Disclaimer: Alles gehört Tolkien bzw. seinen Erben und dabei bleibt es.

9. Kapitel: Ausgerechnet sein Arbeitszimmer

Eichen- und Buchenlaub aus seltenem und sehr kostbarem Mithril war zu einem wunderschönen Stirnreif gefasst, der auffällig im Sonnenlicht glänzte. König Thranduil, Sohn Orophers, ganz in dunkelroten Samt und Brokat gekleidet, konnte auch weniger anfällige Gemüter beeindrucken. Vielleicht nicht gerade Glorfindel oder Elrond, aber für Galen dürfte es allemal reichen. Elrond unterdrückte ein Lächeln, jetzt war nicht der Moment für Spott. Es mussten Formalitäten beachtet werden, die richtigen Worte in der richtigen Reihenfolge gesprochen...er sehnte sich nach einem heißen Bad und etwas Ruhe.

„Galen!" Zusammen mit dem Ausruf stürmte ein Geschöpf an Thranduil vorbei, das geradewegs aus Mondlicht gesponnen sein musste.

„Varya." Galen rutschte aus dem Sattel und lief diesem lebenden Silberstrahl entgegen, der über die breite Palasttreppe tanzte, um die letzten Stufen zu überspringen und in den Armen des Rhûna zu landen.

„Dafür kerkert er sie ein", spekulierte Glorfindel erheitert. „Sie hat ihm eindeutig den Auftritt verdorben."

Elrond ließ seinen Blick kurz über die jüngeren Elben hinter sich wandern. „Dann wird es recht voll in seinen Verliesen."

Allen Protokollverletzungen zum Trotz war die Wiedersehensfreude der beiden Rhûna ansteckend. Die Ähnlichkeit der beiden war zudem noch atemberaubend. Zwillinge hätten sich kaum mehr entsprechen können.

„Normal?" ächzte Elladan. „Er nennt sie ‚normal'? Galen hat einen Augenschaden. Armer Kerl. Ich hätte ihn nicht vom Weinfass schmeißen sollen. Elrohir, wir werden es auslosen."

„Gar nichts werden wir", widersprach sein Bruder. „Du würdest sowie nur betrügen."

„Ihr vergesst das Hausrecht", erklärte Legolas. „Hier Düsterwald, ihr Höhlentrolle, nicht Bruchtal."

„Sie scheint nett zu sein", erklärte Estel freundlich.

„Nett?" Die Zwillinge starrten ihn einen Moment an.

„Ja, sicher, Estel", murmelte Elladan dann. „Sie ist nett."

„Das haben sie nicht von mir", brummte Elrond und stieg von seinem Pferd.

„Gib mir nicht wieder die Schuld", sagte Glorfindel, bevor er es ihm nachtat.

 „Meister Elrond, Lord Glorfindel." Galen erinnerte sich offenbar wieder etwas an die Gebote der Höflichkeit, die ohnehin schon arg gebeutelt waren. „Dies ist Varya Ithilfin."

Glorfindel verneigte sich vergnügt und erntete ein strahlendes Lächeln.

Elrond hingegen tauchte ein in die seegrünen Augen und traf auf schon vertraute Gedanken und Gefühle.

„Meister Elrond, Ihr wisst gar nicht-„ Mitten im Satz brach sie ab und Elrond fand sich in einer heftigen Umarmung wieder. Lächelnd drückte er sie an sich.

„Rhûnar-Elben!" schnaubte eine vertraute Stimme. „Kein Respekt, kein Benehmen und ein Temperament wie Quecksilber. Ihr haltet gerade die größte Nervensäge östlich des Nebelgebirges im Arm."

Thranduil legte die letzten Stufen zurück. Das Warten auf dem Treppenabsatz auf eine korrekte Begrüßung war ihm zu lang geworden. Seine Miene und seine Stimme klangen zwar verärgert, doch ein leichtes Zucken seiner Lippen sprach von ungewohnt guter Laune.

„Lasst endlich den Herrn von Imladris los!" befahl er. „Die Hofdamen sind schon ganz grün vor Neid."

Verlegen stolperte die Rhûna zurück. Thranduil stoppte sie, bevor sie ihm auf die Füße treten konnte und schob sie beiseite. Die Elbenfürsten tauschten einen respektvollen Gruß, dann fand sich der überraschte Prinz Legolas in einer väterlichen Umarmung wieder.

Es geschehen noch Zeichen und Wunder, dachte Elrond interessiert. Lange hielt Thranduils Gefühlsausbruch jedoch nicht an.

„Ich sehe, Ihr nehmt die Bedrohung ebenso ernst wie wir", stellte er mit einem zufriedenen Blick auf die versammelte Zahl der Neuankömmlinge fest. „Lasst uns hineingehen. Ihr werdet Euch erholen wollen, bevor es heute Abend ein Fest zu Eurer Begrüßung gibt. Morgen beraten wir dann."

