Disclaimer: Es ändert sich nichts, alles Tolkien bzw. seine Erben.
6. Kapitel: Wein, Waffen und Kronen
„Den kenne ich", murmelte Legolas und nahm zur Sicherheit noch einen großen Schluck aus dem kostbaren Silberbecher in seiner Hand. „Ada hat davon ein Fass unter Verschluss und spendiert ihn nur zu besonderen Gelegenheiten."
„Der andere war auch nicht schlecht." Betrübt schwenkte Estel den leeren Weinkrug vor sich. „Elladan, wo hast du den hergeholt?"
Elronds Sohn ließ seinen Blick nachdenklich über die langen Reihen der großen Eichenfässer schweifen. Sie waren mittlerweile auf halber Strecke angekommen, nachdem sie beschlossen hatten, sich vom Eingang bis nach hinten systematisch durchzuprobieren. Allerdings war es erst die Reihe zu ihrer Linken, die zur Rechten würden sie auf dem Rückweg in Angriff nehmen. „Ich weiß nicht mehr so genau. Nummer Fünf oder Sechs glaube ich."
„Ich sollte bei Enach sein", jammerte Galen. Er lag halb über dem Tisch in der Mitte des Felsenkellers und spielte mit den diversen Weinbechern herum.
Legolas tätschelte ihm tröstend die Schulter. „Das kannst du nachher noch. Manchmal muss man sich eben entspannen. Wein, Weib und Gesang, wie die Menschen immer sagen."
„Hier sind keine Weiber", beklagte sich Elrohir und wankte mit einem großen Weinkrug im Arm los, um das nächste Fass anzuzapfen.
„Oh doch", rief Galen mit einem strahlenden Lächeln. Etwas umständlich erhob er sich, als Aristil durch die massive Eisentür schlüpfte und einen Korb auf dem Tisch abstellte. „Die schönste Blüte Bruchtals. Aristil, Lirimaer, kommt Ihr, um uns durch Euren bloßen Anblick zu erfreuen?"
„Ich dachte, Ihr könntet hungrig sein." Flink packte sie Brot und Käse auf den Tisch. „Ihr müsst dem Fluss ein Bett bereiten, sagt meine Großmutter immer, wenn Großvater etwas trinken will."
Legolas grinste. Sein Vater hatte ihm einen ähnlichen Spruch vor seinem ersten Gelage mit auf den Weg gegeben. „Wahr gesprochen, hübsche Lady."
„Das ist sie wirklich." Elladan legte einen Arm um Aristils schmale Schultern und drückte ihr einen herzhaften Kuss auf die Schläfe. „Und jetzt verratet mir, was Ihr nur an diesem Stockschwinger findet."
Verlegen kicherte sie nur.
„Es ist die Haarfarbe", vermutete Estel undeutlich. „Die dunklen haben bei den Frauen kaum eine Chance."
„Ehrlich?" wunderte sich Elladan. „Legolas, hat er Recht?"
„Ich hatte noch nie dunkle Haare", grinste seine königliche Hoheit überheblich.
„Außerdem bist du ein Prinz", grollte Elrohir aus dem Hintergrund. „Das verschafft dir einen unfairen Vorteil."
„Galen ist kein Prinz", widersprach Legolas.
„Seine Haare sind sogar wie Silber", stöhnte Estel und vergriff sich an Galens noch halb vollem Becher. „Das gleicht den fehlenden Titel aus."
„Ihr seid alle betrunken", meinte Aristil kopfschüttelnd. „Morgen werdet ihr fürchterliche Kopfschmerzen haben und ich glaube nicht, dass Lord Elrond euch helfen wird."
„Meister Elrond ist ein Heiliger", widersprach Galen. Er rappelte sich auf, um hinter Elrohir herzustolpern. „Soll ich dir helfen, ´ro?"
„Ist es wirklich die Haarfarbe?" ließ Elladan nicht locker. „Ihr seid eine viel zu kluge Lady, um es an einer solchen Kleinigkeit festzumachen, Aristil!"
„Lass sie zufrieden!" rief Galen über die Schulter. „Du bist ein wirklich mieser Verlierer, Elladan."
