Disclaimer: Alles gehört Tolkien bzw. seinen Erben. Nein, kein Geld, nur zum Spaß geschrieben.
10. Kapitel: Pläne und Strategien
Die vier Blätter waren mit der saubersten Schrift bedeckt, die ihm je in seinem Leben begegnet war. Nicht einmal war die Hand von einer graden Linie abgewichen, die Buchstaben schienen jedes Mal identisch zu sein. Einhundert Posten waren aufgelistet auf jedem der dicken, geschöpften Blätter, die einen leicht gelblichen Farbton hatten. Hinter dem aufgelisteten Gegenstand folgten eine kurze Beschreibung, der Ort seines Verschwindens und schließlich der Name des Eigentümers.
Die sichere Hand, die diese Liste erstellt hatte, musste es auch gewesen sein, die dann verstreut auf allen Seiten über einhundert der Namen mit einer akkuraten Linie ausgestrichen hatte. Niemals ein Zittern oder neues Ansetzen, obwohl jeder Strich gleichbedeutend mit einem Verlust von Leben war.
Sehr vorsichtig rollte Legolas die Blätter wieder zusammen und steckte sie in den Lederköcher zurück, in dem er sie von seinem Vater erhalten hatte. Dann lehnte er sich zurück und begegnete über den Frühstückstisch hinweg dem abwartenden Blick Thranduils.
„Sie sind sehr genau", sagte er und wich dem eigentlichen Problem zunächst aus.
„Ohja, das sind sie tatsächlich. Es dürfte nicht weiter schwierig sein, die Sachen zu erkennen, wenn man nach ihnen suchen würde."
„Galen steht auf der Liste." Legolas fühlte einen tiefen Schmerz bei dem Gedanken, was dem jungen Rhûna drohte. „Varya zum Glück nicht."
Thranduil schwieg. Die frühe Sommersonne hatte bereits strahlende Stärke erreicht und tauchte die beiden Elben, die vor den geöffneten Fensterflügeln des Balkons bei der ersten Mahlzeit des Tages saßen, in ihr goldenes Licht. Dieses gemeinsame Frühstück in Thranduils Gemächern hatte eine sehr lange Tradition. Selbst wenn sie sich den Rest des Tages nicht mehr begegnen würden, war dies die Stunde, in der die Geschicke des Königreiches von seinem Herrscher und dem, der ihm folgen würde, besprochen und bestimmt wurden.
„Gut dreihundert Namen sind noch offen", sagte Legolas, den Blick hinaus auf die Baumkronen gerichtet. „Sie werden alle sterben, wenn wir nichts unternehmen."
„Ein riskantes Unternehmen, mein Sohn. Nach den Beobachtungen unserer Kundschafter müssten wir weit in den Südwald. Die Ostlinge wurden in einer Siedlung der Waldmenschen nur wenige Tagereisen von Dol Guldur aufgespürt."
„Ich frage mich, warum dieser Hexer sich nicht in die Sicherheit der Festung begibt."
„Wer sagt dir, dass er dort willkommen wäre? Saurons Geschöpfe stehen nicht immer friedlich zueinander."
„Dennoch würden sie es, wenn wir das Walddorf angreifen. Wir sind ihr gemeinsamer Feind."
„In dieser Hinsicht unterscheiden wir uns wohl nicht. Bei allen Bedenken gegen die Rhûna würde ich sie niemals diesem Schicksal überlassen." Thranduil füllte seine Teetasse auf. „Außerdem können wir diesen Hexer nicht am Leben lassen. Wenn er mit den Rhûna fertig ist, wird er es bei uns versuchen, dann bei den Galadhrim und schließlich in Imladris. Es wäre zwar nicht so einfach wie in Rhûnar, unsere Ansiedlungen heimzusuchen, doch die Möglichkeit ist kaum auszuschließen."
„Die Nähe zu Dol Guldur ist ein Problem."
„Nicht, wenn die Festung selber beschäftigt ist."
Legolas schluckte leicht. „Du willst sie wirklich angreifen?"
„Celeborn wird uns unterstützen", schwächte Thranduil ab. „Und es wird auch kein wirklicher Angriff sein. Er zieht seine Galadhrim am Waldrand zusammen und wird so Aufmerksamkeit auf sich lenken. Wir selber werden von Nordwesten her in den Südwald einrücken."
