Disclaimer: Ja, jetzt die Überraschung...Alles gehört Tolkien bzw. seinen Erben, mir nix.
13. Kapitel: Mandos
Thranduil verdankte es nur seinen langen Erfahrung, dass er ruhig blieb angesichts dessen, was da gerade in einer unüberschaubaren Rotte aus dem Unterholz auf sie alle zu kam.
„Erus Licht! Was ist das?"
Er blieb dem Herrn von Bruchtal die Antwort schuldig. Wildschweine, bei flüchtiger Betrachtung, konnte man annehmen. Allerdings waren diese Geschöpfe groß wie Rinder, mit rotleuchtenden Augen und Hauern so lang wie ein Männerunterarm. Thranduil wich um Haaresbreite einem dieser Monster aus, das mit purer Blutgier im Blick auf ihn zugerast kam. Der Luftzug, den das vorbeirasende Tier erzeugte, war geschwängert von einer übelriechenden Mischung aus dem natürlichen Geruch dieser Tiere und einem Hauch Verwesung.
Die Panik, die für einen Moment unter den Elben angesichts dieses bislang unbekannten Feindes ausgebrochen war, legte sich bereits wieder. Thranduil bemerkte, dass ein Teil der Bogenschützen die Bäume erklomm, um aus dieser sicheren Höhe die Tiere abschießen zu können. Die anderen versuchten, sich so zu formieren, dass sie die Verletzten schützen konnten, die immer noch unter der Eiche lagerten.
„Dorinion!" brüllte Thranduil quer über das Schlachtfeld und zeigte auf die Baumkrone. „Schafft die Verletzten nach oben. Macht schon!"
Ihm blieb nicht die Zeit, sich davon zu überzeugen, dass man seinen Befehl auch befolgte. Auf einen Zuruf Glorfindels drehte er sich um und fand sich Auge in Auge einem dieser Keiler gegenüber. Geifer tropfte aus den Fängen des Tieres, während es gleichzeitig mit einem unheilvollen Glühen in den Tiefen seiner Augen erst ihn und dann das Schwert in seiner Hand musterte. Ein kurzes Schnauben, dann rannte es ungeachtet der Klinge mit gesenktem Kopf auf ihn zu. Thranduil wich aus und stieß dem Tier sein Schwert in die Seite. Sie jagten im nördlichen Düsterwald die viel kleineren Artgenossen mit Speeren und dabei hatte er niemals den Eindruck gehabt, in einen massiven Fels zu stoßen. Hier war es jedoch genau so. Er spürte den Schlag bis hinauf in die Schulter.
Der Stich in die Flanke verletzte es zwar, machte es aber auch wütend, sehr wütend. Es stoppte ab, drehte sich sofort wieder um und tobte erneut auf ihn los. Wieder gelang es ihm, auszuweichen. Diesmal allerdings noch knapper und einer der Hauer erfasste seinen Schwertgürtel. Thranduil wurde herumgerissen und mit einem kurzen Schütteln des massigen Schädels durch die Luft geschleudert.
Der Aufprall auf dem weichen Waldboden war zum Glück nicht schmerzhaft und er kam schnell wieder auf die Füße. Dieser Keiler hatte offenbar vor, mit ihm Spiele zu treiben, denn er wartete dies erst ab, bevor er wieder auf ihn zu stürmte. Pfeile trafen ihn auf seinem Weg in den Rücken, verloren jedoch zuviel Kraft in dem dicken, borstigen Fell und der harten Haut des Tieres, um es wirklich aufzuhalten.
Drei weitere Attacken später standen sie sich gegenüber und wussten beide, dass die Entscheidung nun fallen würde. Mit einem tiefen Atemzug fasste Thranduil sein Schwert fester und wartete darauf, dass der Keiler ein letztes Mal versuchen würde, ihn zu töten. Die Kreatur nötigte ihm beinahe widerwilligen Respekt ab, so unbeeindruckt war sie von den vielen Wunden. Das Tier war bereits vom Tod gezeichnet, mit jedem Atemzug trat blutiger Schaum aus seinem Maul, Blut strömte auch aus den Wunden, die ihm von Thranduils Schwert in den Flanken und dem halben Dutzend Pfeilen in seinem Rücken beigebracht worden waren. Dennoch lag noch immer der ungebrochene Wille darin, den Elb in Stücke zu reißen.
Der Keiler kratzte mit dem gespaltenen Vorderhuf einmal im Waldboden, dann stürmte er los. Diesmal blieb Thranduil fast bis zum Zusammenprall ruhig stehen. Er hörte Warnschreie seiner Krieger, reagierte aber nicht. Erst, als kaum mehr ein Schritt zwischen ihnen lag, wich er leicht zur Seite aus, drehte das Schwert in der Hand und rammte es dann tief zwischen die Schulterblätter des Keiler. Der Tod kam schneller, als sein Angreifer es überhaupt begriff. Mitten im Lauf zerteilte die Elbenklinge das Herz und die Vorderbeine des Keilers knickten ein, er überschlug sich und blieb reglos liegen.
