Disclaimer: Alles gehört Tolkien bzw. seinen Erben, mir nichts, nicht mal der blaue Esfaloth.

8. Kapitel: Herzlich willkommen in Düsterwald

„Gäste kann man sich leider nie aussuchen."

Gastgeber auch nicht, dachte Varya, den Blick auf den Teller vor sich gesenkt. Wenn diese beiden Elbinnen, die ihr schräg gegenüber saßen, nicht bald mit ihren spitzen Bemerkungen aufhörten, würde sie sich vergessen. Dieses Abendessen war schon so unerträglich genug. Varyas Kiefermuskeln hatten mittlerweile die Konsistenz eines Granitfelsens angenommen, so sehr kämpfte sie darum, einfach nur ruhig und unauffällig zwischen ihren Tischnachbarn zu sitzen und auf das Ende des Abends zu warten.

Irgendwann musste es doch vorbei sein und sie würde die erst beste Gelegenheit nutzen und sich davonstehlen. Solange jedoch alle hier an dieser halbkreisförmigen Tafel versammelt waren, hatte sie kaum die Chance dazu.

Sie hätte sich einfach mit allgemeiner Erschöpfung durch Tisvien entschuldigen lassen sollen, sich in ihr Bett verkriechen und die Nachtruhe finden können, die sie für morgen dringend benötigte. Stattdessen hockte sie strategisch und protokollarisch korrekt irgendwo in Reichweite des Königs, der vor Kopf der Tafel residierte, jedoch nicht so nah, dass man ihren Status irgendwie zu hoch einschätzen konnte.

Liuntol war gerade in Sicht- aber nicht mehr in Sprechweite und ihre beiden Tischnachbarn versuchten jetzt seit Stunden, die misstrauischen Blicke und leisen, aber absichtlich noch sehr deutlichen Beleidigungen durch angestrengte Konversation zu überdecken.

„Liuntol sagte, Eure Quellstadt ist nach einem ähnlichen Prinzip wie der Palast errichtet", schaltete sich Berelion nun in die Unterhaltung ein. Er meinte es sicherlich gut, doch durch seinen Platz an Thranduils linker Seite musste er recht laut sprechen und die gesamte Aufmerksamkeit im Saal richtete sich nun auf sie.

„Ähnlich, ja", bestätigte sie knapp.

„Der Name ist interessant."

Warum hörte er nicht einfach auf? stöhnte sie inwendig. „Es entspringen drei Quellen im Fels, die den gesamten Wasserbedarf Rhunars decken."

„Viel kann es ja nicht sein, so wie sie bei ihrer Ankunft aussah."

Die Sprecherin saß einige Meter von ihr entfernt und hatte extrem leise gesprochen. Allerdings nicht leise genug für Varya, deren Hand sich um den silbernen Weinbecher krampfte. Ihr Blick glitt zu Thranduil, der in einer prächtigen Robe dieses Bankett beherrschte. Er wäre nicht sehr begeistert, wenn sie einer seiner Tawarwaith den Wein ins Gesicht schüttete oder besser noch den Becher über den Schädel zog.

„Nutzt Ihr auch das Binnenmeer?" Berelion konnte einfach keine Ruhe geben.

„Mittlerweile schon", sagte sie angestrengt. „Es ist erstaunlich fischreich, aber nicht immer ...ungefährlich."

„Ungefährlich?" echote der König. Nun interessiert auch er sich noch dafür!

„Kreaturen." Sie machte eine unbestimmte Geste. „Es sind mehr geworden in den letzten Jahren."

Die ständig stichelnde Elbin kicherte leise. „Eine Angewohnheit, die sie wohl übernommen hat."

„Jetzt reicht es!" Ruckhaft stand Varya auf und schob ihren Stuhl zurück. Die Stuhlbeine quietschten vernehmlich auf den Fliesen und einige der Anwesenden zuckten zusammen. „Wenn das die Gastfreundschaft der Tawarwaith sein soll, habe ich wirklich genug davon. Ich weiß selber, dass wir unerwünscht sind, Ihr hättet diese beiden nicht noch damit beauftragen müssen, es ständig zu erwähnen. Beenden wir doch lieber die Qual für beide Seiten. Wenn Ihr erlaubt, ziehe ich mich zurück."

Auch Thranduil war aufgestanden, ein unheilvolles Leuchten in den Augen. „Die Erlaubnis wird nicht erteilt, Lady Varya."

Zu spät, dachte sie wütend, es war sowieso nur eine rhetorische Frage. „Was für ein Glück, dass mich das jetzt eigentlich nicht mehr interessiert."

Sie fuhr herum und marschierte Richtung Saaltür. Was wollte er denn unternehmen? Sie beleidigte ihn, na und? Morgen würde sie hier abreisen und hoffentlich nie wieder einen Fuß in diesen Palast setzen. Man sollte ein Warnschild am Beginn der Alten Waldstraße aufstellen, dass Gäste für dieses Volk gleichbedeutend mit einer Ungezieferplage zu sein schienen.

„Varya Ithilfin!" Thranduil erreichte eine erstaunliche Lautstärke. „Ihr werdet diesen Saal ohne meine Erlaubnis sicher nicht verlassen."

„Worum wollen wir wetten?" schnauzte sie und hob abwertend die Hand, ohne sich dabei umzudrehen. Noch ein paar Schritte und diese ganze Sache war ausgestanden.

„Varya!" rief Liuntol. Gleichzeitig war das Geräusch fallenden Silbers zu hören.