„Nicht schon wieder!" ächzte Estel, als Elladan von der Elbin abließ und sich zu Galen umwandte. „Elladan, ihr habt euch erst vor zwei Stunden geprügelt."
„Das war ein Übungskampf", korrigierte ihn Legolas. „Und Elladan hat gewonnen."
„Weil du Galens Stab nicht rausgerückt hast."
„Man muss auch ohne Waffen kämpfen können."
Ein böser Blick Elladans traf den Menschen. „Soll das heißen, ich könnte ihn nicht besiegen mit diesem albernen Stab?"
Estel lehnte sich genau wie Legolas so weit mit seinem Stuhl zurück, dass er nur auf den hinteren beiden Stuhlbeinen balancierte. Eine leichte Übung für einen Elben. Estel war nun mal ein Mensch, ein betrunkener noch dazu. Er fiel mitsamt seinem Stuhl um und blieb lachend auf dem Rücken liegen. „Nicht mal, wenn er noch drei Fässer durchprobiert hat."
„Stimmt!" bestätigte der Rhûna. „Aber wir haben hier keine Kampfstäbe."
„Improvisation", verkündete Elladan, bevor er einen der schmiedeeisernen, mannshohen Kerzenleuchter auseinandermontierte. „Komm schon, du silberhaariger Weiberheld, wir werden sehen, wer hier ein wahrer Kämpfer ist."
Legolas kamen nun doch leichte Bedenken. Sie waren alle schwer angeheitert, Elronds Weinkeller trotz seiner Höhe und Breite nicht gerade der ideale Kampfplatz… „Vielleicht solltest du es verschieben, Elladan."
„Damit du mir zuvorkommst. Keine Chance, Waldelb."
„Ich habe nicht vor, mit ihm zu kämpfen. Jedenfalls nicht mit diesem Stab."
„Und mit einem Bogen trete ich nicht gegen dich an", erklärte Galen mit einer wackligen Verbeugung. „Du bist ein wahrer Meister, Hoheit."
„Das waren genug Komplimente", schnaubte Elladan. Er warf Galen eine Stange des Kerzenleuchters zu. „Zeit für einen kleinen Kampf."
Aristil half Estel wieder auf die Beine, Legolas schob den Tisch und die Stühle aus dem Weg und Elrohir rettete die Weinkrüge. In der Zwischenzeit spielten die beiden Streithähne ein bisschen mit den Eisenstangen herum, um schließlich im Gang zwischen den Weinfässern in fast perfekte Ausgangsstellungen zu gehen.
„Alles ist erlaubt", erklärte Galen undeutlich, bevor er Elladan mit einigen schnellen Schlägen vor sich hertrieb.
„Wenn du es sagst." Elladan sprang auf eines der großen Weinfässer und versetzte dem Rhûna einen Schlag auf den Kopf.
„Ein Punkt für Imladris" freute sich Elrohir. „Rhûnar ist geschwächt."
„Eher betrunken", murmelte Aristil.
Galen folgte dem Zwilling. Sie beide sprangen auf den Holzfässern umher, stachen und schlugen mit den Stäben nacheinander.
Wein noch dazu in solchen Mengen war wirklich kein guter Kampfgefährte, stellte Legolas fest. Er hatte selten einen Kampf zwischen Elben gesehen, der so ungeschickt und vor allen Dingen unelegant geführt wurde. Es förderte die Technik auch nicht gerade, dass beide zwischendurch immer wieder von Gelächter geschüttelt wurden.
„Hört jetzt auf!" rief er den beiden zu. „Es gewinnt heute sowieso keiner von euch."
„Hah!" machte Elladan und schlug mit aller Kraft auf Galen ein. Der riss seinen Stab hoch und fing den Schlag ab. Leider war ein Kerzenleuchter nicht für diesen Einsatz gemacht und die Stange zerbrach in seinen Händen. „Jetzt habe ich dich, Galen o Rhûnar."
Statt mit seiner noch intakten Stange zuzuschlagen, sprang Elronds Sohn etwas hoch und führte einen Tritt gegen Galens Brustbein, der den Rhûna in hohem Bogen auf den Steinboden des Weinkellers beförderte, wo er stöhnend liegen blieb. Elladan konnte sich allerdings auch nicht über seinen Sieg freuen. Seine Landung war nicht gerade sicher. Er taumelte nach hinten weg und verschwand mit einem Schmerzensschrei zwischen dem Weinfass und der Felswand.