„Meine Hochachtung!" Glorfindels Stimme riss ihn aus seiner leichten Erstarrung. Der blonde Elb rannte mit einer Handvoll Krieger an ihm vorbei, um anderen zu Hilfe zu kommen, die eines der wenigen verbliebenen Tiere einzukesseln versuchten. Thranduil zerrte sein Schwert aus dem Kadaver und folgte ihnen.
Sie hatten den Angriff fast überstanden, stellte er bei einem Rundblick fest. Die meisten der Keiler lagen bereits tot am Boden. Um die anderen hatten so viele Krieger jeweils Aufstellung genommen, dass es auch hier nur noch eine Frage der Zeit sein konnte. Elrond fand sich unter der großen Eiche, Forlos und einige andere waren bei ihm. Sie versuchten, drei Verletzte zu schützen, die man nicht in die Baumkrone hatte schaffen können. Die Rhûnar-Heilerin stand zwischen den hilflosen Elben, die man bis an den mächtigen Baumstamm gezogen hatte. Wahrscheinlich würde sie sich eher mit ihrem lächerlich zierlichen Langdolch auf eines der Biester stürzen, als einen der Verletzten preiszugeben. Doch so, wie die Lage unter der Eiche war, würde es wohl nicht so weit kommen.
An Glorfindels Seite zu kämpfen war etwas, das Thranduil beinahe als angenehmen Zeitvertreib bezeichnet hätte. Der Vanya besaß nicht nur die Gabe, sich auf seinen Gegner einzustellen, sondern auch auf seine Mitstreiter. Gemeinsam rückten sie gegen ein besonders großes Exemplar dieser verunstalteten Wildschweine vor. Thranduil verzichtete darauf, das Kunststück von zuvor noch einmal zu wiederholen. Es waren genug Elbenkrieger dabei, um die Kreatur von einer Richtung in die andere zu locken und ihr dabei so viele Verletzungen zuzufügen, dass sie schließlich röchelnd in die Knie brach. Glorfindel versetzte ihr den Todesstoß.
„Dies war kein selbstgewählter Hass", murmelte der Krieger mit einem Anflug von Mitleid in der Stimme. „Die dunkle Hand ist gnadenlos in der Wahl ihrer Kämpfer."
Thranduil kannte dieses Gefühl und er verstand ihn. Wann immer eine neue Teufelei über die Geschöpfe Düsterwalds hereinbrach, empfand er ähnlich. Es änderte nichts daran, dass er jeden Feind gnadenlos verfolgte, aber zumindest für diese Kreaturen bewahrte er sich einen Rest von Bedauern.
Er schloss einen Moment die Augen und ließ die plötzliche Stille auf sich wirken. So war es immer am Ende eines Kampfes. Gleich würden die Geräusche wieder aufleben. Das Stöhnen der Verletzten, die Zurufe der Überlebenden. Nur einen Moment wollte er sich in der Stille verlieren, bevor er herumwandern und in die Gesichter der Toten sehen musste.
Später wunderte er sich, dass er je hatte annehmen können, dieses Unternehmen würde so sein wie die in den Jahrtausenden zuvor. Aber das war später und der Moment, als ein seltsamer Laut an seine Ohren drang, war einfach nur ein Schock. Es war der Ausruf einer bis in die Tiefe vom Schmerz getroffenen Seele, der nicht laut war, dennoch jeden der Überlebenden erreichte.
Beinahe widerstrebend drehte sich Thranduil um. Ein eiskaltes Gefühl griff nach ihm, als er seinen Blick auf die große Eiche richtete und er am Boden die Rhûna knien sah, ihre silbernen Haare mit den dunklen des Elben in ihren Armen zu einem Vorhang aus Schatten und Licht verwoben.
„Elrond..." Glorfindels Stimme verzerrte sich vor Entsetzen und er rannte los.
***
Rötliche Nebel tanzten vor Legolas Augen, während er versuchte, sich aus dem Griff des Orks zu befreien, der ihn von hinten an der Kehle gepackt hatte.
‚Dies war der schlechteste Plan, den wir je gehabt haben' ging es ihm unwillkürlich durch den Kopf. ‚Den ELLADAN je gehabt hat!'
So viele werden hinter der Tür nicht sein – Elladans Worte! – wir stürmen rein, überraschen sie und schnappen uns diesen Zauberer.
Also waren sie reingestürmt, damit endete aber auch schon die Verwirklichung dieser genialen Strategie.
Legolas würgte bereits. Nur undeutlich nahm er wahr, dass Estel über den Gang zu ihm gerannt kam.
Sie waren in einer verblüffend großen Höhle gelandet, in die eine breite Steinrampe hinunterführte. Kein Ork weit und breit. Jedenfalls anfangs nicht, als sie die Rampe heruntergingen. Sie waren kaum unten angekommen, als hinter jeder der dicken Steinsäulen, die in regelmäßigen Abständen die Höhlendecke stützten und mit armdicken Eisenstäben im oberen Drittel verbunden waren, eines dieser Biester hervorgesprungen kam. So viel zu einem Überraschungsangriff.