Nun warf Varya doch einen Blick über die Schulter, um möglicherweise einem Wurfgeschoss auszuweichen und blieb sofort wie angewurzelt stehen. Ohne Rücksicht auf königliche Würde und den ganzen protokollarischen Zierrat war Thranduil einfach über die breite Tafel gesprungen. Mit beeindruckender Geschwindigkeit und nicht im Geringsten lächerlich sondern ausgesprochen bedrohlich durchquerte er den Raum. Sie war viel zu verblüfft, um einen schnellen Rückzug einzuleiten. Erst als er sich vor ihr zu seiner vollen Größe aufbaute, kam ihr der Gedanke, dass eine Flucht ihr wahrscheinlich die Hinrichtung ersparen würde.

„HIERGEBLIEBEN!" donnerte er, als könnte er Gedanken lesen und packte sie eisern am Handgelenk. „Ihr wollt mit mir wetten, Ithildrim? Denkt Euch einen Wetteinsatz aus, während Ihr die Nacht in einer dunklen Kerkerzelle verbringt. Wie wäre es damit, hm?"

Stille senkte sich über den Saal. Die ganze Gesellschaft wirkte wie erstarrt unter dem Eindruck seines Zorns, selbst Liuntol konnte sich nicht rühren sondern sie nur aus großen Augen anstarren.

Varya tauchte ein in Thranduils indigofarbenen Blick, der ihr eine wirklich üble Zeit verhieß. Was tat sie eigentlich hier? Sie war die Heilerin der Rhuna, ihr gebührte Respekt, den man den ganzen Abend über hatte vermissen lassen. Sie würde sich nicht wie die Exilanten gleich einem Stück Dreck behandeln lassen. Thranduil war größer, mächtiger und mit Sicherheit stärker, aber hilflos konnte man sie auch nicht nennen. Er hatte nicht die geringste Ahnung, welche Bereiche der Heilkunst die Rhunar in den letzten Jahrtausenden für sich gewonnen hatten. Heilkunst, die wie alle Gaben auch genau das Gegenteil bewirken konnte.

„Ihr wollt Euch mit einer Heilerin aus Rhunar anlegen?" hörte sie sich leise zischend fragen und legte beinahe sanft ihre Finger auf seine Hand, die ihr Gelenk umklammerte.

Mach es nicht, Varya. Er ist ein König. Wahrscheinlich bricht er dir dafür das Genick! Die warnende innere Stimme verklang ungehört.

 Im Saal konnte niemand die Geste sehen, denn Thranduils hochgewachsene Gestalt schirmte sie ab. „Entweder Ihr lasst mich jetzt sofort los oder ich werde Euch demonstrieren, was Schmerzen sind, Hoheit."

Nein, feige war er nun wirklich nicht. Vielleicht unterschätzte er sie aber auch nur, denn seine Lippen verzogen sich zu einem unglaublich herablassenden Lächeln. Es verschwand wie Schnee in der Sonne, als sich ihr Fingernagel in den Winkel zwischen seinen Daumen und Zeigefinger gruben, zielsicher den Nervenstrang ausmachten und dann zuerst mechanischen Druck ausübten, bald ergänzt durch ihre weitaus stärkeren Kräfte. Varya spürte zutiefst befriedigt, dass sich seine Lebensströme leicht veränderten. Er empfand Schmerz, großen Schmerz. Seltsamerweise ließ er ihr Handgelenk dennoch nicht los, sondern zog sie noch ein Stück näher an sich heran.

„Gebt Euch mehr Mühe, kleine Hexe!" raunte er ihr mit zusammengebissenen Zähnen zu.

Varyas Wut erlosch. Einen Schritt weiter und sie würde ihn ernsthaft verletzen. Dies wäre ein unerträglicher Frevel gegen alles, an das sie glaubte. Sie entließ ihn aus den Schmerzen.

„Also eine Kerkerzelle", murmelte sie.

Seltsamerweise war seine Antwort nicht verständlich. Sie sah zwar, dass sich seine Lippen bewegten, aber ihr Gehör funktionierte nicht länger. Silbriger Nebel schlich sich von allen Seiten an sie heran, begleitet von schmerzendem Druck hinter ihrer Stirn. Das Gefühl war ihr vertraut, erkannte sie mit wachsendem Entsetzen. Eine ungeheure Menge an Wissen und Erfahrungen verlangte nach einem Platz in ihrem Geist, ohne dass sie darauf vorbereitet war.

„Sie stirbt", stöhnte sie auf.

Noch etwas anderes schlich sich in ihre Gedanken. Dies war nicht von Enach gewollt, niemals würde ihr die alte Heilerin dieses Wissen übermitteln. Es war für Galen gedacht, der es ebenso wenig in dieser Menge aufnehmen konnte und verzweifelt an sie weiterzugeben versuchte. Es geschah gegen Enachs Willen und die ganze Wut der Sterbenden entlud sich auf Varyas ungeschützten Geist.

Feuer hüllte sie ein und riss sie aus ihrer vertrauten Umgebung, mitten hinein in eine Hölle aus Qualen und Dunkelheit. Von allen Seiten griffen Gestalten und Schatten nach ihr, versetzten sie in Panik und Todesangst. Varya wollte sich wehren, doch eine eiserne Umklammerung hielt ihre Arme fest an den Körper gedrückt und verhinderte, dass sie sich wehren konnte. Mittendrin spürte sie eine schützende Berührung. Die fremde und dennoch unendlich beruhigende Gegenwart eines weiteren Wesens, das sie schützend umhüllte und Enachs langsam ersterbende Attacken von ihr ablenkte.

‚Es ist gleich vorbei' erklang eine sanfte Stimme tief in ihr. ‚Bleibt nur ruhig. Sie kann Euch nichts wirklich anhaben.'