Spöttischer Applaus von der Eingangstür ließ alle Anwesenden zu Stein erstarren. Sehr langsam schlenderten Elrond und Glorfindel in den Weinkeller. Elrond ließ seinen Blick über die Weinfässer schweifen und dann über die Anwesenden, soweit sie sichtbar waren. Von Elladan hörte man nur ersticktes Stöhnen hinter dem Holzfass.
„Nur zwei Verletzte", stellte der Herr von Bruchtal dann voller Ironie fest. „Ihr lasst nach."
Aristil versuchte, durch die Tür zu entwischen, aber Glorfindel fing sie ein. „Oh nein, mein liebes Kind. Mitgefangen, mitgehangen. Du kannst hier gleich mit dem Aufräumen beginnen."
Galen richtete sich mühsam auf, eine Hand auf seinen Hinterkopf gepresst. „Das war alles nur Spaß, Meister Elrond."
„Das ist wahr", versicherte auch Legolas. Jetzt war wirklich ein Brief nach Düsterwald fällig. Thranduil wäre kaum beglückt, dass sein Erbe den Weinkeller Elronds plünderte. Bei Überfällen auf Weinvorräte verstand sein Vater gewöhnlich keinen Spaß.
„Es ging um die Haarfarbe", erklärte Estel mit verwaschener Stimme. „Zuerst jedenfalls."
Elronds rechte Augenbraue zuckte hoch und sein sturmgrauer Blick nagelte seinen Ziehsohn regelrecht an die Kellerwand.
„Ich glaube, mir wird schlecht", murmelte Estel.
„Nicht in meinem Weinkeller", befahl Elrond. „Elrohir, schaff ihn raus."
„Ich stecke fest", erklang es von Elladan. „Und ich habe mir das Fußgelenk verletzt."
Elrond seufzte tief. „Glorfindel, würdest du…?"
Sie mussten das große Fass erst mühsam ein ganzes Stück vorziehen, bevor Legolas dahinter steigen konnte, um Elladan aus seinem Gefängnis zu befreien. Schließlich stand er von Legolas gestützt wieder im Gang und blinzelte Galen zu, der sich noch immer den Hinterkopf hielt und merklich benommen war. „Diese Kerzenleuchter taugen wirklich nichts."
„Übertreib es nicht", warnte ihn sein Vater, der den Rhûna festhielt, damit er nicht umfiel.
Trotzdem schien der Elbenlord nicht halb so verärgert wie Legolas befürchtet hatte. Eru sei Dank, dachte er erleichtert und half dem humpelnden Elladan aus dem Weinkeller.
„Sie waren an deinem letzte Fass gondorianischen Eiswein", sagte hinter ihm Glorfindel. „Viel haben sie nicht gerade übrig gelassen."
Legolas Erleichterung löste sich schlagartig in Nichts auf.
***
Dies war der unheimlichste Ort, an dem sie je gewesen war. Abgesehen vielleicht von Enachs Arbeitszimmer. Doch das konnte man einfach verlassen und die Tür abschließen. Dieser Wald hingegen....
Varya spielte nervös mit den Segensbändern an ihrem linken Handgelenk. Bei ihrer Abreise waren ihr die dünnen, kunstvoll verzierten Lederbänder recht zahlreich vorgekommen, jetzt hätten es ruhig noch einige mehr sein können.
Dies war der vierte Tag auf der Alten Waldstrasse. Ein hochtrabender Name für diesen verfallenen Weg zwischen uralten, irgendwie grimmigen Bäumen. Die Äste bildeten zu beiden Seiten lange Ausläufer, die sich über dem Weg trafen und kaum Sonnenlicht durchließen. Außerdem roch es modrig, stellte sie naserümpfend fest. Ihr Heimatwald war eindeutig der schönere Ort.
„Furcht?" Liuntol lenkte sein Pferd neben das ihre.
„Etwas", gestand Varya ohne großes Zögern. „War es hier schon immer so?"
