„Genau", lächelte Glorfindel. „Offenbar findet in deinem Weinkeller ein großartiges Besäufnis statt."
„Ich hätte mir denken sollen, dass du dich darüber amüsierst."
„Was willst du denn, mein Freund? Die vier sollen ihn ablenken. Wenn ich an ihre früheren Ausflüge in den Weinkeller denke, gibt es kaum eine bessere Methode."
***
Er stand schon eine ganze Weile bewegungslos vor dem großen Steinkamin, der die Rückwand des Raumes beherrschte. Obwohl seine durchdringenden, blauen Augen auf das Feuer gerichtet waren, nahm er die ruhigen Flammen nicht wirklich wahr. Noch war es Sommer, trotzdem benötigte dieser Raum bereits die zusätzliche Wärmequelle, um in den Abendstunden überhaupt noch behaglich genannt werden zu können. Wahrscheinlich lag es daran, dass seine privaten Gemächer zu denen gehörten, die in den Fels geschlagen waren. Nur ein Teil des Palastes war außerhalb des Berges errichtet, der ihnen den besten Schutz bot.
Thranduils Palast war eher eine Festung, errichtet in weiten Teilen nach dem Vorbild Doriaths. Diese Wehrhaftigkeit hatte ihre Gründe. Der Kampf in diesem Teil der Welt währte schon so lange, dass er sich ein friedliches Leben kaum noch vorstellen konnte.
„Düsterwald", murmelte er und ein freudloses Lächeln glitt über seine eleganten, aber scharfgezeichneten Züge. Thranduil war ein beeindruckender Mann: Hochgewachsen selbst für einen Elben, voller Kraft und Eleganz in jeder kleinsten Bewegung und langen, hellblonden Haaren, die in schlichten Flechtsträngen aus seinem schmalen Gesicht gehalten wurden.
In seiner Jugend hatte ihn Freundlichkeit und Lebenslust erfüllt, doch diese Zeiten waren lange dahin. Sein Vater war in der Schlacht von Dagorlad gefallen, vor seinen Augen, in die danach ein harter, misstrauischer Schimmer getreten war.
Stück für Stück hatte er in den folgenden Jahrtausenden sein Reich an die Dunkelheit verloren. Eigentlich hatte sein Vermächtnis an seinen Sohn ein starkes, gesundes Waldreich sein sollen. Doch nun befand er sich mitten in einem Überlebenskampf und unter wirklicher Kontrolle war nur noch der Teil nördlich der Alten Waldstraße.
Wenn Düsterwald fiel, gab es östlich des Nebelgebirges nur noch das winzige Lothlorien, das auch nur deswegen den dunklen Scharen trotzen konnte, weil Celeborns Noldo-Gemahlin es durch ihren Ring schützte.
Lieber kämpfte Thranduil auf die herkömmliche Weise, bevor er sich in die Hände einer Frau wie ihr begab. Nun, Celeborn war schon immer etwas zu extravagant, zu ehrgeizig gewesen. Die reichlich wechselhafte Ehe mit Galadriel geschah ihm ganz recht.
Thranduil war eigentlich froh, an niemanden gebunden zu sein. Seine eigene Ehefrau war schon vor so langer Zeit in den Westen aufgebrochen, dass seine Erinnerung an sie merklich verblasst war. Nicht, dass Mithuven je einen besonderen Eindruck im Waldreich hinterlassen hätte. Sanftmütigen, zarten Frauen gelang dies ohnehin selten.
Die Ehe war zum Glück kurz und frei von Höhen und Tiefen gewesen. Das Bemerkenswerteste, dass seine teure Gattin je zustande gebracht hatte, war ihr einziges Kind – Legolas. Als er den Jungen zum ersten Mal in den Armen hielt, wusste er wenigstens, für wen er all die Mühen auf sich nahm. Äußerlich hatte der Prinz zwar viel von seiner Mutter, innerlich mehr von Thranduil als ihm wohl klar war.