‚Aber es ist zuviel' Varya versuchte, den Sprecher näher zu erkennen, nahm aber nur eine lichtdurchflutete Silhouette wahr. ‚Ich kann es nicht aufnehmen.'

‚Oh doch' widersprach der andere mit einem leisen Lachen in der Stimme. ‚Ihr seid stark genug, Varya Ithilfin, vertraut mir. Schlaft jetzt, Kind.'

Es war unmöglich, sich der Stimme zu entziehen und so versank einfach darin.

*

Sie standen zu viert an der Terrassenbrüstung und blickten in den Garten.

Wie die Hühner auf der Stange, dachte Aragorn mit missglücktem Frohsinn.

„Wie lange will er da noch sitzen?" überlegte Legolas nach längerem Schweigen.

„Wahrscheinlich ewig", vermutete Elladan. „Irgendeiner muss runter zu ihm und mit ihm reden."

„Und wer?" Legolas bewegte unbehaglich den Kopf. „Sieh mich nicht so an, Elladan. Ich bin nicht sehr gut darin, andere zu trösten."

„Ich auch nicht. Elrohir?"

Der Zwilling tippte sich an die Stirn. „Warum ich? Was soll ich ihm denn sagen? Es tut mir leid, dass deine Tante tot ist, aber sie hat es verdient?"

„Legolas, du verstehst dich doch gut mit ihm." Elladan versuchte es noch einmal. „Außerdem hast du deine Mutter verloren. Das sind doch gemeinsame Erfahrungen."

„Ich war fünf", widersprach der Waldelbenprinz empört. „Ich weiß nicht einmal mehr, wie sie ausgesehen hat. Und meine Naneth war keine skrupellose Hexe, die mit schwarzer Magie herumspielte. Warum geht nicht einer von Euch? Eure Mutter ist nach Valinor gesegelt."

„Vergleich sie bloß nicht mit Enach", knurrte Elrohir beleidigt.

„Dann lass meine Mutter auch aus dem Spiel", fauchte Legolas zurück. „Also, wer geht jetzt?"

Egal, wie angestrengt Aragorn seine Aufmerksamkeit auf den Rhuna richtete, der wie ein Häufchen Elend auf einer Steinbank im Garten saß, er spürte genau, wie die drei anderen ihn gleichzeitig mit Blicken durchbohrten.

„Das kann nicht euer Ernst sein", sagte er unruhig. „Was ist, wenn er in Tränen ausbricht? Ich bin schon immer am Ende, wenn Arwen das mit mir macht."

„Arwen heult?" erkundigte sich Elladan verwundert.

„Nur, wenn es ihr nützlich ist", grollte Aragorn.

„Galen ist nicht Arwen", sagte Elrohir und seufzte. „Dann gehen wir eben alle zusammen."

„Das werdet ihr schön bleiben lassen", ließ sich Glorfindel hinter ihnen vernehmen. Missbilligend betrachtete er einen nach dem anderen. „Was dem Jungen jetzt noch fehlt, sind eure tröstenden Worte. Lord Elrond erwartet uns alle in der Kaminhalle. Geht schon vor, ich werde Galen holen."

Aragorn war zwar beschämt über seine Erleichterung, hastete aber trotzdem hinter den anderen drei her. Es war wirklich besser, wenn sich Glorfindel um Galen kümmerte. Elronds wissender Gesichtsausdruck, als sie alle bei ihm auftauchten, vertiefte sein schlechtes Gewissen noch.

„Wir wollten gerade..." begann Elladan, verstummte aber schnell wieder. „Du hast uns rufen lassen, Adar?"

„Allerdings und die Schnelligkeit, mit der ihr diesem Ruf gefolgt seid, ist höchst erstaunlich", sagte Elrond spöttisch. Er bedeutete ihnen, sich hinzusetzen. „Enach hat vor ihrem Tod genug enthüllt, das wir die Gefahr jetzt kennen. Sie droht nicht nur den Rhunar-Elben, auch wenn diese zurzeit am schlimmsten davon betroffen sind. Es bleibt uns kaum etwas anderes, als dieses Problem für die Rhuna zu lösen."

„Du willst nach Rhun?" fragte Elrohir erstaunt.

„Wenn es sein muss", antwortete sein Vater. „Ich glaube jedoch nicht, dass uns der Weg so weit führen wird. Wenn meine Annahme richtig ist, finden wir die Quelle dieser Angriffe ein Stück weiter im Westen."

„Düsterwald", seufzte Legolas. „Habe ich Recht?"

„Zumindest haben sich bereits Rhunar-Elben dorthin aufgemacht, wenn ich meine Begegnung mit Galens Freundin richtig deute. Sie ist im Palast Eures Vaters."

Aragorn versuchte sich gar nicht erst vorzustellen, wie begeistert Thranduil darüber war. „Um was zu tun?"

„Sie werden zuhause herausgefunden haben, wo das Unheil zu finden ist." Galen marschierte vor Glorfindel in die Halle. Er wirkte entschlossener als in den Stunden zuvor, auch wenn seine Augen leicht gerötet waren. „Es ist nicht unsere Art, dann nichts zu unternehmen."

„Egal, wie verzweifelt die Aktion auch sein mag", ergänzte Elrond. „Nach dem, was ich in den Gedanken Eurer Heilerin erkennen konnte, sind sie nicht einmal ein Dutzend. Damit kommt Ihr in Düsterwald nicht sehr weit."

„Wir versuchen es zumindest. Wenn Ihr erlaubt, werde ich gleich morgen abreisen und ihnen helfen."