Vor Legolas Augen entrollte sich die Strategie, die einigen Erfolg versprach. Andererseits kannte er auch den Südwald und wusste, dass selbst ein Scheinangriff nicht frei von Opfern sein würde. Nachdenklich musterte er seinen Vater, der scheinbar entspannt in seinem Stuhl lehnte. Ihn konnte er nicht täuschen, dafür waren ihm die winzigen Anzeichen der Spannung zu vertraut. „Du hasst derartige Kämpfe, Adar."
„Dennoch lassen sie sich nicht immer vermeiden", antwortete sein Vater mit einem freudlosen Lächeln.
„Und wer wird das Walddorf angreifen?"
„Nun, Imladris hat auch seinen Beitrag zu leisten, nicht wahr? Elronds Männer werden am Ostrand möglichst verborgen vorrücken und dann das Dorf attackieren. Elronds Söhne werden dabei sein, alle drei."
„Und ich auch", nickte Legolas.
„Du auch", bestätigte sein Vater widerstrebend. „Ich dachte mir schon, dass du so entscheiden würdest."
„Galen wird mitkommen wollen."
Thranduil seufzte. „Ich werde ihn nicht zurückhalten können. Außerdem ist es vielleicht ganz gut, wenn ein Heiler euch begleitet. Eure Abenteuer sind nicht immer unbedingt harmlos."
„Varya?"
Thranduil reagierte wie Legolas erwartet hatte. „Nur über meine Leiche."
„Befürchtest du, dass sie sich selbst in Schwierigkeiten bringt oder eher uns welche beschert?"
„Sie hat das Talent zu beiden", grollte sein Vater und fixierte dabei eine unschuldige Walderdbeere auf seinem Teller. „Außerdem halte ich es für keine gute Idee, die beiden Ithildrim zusammen zu lassen. Sie erinnern mich irgendwie an Elronds Söhne."
Legolas verbarg sein amüsiertes Schmunzeln hinter dem Rand der Teetasse. Den Eindruck hatte er seit dem gestrigen Abend auch schon. „Also bleibt sie hier."
Thranduil spießte die Erdbeere auf wie einen zu erlegenden Feind, grimmige Befriedigung im Blick. „Nein!"
„Nein?"
„Ich hänge sehr an diesem Palast", erklärte sein Vater sarkastisch. „Sie unbeaufsichtigt hier zu lassen, würde mich stark beunruhigen. Wahrscheinlich macht sie aus lauter Langeweile einen erneuten Ausflug in die Gefilde dunkler Magie und verwandelt ihn in einen Vulkan. Ich bin schon zu alt, um mir ein neues Zuhause zu suchen."
„Du hast wohl Recht", überlegte Legolas nur scheinbar ernsthaft. „Im Südwald habt ihr Zeit und Muße genug, auf sie aufzupassen."
„Bah, Elrond scheint einen mäßigenden Einfluss auf sie zu haben. Außerdem scharrt er ohnehin gerne die seltsamsten Gestalten um sich. Imladris ist ein wahres Nest davon." Thranduil erwärmte sich wieder einmal für dieses Thema. „Sieh dir nur diesen Waldläufer an, mit dem du so gerne herumhängst. Irgendwann soll er der neue Großkönig der Sterblichen werden und er kennt nicht einmal den angemessenen Gebrauch von Wasser und Seife."
„Adar…"
„Jaja, ich weiß, er hat andere Qualitäten", brummte sein Vater überraschend nachgiebig. „Du wirst es wohl besser wissen, sonst wärst du kaum so eng mit ihm befreundet."
„Estel ist aufrichtig und hat ein tapferes Herz."
„Für das, was vor uns liegt, wird er beides im Übermaß benötigen. Wir alle benötigen es und noch sehr viel Glück." Thranduils Miene verschloss sich. „Wir werden erneut Verluste zu beklagen haben. Der Tod ist zu oft Gast in unserer Mitte."
Legolas konnte nur schweigen. Der Schmerz seines Vaters war ihm vertraut. Ihn selber begleitete das Gefühl nun schon so lange, dass er manchmal glaubte, die Zeiten des Großen Grünwaldes waren nur eine Legende. Ersonnen von den Tawarwaith, um nicht völlig die Aussichtslosigkeit ihres Kampfes zu erkennen.
Beide Männer sahen gleichzeitig zur Tür, als es vorsichtig klopfte und dann Berelion in Begleitung eines Dieners den Raum betrat.
Der Berater gab sich nicht einmal wirklich Mühe, seine ausgesprochen gute Laune zu verbergen. „An welchen hattet Ihr gedacht, Hoheit?"