„Morgen", murmelte Varya stirnrunzelnd.

„Ganz genau!" bellte Thranduil sie an. „Und hört auf zu nörgeln, sonst findet Ihr Euch nochmals im Kerker wieder."

Das hat er nicht wirklich getan, dachte Elrond entsetzt. Er kann unmöglich die Heilerin der Rhûna in einen seiner Kerker gesperrt haben.

„Denkt bloß nicht, damit macht Ihr mir Angst", zischte sie, schob sich aber vorsichtshalber ein Stück hinter Galen. „So schlimm war es auch nicht."

Thranduil atmete tief durch. „Varya, zeigt Eurem Freund hier jetzt besser den Palast oder sonst was, aber bringt mich nicht wieder dazu, Euch vom höchsten Balkon schmeißen zu wollen."

„Ihr erwischt mich sowieso nicht." Damit fasste sie den Rhûna bei der Hand und zog ihn hinter sich her.

„Prinz Legolas!" Eine strahlende Elbin bahnte sich mühsam den Weg durch die Menge im Palasthof. „Endlich."

„Helemar?" Legolas runzelte die Stirn. „Oh, verdammt! Entschuldige, Adar, ich habe vergessen, Galen noch etwas zu sagen."

Mit einer knappen Verbeugung stob er hinter den beiden Rhûna her. Elronds Söhne tauschten einen schnellen Blick.

„Die Ähnlichkeit mit Eriwen beunruhigt mich", erklärte Elladan gedehnt.

„Mich auch", nickte Elrohir. „Estel, komm schon, wir wollten Galen auch noch etwas sagen."

Kopfschüttelnd verfolgten die drei älteren Elben die hastige Flucht in den Palast, um dann sehr viel ruhiger in die gleiche Richtung zu gehen.

„Ihr habt sie nicht wirklich eingekerkert?" fragte Elrond vorsichtig.

„Doch", erklärte Thranduil gelassen. „Nur für ein paar Stunden, aber es hat nicht viel bewirkt."

„Und welchen Grund hattet Ihr?" wollte Glorfindel wissen.

„Vor fünf Tagen kam sie auf die Idee, sich die Gegend anzusehen und nach Heilkräutern zu suchen." Thranduil gab ein undefinierbares Geräusch von sich. „Als wäre dies ein Lustgarten! Sie nahm sich ein Pferd und ritt aufs Geratewohl los. Als wir sie endlich aufstöberten, klebte ihr bereits eine Horde schwarzer Eichhörnchen an den Fersen."

„Und dann habt Ihr sie zur Strafe in ein Verlies gesteckt", vermutete Elrond. Er konnte Thranduil irgendwie verstehen. Bedauerlich, dass es in Bruchtal nichts dergleichen gab. Ein schönes, dunkles, feuchtes, kaltes Verlies. Der pädagogische Wert dieser Örtlichkeit hätte eine Untersuchung verdient. Seine Söhne hätten dort gewiss auch schon lange Stunden verbracht. „Es hat überhaupt nicht gewirkt?"

„Ach was! Ich habe sie kaum wieder wach bekommen, so tief hat sie die ganze Zeit geschlafen." Überraschend lächelte Thranduil. „Diese Rhûna haben wirklich Mumm in den Knochen. Ist der Junge genauso?"

Elrond und Glorfindel nickten gleichzeitig. Jetzt gab es also zwei von der Sorte. Elrond mochte sich gar nicht vorzustellen, zu was die beiden zusammen fähig waren. Im Dunstkreis seiner Söhne konnte das nicht gut werden.

‚Ich bin zu alt dafür', grübelte er düster und folgte dem Waldelbenkönig die Palasttreppe hinauf. ‚Und Thranduil hat keine Ahnung, auf was er sich eingelassen hat. Legolas ist Einzelkind.'

„Freu dich lieber", raunte ihm Glorfindel zu. „Wenigstens sind es diesmal nicht deine Kinder, die auffallen werden. Dir kann er also nicht die Schuld geben."

„Das soll mich trösten?" zischelte Elrond zurück. „Denkst du, Elladan und Elrohir werden weit entfernt sein, wenn es Ärger gibt?"

***

Hinter Elronds Söhnen schlich sie lautlos den Gang entlang.

„Wir haben den perfekten Platz gefunden", raunte ihr Elladan über die Schulter zu. „Wenn es wirklich nicht lange dauert, so wie Ihr gesagt habt, wird Euch niemand dort vermuten."