Mit Legolas Geburt schien für Mithuviel wohl ihre Aufgabe erfüllt. Sie war schon wenige Jahre später gegangen. Eine weise Entscheidung, erkannte Thranduil ironisch, sonst hätte ich sie irgendwann nach Lorien geschickt, damit sie Galadriel die Ohren volljammert. Nun ja, vielleicht nicht ganz so weise.
Sie hatte es fertig gebracht, sich auf dem Weg zu den Grauen Anfurten von Orks töten zu lassen. Natürlich hatte er angemessen um sie getrauert, genau wie um die zehn Mann starke Eskorte, die er im Palast eigentlich viel nötiger gebraucht hätte. Es war jedenfalls vorbei, Mithuven dahin. So wie er sie kannte, fühlte sie sich in Mandos Hallen wahrscheinlich ausgesprochen wohl.
Ein leises Räuspern holte ihn aus seinen Gedanken. Überrascht stellte er fest, dass Stunden vergangen sein mussten. Diener hatten bereits die bodenlangen, dunkelroten Brokatvorhänge an den schmalen Fenstern zugezogen. Die Wandlampen, geformt wie große gläserne Blütenkelche, brannten und ließen die Muster der Teppiche auf dem glattpolierten Steinboden tanzen.
Berelion, sein Ratgeber und Seneschall dieses Palastes, hatte geduldig an der breiten Eichentür gewartet. Die Blattmuster, die mit großer Detailtreue dort ins Holz geschnitzt waren, umrahmten ihn regelrecht wie ein Bildnis.
„Es ist Zeit", sagte er und meinte das mehrmals in der Woche stattfindende Abendessen im Großen Saal des Palastes, dem sich Thranduil nur an wenigen Tagen davon entziehen konnte. Die Edlen der Tawarwaith erwarteten die Gegenwart ihres Königs, ob ihm danach war oder nicht. Nicht einmal Legolas war hier, an den er diese Pflicht delegieren konnte.
Thranduil runzelte missmutig die Stirn.
„Noch keine Nachricht aus Imladris", sagte Berelion. Er erriet zumeist sehr genau die Gedankengänge seines Königs. Er kannte ihn schon zu lange. „Der Prinz ist erst vor sechs Wochen abgereist, Hoheit. Es wäre noch zu früh."
Thranduils Antwort bestand aus einem düsteren Blick, der allerdings nach den langen Jahrtausenden wenig Eindruck auf Berelion machte. Schweigend zog er die dunkelgrüne Samtrobe über, die Berelion bereit hielt, drückte den Mithril-Stirnreif auf seine Stirn und marschierte energisch an seinem Berater vorbei.
„Irgendetwas Besonderes?" erkundigte er sich unterwegs.
„Das übliche", schmunzelte Berelion. „Wir mussten kurzfristig die Sitzordnung ändern, weil sich Lady Thiawen und Lady Helemar inzwischen spinnefeind sind."
„Warum diesmal?" Er dankte den Valar, dass er keine Töchter hatte. In einem gewissen Alter waren Frauen einfach zu schwierig.
„Auch das übliche. Lady Thiawen hat behauptet, der Kronprinz würde ihr nach seiner Rückkehr einen Antrag machen. Lady Helemar verkündet nur leider das gleiche."
Thranduil blieb abrupt stehen und bedeutete dem Diener vor dem Großen Saal, die Tür noch nicht zu öffnen. „Stimmt das etwa?"
Berelion grinste recht würdelos. „Nie im Leben, Hoheit. Euer Sohn lebt zwar nicht gerade wie ein Einsiedler, aber er zeigt keinerlei Interesse an einer Bindung."
„Klüger als sein Vater", brummte Thranduil erleichtert. „Er ist noch viel zu jung, um sich das Leben schwer zu machen."
Berelion hüstelte.
„Ihr könnt nicht mitreden", sagte Thranduil. „Eure Gattin ist intelligent. Selten genug an meinem Hof. Schade, dass Ihr keine Tochter habt."