„Den mit dem grauen Samtbezug", erklärte Thranduil. „Setzt Euch, Berelion. Es ist noch etwas Zeit bis zur Besprechung."
Legolas beobachtete verwundert, wie der Diener einen der bequemen Kaminsessel ergriff und hinausschleppte. „Was stimmt nicht mit dem Sessel?"
„Euer Vater gab Anweisung, ihn in sein Arbeitszimmer stellen zu lassen."
„Und warum?"
„Damit ich frühmorgens wenigstens an meinen Schreibtisch komme", sagte Thranduil.
Legolas runzelte ratlos die Stirn. „An deinen Schreibtisch?"
Berelion untersuchte die Teekanne, ob für ihn noch genug übrig war. Legolas hätte schwören können, dass er kurz vor einem Lachanfall stand.
„Heute morgen fand ich meinen Schreibtischsessel besetzt vor", erklärte Thranduil. „Offenbar übt mein Arbeitszimmer eine magische Anziehungskraft auf deine Ithildrim-Heilerin aus. Sie muss dort seit gestern Abend tief und fest geschlafen haben. Hat dein Rhûna-Freund auch die Nächte in Elronds Arbeitszimmer verbracht oder pflegt er an gewöhnlicheren Orten zu nächtigen?"
„Mir ist nichts Ungewöhnliches zu Ohren gekommen."
„Wie beruhigend, dass sie nicht alle so exzentrisch sind." Thranduils Miene war ärgerlich, aber in den Tiefen seiner Augen leuchtete ein seltsamer Schimmer. Auch wenn viele meinten, der Sohn Orophers sei so hart wie Diamant, kannte Legolas das großzügige Herz seines Vaters und das tiefe Mitgefühl, zu dem er fähig war.
„Adar, ich verstehe es immer noch nicht", sagte er dennoch. „Du hast Varya in deinem Arbeitszimmer schlafend gefunden und nun lässt du einen Sessel hineinstellen? Es scheint mir einfacher, ihr den Zutritt zu verbieten und ein Schloss anzubringen. Hat sie wenigstens erklärt, warum sie ausgerechnet dort schlafen musste?"
„Wir konnten sie nicht aufwecken", erklärte Berelion. „Sie muss zu Tode erschöpft gewesen sein, so tief wie sie schlief."
„Ähnlich wie mit dem Kerker", warf sein König ein. „Da habe ich sie auch kaum wieder auf die Beine bekommen. In einem Verlies so friedlich zu schlafen…."
„Ihre Dienerin berichtete, dass Varya nur wenig Ruhe findet und von Albträumen gequält wird, seit die Erinnerungen dieser alten Heilerin über sie kamen", sagte Berelion.
„Soll sie also in meinem Arbeitszimmer Ruhe finden, solange sie nicht herumzaubert", erklärte Thranduil. „Aber nicht an meinem Schreibtisch. Gelegentlich habe ich schließlich auch zu arbeiten. Albträume, man stelle sich das vor. Ein so junges Geschöpf sollte noch nicht genug erlebt haben, um schlechte Träume zu haben."
„Galen kämpfte zum ersten Mal mit dreizehn Jahren", sagte Legolas. Bei der bloßen Vorstellung lief ein kaltes Gefühl sein Rückgrat hinunter. Galen konnte kaum groß genug gewesen sein, das Schwert zu halten. „Er erzählte es mir, als wir…"
„Als ihr was?" forschte Thranduil, weil sein Sohn mit leichter Röte im Gesicht abbrach.
„Wir machten einen Abstecher in Lord Elronds Weinkeller."
Sein Vater schmunzelte. „Hat er noch das Fass gondorianischen Eiswein, mit dem er immer so angibt?"
„Jetzt nicht mehr."
„Seht Ihr, Berelion, einen besseren Sohn kann man sich kaum vorstellen. Elrond war immer die wahre Pest mit diesem verdammten Wein. Jetzt gibt es nur noch den Vorrat in meinem Keller und den werde ich sicherlich nicht mit dem Halbelb oder meinem Cousin in Lorien teilen."
Die gute Stimmung der drei Männer hielt genau so lange vor, bis sie den Ratssaal betraten. Die Bruchtal-Lords mit Ausnahme von Glorfindel, Elronds menschlicher Schützling, Hauptmann Caeril von der Ostwache, auch Forlos und die beiden Ithildrim erwarteten sie bereits. Keiner von ihnen wirkte sehr entspannt, dafür war der Gegenstand dieser Versammlung zu ernst.