Varya vertraute ihm. Sie mochte den älteren der Zwillinge. Allerdings mochte sie Elrohir genauso. Warum alle solche Schwierigkeiten hatten, die beiden auseinander zuhalten, war ihr schleierhaft. Beide hatten eine völlig unterschiedliche Ausstrahlung. „Höchstens ein paar Minuten."

„Ich finde, wir sollten warten, bis im Palast Ruhe eingekehrt ist", ließ sich Liuntol vernehmen. Forlos, berichtigte Varya automatisch. Der Hauptmann verdiente es, mit seinem richtigen Namen bezeichnet zu werden.

Trotzdem sah sie ihn kopfschüttelnd an. „Je eher, je besser."

„Genau", bekräftigte Elladan und schlug Forlos aufmunternd auf die Schulter. „Habt Euch nicht so. Außerdem könnt Ihr doch unmöglich Varyas großen Kinderaugen etwas abschlagen."

„Man lernt es mit den Jahren", grollte Forlos und ließ sich von Elladan weiter ziehen. „Aus schmerzlichen Erfahrungen heraus. Glaubt mir, Lord Elladan, manchmal ist es besser, nein zu sagen, wenn ein Ithildrim eine Idee hat. Eigentlich sollte man grundsätzlich nein sagen, wenn sie etwas wollen."

„Wirklich?" grinste Elladan scheinheilig.

„Forlos, Ihr redet mit dem Falschen", meinte Galen seufzend.

„Bitteschön!" Elrohir hatte vor einer überaus kunstvoll geschnitzten Eichentür angehalten und deutete nur mit einer leichten Verbeugung darauf. „Die Höhle des Löwen. Zurzeit verlassen und damit das beste Versteck vor ihm."

„Jedenfalls bis er zurückkommt", zweifelte Galen.

„Er hat zu tun. Ein König kann sich schließlich schlecht von einem Empfang wegschleichen", wehrte Elladan ab. „Wir verschwinden jetzt, sonst wird noch jemand misstrauisch."

Varya zog vorsichtig die Tür auf und spähte in den dunklen Raum dahinter. Wie erwartet, war er leer. Sie glitt rasch hinein, gefolgt von Galen und Forlos.

„Ich halte es immer noch für keine gute Idee", meinte er gerade gedämpft, schloss aber die Tür trotzdem hinter sich.

„Es ist perfekt", widersprach Varya, während sie eine kleine Lampe auf dem Schreibtisch entzündete. „Alle sind auf dem Fest und Thranduil wird bestimmt nicht hier auftauchen."

Auch Galen sah sich eher eingeschüchtert um. „Das ist SEIN Arbeitszimmer, Varya."

„Er braucht es gerade nicht. Außerdem wird es nicht lange dauern." Sie verschwieg, dass sie die Prozedur einfach nur so schnell wie möglich hinter sich bringen wollte. Teile von Enachs Wissen machten ihr eine derartige Angst, dass sie sie am liebsten verdrängen wollte. Doch vorher musste wieder rückgängig gemacht werden, was Enach mit Galen und Forlos angestellt hatte. „So sind wir wieder auf dem Fest bevor es jemand merkt."

Galen schien sie zu verstehen. „Also gut, je eher desto besser. Du erinnerst dich wirklich, wie sie es gemacht hat?"

„Sicher", nickte sie mit mehr Zuversicht als sie wirklich empfand. „Setzt Euch her, es wird wohl etwas unangenehmer, wenn ich es durchführe. Enach hatte mehr Übung."

Die beiden Elben nahmen zögernd auf den Stühlen vor Thranduils Schreibtisch Platz. Varya stellte sich zwischen sie und reichte jedem eine Hand. Sie würde die Verbindung sein, über die der Teil von Forlos, der Galen wohl in den letzten Monaten so oft das Leben gerettet hatte, wieder zu seinem ursprünglichen Besitzer zurückfließen konnte.

Varya sah auf die ruhige Flamme der Kerze vor sich. Sie drängte alle anderen Gedanken beiseite, bis nur noch diese Flamme existierte. So klar und leer wurde ihr Geist, dass die Verbindung zu Galen und Forlos sich langsam ausbreitete. Die Ströme vermischten sich und sammelten sich in ihr.

Mit Enachs Wissen dazu befähigt, begann Varya sie zu sortieren, zu teilen und in andere Richtungen zu lenken. Sie suchte nach allem, was von Forlos stammte, wo immer es sich auch befand. Sammelte es, band es an ihre eigene Kraft und lenkte es dann vorsichtig wieder an den Ort zurück, an den es eigentlich gehörte. Nicht zu viel auf einmal und nicht zu schnell. Varya wusste aus eigener Erfahrung, dass Hast und Masse den Empfänger fast umbringen konnten. Ohne Elrond würde sie schließlich kaum hier stehen.