„Habe ich unser Gespräch eben nur geträumt?" wunderte sich Glorfindel mit hochgezogenen Brauen. „Ich dachte, ich hätte deutlich gemacht, dass diese Angelegenheit gemeinsam angegangen wird und Ihr nicht als einsamer Reiter nach Düsterwald stürmen werdet, um dort von der erstbesten Zwergspinne angefallen zu werden."

„Zwergspinnen?" echote Legolas. „Es gibt keine Zwergspinnen."

„Sie sind so klein, dass man sie gar nicht sieht", erklärte Glorfindel boshaft. „Fragt Galen."

„Müsst Ihr immer wieder damit anfangen?" schnappte der Rhuna in seine Richtung.

„Galen, Ihr könnt nicht erwarten, dass ich darauf verzichte. Die Gelegenheit war einfach zu gut."

„Hört Ihr in Zukunft damit auf, wenn ich zugebe, dass ich mich mit der Größe der Spinne geirrt habe?"

Glorfindel legte die Fingerspitzen aneinander und sah den Rhuna darüber hinweg mit glitzernden Augen an. „Lasst mich raten, mein junger Freund. War sie stattdessen so groß wie eine Maus?"

„Haus", berichtigte Legolas, auch wenn er genauso wenig verstand, worum es hier ging. „Nicht Maus. Die Baumspinnen erreichen Hausgröße."

Galen knirschte schon fast mit den Zähnen. „Aber nur ein kleines. Eher eine Hütte."

„Ein Kompromiss, mit dem ich leben kann. Dann war es also eine Hüttenspinne", lächelte Glorfindel. „Elrond, jetzt können wir weiter machen."

„Sehr gütig", sagte der Herr von Imladris voller Spott. „Wir müssen diesen Hexer ausfindig machen und die Gefahr, die von ihm ausgeht, beenden."

„Also reisen wir nach Düsterwald", vermutete Aragorn.

Elrond nickte. „Ich habe bereits einen Boten zu König Thranduil geschickt. Er wird uns erwarten."

„Thranduil wird kaum meinem Volk helfen wollen", meinte Galen missmutig. „Entschuldige, Legolas, aber so ist es nun mal."

Aragorns Freund richtete sich etwas in seinem Stuhl auf. „Du unterschätzt meinen Vater, Galen. Er mag nicht der höflichste sein, würde aber auch nie die Augen vor der Not unseres Volkes verschließen."

„Es tut mir leid", entschuldigte sich der Rhuna errötend. „Es ist nur so..."

Er brauchte nicht weiter zu sagen.

***

„Sie schläft einfach nur." Verwundert zog Celdir seine Hand von der Stirn der Rhuna zurück und wandte sich wieder seinem König zu.

Thranduils Blick wechselte von Varyas leichenblassen, reglosen Zügen zu seinem Heiler zurück. „Mit geschlossenen Augen?"

„Ich verstehe es selber nicht, Hoheit. Vielleicht ist dies bei den Rhuna so üblich."

„Nein, ist es nicht", erklärte Liuntol barsch von der anderen Seite des Bettes aus. „Nur Ohnmacht oder Tod schließen die Augen eines Rhuna, genau wie bei allen anderen Elben auch. Für was für abartige Geschöpfe haltet Ihr uns eigentlich?"

Celdir zuckte zusammen und Röte stieg in seine Wangen. „Ich bitte Euch um Verzeihung, Hauptmann Liuntol. Es ist meine eigene Ratlosigkeit, die aus mir spricht. Aber glaubt mir, Eure Heilerin ist nicht verletzt. Sie liegt in einem wohl ungewöhnlich tiefen Schlaf, aber in einigen Stunden wird sie erwachen und unversehrt sein."

Unzufrieden winkte Thranduil ihn hinaus. Dann betrachtete er die Ansammlung unterschiedlichster Personen in Varyas Unterkunft und seufzte leicht. Einige der Rhuna waren da, Berelion, Tisvien und er selbst. Wenn Varya wirklich erwachte, würde sie einen Schock bekommen. „Liuntol, Ihr könnt bleiben, der Rest verschwindet jetzt gefälligst."

Er ließ den Hauptmann weiter am Bett wachen und machte es sich selber in einem der Sessel vor dem Kamin bequem. Ein unbestimmtes Gefühl, für dieses Fiasko verantwortlich zu sein, ließ ihn an diesem Ort verharren.

Die Erinnerung an die letzten Stunden stieg in ihm hoch, begleitet von einem leisen Aufstöhnen. Welch eine Katastrophe!

Das letzte Mal hatte er einen derartigen Schrecken erlebt, als Legolas im zarten Kinderalter meinte, eine Fahrt in einem leeren Weinfass auf dem Waldfluss rund um den Palast unternehmen zu müssen. Die halbe Palastwache hatte ihr Leben riskiert, um den Prinzen nur noch schwach lebendig aus den tosenden Fluten zu ziehen. Berelion hatte sich eine gebrochene Nase eingehandelt, weil er seinen König davon abgehalten hatte, selber in den Waldfluss zu springen.

Offenbar hatten Elben in einer bestimmten Phase ihrer Entwicklung die Angewohnheit, die ältere Generation in Angst und Schrecken zu versetzen. Nur so zum Spaß und weil es ging. So schien es jedenfalls. Thranduil versuchte, sich zu erinnern, ob er ähnliche Panik in seiner Umgebung ausgelöst hatte. Nein, bestimmt nicht. Oropher hatte nie Grund zur Klage gehabt, jedenfalls nicht oft. Die wenigen Gelegenheiten waren eindeutige Unfälle gewesen, selbst die Sache mit dem Warg. Es war schließlich einen Versuch Wert gewesen, ihn handzahm zu machen. Wenn er ein Jungtier genommen hätte, wäre es wohl auch erfolgreich gewesen. Die Bisswunden waren auch recht schnell wieder verheilt und die Palastwache hatte das Tier schließlich erlegen können, als es den Thronsaal stürmte.