Thranduil ließ sich auf seinem Platz vor Kopf des langen breiten Tisches nieder, flankiert von Berelion und Legolas. Der Kronprinz nickte Estel kurz zu, der sich merklich unbehaglich fühlte, obwohl er auf der rechten Seite bei seiner Familie saß und lächelte dann die Ithildrim an. Beide waren nun in schwarzes Wildleder und graue Seide gekleidet. Sie sahen sich noch ähnlicher als am Tag zuvor. Sogar die Art, wie sie sparsam sein Lächeln erwiderten, war identisch. Der einzige Unterschied war der aufwendige Silberreif auf Varyas Stirn. Legolas blinzelte verwundert. Das Stück stammte eindeutig aus der Schatzkammer seines Vaters.
Eine Vermutung stieg in Legolas auf. Sein Vater hatte noch nie viel tröstende Worte gefunden, doch nach jedem Missgeschick seines Sohnes hatte sich mysteriöser Weise ein Geschenk in dessen Gemächern eingefunden. Gut möglich, dass Thranduil wieder zu dieser alten Angewohnheit gegriffen hatte. Er hoffte nur, Varya wusste die Geste auch richtig zu deuten. Sie hegte nicht gerade große Sympathien für seinen Vater.
Es war jedoch nicht die Zeit und der Ort dieses Rätsel vollständig aufzuklären, denn sein Vater eröffnete in gewohnt nüchterner Art die Beratung.
„Dieser Hexer ist nicht nur eine Bedrohung für die Rhûna sondern für jeden Eldar. Wir werden ihn also vernichten. Der Plan ist bekannt?"
„Celeborn stimmt zu", nickte Elrond. „Lady Galadriel sieht die Bedrohung noch stärker als wir. In Lorien wurde offenbar bereits beratschlagt, wie ihr zu begegnen sei."
„Schön, dass sie es uns jetzt schon mitteilt", grollte Thranduil in altbekannter Abneigung gegen die Noldo. „Wie wird Celeborn vorgehen?"
„Er wird mit fünfhundert seiner Galadhrim über den Anduin setzen und langsam aber deutlich gegen Dol Guldur vorrücken. Morgen früh marschieren sie los. In sieben Tagen erwartet er, den Waldrand zu erreichen. Celeborn möchte es vermeiden, in Düsterwald einzumarschieren. Er hofft, am Waldrand auf Verteidiger zu treffen."
„Das dürfte auch genügen", sagte Thranduil. „Oder benötigt Ihr mehr Zeit, Lord Elladan?"
Elronds Sohn schüttelte den Kopf. „Unser Vormarsch ist nicht so beschwerlich. Wir können am Waldrand entlang. Außerdem werden wir reiten."
„Die Meldungen unserer Späher sind beruhigend", sagte Caeril. „Zurzeit ist der Weg frei."
„Gut." Thranduil runzelte plötzlich die Stirn. „Wo ist eigentlich Lord Glorfindel?"
Elrond schloss einen Moment die Augen. „Er inspiziert unsere Krieger."
Legolas fing einen mehr als heiteren Blick der Zwillinge auf. Von wegen, erkannte er und unterdrückte mühsam ein Grinsen. Glorfindel war vielleicht auf Inspektion, aber sicher nicht bei den Bruchtal-Gardisten. Das letzte Mal, dass er den Vanya gesehen hatte, war am Vorabend auf dem Fest gewesen, in eine extrem intensive Unterhaltung mit der Tochter des Schatzmeisters versunken.
„Das wird ja dann wohl noch dauern", meinte Thranduil spöttisch. „Bei Eurer enormen Truppenstärke brauchen wir ihn wohl vor heute Nachmittag nicht zurückerwarten. Sein Pflichtbewusstsein verschlägt mir förmlich die Sprache, Lord Elrond."
„Mir auch", murmelte Elrond zähneknirschend. „Jedenfalls jetzt noch."
„Was geschieht, wenn wir diesen Hexer nicht sofort finden, wenn er das Dorf verlassen hat?" fragte Elrohir zur Erleichterung seines Vaters.
Die beiden Rhûna beugten sich angespannt in ihren Stühlen vor.
„Ihr werdet in jedem Fall versuchen, die Besitztümer aus Rhûnar zu finden", erklärte Legolas Vater ohne Zögern.