Varyas Geist bewegte sich in einem Randbereich, über den hinaus sie nicht zu schauen wagte. Sie spürte dunkle Gegenwart, andere Kräfte hinter dem Kreis aus Licht, in dem die drei Rhûna-Seelen sich umeinander bewegten, ineinander flossen und in anderer Form wieder auseinander glitten. Ein Schritt zu weit und die Schatten erhielten Zugang. Verlockende Gefühle drangen auf sie ein, die Schatten tanzten außerhalb des Rings immer schneller.

Es blieb ihr nicht mehr viel Zeit, Forlos von Galen zu trennen. Ihr Geist war es, der diesen Lichtring aufrechterhielt. Wurde sie zu schwach, bevor die Aufgabe beendet war, verloren sie sich alle drei. Varya mobilisierte an Kraft, was immer sie noch in sich fand. Sie trennte die letzten Verbindungen in Galen und pflanzte sie wieder in Forlos ein. Dann drängte sie die beiden anderen aus dem Lichtring hinaus. Nun stand sie alleine dort, die Schatten an den Rändern immer höher und in einem schnelleren Wirbel, während der Ring erschreckend an Helligkeit verlor.

Wie eine hohe Welle schlug pures Entsetzen über ihr zusammen, als ihr klar wurde, dass sie nicht die geringste Ahnung hatte, wie sie selber wieder aus diesem Ring hinauskommen sollte. Sie war schließlich seine Quelle. Es gab kein Portal, wohin sie sich auch wandte, war die gleiche lauernde Dunkelheit.

Gefangen, sie war gefangen in der Natur des Kreises!

Im nächsten Moment erhielt sie einen heftigen Stoß, stolperte auf die Kerze zu, wurde aber kurz vor der Schreibtischkante herumgerissen. Der Ring war verschwunden und die Welt wieder zurückgekehrt.

„Hast du den Verstand verloren?"

Zuerst nahm sie nur die zornbebende Stimme wahr. Sie blinzelte und fand sich fixiert von unangenehm vertrauten, indigoblauen Augen, die vor lauter Wut von innen heraus zu leuchten schienen.

„Thranduil", hauchte sie entsetzt.

„Ja, Thranduil", wiederholte er schneidend. „Was hast du dir dabei gedacht?"

„Bitte, Hoheit", mischte sich Forlos noch etwas schwach ein. „Sie hatte nichts Böses im Sinn."

Auch Galen erhob sich wacklig. „Wirklich nicht, es war nur.."

„Wir unterhalten uns später noch!" brüllte Thranduil die beiden Elben an. „Raus hier!"

Flucht, dachte Varya erleichtert und wollte an ihm vorbei huschen, aber er packte sie an der Schulter und zwang sie zurück. „Du bleibst, Heilerin."

Galen blieb nun ebenfalls stehen. Varya erkannte in seinem Gesicht die gleiche Panik, die auch sie überkam unter dem Eindruck von Thranduils Wut, doch er wollte sie nicht alleine lassen. Andererseits bestand kein Grund, dass sie beide von königlichem Zorn übergossen wurden.

‚Geh schon' formte sie mit ihren Lippen. Einen Moment zögerte er noch, dann schlich er hinaus und zog die Tür hinter sich zu.

Thranduil zerrte sie zu einem der Stühle und stieß sie hinein. Als er sich vor ihr aufbaute, fühlte sie sich so winzig und unbedeutend wie eine Eidechse.

„Ein Huhn ist klüger als du!" schrie er sie an. Die Zeit für höfliche Anreden war wohl endgültig vorbei. „Hexerei und das in meinem eigenen Arbeitszimmer."

Nur nichts sagen, Varya. Diesmal hat er sogar Recht. Sie beschränkte sich auf ein Blinzeln.

„Und du hast nicht einmal Ahnung davon! Wolltest du euch alle drei umbringen?"

„So schlimm war es nicht." Warum konnte sie nie ihren Mund halten?

Thranduil schoss auf sie zu. Hart umfasste er ihr rechtes Handgelenk und schob mit der anderen Hand den lockeren Ärmel ihres Kleides hoch. Die Silberrunen auf ihrem Oberarm leuchteten hell im Halbdunkel des Raumes. „Sie leuchten zur Warnung. Hast du das nicht selber Tisvien erzählt? Diese hier leuchten nicht nur, sie strahlen fast schon."

„Oh." Mehr fiel ihr beim besten Willen nicht ein. Tisvien hätte es ihm wirklich nicht erzählen dürfen. Andererseits war er ihr König, da musste man sie verstehen.

„Ich sollte..." Er ließ sie wieder los. Irgendwie konnte sich Varya nicht des Eindrucks erwehren, er würde sie gleich verprügeln.

Ein Klopfen an der Tür kam zum Glück dazwischen. Elronds Söhne, die Rettung nahte.