„Vergebung", sagte Berelion und nahm völlig ausdruckslos den scharfen Blick seines Herrn hin. „Wollen wir, Hoheit?"
„Habe ich eine Wahl?"
Tatsächlich waren diese Abende nicht so schlimm, wie Thranduil es immer gerne darstellte. Die Palastküche leistete die vertraut exzellente Arbeit und auch sein Hofstaat bestand nicht nur aus intriganten Kupplern oder Schwachsinnigen. Die meisten Anwesenden waren ihm seit vielen Jahrhunderten vertraut und teuer. Mit vielen hatte er zusammen gekämpft. Männer und Frauen gehörten gleichermaßen dazu, denn einige der Bedrohungen in der Vergangenheit hatten Rücksichtnahme auf das Geschlecht nicht zugelassen.
Es war eher die jüngere Generation, die Thranduils Nerven strapazierte. Gewöhnlich überließ er es seinem Sohn, sich mit ihnen herumzuschlagen. Eine königliche Pflicht, die er nicht früh genug üben konnte und außerdem ein geringer Preis für die vielen Freiheiten, die Thranduil ihm ohnehin gewährte.
Es reichte schon, dass er sich diesmal wieder durch seine Reise nach Imladris elegant seinen Verpflichtungen entzogen hatte. Thranduil grübelte darüber nach, wie er es ihm nachmachen konnte. Eine Reise nach Imladris oder Lothlorien kam nicht in Frage. Vielleicht sollte er beizeiten seine Grenzverteidigung inspizieren. Gleich morgen würde er das Vorhaben mit seinen Ratgebern besprechen, beschloss er mit steigender guter Laune.
Danach fiel es ihm leichter, sich der vielschichtigen Stimmung um ihn herum hinzugeben. Fast amüsierte es ihn sogar, die subtilen kleinen Kämpfe zu beobachten, die sich nur in versteckten Gesten, spitzen Bemerkungen und bedeutungsvollen Blicken abspielten.
Legolas wird seine Freude haben, dachte er mitleidlos. Der Junge jongliert gelegentlich mit etwas zu vielen Herzen.
Thranduil entspannte sich. Düsterwald war trotz seines Namens nicht nur ein Ort des Kampfes und der Bedrohung. Die Tawarwaith beherrschten durchaus die Kunst, mit ihren Liedern und Erzählungen eine Atmosphäre des Lichts und der Freude zu weben.
Es entsprach jedoch Thranduils Natur, sofort misstrauisch zu werden, als ein Diener unauffällig an Berelion herantrat und ihm etwas ins Ohr flüsterte.
Thranduil fing den verwunderten Blick seines Beraters auf und erhob sich. Auch wenn es wohl keine Schreckensmeldung war, so schien sie doch ungewöhnlich.
„Der König zieht sich zurück", erklärte Berelion laut.
„Was ist los?" fragte Thranduil, kaum hatten sich die Türen des Großen Saales hinter ihnen geschlossen.
„Nachricht vom Ostrand der Alten Waldstraße", antwortete Berelion. „Kein Angriff, aber ungewöhnliche Gäste."
Ungewöhnliche Gäste konnte nur eines bedeuten. „Schon wieder? Was wollen sie diesmal?"
Berelion zuckte die Achseln. „Der Bote wartet in Eurem Arbeitszimmer."
Mit langen Schritten steuerte Thranduil sein Arbeitszimmer ganz in der Nähe seiner Wohnräume an. Seine Stimmung verdunkelte sich wieder. Rhûnar-Elben – zum zweiten Mal innerhalb weniger Monate. Hatten diese Verdammten Mordors vor, sich jetzt zur Plage zu entwickeln? Sie sollten an dem entfernten Ort bleiben, an den sie sich zum Glück für alle anderen Elbenvölker für Jahrtausende verkrochen hatten. Weit im Osten waren sie gut aufgehoben, erreichbar für ihren ehemaligen Herrn. Wenn das Wort ehemalig überhaupt zutraf.