„Galen und Estel können sie dann in Sicherheit bringen", sagte Elrond. „Ihr anderen müsst versuchen, diesen Hexer zu finden. Erst wenn es aussichtslos erscheint, brecht ab."
„Sollte ich nicht besser bei den anderen bleiben?" fragte Estel.
Varya winkte eifrig. „Ich könnte doch stattdessen-„
„Niemals!" unterbrach Thranduil die Rhûnar-Heilerin, bevor sie den Satz überhaupt beenden konnte.
„Ich stimme König Thranduil zu", sagte Elrond. „Galen und Ihr seid die beiden besten Heiler Eures Volkes und Ihr selbst sogar diejenige, die nicht auf der Liste steht. Es wäre unverantwortlich, Euch gemeinsam dieses Risiko aufzubürden. Würde ich mir nicht sicher sein, dass ich Eurer Hilfe dringend bedarf, erschiene es mir sogar besser, Euch gar nicht in den Südwald mitzunehmen."
Misstrauisch musterte sie den Elbenlord, dessen Miene absolut offen und freundlich war. Legolas wünschte sich inständig, sein Vater besäße gelegentlich ein ähnliches diplomatisches Geschick.
„Wenn Ihr das so sehen wollt", sagte sie dann widerstrebend.
Neben Legolas atmete Thranduil kaum merklich auf. Ein Streit mit einem oder gleich beiden Ithildrim war sicherlich nicht das, was er unter einer angenehmen Beschäftigung verstand. Das Gespräch wandte sich den strategischen Einzelheiten zu, die von allen sehr aufmerksam und konzentriert besprochen wurden.
Nach fast zwei Stunden intensiver Besprechung näherte sich die Versammlung ihrem Ende. Die Beteiligten standen in kleinen Gruppen im Ratssaal, die meisten in recht unterschiedliche Gespräche versunken.
Legolas und Estel hielten sich etwas abseits auf. Dem Waldelben war der eher unglückliche Ausdruck auf dem Gesicht seines Freundes nicht entgangen.
„So ist es immer", beschwerte sich Estel gedämpft. „Elrond schickt natürlich mich wieder zurück mit Galen. Nicht Elladan oder Elrohir, nein - ich bin es."
„Hältst du es für eine so einfache Aufgabe, die Leben der Rhûna in Sicherheit zu bringen?"
„Einfacher als einen Hexer zu jagen."
Legolas fühlte mit ihm, verbiss sich aber jede mitleidige Äußerung. Elrond hatte lediglich die Kräfte und Erfahrung der Beteiligten gegeneinander abgewogen und dann wohl die beiden schwächsten Glieder aus der Kette genommen. In einigen Jahren, wenn Estel mehr Erfahrung bei den Waldläufern gesammelt hätte, würde dies anders sein. Doch noch war der Dunedain sehr hitzköpfig und die Risiken, die er einging, ließen selbst Legolas manchmal tief durchatmen.
Sein Vater, der irgendwie betont unauffällig zu ihnen schlenderte, zog jedoch seine Aufmerksamkeit auf sich. Üblicherweise suchte Thranduil nicht gerade die Gesellschaft des Menschen und Estel wirkte auch in Gegenwart des Königs immer recht unbehaglich.
„Ihr habt also den Rhûna in Imladris näher kennen gelernt", begann Thranduil. „Und?"
Die beiden jüngeren Männer runzelten ratlos die Stirn.
„Kann er kämpfen?" ergänzte Thranduil unfreundlich. „Legolas?"
„Er kann, Vater, und wie", nickte der Waldelbenprinz. „Mit dem Stock dürfte ihm wohl niemand etwas vormachen."
„Schwert und Bogen?"
„Galen erzählte gestern, dass Forlos nun wieder seine Kräfte zurück hat", erinnerte sich Estel. „Mit dem Schwert ist er also wohl nicht mehr so gut. Er benutzt es sowieso nicht und mit dem Bogen habe ich ihn noch nie erlebt."
Thranduil verschränkte die Arme vor der Brust. Sein Blick wanderte durch den Raum und blieb an den beiden Rhûna hängen, die in eine heftige Diskussion vertieft waren. Sie sprachen extrem leise, aber die Ithildrim verfügten über eine für Elben völlig untypische, sehr ausdrucksvolle Gestik. Die Beiden stritten, Eru allein wusste, über was.
„Ich will wissen, wie gut diese Verrückten sind", sagte Thranduil. „Noch heute. Ihr beide kümmert euch darum. Varya stocherte bei unserer ersten Begegnung mit einem Langdolch in der Luft herum. Legolas, nimm sie dir vor."