„Jetzt nicht!" donnerte Thranduil.

Das Klopfen wiederholte sich nicht. Feiglinge! Varya kapitulierte. „In den Kerker?"

„Damit du wieder richtig ausschlafen kannst?" herrschte er sie an. „Ich sollte dich in die Beutegrube zurückschmeißen, aus der ich dich in einem Anfall geistiger Umnachtung gerettet habe. Du bist so unbeherrscht, dass du für ganz Mittelerde eine Gefahr bist."

Sie sollte unbeherrscht sein? Varya runzelte beleidigt die Stirn. Immerhin war er es, der sie ungehemmt anbrüllte und herumschubste.

„Sag jetzt nichts!" warnte Thranduil sie, nachdem er aufmerksam ihr Mienenspiel beobachtet hatte. Immer noch aufgebracht wanderte er vor ihr hin und her. „Ich weiß, dass du nur Forlos helfen wolltest, aber das war Hexerei."

„Nicht wirklich."

„Schwachsinn!" schnauzte er, um plötzlich ruhiger zu werden. „Denkst du, ich erkenne keine dunkle Magie? Mädchen, damit hatten wir hier schon zu kämpfen lange bevor du geboren wurdest. Jeden anderen würde ich dafür töten lassen."

Jetzt wurde ihr langsam wirklich unbehaglich zumute. Der König wurde ihr einfach zu ernst. Seine Schreierei war ihr da fast lieber. „Aber..?"

„Elrond würde es nicht gutheißen." Er seufzte. „Wir werden einen anderen Weg finden."

Sie traute ihm nicht. Er war nicht gerade ein mildtätiger Mann und Gnade kein Gefühl, das sie mit ihm in Verbindung brachte. „Und welchen?"

„Du wirst nie wieder und unter keinen Umständen diese dunklen Kräfte entfesseln, die dir diese Hexe eingepflanzt hat."

„Galen hat aber noch-„

„NIE WIEDER!"

Varya zuckte so zurück, dass sie fast mit dem Stuhl umgefallen wäre. „Wie Ihr wünscht. Es wird hier keine Hexerei mehr geben."

Misstrauisch stützte er die Hände auf ihre Armlehnen und kam ihr sehr nah. „Keine Tricks, Hexe, die Antwort kam etwas zu schnell und deine Augen verraten dich sowieso immer. Ich meinte nie wieder – egal ob hier oder an einen anderen Ort."

Varya spürte einen leichten Schweißfilm auf der Haut. Ein Teil von Enach war noch in ihr, sie musste ihn loswerden. Wenn sie allerdings dieses Versprechen nicht gab, würde Thranduil den letzten Rest an Zurückhaltung aufgeben und ihr wahrscheinlich an Ort und Stelle das Genick brechen. So schätzte sie ihn jedenfalls ein. Sie hatte noch nie vor jemandem wirklich Angst gehabt, aber dieser Waldelbenkönig lächelte gerade so, wie ein Warg kurz vor einem Angriff die Zähne blecken würde.

Zögernd nickte sie.

„Sag es!"

„Ihr habt mein Ehrenwort." Sie verschluckte sich fast an den Worten. Jetzt waren sie heraus und sie konnte sie nicht mehr zurücknehmen.

Einige Atemzüge lang spießte er sie noch mit seinem durchdringenden Blick auf. Dann fasste er sie an der Hand und zog sie energisch aus dem Stuhl. „Gut, gehen wir auf das Fest zurück. Man wird sich bereits fragen, wo ich bin."

„Ich möchte lieber.."

„Sei still! Du wirst mich begleiten und dich nicht von mir wegrühren. Du wirst dich überhaupt nicht mehr außerhalb meiner Sichtweite aufhalten, verstanden?" Er stutzte einen Moment. „Jedenfalls solange du dich außerhalb deines Zimmers befindest."

„Ihr seid nicht mein Vater!"

„Nein, Mädchen, wahrlich nicht. Wenn du nämlich meine Tochter wärst, hätte ich schon vor langer Zeit das nächste Schiff nach Westen genommen, selbst wenn es ein morsches Ruderboot gewesen wäre."

Thranduil riss die Zimmertür auf und blieb dann abrupt stehen. Düster ließ er seinen Blick über die Ansammlung von Elben gleiten, die sich eingefunden hatte. Forlos und Galen wären ja noch zu verstehen gewesen, aber auch Prinz Legolas drückte sich inzwischen auf dem Gang herum, Elronds Zwillinge ohnehin und sogar Berelion war da, der alles mit hochgezogenen Brauen verfolgte.

Varya wäre am liebsten wieder in den Tiefen des Arbeitszimmers verschwunden, doch Thranduil hielt unnachgiebig ihre Hand umfasst.

„Ist das Fest bereits zu Ende?" fragte er unfreundlich.