Thranduil verfluchte sich dafür, Helemar nicht schon sehr viel früher für ihr unglaublich schlechtes Benehmen zurechtgewiesen zu haben. Dann wäre es nicht zu diesem Eklat gekommen und wahrscheinlich hätte es kaum damit geendet, dass die Rhuna-Heilerin vor seinen Augen zusammen gebrochen wäre.

„Dies hatte nichts mit dem Abendessen zu tun." Liuntol schien seine Gedanken zu erahnen, als er sich zu ihm ans Feuer gesellte. „Euer Heiler hat wohl Recht, sie schläft auf eine seltsam tiefe Weise."

Thranduil deutete auf den freien Sessel. „Setzt Euch, Hauptmann Liuntol. Wir werden wohl noch zu lange auf ihr Erwachen warten müssen, um diese Zeit stehend zu verbringen."

„Niemand erwartet von Euch-„

„Ich weiß", lächelte Thranduil schwach. „Aber offenbar verfolgt Eure Heilerin großes Unglück seit sie mein Reich betreten hat und das gibt mir langsam zu denken. Passiert so etwas wie vorhin immer, wenn sie sich aufregt?"

„Varya ist eigentlich recht ausgeglichen."

Thranduil wölbte zweifelnd die Brauen. „Das nennt Ihr ausgeglichen? Was verstehen die Rhuna denn dann unter ‚unruhig'?"

„Sie ist es wirklich", bekräftigte der Rhuna. „Die Ithildrim sind zwar alle etwas lebhaft und allen voran wohl Galen und Varya, aber ihr Benehmen Euch gegenüber war mir auch neu."

„Ich bin mir nicht sicher, ob dies eine schmeichelhafte Erkenntnis genannt werden kann."

„Wir erleben schwere Zeiten, Hoheit, und die Hauptlast liegt auf Varyas Schultern. Zu viele der Kranken sind ihr in den letzten Monaten trotz aller Bemühungen gestorben und als wir dann den Verrat Enachs erkennen mussten, hat es sie verändert."

„Wollt Ihr wissen, warum ich ihr nicht erlauben wollte, den Speisesaal zu verlassen?" Thranduil wartete die Antwort gar nicht erst ab. „Lady Helemar schuldete ihr für dieses grobe Benehmen eine Entschuldigung und ich wollte, dass sie sie vor allen meinen Edlen bekommt."

„Stattdessen hat sie Euch fast den Arm gelähmt", grinste Liuntol unwillkürlich. „Ich habe es durchaus bemerkt, Hoheit. Der Griff ist sehr beliebt bei Galen und ihr. Er dient eigentlich zur Betäubung, wenn Wunden behandelt werden, aber ich weiß, dass er auch anders eingesetzt werden kann."

„Allerdings", grollte Thranduil, wobei er seine noch immer leicht betäubte Hand schüttelte.

Er hätte nicht für möglich gehalten, dass diese winzige Person ihn nur mit zwei Fingern fast auf die Knie gezwungen hätte. Thranduil war einiges gewöhnt und ertrug Schmerzen im Allgemeinen ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Doch was ihm Varya angetan hatte, war fast genug gewesen, ihn vor seinem versammelten Hofstaat bis auf die Knochen zu blamieren.

Liuntol reichte ihm einen der vorbereiteten Pokale mit Wein. „Es gibt noch etwas, dass ich Euch vorhin nicht erzählen konnte."

Als hätte sich Thranduil das nicht bereits gedacht. „Sprecht ruhig. Zurzeit ist mir die Lust vergangen, meine Kerker zu bevölkern."

„Enach hat vor ihrer Abreise dafür gesorgt, dass Galen Ithilos durch die Kraft anderer zu einem Krieger wurde. Ich weiß wirklich nicht, wie es ihr eigentlich gelungen ist, doch es war sicherlich dunkle Magie im Spiel. Unser Heiler ist ein friedfertiger junger Mann und ähnlich wehrhaft nur wie Varya. Also nahm sie die Fertigkeiten von dreien unserer Krieger. Dafür mussten seine heilenden Gaben weichen, die wiederum auf Varya übertragen wurden."

Bei den Valar, dachte Thranduil entsetzt, diese Enach ist wirklich eine Gefahr. Sie hat mit Kräften gespielt, die besser von einem Elben unangetastet bleiben. „Und?"

„Ich denke, ähnliches hat sich vorhin erneut abgespielt, aber sehr viel unkontrollierter."

„Sie sprach davon, dass jemand stirbt", erinnerte sich Thranduil. „Enach?"

„So wird es wohl sein und ich kann mir nicht vorstellen, dass Enach freiwillig ihre Kraft an Varya gegeben hat, sie würde immer Galen vorziehen."

Thranduil schüttelte leicht den Kopf. „Das heißt also, die Ithildrim verfügt jetzt über noch größere Gaben, die sie aber gar nicht gewollt hat. Dunkle Macht?"

„Nein", behauptete Liuntol überzeugt. „Dunkle Macht rühren die Ithildrim nicht an, glaubt mir. Sie verabscheuen die Dunkle Hand so sehr, dass es an Besessenheit grenzt."

„Wir werden sehen", schloss Thranduil das Thema vorerst ab. Er musterte den Rhuna eine Weile nachdenklich. „Wie lange seid Ihr schon in Rhunar, Hauptmann Forlos?"

Der andere erstarrte mitten in der Bewegung und wurde kreidebleich.