Einwände konnten gar nicht erst aufkommen, denn Thranduil drehte sich um und verließ den Ratssaal.
„Nimm sie dir vor?" echote Estel fassungslos. „Wie stellt er sich das vor, mein Freund? Du kannst sie schlecht an den Haaren auf den Übungsplatz zerren und in einen Kampf verwickeln."
Der Waldelb seufzte. „Wir brauchen die Hilfe deiner Brüder. Irgendetwas fällt uns schon ein – hoffe ich."
***
Nichts einfacher als das, dachte Aragorn am Nachmittag missmutig, nachdem er mit einem dumpfen Laut rücklings auf dem Grasboden aufschlug.
Galen stand grinsend über ihm, den Kampfstab auf Aragorns Kehle gerichtet, um seinem Gegner bei einem Ernstfall den Kehlkopf zu zertrümmern. „Und du meinst immer noch, eine scharfe Klinge ist allemal besser?"
„Der Blutverlust", erklärte Elladan gelassen von einer Bank an der Seite aus. „Er schwächt den Gegner, selbst wenn man keinen entscheidenden Treffer landen kann. Dein Stab ist einfach zu defensiv."
Varya neben ihm lachte laut auf. „Oh Galen, du bist wirklich hinterlistig. Wie konntest du nur? Ich dachte, ihr seid befreundet."
Der Rhûna grinste breit. „Bisher gab es einfach noch keinen Grund."
Aragorn ergriff die ausgestreckte Hand und ließ sich wieder auf die Beine ziehen. „Wovon redet sie?"
Varya schlenderte zu ihnen hinüber. In ihren Augen tanzten regelrechte Funken, als sie nach Galens Stab griff. „Gib schon her, du hattest lange genug deinen Spaß. Caranir hätte dich dafür verprügelt."
Jetzt kamen auch Legolas und die Zwillinge näher.
„Kannst du etwa auch damit umgehen?" wollte Legolas wissen.
„Nein", lachte sie. „Aber Caranir hat mich als Kind immer damit herumspielen lassen. Also, wie war das noch gleich?"
Mit einer Hand hielt sie fest die Mitte den Stabes umfasst, sie hob ihn waagerecht vor sich in die Luft. Kaum merklich bewegte sich ihr Daumen und im nächsten Moment öffneten sich die Silberhülsen an den Endes des Stabes und gaben den Blick auf spitze Klingen frei.
„Das glaube ich nicht!" rief Elladan empört. „Du hast die ganze Zeit falsch gespielt, Galen."
Sein Bruder untersuchte fasziniert die aufgeklappten Segmente der Hülsen, deren Ränder ebenfalls messerscharf waren. Sollte sich die Speerspitze tief genug in das Fleisch des Gegners bohren, würden diese Segmente in einem weiteren Kreis darum noch größeres Unheil anrichten.
Varya reichte ihm fröhlich den Kampfstab. „Caranir hat ihn selbst erdacht und auch geschmiedet. Seht ihn Euch ruhig an, Lord Elrohir. Ich bin sicher, Galen hat jetzt überhaupt nichts mehr dagegen."
„Habt Ihr eine ähnlich ungewöhnliche Waffe zu Eurer Verteidigung?" erkundigte sich Legolas bei Varya.
Wie subtil, dachte Aragorn und zog eine kleine Grimasse.
„Varyas Zunge", stichelte Galen etwas rachsüchtig. „Sie ist schärfer als jede Klinge, die ich kenne. Wir haben schon überlegt, ob wir sie das nächste Seeungeheuer ohnmächtig reden lassen."
„Oh, du glaubst doch wohl nicht, dass ich mich noch einmal in die Nähe dieser Biester wage", rief sie und schlug nach ihm.
Galen grinste sie breit an. „Natürlich wirst du das. Ein hilfloses Blinzeln, ein Schmerzensschrei aus einer Rhûna-Kehle und du kommst mit deiner Apotheke angerannt. Beim letzten Mal hat dich dieses Krakenbiest auch nicht interessiert, obwohl Caranir dich zurückhalten wollte. Es hat dich fast gefressen, Lirimaer."
„Fast", bekräftigte sie. „Fast ist nicht ganz. Dann müsst ihr eben beim Fischen besser aufpassen."