„Ihr dürft sie nicht in den Kerker sperren", platzte Galen heraus. „Oder mich müsst Ihr ebenfalls bestrafen, Hoheit."

„Und mich", ergänzte Forlos blass.

„Wir haben sie hergeführt", erklärten die Zwillinge gleichzeitig.

Thranduil schnaubte abfällig. „Offenbar erfreuen sich unsere Verliese in letzter Zeit großer Beliebtheit. Ich werde anbauen müssen."

„Die Rhûnar-Elben gehören nicht der dunklen Hand", erklärte Legolas bestimmt. „Ich habe Galen gut genug kennen gelernt, Adar. Sie sind mutig und –„

„Schon gut", winkte sein Vater ab. „Hier wird niemand eingesperrt. Diese verunglückte Zauberin und ich haben eine Vereinbarung getroffen, die hoffentlich eingehalten wird."

Varya nickte widerstrebend. „Ihr habt mein Ehrenwort."

„Also verschwindet jetzt alle gefälligst. Ich muss auf das Fest zurück, bevor Lord Elrond mich für noch unhöflicher hält, als er es ohnehin schon tut."

Mit langen Schritten setzte sich Thranduil in Bewegung. Er zerrte Varya an der Hand hinter sich her, bis sie außer Atem war.

„Ihr könnt mich jetzt los lassen", verlangte sie kurz vor der großen Halle, in der das Fest stattfand.

„Nein!" knurrte er.

„Wie sieht das denn aus?" flehte sie verzweifelt.

Ein boshafter Seitenblick traf sie. „Das ist mir völlig egal, Varya Ithilfin. Da ich der König bin, wird kaum jemand etwas daran auszusetzen haben."

„An Euch wohl nicht "

„Strafe muss sein", meinte er achselzuckend.

Thranduil machte seine Drohung wahr, ließ sie keinen Moment aus den Augen und nicht weiter als zwei Schritte von sich weg. Selbst wenn sie einen Moment der Ablenkung nutzen wollte, um sich langsam aus seinem Dunstkreis zu schleichen, langte er einfach ohne Hinzuschauen nach ihr und fing sie wieder ein. Sie hasste ihn. Eine Gefühlsregung, die ihr bislang eigentlich fremd gewesen war. Einige Stunden später vertrieb sie sich dann sogar die Zeit damit, finsterste und vor allen Dingen schmerzhafte Mordpläne zu wälzen.

Hilfe war von niemandem zu erwarten. Galen sah zwar gelegentlich in ihre Richtung, aber sobald sein Blick auf Thranduil fiel, schien er regelrecht zu schrumpfen. Die Zwillinge hatten einen eher schwachen Versuch unternommen, sie von Thranduil loszueisen, den der König mit einem barschen ‚Nein' unterbunden hatte. Mittlerweile waren sie ohnehin von einer Horde Elbinnen umgeben und schwer beschäftigt.

Irgendwann bat Lord Elrond den Waldelbenkönig darum, ihn eine Weile mit ihr alleine zu lassen, da es noch Dinge wegen Enach zu besprechen gab.

„Aber lasst sie nicht aus den Augen", knurrte Thranduil, bevor er sie dem Herrn von Imladris regelrecht in die Arme schubste. „Und lasst sie bloß nicht in die Nähe Eurer Söhne."

Varya wartete, bis sie weit genug von ihm weg waren, bevor sie geräuschvoll ausatmete. „Ihr seid wirklich die Rettung."

„Für Euch oder besser für ihn?" erkundigte sich Elrond mit einem kaum merklichen Lächeln. „Seht mich nicht so überrascht an, Varya Ithilfin. Man muss kein Noldo-Erbe besitzen, um Eure Gedanken zu erraten. Zum Glück können Eure Gedanken nicht töten, sonst würde sich König Thranduil schon in den letzten Zuckungen am Boden wälzen."

Beschämt betrachtete sie ihre Fußspitzen. „Es tut mir leid, Lord Elrond. Ich weiß, dass es nicht recht ist, solche Gedanken zu haben. Eigentlich hat er auch allen Grund, wütend zu sein."

Neben Elrond rollte Glorfindel leicht mit den Augen. Ein mutwilliges Funkeln darin machte ihr leichte Hoffnung, dass sie nun nicht die nächste Strafpredigt zu ertragen hatte.

„Allerdings", meinte Elrond ernst. „Ihr habt vorhin eine sehr gefährliche Kunst ausgeübt und ihre Auswirkungen waren noch deutlich zu spüren. Ich weiß, dass Ihr nicht aus einem schlechten Sinn heraus handeltet, sonst wäre ich kaum weniger verärgert als König Thranduil."

„Er war ziemlich aufgebracht."