„Es ist lange her, dass ich zuletzt einen Fuß in das Reich des Waldelbenkönigs gesetzt habe. Damals war es ein schöner, friedlicher Ort, der der Große Grünwald genannt wurde."
„Hm", machte Varya nicht sehr überzeugt. „Jetzt fühle ich mich unbehaglicher als draußen in der Ebene."
Spöttisch hob er die Brauen. Ostlinge und Orks hatten sie gejagt wie die Hasen. Doch die Valar schienen diese Reise zu schützen, denn ihre Pferde waren schnell und bislang hatten sie noch keinen Mann verloren. Trotzdem war es eine unangenehme und gefährliche Zeit gewesen. Wenn nicht das Überleben so vieler davon abhinge, hätte Varya sich kaum dazu überreden lassen.
Sie hielt es noch immer für wenig sinnvoll, auch noch den letzten ausgebildeten Heiler fortzuschicken. Andererseits wussten sie nun, dass Heilkräfte gegen den Fernen Tod versagen mussten.
Varya quietschte auf, als ein armlanges Moosgeflecht von einem der Äste rutschte und auf ihrer Schulter landete.
„Es beißt nicht." Grinsend befreite Liuntol sie davon.
„Seid Ihr sicher?"
Seine Begleiter, allesamt kampferfahren und keiner auf der Liste des Fernen Todes zu finden, amüsierten sich prächtig.
„Ich bin Heilerin", fauchte sie in die Runde. „Für Tapferkeit und Mut bin ich nicht zuständig."
So ging es nun schon die ganze Reise. Varya nahm das Geplänkel auf ihre Kosten mit einem inneren Lächeln hin. Wie sie stets betonte: sie war Heilerin und wusste, wie wichtig diese Momente für die Verfassung ihrer Beschützer waren.
Langsam wunderte sie sich, dass sich noch keiner der Waldelben gezeigt hatte. Man musste sie schon lange entdeckt haben.
‚Unhöfliche Gesellen', befand sie im Stillen. ‚Andererseits gehören die Rhûna nicht gerade zu den heißersehnten Gästen, denen man entgegenreitet. Trotzdem gibt es zumindest Grundregeln. Arrogantes Elbenpack, alle miteinander.'
Sorgenvoll richtete sie ihren Blick auf die Südseite der Straße. In zwei Tagen würden sie sich von sieben ihrer Begleiter trennen müssen. Während Varya unter dem Schutz von Liuntol und Fadarian weiter nach Imladris ritt, wartete auf die anderen eine gefahrvolle Suche nach der Quelle ihres ganzen Unglücks.
Der Ältestenrat hatte schnell gehandelt, nachdem er Kenntnis von der Ursache der Krankheit und Enachs Verrat bekam. Der alten Heilerin stand die Verbannung bevor. Es gab sicherlich einige, die ihr den Tod wünschten, doch sie war schon gestraft genug und niemand konnte wirklich vergessen, wie sehr sie in der Vergangenheit den Rhûna geholfen hatte. Varya hatte nun zwei Dokumente im Gepäck: eines für Enach und eines für Lord Elrond, der Galen zurückschicken musste.
Gleichzeitig war ein Trupp zu den Ostlingen ausgesandt worden und schon nach wenigen Tagen wieder zurückgekehrt. Varya war sich nicht ganz sicher, wie sie die Informationen beschafft hatten. Wahrscheinlich schlief sie auch besser, solange sie es nicht wusste. Doch nun war klar, dass ein Fremder die Ostlinge für den Überfall entlohnt hatte. Ein Trupp Orks hatte ihn begleitet und er sollte ein Hexer aus dem Nordwesten sein. Es hieß, er sei mit der Beute in Richtung Düsterwald aufgebrochen, nicht in das Königreich Thranduils sondern den südlichen Teil.
Die sieben Rhûnar-Krieger sollten seinen Aufenthaltsort aufspüren und versuchen, das Diebesgut, an dem so viele Leben hingen, zurückzuholen.