Vier Augenpaare betrachteten nachdenklich die beiden Rhûna. Diese kurzen, ungewollten Einblicke in ihr Leben sprachen immer wieder davon, wie unglaublich hart es in Rhûnar zugehen musste. Das zerbrechliche, zarte Aussehen der beiden täuschte perfekt über diese Tatsache hinweg.
„Wie verteidigt Ihr Euch, Heilerin?" beharrte Elladan. „Bogen?"
Diesmal lachte Galen, bis ihm die Tränen über die Wangen liefen. „Wenn sich das Ziel nicht bewegt und groß genug ist", japste er schließlich. „Oh, und es sollte nicht zu weit entfernt sein. Varya hat einmal fast Forlos abgeschossen, weil sie ihn für einen Bären gehalten hat."
„Er trug einen Pelzumhang", verteidigte sie sich nicht sehr verärgert. „Mit Kapuze und er stand im Halbschatten. Forlos ist ziemlich groß. Er hätte wirklich ein Bär sein können. Außerdem war ich in Gedanken bei diesem Stärkungsextrakt aus den Ondo-Kernen. Er hätte sich nicht so darüber aufregen sollen, ich habe ihn schließlich nicht getroffen."
Estel ließ sich mit einem etwas gezwungenen Lächeln auf der Bank nieder. Das klang alles nicht sehr gut. Varya mochte mutig sein und sich einer Krake in den Weg stellen, um einen Verletzten zu retten, aber ihre Verteidigung schien katastrophal zu sein. Andererseits war den Rhûna in dieser Hinsicht nicht wirklich zu trauen, die Klingen am Kampfstab sprachen für sich.
Legolas musste ähnliche Überlegungen angestellt haben. Anscheinend war er zu dem Ergebnis gekommen, dass sich wahre Gewissheit nur im direkten Kampf finden ließ.
Unvermittelt warf er Varya einen seiner Langdolche zu. „Zeigt mir, was Ihr könnt."
Reflexartig fing sie den Dolch auf, pure Überraschung auf dem Gesicht. „Wofür soll das gut sein, Prinz Legolas? Ich bin Heilerin."
„Ihr reitet morgen in den Südwald", erwiderte Legolas ruhig. Er nahm den zweiten Dolch und befreite ihn von der Hülle. „Auch wenn zweihundert Krieger bei Euch sind, kann es gefährlich werden."
Sie sah ihn einen Moment abschätzend an, dann reichte sie mit einem leichten Kopfschütteln die Hülle ihres Dolchs an Galen. Genau wie er es zuvor getan hatte, löste sie eines der Lederbänder von ihrem Handgelenk und fasste damit ihre Haare zusammen. Mit einem unglücklichen Seufzer trat sie zu Legolas auf die Grasfläche. Der Prinz hielt sich nicht lange mit Spielereien auf. Ohne Warnung drang er mit dem Dolch auf die Rhûna ein und prüfte bei jedem Schlag ihre Abwehr.
Sie hielt sich eher schlecht, fand Aragorn. Varya war lange nicht so schnell und geschickt wie Legolas, der dabei nicht einmal seine ganze Meisterschaft mit diesen Waffen zeigte, sondern eher herumspielte, aber sie erahnte zumindest seine Bewegungen. Sie würde ihr Leben wohl irgendwie schützen können, wenn der Angreifer nicht zu stark und schnell war. Ein Ork würde noch gehen, zwei würden eine ernstliche Bedrohung für sie sein.
Und sie wird niemals von sich aus angreifen', erkannte Aragorn ohne Überraschung. Es war offenkundig, wie sehr es ihr widerstrebte, anderes Leben zu nehmen oder zu gefährden, wenn nicht ihr eigenes davon abhing. Und selbst in diesem Fall war sich Aragorn nicht sicher, ob sie es über sich bringen würde, schnell und sicher genug zu töten.
„Ich denke, das reicht", erklärte Legolas, bevor er ihr in einer blitzschnellen Bewegung den Langdolch aus der Hand hebelte und die Waffe dann mit der Linken auffing. Zwei Klingen legten sich rechts und links auf ihre Schultern. Er hätte ihr jetzt den Kopf von den Schultern trennen können. „Varya, haltet Euch besser aus den Kämpfen heraus."
„Habe ich irgendwie den Eindruck erweckt, dies nicht zu tun?" erkundigte sie sich erbost. „Wer hat denn eben hier angefangen?"
Legolas schluckte verlegen. „Es sollte nur ein guter Rat sein."