„Thranduil ist immer ziemlich aufgebracht", murmelte Glorfindel und zwinkerte ihr zu. Langsam mochte sie ihn noch mehr als die Zwillinge. Der Vanya hatte wenigstens Humor, etwas, das man von Elrond im Moment beim besten Willen nicht behaupten konnte.

Elrond bedachte ihn mit einem strafenden Blick bevor er sich wieder Varya zuwandte. „Wundert Euch das? Dunkle Kräfte zu entfesseln birgt immer das Verhängnis auch für Unbeteiligte."

„Ich dachte nicht, dass es so auffällig sein würde."

„Es lief wie eine unsichtbare Welle durch den Palast, als Ihr dieses Tor aufgestoßen habt", eröffnete ihr Elrond. „Zum Glück wussten die wenigsten etwas damit anzufangen."

„Thranduil schon", ergänzte Glorfindel und betrachtete dabei abwesend eine Waldelbin, die ganz in der Nähe stand und ihn anstrahlte. „Ich hätte in so einer aufwendigen Robe nicht so schnell rennen können. Seine Flüche sind auch nicht schlecht."

„Und dann auch noch in seinem eigenen Arbeitszimmer." Elrond war noch nicht fertig.

„Ich fand das originell", meinte Glorfindel und hob seinen Weinpokal in Richtung der interessierten Waldelbin.

„Es lag schließlich in der Nähe", verteidigte sich Varya. „Kennt Ihr die Elbin, Lord Glorfindel?"

„Nein, noch nicht. Aber wir sind schließlich auch zur Pflege der diplomatischen Beziehungen hier." Das Lächeln auf seinen perfekten Zügen war entwaffnend. Es störte ihn offensichtlich nicht im geringsten, dass Lord Elrond seine Worte mit einem leichten Schnauben begleitete. „Beschwer dich nicht, alter Freund. Du hast selber gesagt, dass die Beziehungen zwischen Bruchtal und Düsterwald entspannter sein sollten."

„Nicht so entspannt", grollte Elrond. „Varya, ich vertraue darauf, dass Ihr das nicht wiederholt."

„Ich habe es versprochen", sagte sie. „Außerdem will er mich umbringen, wenn ich es doch mache. Meint Ihr, er würde das wirklich?"

„Thranduil?" Glorfindel riss sich einen Moment von dieser Elbin los. „Hm, ich denke schon. Er ist nicht der Charakter, der leere Drohungen ausstößt. Schließlich hat er Euch auch in sein Verlies eingesperrt."

„Das war schon in Ordnung", winkte sie ab. „Man könnte es sehr gut als Arbeitsraum benutzen. Die Luftzirkulation funktioniert erstaunlich gut. Dieser ganze Palast ist bemerkenswert."

„Zumindest seine Bewohner. Entschuldigt mich, die Diplomatie duldet keinen Aufschub mehr." Mit einer leichten Verbeugung schlenderte Glorfindel davon.

„Das ist natürlich ein überzeugender Grund." Elrond musterte sie eindringlich. „Ihr müsst müde sein. Vielleicht ist es besser, wenn ich Euch bei Thranduil entschuldige, dann könnt Ihr Euch ausruhen."

„Er wird es kaum erlauben."

Der Herr von Imladris wölbte spöttisch die Brauen. „Ich erlaube es, Varya, das dürfte auch für Thranduil ausreichen. Geht jetzt."

Einen Befehl wie diesen brauchte er nicht zu wiederholen. Varya brachte ein kurzes Nicken zustande und schoss dann förmlich aus dem Saal. Selbst wenn jeder einzelne es wirklich nur gut mit ihr meinte, ausschließlich um ihr Wohlergehen besorgt war, so fühlte sie sich langsam mehr als nur beengt. Mit Enachs Tod war so viel auf sie eingeströmt, dass sie seitdem kaum hatte schlafen können. Immer wieder tauchte fremdes Wissen in ihrem Kopf auf, Bilder und Gedankenfetzen, die sie erst einordnen musste. Vieles brauchte einen Platz, anderes musste ausradiert werden, so beängstigend und abschreckend war es.

Varya starrte verblüfft auf die Tür zu Thranduils Arbeitszimmer. Sie hatte in ihr eigenes Gemach gehen wollen. Warum stand sie nun schon wieder hier?

Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass sich sonst niemand in ihrer Nähe aufhielt, öffnete sie die Tür und glitt in den Raum. Auf dem Schreibtisch stand immer noch die Kerze, die sie bei ihrem ersten Besuch mitgebracht hatte.