Varya hatte ihre Zweifel, ob dies nicht ein wenig zu ehrgeizig vom Ältestenrat geplant war. Andererseits konnte ihr Volk kaum ein Heer aufstellen und einen Angriff auf Düsterwald reiten. Es gelang ihnen schließlich kaum, ihre eigene Heimat zu verteidigen.
Beinahe, aber wirklich nur beinahe, verstand Varya sogar, warum Enach einfach mit Galen die Flucht ergriffen hatte. Die Chancen standen so überaus schlecht, dass ihr Vorhaben gelingen würde, dass Enachs Lösung, einfach das ihr Teuerste, nämlich Galens Leben, aus dem Gefahrenbereich zu bringen, die einzig mögliche erschien. Dennoch hätte sie ihnen wenigstens einen Hinweis zukommen lassen können, um den Zurückgelassenen die Möglichkeit zu geben, nach Rettung zu suchen.
„Zeit für das Nachtlager", befahl Liuntol. „Die Wachen wie üblich."
Das hieß, Varya konnte sich zur Ruhe begeben, nachdem sie ihr Pferd versorgt hatte. Sie war Heilerin, kein Krieger. Soviel hatte Liuntol ganz am Anfang der Reise klar gemacht. Auch wenn sie ausreichend mit einem Langdolch umgehen konnte, widerstrebte ihr das Kriegshandwerk und das wusste er. Schon als Kind hatte sich dies gezeigt. Es war einer der Gründe, warum sie schließlich zu Enach gekommen war.
Varya war müde und schlief fast augenblicklich ein. Doch Düsterwald bescherte ihr nur einen leichten Schlaf und so war sie sofort hellwach, als Liuntol sie leicht an der Schulter berührte.
„Geht zum Feuer", flüsterte er ihr zu. „Nehmt Eure Waffen."
Die anderen hatten sich dort bereits kampfbereit versammelt. Sie bildeten einen Ring um die Feuerstelle, in den Varya nun hineingedrängt wurde. Tiefe Stille senkte sich über diesen Teil der Waldstraße. Varya hielt ihren Dolch und bemühte sich, in der tiefen Dunkelheit außerhalb des Feuerscheins etwas wahrzunehmen.
„Es sind viele", raunte einer der Elben. „Sie kreisen uns ein."
Dann erreichte ihre empfindliche Nase ein vertrauter Gestank. Varya schluckte. Sie hasste Orks.
Zeit blieb ihr keine, denn die widerlichen Kreaturen strömten von allen Seiten auf den Weg. Pfeile empfingen sie und mähten die erste Welle nieder. Doch waren es immer noch genug, die die kritische Distanz unterschritten und die Verteidiger zwangen, zu ihren Schwertern zu greifen. Die Luft war erfüllt von dem schauerlichen Gebrüll der Orks und klirrendem Metall. Mittendrin stand Varya, fragte sich, ob die Waldelben sie hier einfach sterben lassen wollten und erkannte mit unnatürlicher Ruhe, dass sie in diesem Fall unterliegen müssten.
Liuntol musste ähnliches erahnen.
„Wir brauchen für die Ithildrim eine Lücke!" schrie er über das Kampfgetümmel.
Die Rhûna reagierten sofort. Mit aller Macht drangen sie auf einen schwachen Punkt im Ring ihrer Verteidiger ein. Voller Entsetzen sah Varya zwei ihrer Männer fallen. Liuntol packte sie hart an der Schulter und stieß sie auf die Bresche zu.
„Sucht Schutz bei Thranduil und seht Euch nicht um. Lauft, Varya Ithilfin!"
Halb betäubt vor Entsetzen gehorchte sie. Sie schlug mit dem Langdolch auf die Orks ein, die ihr noch den Weg versperren wollten und stürmte dann in kopfloser Flucht in die Dunkelheit des Waldes.
So hat es nicht enden dürfen, dachte sie. Jetzt kann es kaum noch schlimmer kommen.
Der Gedanke war noch nicht zu Ende gedacht, da verlor sie den Boden unter den Füßen und landete in einem tiefen Erdloch auf einem Haufen bleicher Knochen.