Thranduil lächelte etwas. „Ihr solltet doch wissen, dass ich das gute Gedächtnis meines Vaters geerbt habe. Dachtet Ihr wirklich, ich würde einen Gardehauptmann meines Vaters vergessen?"

„Es ist schon lange her", flüsterte der andere kaum hörbar. „Ich nahm nicht an, dass Ihr bei den vielen, die damals in Dagorlad fielen, mein Gesicht noch erkennen würdet."

„Jeder einzelne hat sich unauslöschlich in mein Gedächtnis gebrannt", sagte Thranduil hart. „Euch konnten wir nie bestatten, aber dies war bei einigen so. Allerdings hatte ich immer die Befürchtung, dass Ihr in Gefangenschaft geraten ward. Warum seid Ihr nicht heimgekehrt?"

„Müsst Ihr das wirklich fragen?"

Thranduil schloss kurz die Augen. Nein, immerhin war er selber in seiner Einstellung zu den Elben, die sich einst in Saurons Gefangenschaft befunden hatten, sehr hart im Urteil. Enach bewies schließlich, dass nicht alle den Einfluss Mordors unbeschadet verkraftet hatten. „Wann konntet Ihr fliehen?"

„Nach wenigen Jahren, fünfzehn um genau zu sein", lächelte Forlos freudlos. „Es klingt kurz, doch in Mordor ist es eine Ewigkeit. Es hat mich nicht nur körperlich sondern auch innerlich fast zerstört, Hoheit. Deshalb gab es keinen Weg zurück für mich. Ich irrte umher, bis ich von Rhunar hörte und suchte dann dorthin meinen Weg. Damals war es nur eine Zuflucht vor meinen eigenen Schatten, ein primitiver Ort voller Verzweifelter."

„Und heute?"

Forlos drehte kurz den Kopf in Richtung der schlafenden Ithildrim. „Ihr kennt die Antwort."

„Eure Loyalität war immer Eure größte Stärke, mein Freund. Trotzdem werden wir uns bald noch einmal über Euren Platz in dieser Welt unterhalten müssen." Thranduil prostete ihm zu. „Und über ihren, wenn sie denn dann endlich erwacht. So wie ich diese sture Person einschätze, wird sie dennoch versuchen, Dol Guldur zu erreichen."

Forlos wich seinem Blick aus.

„Dachte ich es mir doch", brummte Thranduil. „Wir werden einen anderen Weg finden, auch wenn es vielleicht einige Tage länger dauert. Mein Sohn ist zurzeit in Imladris, um dort über einige seltsame Vorgänge im Südwald zu beraten. Ich müsste mich sehr irren, wenn sie nicht in Zusammenhang mit Euren eigenen Schwierigkeiten stehen. Gleich morgen schicke ich einen Boten zu Lord Elrond. Die Briefe an Euren Heiler kann er mitnehmen und dann warten wir einfach die Ankunft des jungen Genies ab, bevor wir mehr unternehmen."

„Ich danke Euch", flüsterte Forlos. „Jeder Tag, den ich sie hier im Palast in Sicherheit weiß, ist ein wirklich guter Tag."

„Sehr sicher war es für sie bislang leider nicht."

„Zumindest fällt sie hier nicht wieder in Beutegruben."

„Es gibt subtilere Fallen."

„Unterschätzt sie nicht, Hoheit."

Thranduil rieb seine Hand. „Bestimmt nicht."

Sie versanken in einträchtigem Schweigen. Eine friedliche Stille durchzog schließlich den Raum, während die Nacht weiter fortschritt.

Tiefe Erschöpfung hatte Forlos übermannt, als seine Schutzbefohlene ein erstes Lebenszeichen von sich gab. So blieb es Thranduil überlassen, sich zu ihr zu begeben und dieses für einen Elben so untypische Erwachen zu beobachten.

Es dauerte eine Weile, bis sich der Blick ihrer seegrünen Augen soweit geklärt hatte, dass sie ihn überhaupt erkannte. „Was macht Ihr hier?"

„Eure Heilerin ist tot." Thranduil hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt, so brutal hingen die Worte zwischen ihnen.

Eine kleine Falte erschien über ihrer Nase und sie blinzelte angestrengt. Offenbar fiel ihr langsam alles wieder ein. „Ich dachte, Ihr wolltet mich einkerkern."

„Vielleicht später", sagte er. „Es war anstrengend genug, Euch festzuhalten."

Die Falte wurde größer. „Ihr seid über den Tisch gesprungen."

„Eine Abkürzung."

„Könige machen so etwas nicht."

„Jedenfalls nicht oft."

Sie seufzte tief. „Enach wollte mich töten, aber da war jemand, der mich schützte."

Thranduil erfüllte eine recht genaue Vorstellung, wer aus der Ferne so helfend eingegriffen hatte, doch er schwieg dazu. „Wie fühlt Ihr Euch?"

„Meine Augen sind müde."

„Müde genug, Euch in den nächsten Tagen vom Südwald fernzuhalten?"

„Morgen wird es schon besser sein." Sie seufzte tief. „Liuntol will nicht, das wir nach Dol Guldur reiten."

„Das werdet Ihr auch nicht."

„Ihr habt mir überhaupt nichts zu befehlen. Außerdem seid Ihr bestimmt erleichtert, wenn wir abreisen. Stellt Euch einfach vor, wir waren nie da. Rhuna im Südwald brauchen Euch nicht zu kümmern."

Eine hohe Meinung hatte sie nicht gerade von ihm. „Im Moment seid Ihr eine Elbin in meinem Palast und Euer Wohlergehen kümmert mich durchaus."