„Wisst Ihr, was mir gerade auffällt, Hoheit?" Sie trat nahe an ihn heran und starrte zu ihm hoch. „Ihr seid Eurem Vater sehr viel ähnlicher, als gut ist. Noch ein paar Jahrhunderte und Ihr verschreckt zum Spaß kleine Kinder."
„Habt Gnade mit unserem Prinzen", lachte Elladan laut auf. „Er hat nur getan, worum er gebeten wurde."
„Das dachte ich mir." Ein vernichtender Blick landete wieder auf Legolas. „Richtet dem Tyrann aus, wenn er wissen will, ob ich mich verteidigen kann, soll er es gefälligst selbst herausfinden und nicht seinen Sohn vorschicken."
Mit diesen Worten rauschte sie vom Übungsplatz. Aragorn unterdrückte ein Lächeln. Gegen Thranduil hätte sie sich wahrscheinlich keine drei Atemzüge auf den Beinen gehalten. So mild wie sein Sohn wäre der König diese Übung kaum angegangen.
„Erus Licht!" stöhnte Legolas. „Sie hat sogar Recht. Das nächste Mal kann er sich selber mit ihr prügeln. Wie hältst du das bloß aus, Galen?"
Der Rhûna stützte sich gelassen auf seinen wieder normalen Kampfstab. „Einfach ignorieren, mein Freund. Dann wird sie zwar noch wütender, aber gewalttätig war sie eigentlich noch nie. Es gehen höchstens ein paar Krüge zu Bruch und denen kann man ganz gut ausweichen. Sie zielt auch noch sehr schlecht, weißt du."
Aragorns Blick wanderte zu einem der Balkone hoch über dem Übungsplatz, auf dem er drei vertraute Gestalten ausmachen konnte, die bereits seit einer ganzen Weile das Treiben beobachtet hatten. Elrond, Glorfindel und Thranduil würden schon dafür sorgen, dass Rhûnars hoffnungsvolle, silberhaarige Zukunft unversehrt aus diesem Abenteuer zurückkehrte.
Und er selber würde sich darum kümmern, dass das gleiche auch für Galen galt. Er war nun nicht mehr verärgert, dass Elrond ihm den Schutz des Rhûna anvertraut hatte.
***
Tbc
@feanen: Klar kannst du ihn ausleihen. Vorher wird aber empfohlen, den Kettenanzug für Haikontakte anzulegen, Oropax einzustöpseln und ein Fass Baldrian zu trinken. Achso, Thranduils Obstbrand aus Esgaroth wirkt noch besser *kommt später noch*.
@amlugwens ork: Der Ork hat eine romantische Ader *Sauron blinzelt verwirrt*. Oder soll das purer Sadismus werden? Wie zerstöre ich Düsterwald von innen?
@Airihnaa: Gut, die Bruchtal-Künstleragentur ‚Wir spielen alles, solange es lange Haare hat' unter Leitung von Lord Erestor, dem Geschäftstüchtigen, hat gerade Adlerpost nach RP geschickt, um die Verträge für eine Staffel zu verhandeln.
@Loriel: Brauchst du nicht auspacken, schwebt sowieso wie ein Damokles-Schwert über dieser Art von Geschichten. Ich meine, fast 3000 Jahre alt und albern noch herum? Ein Fuß steckt immer im AU, der andere krallt sich mit den Zehen noch auf ME fest. Das ist ff-freeclimbing *smile*, meine liebste Sportart.
Nun zur Ausrede der Autorin: Galadriel ist ja auch nicht reinblütig *flöt*, immerhin war die Oma eine Vanya und daher auch Goldlöckchens Erscheinungsbild. Ansonsten sind die Noldo dunkelhaarig. Wenn der gute Glorfindel also ebenso goldfarben ist *dreh einmal um die Achse, von hinten durchs Knie geschossen und Logik gequält* besteht natürlich die Möglichkeit, dass er Vanya-Abstammung hat, den Noldor-Teil und sonstige Beimischungen großzügig ignoriert. *Pfft, Schweiß abwisch*
Übrigens waren die anderen vier zivilisiert gegen die beiden und geknutscht wird hier sowieso nicht! Die haben zu kämpfen und zu heilen.
@Luna2003: Es ist immer der Daddy, wer sonst? Eigene Selbstschuld gibt's nicht. Nicht bei der lieben Arwen.
@Shelley: Probleme mit dem Forum? Ach nee? Völlige Überraschung zeig!
@Eowyn: Hallo und danke. Hm, mir tut er auch leid *grübel*