***
Die Geräusche eines Kampfes machten Thranduils schöne Pläne zunichte. Er hatte während des ganzen Ritts darüber nachgedacht, wie er die Rhûna nachhaltig in ihre Schranken verweisen konnte. Berelion hatte sogar die Mithril-Krone einpacken müssen, die er erst vor kurzem zu einem horrenden Preis von den Zwergen erstanden hatte. Die würde nun in der Packtasche bleiben. Elben waren Elben, bei einem Orkangriff gab es nur eine Entscheidung.
Thranduil gab seiner zwanzig Mann starken Begleitwache ein Zeichen. Mit gezogenen Waffen näherten sie sich schnell der Quelle der Kampfgeräusche. Schon von weitem war zu erkennen, dass die Orks in der Übermacht waren.
Die Rhûna schlugen sich tapfer, erkannte Thranduils erfahrenes Auge. Sie hatten einen Ring gebildet und schützten offenbar einen halbwüchsigen Elben in ihrer Mitte. Bei näherem Hinsehen korrigierte er sich. Eine junge Elbin war es und sie hielt einen der Langdolche, wie auch Legolas sie immer bevorzugte.
Kurz bevor die Waldelben in Kampfweite waren, führten die Rhûna ein eher verzweifeltes Manöver durch. Sie schlugen eine Lücke in den Ring ihrer Angreifer. Doch anstatt zu fliehen, wurde von einem der Krieger nur das Elbenmädchen hinausgeschafft.
‚Auch das noch!' stöhnte Thranduil innerlich auf, als die Elbin in den Tiefen des Südwaldes verschwand.
Seine Männer griffen schnell und effektiv an. Von zwei Seiten unter Angriff genommen, unterlagen die Orks alsbald.
Thranduil zügelte sein Pferd vor dem Mann, den er für den Anführer hielt und stieg ab.
„König Thranduil." Der Rhûnar-Elb erkannte ihn, obwohl er keine äußerlichen Zeichen seiner Position an sich hatte. Zu gefährlich, wie Berelion immer meinte. Respektvoll neigte der Mann den Kopf. „Ich danke Euch für die Hilfe, aber..."
„Ich weiß", unterbrach ihn Thranduil schroff. „Sie ist in den Südwald geflüchtet. Bleibt hier bei meinem Berater Berelion. Wir holen sie zurück."
„Varya Ithilfin ist unsere Heilerin, Hoheit. Sie ist uns teuer."
Thranduil nickte nur und winkte vier Wachen heran. Sie mussten zu Fuß weiter. Hier waren sie mit Pferden auch nicht schneller und außerdem konnten sie so ihrer Spur besser folgen. Die Zeit drängte, denn mit jedem Meter mehrten sich die Zeichen für die Gegenwart von Spinnen.
Ein wütender, heller Aufschrei gefolgt von einem seltsamen Krachen wies ihnen den Weg.
„Das ist nicht gut", murmelte einer seiner Begleiter, als sie vor sich den Ausschnitt einer Beutegrube entdeckten.
„Sichern!" befahl Thranduil in seiner üblichen Wortkargheit in solchen Situationen.
Seine Männer verteilten sich, um Angriffe aus den Bäumen abzuwehren. Eine eher unwahrscheinliche Möglichkeit hier, denn Beutegruben gehörten zu Erdspinnen, die immer in Revierrivalität zu den anderen lagen. Er selbst trat auf das schlimmste gefasst an den Rand der Grube.
„Hallo?" erklang es allerdings recht frisch von unten. „Liuntol?"
Also lebt sie noch. Verwunderlich genug. Thranduil spähte nach unten. Die kleine Elbin hockte auf einem Berg Knochen und sah unbehaglich zu ihm hoch.
„Seid Ihr verletzt?"
„Nur mein Stolz", rief sie und richtete sich auf dem unsicheren Untergrund auf. „Aber hier ist es unheimlich. Wo ward Ihr so lange? Sind die anderen wohlauf?"
Fragen und Vorwürfe in einem Atemzug. Rhûna waren wirklich eine Plage. „Wie hoch könnt Ihr springen?"
„Bis zum Rand, aber dann bekomme ich keinen Halt. Er ist..."
„Macht es!" unterbrach er sie. „Sofort!"