Der Grenzwächter wirkte müde und zeigte die Spuren eines schnellen, anstrengenden Weges. Trotzdem stand er aufrecht mitten in Thranduils Arbeitszimmer. Respektvoll verbeugte er sich vor seinem König.
„Setzt Euch", befahl Thranduil ruppig. „Sonst sinkt Ihr noch auf den Teppich."
Erleichtert ließ sich der Mann in einen der zwei Lehnstühle fallen, während sich Thranduil hinter seinen ausladenden Schreibtisch setzte.
„Hauptmann Caeril schickt Nachricht von der Ostgrenze", berichtete er ohne weitere Aufforderung. Die Ungeduld des Königs war im ganzen Reich berüchtigt. „Vor zwei Tagen haben zehn Rhûnar-Elben das Königreich über die Alte Waldstraße betreten."
„Jetzt sind es schon doppelt so viele", grollte Thranduil anklagend in Berelions Richtung. „Weiß Caeril, was sie wollen?"
„Nein, mein König. Wie Ihr befohlen habt, zeigen wir uns ihnen nicht. Aber diese Gruppe unterscheidet sich von der ersten."
„Ah?" Thranduil wölbte die Brauen.
„Sie sind schwer bewaffnet, alle zu Pferd und umgeben von einer grimmigen Entschlossenheit. Der Hauptmann glaubt nicht, dass sie auf dem Weg nach Imladris sind. Es sind zumeist düstere Krieger, Hoheit, auch wenn die Dunkle Hand auf ihnen nicht zu spüren ist."
„Entschlossenheit werden sie auch brauchen, wenn sie sich uneingeladen in meinem Reich herumtreiben." Thranduil entließ den erschöpften Mann mit einer knappen Handbewegung. „Was haltet Ihr davon, Berelion?"
„Ich weiß es nicht, Mylord", lautete die vorsichtige Antwort.
„Aber ich!" bellte Thranduil. „Das habe ich nun davon, dass ich den anderen auf Euren Rat hin geholfen habe. Jetzt kommen sie schon in bewaffneten Horden hier an. Wahrscheinlich wird es ihnen in Rhûnar zu ungemütlich und sie suchen ein gemachtes Nest hier bei uns. Dieser verdammte Elrond!"
„Was hat der Herr von Imladris damit zu tun?"
„Er und sein ‚Gastliches Haus'! Er zieht alle möglichen Gestalten an."
„Wenn sie nur auf der Durchreise sind, braucht es Euch nicht zu kümmern."
„WENN – nur das wissen wir eben nicht. Außerdem ist die Alte Waldstraße kein Spazierweg. Stößt ihnen etwas zu, wird man mir die Schuld geben." Thranduil trommelte ungeduldig mit den Fingern auf der Tischplatte. „Nein, die Sache muss geklärt werden."
„Soll ich sie herbringen lassen?"
„Kein Rhûnar-Elb setzt einen Fuß in diesen Palast, niemals!" Andererseits...in Thranduils Kopf formte sich eine überaus erfreuliche Idee. So konnte er gleich zwei Probleme gleichzeitig lösen. „Ich werde selber die Sache in die Hand nehmen."
„Hoheit?"
„Gleich morgen früh reiten wir los."
„Wir?"
Thranduil schlug mit der Faust auf den Schreibtisch. „Herjeh, Berelion, seid nicht so träge! Ich werde mir diese Strauchdiebe vorknöpfen und Ihr begleitet mich dabei."
„Dann gehe ich wohl besser und überprüfe meinen Bogen."
Grinsend sah Thranduil ihm nach. Von wegen ‚Bogen überprüfen', Berelion hasste diese Reisen Richtung Süden.
tbc
@ all: wir renovieren gerade weiter, also in der Kürze liegt die Würze. Danke für die Reviews, schönen Urlaub für Shelley, noch mehr wütender Elrond für feanen und viel Spaß mit geliehenem Findel für Zwelb äh Mystic. Dani, pass auf Findel gut auf und prüf lieber, ob Mystic ihn auch heil zurückgibt.