„Lügner", murmelte sie und dämmerte weg.

‚Bei Eru' seufzte er im Stillen. ‚Ich werde sie wohl anketten müssen.'

*

„Hier lebst du also."

„Es war nicht immer so düster und gefährlich."

„So war das doch gar nicht gemeint, Legolas."

„Ich weiß, aber jedes Mal, wenn ich wieder zurückkomme, schmerzt es mich."

„Irgendwann wird es wieder anders sein. Dunkelheit kann am Ende nicht bestehen."

„Ich hoffe, du behältst Recht."

„Ich bin ein Rhuna, wir wissen es wohl am besten."

„Plustere dich nicht so auf, Galen, sonst wirst du Spinnenfutter."

Elrond lächelte still vor sich hin. Eigentlich bestand kein Grund, so entspannt zu sein. Sie hatten das Nebelgebirge hinter sich gelassen und nun schon die ersten Tage auf der Alten Waldstraße hinter sich. Dies war kein angenehmer Ort und wahrlich keine ungefährliche Reise. Im Gebirge waren Orks gesichtet worden und - seit sie den Wald betreten hatten - die seltsamsten Schatten in den Tiefen der dicht stehenden, alten Bäume.

Was sie schützte, war die Größe ihrer Gruppe. Zu den zwanzig Bruchtalgardisten, die sie schon seit ihrem Aufbruch begleiteten, waren weitere zehn Waldelben hinzugekommen, die schon wenige Stunden nach Betreten des Nebelgebirges vor ihnen auftauchten, ihrerseits auf dem Weg nach Bruchtal, um wichtige Nachrichten zu überbringen und wenn möglich, den Kronprinzen und Galen gleich mitzunehmen. Den Boten aus Bruchtal waren sie unterwegs begegnet und hatten sie gleich weiter zu Thranduil geschickt.

‚Was für ein Hin und Her' dachte Elrond müde.

Briefe von Thranduil an ihn, Legolas und auch den jungen Rhuna, was das Erstaunlichste überhaupt war. Alle mit mehr oder weniger gleichem Inhalt, dass es wohl offensichtlich ein ernsthaftes Problem im Südwald gab, das nur von allen gemeinsam gelöst werden könne. Man erwarte deswegen umgehend die schnellstmögliche Anreise der Beteiligten, die zehn Waldelben seien als Eskorte gedacht, Elrond solle sich aber nicht davon abhalten lassen, noch eigene Männer mitzubringen. Genug, damit die Tawarwaith nicht wieder alles alleine erledigen mussten. Die letzte Aufforderung war eine klassische Thranduil-Formulierung: kurz, überheblich und wahrscheinlich noch unfreundlicher ersonnen als schließlich zu Papier gebracht.

Ein weiterer Brief des Rhunar-Rates an Elrond gehörte ebenfalls zur Post. Elrond konnte sich nur vor der stillen Würde der Rhuna verbeugen, mit der sie ohne Beschönigung die Verfehlungen ihrer Heilerin schilderten, um Verständnis baten und sofortige Heimreise ihres unschuldigen Heilers, für dessen freundliche Aufnahme in seinem Haus zugleich Dank gesagt wurde.

Elrond zuckte leicht zusammen, als einer der Waldelben einen Pfeil ins dichte Unterholz sandte, dem ein schriller Schrei folgte.

„Eine junge Erdspinne", erklärte Legolas ruhig. „Sie sind auf Wanderschaft bis sie ein eigenes Revier erobern. Manchmal lauern sie dann hier an der Straße auf Beute."

Kein Wunder, dass Thranduil stets so schlechte Laune hat, fand Elrond. Dieser Ort stimmt wohl niemanden fröhlich.

Galen selber erhielt zwei Briefe. Der eine war eigentlich für Enach gedacht und konnte nur eine Bannschrift sein. Der andere stammte von Varya Ithilfin. Über den Inhalt schwieg sich der junge Elb aus, doch es war ein langer Brief. Galen nahm ihn gelegentlich aus seiner Jacke und las wieder darin.

Im Moment wohl gerade auch, wie die aufkommende Spöttelei hinter Elrond bewies.

„Das müssen ja wirklich magische Worte sein", meinte Elladan.

„Nein, eher leidenschaftliche", berichtigte sein Bruder. „Was schreibt sie denn, Galen, dass du jedes Mal so hingerissen bist?"

„Ihr seid beide verrückt", knurrte Galen. Nach dem Rascheln zu urteilen, verstaute er den Brief schnell wieder. „Varya ist wie eine Schwester für mich."

„Eine hübsche wenigstens?" fragte Legolas.

„Hübsch?" echote der Rhuna ratlos. „Ganz normal würde ich sagen. Sie ist ein bisschen klein, aber sonst ganz in Ordnung."

Elrond und Glorfindel tauschten einen erheiterten Blick. Die Antwort ließ keinen Zweifel daran, dass die beiden Rhuna wirklich nur wie Geschwister zueinander standen. So ähnlich hätten die Zwillinge wahrscheinlich ihre Schwester Arwen beschrieben. Die Zwillinge, nicht Estel, der war ein ganz anderes Kapitel.

„Ist sie dir ähnlich?" bohrte Elladan weiter.

„Ziemlich", bestätigte Galen. „Nur eben kleiner."

„Das sagtest du schon." Elladan schnaubte leicht. „Sie ist eine Elbin, da soll es vorkommen, dass sie etwas kleiner ist. Deine Haarfarbe?"

„Sicher, sie ist eine Ithildhrim."

„Soll sein?" fragte Legolas interessiert.

„Helle Haare, grüne Augen und nicht so groß. Wir sind uns alle sehr ähnlich."