Das Mädchen hatte keine Ahnung, wer dort unten auf sie lauerte. Wenigstens erkannte sie einen Befehl, wenn sie einen hörte. Sie holte tief Luft und schnellte trotz des ungünstigen Untergrundes nach oben. Thranduil packte sie an den Handgelenken und hob sie aus dieser Todesfalle auf sicheren Grund.
„Danke", begann sie. „Was war das da überhaupt? Diese ganzen Knochen…"
„Später", sagte er unwirsch und zerrte sie am Arm neben sich her. Nach den Geräuschen von unten zu urteilen, war die Besitzerin der Grube eben eingetroffen und nicht sehr glücklich über die Flucht ihres Abendessens.
Sehr viel glücklicher schien die Rhûna aber auch nicht zu sein. Während sie neben ihm her lief, versuchte sie ihren Arm aus seinem Griff zu befreien. „Lasst Ihr mich jetzt wohl los, Ihr ungehobelter Klotz. Ich kann auch ohne fremde Hilfe laufen."
„Ihr habt schon genug Ärger gemacht!" herrschte er sie an. „Wie kann man nur so dumm sein, in den Südwald zu rennen?"
„Bin ich vielleicht nicht von hier? Lasst jetzt los oder ich schneide Euch die Hand ab!"
Verblüfft gab er sie frei und sie stolperte die letzten Meter auf die Alte Waldstraße zu, wo bereits ein Scheiterhaufen mit den Orkkadavern brannte.
„Varya!" Liuntol fing sie auf und drückte sie einmal fest an sich, bevor er sie mit einem dankbaren Blick zu Thranduil wieder losließ. „Wir hatten großes Glück, wirklich sehr großes Glück."
„Achja? Ich kann kein Glück darin finden, wenn bestimmte Personen erst zusehen, wie wir abgeschlachtet werden, um dann irgendwann einmal zu Hilfe zu kommen." Ein leuchtendgrüner, messerscharfer Blick richtete sich kurz auf Thranduil.
Er verschränkte die Arme vor der Brust und hielt ihrem Blick mit großer Gelassenheit stand. Er war weder verärgert – wie ihre Begleiter zu befürchten schienen – und auch nicht beleidigt – was Berelions schmerzliche Grimasse andeutete – sondern neugierig. Neugierig darauf, wie sie reagieren würde, wenn sie ihn endlich erkannte.
Vorerst erlosch ihr Interesse jedoch wieder. Es richtete sich vielmehr auf die Männer, die offenkundig zu ihrem Schutz da waren. Zuerst auf die Toten, die bereits in ihre Umhänge gewickelt bei ihren Pferden lagen. Sie berührte sie kurz und raunte nicht verständliche Abschiedsworte. Dann drehte sie sich um. „Haben wir Verletzte, Liuntol?"
„Zwei", antwortete der Angesprochene prompt. „Aber es kann warten."
„Worauf denn? Etwa den nächsten Angriff?"
„Dies ist kein sicherer Ort, Heilerin." Der Mann war fast zu bedauern, soviel Respekt hatte er vor diesem silberhaarigen Kind, das bei seinen Worten verächtlich schnaubte.
„Der ganze Wald ist ein Schlachtfeld."
Thranduil fing die hilfesuchenden Blicke der Rhûna auf. Gegen die Orks hatten sie nicht so unsicher gewirkt. Er räusperte sich. „Im Nordwald ist es sicherer. Begleitet uns zum Palast."
Berelions Augen weiteten sich vor Überraschung, aber Thranduil ignorierte ihn. Es war das Privileg eines Königs, seine Meinung bei Bedarf zu ändern.
„Ich bin überzeugt, Euer König tanzt vor Begeisterung, Rhûnar-Elben zu beherbergen", spottete die Heilerin. Sie wandte sich von ihm ab und studierte eingehend die Schnittverletzung am Oberarm eines ihrer Begleiter. Dann rieb sie ihre schmalen Hände aneinander und umfasste die Wunde. „Stört mich jetzt nicht. Am besten verschwindet Ihr ganz und richtet Eurem König aus, dass wir wirklich dankbar für die schnelle Hilfe sind. Beim nächsten Angriff kann er sich ruhig mehr Zeit lassen."