Varya schlenderte betont harmlos durch den Raum, in dem sie wirklich überhaupt nichts zu suchen hatte, strich mit den Fingern über eine Kante des hohen Bücherregals neben der Tür. Kein Staubkorn, nicht wie in ihrem eigenen Studierzimmer. Allerdings hatte sie auch niemanden, der sich darum kümmerte. Sie rückte den Stuhl zurecht, auf dem Forlos gesessen hatte und schob sich eher nebenbei um den Schreibtisch herum. Ein sehr aufgeräumter Schreibtisch mit einem sehr schönen Lehnstuhl. Ehe sie genauer darüber nachdenken konnte, saß sie auch schon darin.

So also arbeitete man als König. Nun, vielleicht hatte Thranduil einen etwas besseren Ausblick auf sein Gegenüber als sie. Bei ihrer Größe hatte sie den silbernen Aufsatz im Blickfeld, genau gekreuzt von der schneeweißen Gänsefeder im Halter neben dem Tintenfass. Sie war sich sicher, der Kiel war so angespitzt, dass Thranduil bei Bedarf damit die armen Elben auf der anderen Seite des Schreibtisches aufspießen konnte.

Sie warf sich in Positur und starrte einen unsichtbaren Übeltäter nieder. „Ab in mein Lieblingsverlies. Ich bin der König von Düsterwald und hier kommen alle ins Verlies."

Es hatte was, allerdings und solange Thranduil nicht in diesem Raum war, herrschte sogar gnadenvoller Frieden. Es schien fast, als hätten sogar Enachs Erinnerungen Respekt vor diesem Ort oder auch einfach nur Panik vor einem königlichen Wutausbruch.

Tbc

@Shelley: So, das Dreamteam hat wieder zugeschlagen. Scheint eher ein Albtraum-Team zu sein. Tja, Glorfindel ist ja wirklich nicht empfindlich, aber ein blaues Pferd kann einen schon erschüttern, da braucht man viel, viel Trost. Zum Glück ist er Selbstversorger und die Mädels in Bruchtal dürfte er schon durch haben.

@feanen: Nee, rosa Asfaloth hätte ich nicht übers Herz gebracht. Glorfindel hätte ausgesehen wie ein Irrer auf einem Regenbogenpony.

@Airihnaa: Die Ratiopharm-Zwillinge? Stell ich mir ungefähr so vor:

Erestor sitzt auf der Bank und heult: Keiner liebt mich!

Elladan zu Elrohir: Anlügen können wir ihn nicht.

Elrohir in die Kamera: Aber dagegen gibt es doch auch etwas von Ratiopharm

Schleppen Erestor zu Elrond, Elladan: Er braucht ein Antidepressivum!

Elrohir: Von Ratiopharm natürlich.

Elrond *breites Lächeln*: Elrond's Johanniskrautöl, dann braucht man auch nicht lügen.

@Dani G: Die können sich gar nicht in sie verknallen, da macht Galen Hackfleisch aus ihnen und liefert es tiefgekühlt an Mystic zur Frikadellen-Produktion.

@Luna2003: Ein paar Tricks werden wohl erlaubt sein *hüstel*, immerhin ist sie ein bisschen Mensch. Alles Daddys Schuld.

@Loriel: War Asfaloth noch blau? Hm, Elronds Wissenschafts-Stirnreif mit der e=mc2-Rune aufs strubbelige Haupt gesetzt. Nö, der Apfel war für Erestor, der dürfte nicht soviel wiegen wie Asfaloth, wenn doch, wird's aber durch die Robe echt gut kaschiert. Bei Erestor hätte es eine Woche gedauert, bei Asfaloth schätzungsweise nur zwei oder drei Tage, höchstens. Also kein blauer Reiter auf der Strecke zwischen Bruchtal und Düsterwald gesichtet.

@Amélie: Ich habe auch mit Schrecken festgestellt, dass er gar nicht so übel ist. Etwas cholerisch, aber bei den Gästen können einem echt die Nerven durchgehen. Das mit dem Warnschild an der Alten Waldstraße sollte man sich wirklich überlegen. ‚Vorsicht! Waldelben! Flüchten Sie zu einer Spinne, wenn Ihnen einer begegnet.'

@Mystic: Der Schrecken des Elbentums hat wieder zugeschlagen. König der sieben Weinfässer? *kicher*. Nationalhymne in Düsterwald, große Tournee mit Roland Kaiser angekündigt.

Du verbündest dich mit Varya gegen den armen König? Er wird sicher bald nach Westen abreisen.

Forlos? Was hast du mit Forlos? Gut, er ist alt *nein, nicht wie Leirion*, groß, dunkelhaarig, hellblaue Augen und Krieger. Ich glaub, so sieht er aus. Außerdem gute Qualitäten als Kindermädchen für Elben unter 1000 Jahren. Trotzdem, der Elb war in Mordor, der hat ein Trauma. Die haben alle ein Trauma. Andererseits, wer in Mordor war, überlebt vielleicht auch Mystic.