Glorfindel stieß einen leisen Pfiff aus. „Stell dir Galen als Elbin vor, mein Freund", raunte er dann Elrond lächelnd zu. „Wir werden die Burschen unter Bewachung stellen müssen."

„Das sagst ausgerechnet du?" erkundigte sich Elrond spöttisch.

„Ist sie irgendwie...gebunden?" erkundigte sich Elrohir scheinheilig. Niemand lud sich schließlich den Ärger eines anderen gerne an den Hals.

„Varya ist noch viel zu jung, du Idiot. Außerdem ist sie eine Heilerin, eine ziemlich gute sogar. Da hat sie andere Dinge im Kopf als so etwas."

Noch mehr großer Bruder ging gar nicht. Im Gegensatz zu allen anderen war Elrond ihr immerhin schon begegnet, wenn auch nicht in dieser Welt. Von ihrer weltlichen Erscheinung hatte er bei ihrem Schutz vor Enachs mörderischen Attacken nur eine schwache Ahnung erhalten. Allein die Erinnerung daran brachte ein mildes Lächeln auf sein Gesicht. Er freute sich darauf, sie nun wirklich kennen zu lernen.

Es dauerte allerdings noch einige Tage, bis sein Wunsch in Erfüllung ging. Thranduils Palast lag am Ostrand des Waldes. Sie hielten sich noch eine Weile auf der Alten Waldstraße und bogen dann weiter nach Norden ab. Ihre Umgebung wurde ein wenig freundlicher, je weiter sie sich vom dunklen Einfluss im Südwald entfernten. Mehr und mehr der Waldelben begegneten ihnen. Die Tawarwaith bewachten das ihnen verbliebene Territorium scharf und in großer Anzahl. Selbst in dieser Nähe zum Palast blieben die von Thranduil geschickten Wachen noch bei ihnen. Die Neuankömmlinge waren zu wichtig und auch hochrangig, um sie einem Risiko auszusetzen.

Elrond stellte fest, dass Legolas offenbar sehr beliebt bei seinem Volk war. Allein der Anblick des Kronprinzen reichte, einen sehr viel freundlicheren Ausdruck auf die eher düsteren Gesichter der Tawarwaith zu bringen.

Nicht zum erstenmal gestand Elrond sich ein, dass Thranduil wohl die schwierigste Lage von allen drei großen Elbenvölkern auf Arda zu bewältigen hatte. Düsterwald stand unter einer noch schlimmeren Bedrohung als Lothlorien, das den Schutz Nenyas hatte. Imladris durch seine abgelegene Position und Vilya konnte sich ebenfalls in relativer Sicherheit wiegen. Düsterwald hingegen befand sich im Dauerkrieg mit Dol Guldur. Bislang waren Thranduil immer nur wenige Jahre der Ruhe vergönnt worden, bevor die dunkle Quelle in diesem ehemals so friedlichen Hort wieder ihr Unwesen trieb. Bedachte man das alles, machte der Sohn Orophers seine Sache mehr als gut.

„Dieser Palast ist Geschmackssache", murmelte Glorfindel, als sie sich der steinernen Brücke näherten, die den Waldfluss überspannte und der Zugang zum Palast des Königs war.

„Beeindruckend", hauchte hinter ihnen Galen. „Dagegen ist die Quellstadt ein reiner Erdhügel. Du musst mächtig stolz sein, Legolas."

„Was sag ich gerade", meinte Glorfindel achselzuckend.

Man erwartete sie mit allem, was dazu gehörte. Der Besuch zweier Elbenfürsten war keine alltägliche Sache und Thranduil nicht der Mann, der auf Formen keinen Wert legte, auch wenn er sich gelegentlich anders gab. Das Brückentor war beflaggt, die Palastwache angetreten und im Hof und entlang der breiten Treppe zum Palasttor hinauf versammelte sich alles, was wohl Rang und Namen hatte oder zumindest meinte, es zu haben.

Thranduil selber stand oben auf dem Treppenabsatz.

„Er hat eine neue Krone", stellte Glorfindel spöttisch fest. „Die Laubkränze waren ihm wohl doch zu anfällig."

„Eigentlich nicht", murmelte Legolas. „Aber die Elbin, die sie immer gewunden hat, ist zu den Grauen Anfurten aufgebrochen."

Tbc

@feanen: Glorfindel kann doch eigentlich froh sein. Galen hätte auch rosa Farbe nehmen können.

@Dani G: Jepp, nu ist sie hin. War wohl besser so.

@Mystic Girl: Er ist einfach zu empfindlich mit seinem Pony, äh, Pferd. Nicht, dass ein Balrog sehr beeindruckt wäre, wenn er von einem Elb mit einem himmelblauen Pferd angegriffen wird. Vielleicht hätte er sich ja auch totgelacht, dann wäre Glorfindel Mandos erspart geblieben.

@Donnfindel: Elrond ist bald die Ruhe in Person *hüstel*. Im Vergleich zu Thranduil ist wahrscheinlich jeder ein Heiliger.

@Sally Tse Schiep: Sie wird ruhiger, gaaanz sicher, glaub ich, sollte sie wohl. Thranduil hat ein Herz aus Gold – behauptet sein Sohn und Alleinerbe. Gut versteckt, aber es soll da sein.

@Shelley: Genau deswegen hat sie ihn hergebracht. Die alte Dame hat leider nicht einkalkuliert, dass die Gefahr ebenfalls auf Reisen war. Das haben erst die Zurückgebliebenen *nein, nicht geistig* rausbekommen. So ist das, wenn ein Plan schief geht. Th + V – du fängst ja schon wieder an.