Thranduil stellte fest, dass seine Garde exzellent geschult war, denn die Männer verzogen keine Miene. Ungeduldig machte er Berelion ein Zeichen, der daraufhin in seiner Packtasche herumfingerte. Thranduil nahm ihm die Mithril-Krone ab und drückte sie sich aufs Haupt.
„Sehe ich besonders erfreut über diesen Zwischenfall aus?" erkundigte er sich grimmig.
Sie wurde eine Nuance blasser, aber nicht unbedingt freundlicher. „Wir haben Euretwegen zwei gute Männer verloren. Habt Ihr irgendeine Entschuldigung dafür?"
„Varya, steigt endlich auf Euer bedauernswertes Pferd, damit wir hier verschwinden können!" brüllte er sie an. „Ich habe keine Lust auf zwei Ork-Angriffe in einer Nacht und ich werde mich sicherlich nicht bei einer halbwüchsigen kleinen Nervensäge entschuldigen, die ich gerade aus einer Beutegrube gerettet habe."
„Das alles wäre nicht nötig gewesen, wenn Ihr uns rechtszeitig gewarnt hättet!"
Thranduil baute sich dicht vor ihr auf. Bei Eru, sie war wirklich die winzigste Elbin, die ihm je begegnet war. Selbst mit hochgerecktem Kopf reichte sie ihm gerade bis zur Schulter. Allerdings machte ihre Unverschämtheit die mangelnden Zentimeter wieder wett. „Entweder seid Ihr in zehn Sekunden auf Eurem Pferd oder ich schmeiße Euch persönlich in diese Beutegrube zurück."
Sie blinzelte zwar, blieb aber wie festgewachsen vor ihm stehen. Er konnte es kaum fassen, dass sie seine Entschlossenheit herausforderte. Zu ihrer aller Glück schnappte sich Liuntol mit einem entschuldigenden Lächeln seine Heilerin und sorgte dafür, dass in wenigen Momenten alle abmarschbereit waren.
Wenn sie sich beeilten, konnten sie ihm Morgengrauen die Palastbrücke erreichen. Eine äußerst angenehme Vorstellung, fand Thranduil und gab Berelion die Krone zurück.
„Gute Idee", hörte er weiter hinter sich Varyas Stimme. „Sonst müssten wir sie noch aus jedem niedrigen Ast angeln."
Berelion schüttelte leicht den Kopf, verbiss sich aber eine Bemerkung. Auch Thranduil schwieg, allerdings fragte er sich, ob sie nur geraten hatte oder ob dieser lange zurückliegende Zwischenfall, bei dem er wirklich eine seiner Blätterkronen in einem Ast verloren hatte, schon bis nach Rhûnar gedrungen war.
tbc
@Michiru-chan1: Verbannung aus Mandos Hallen? Du meinst, sie spukt dann auf ME herum wie Huibuh, das Schlossgespenst? Nee, lieber nicht. Soll sie Mandos auf die Nerven gehen. Seneschall ist der oberste Hofbeamte, Truchsess kann man auch sagen. Im Grunde der Chef des Palastes, nach Thranduil und Legolas dürfte er der dritte Mann…äh…Elb in Düsterwald sein. Ich schätze, er und der gute Erestor sind Kollegen.
@Eirien: Danke, zumindest haben wir den PC nicht mit eintapeziert und die Dateien in Kleister ertränkt. Es geht also weiter. Dafür ist aber jetzt die Heizung im Eimer, muss mir beim Schreiben warme Gedanken machen.
@Dani G: Ich wusste, dass sie ihn kaputt macht. Gib ihr einen Elb und sie beschädigt ihn.
@feanen: Elrond bekommt noch genug Gelegenheit, richtig wütend zu werden.
@Amélie: Mein ewiger Kampf mit dem ‚´'. Ist es diesmal richtig rum? Adar in Wallung ist immer die Show wert *grins*.
Mit Enach geht es dir wie mir. Ich mochte sie anfangs auch *grübel, warum mache ich dann eigentlich solche gemeinen Sachen ? Ahja, weil's Spaß macht* Und Galen hat doch vier prima Beschützer...hm,vielleicht sollte man sich doch Sorgen machen.
@Luna2003: Schnell genug?