Legolas hatte sich nicht die Mühe gemacht, die Säulen zu zählen, doch nach der Menge der Orks zu schließen, waren es mindestens zwanzig. Zwanzig Säulen, zwanzig Orks und drei Elben. Sechs zwei Drittel Ork für jeden Elb. Elladans Plan war perfekt! Was waren schon sechs zwei Drittel Ork für einen Elb?
Wahrscheinlich lag es an dem Zwei-Drittel-Ork, dass Legolas jetzt kurz vor Ersticken stand und Elrohir wie ein Grabwicht durch die Höhle raste, drei Verfolger an den Fersen, die mit lautem Gebrüll und erhobenen Schwertern nach seinem Leben gierten. Elladan krönte das Ganze, indem er in luftiger Höhe wie eine durchgedrehte Fledermaus kopfüber an einer der dicken Eisenstangen zwischen den Säulen hing. Unter ihm hatten sich wütende Orks versammelt, die versuchten, ihn mit ihren Schwertern zu erreichen. Bisher war es ihnen zum Glück nicht gelungen. Der Elb erreichte sie zwar, zuckte aber immer rechtzeitig nach oben, wenn ihm das gleiche Schicksal drohte. Eru allein wusste, was ihn nach dort oben verschlagen hatte.
Der Urheber dieses grottenschlechten Plans war damit eigentlich in der sichersten Lage. Das nahm Legolas jedenfalls an. Seit er losgerannt war, um wenigstens Unterstützung von Estel heranzuholen, gefolgt von diesem Ork, dessen Hände nun um seinen Hals lagen, hatte er sich nicht mehr sehr um Elladans akrobatische Kampfeinlage gekümmert.
„Was ist los?" rief Estel, der es endlich bis zu ihm geschafft hatte.
Legolas deutete röchelnd hinter sich. Nicht, dass der Ork besonders klein war und deswegen Estels an und für sich scharfen Augen entgehen konnte, aber wenn schon wertvolle Zeit zum Atmen verschwendet wurde, dann richtig. Ihm quollen fast schon die Augen aus den Höhlen und er war sicher, dass seine Lippen ein tiefes Blau angenommen hatten, als Estel das Schwert unter Legolas Arm hindurch in den hartnäckigen Würger bohrte. Selbst im Tod wollte dieses Biest nicht aufgeben. Die Hände immer noch gleich fest um den Hals des Elben gelegt, fiel er nach hinten um und riss den Elb mit sich.
„Der Kerl hängt an dir", grinste der Waldläufer.
Legolas hätte eine Menge dazu zu sagen gehabt, wenn er noch einen Ton herausbekommen hätte. So lag er rücklings auf dem toten Ork, strampelte etwas hilflos mit den Beinen und bemühte sich, den Würgegriff zu lösen.
Estel beugte sich über ihn und half ihm dabei, die Finger des Ork zu brechen, damit dieser den Griff endlich lockerte.
„Ich sage nur Hintereingang", meinte er mit einem sardonischen Lächeln. „Meine Rippe, dein Hals. Wir sind quitt."
Keuchend und hustend kam Legolas endlich auf die Beine. Sein Hals schmerzte, als hätte er eine ganze Flasche dieses höllischen Obstbrandes seines Vaters heruntergekippt, ihm war immer noch leicht schwindelig und seine Stimmbänder verweigerten den Dienst. Ihm lagen zwar einige deutliche Flüche auf den Lippen, die er bei der Leibgarde Thranduils aufgeschnappt hatte und immer für besondere Anlässe aufsparte, aber nicht einmal ein Flüstern kam aus seinem Mund.
„Später", nickte Estel verständnisvoll.
In stillem Einverständnis fuhren sie beide herum. Elrohir hatte es aufgegeben, um die Säulen herumzurennen. Mit Estels Ankunft war das persönliche Kontingent ohnehin auf fünf Orks geschrumpft, wobei insgesamt sieben sowieso schon tot am Boden lagen, drei drangen auf Elrohir ein, sechs sprangen mit wachsender Verzweiflung unter Elladans luftigem Kampfposten herum und vier stampften gerade in einem dichten Pulk die Rampe hinauf.
Legolas riss seinen Bogen vom Rücken, was ohne den würgenden Ork von eben nun endlich möglich war. Er schaffte es zumindest, zwei von den vieren auszulöschen, bevor sie zu nah waren. Auch die beiden anderen überlebten nicht wirklich lange. Eins zu eins war schließlich ein Verhältnis, das Legolas immer am liebsten gewesen war.
Elrohir hatte einen seiner Orks mittlerweile niedergestochen. Einen zweiten nahm sich Legolas mit dem Bogen vor. Einen nur, denn auch Elladan drohten gerade tödliche Schwierigkeiten. Selbst Orks begannen irgendwann zu denken. Ihnen war aufgegangen, dass sie dem über ihnen hängenden Elb mit ihren Schwertern kaum erreichen würden. Zwei der sechs waren losgestapft und hatten aus einem Winkel der Höhle ihre Bogen geholt. Die beiden waren jetzt wichtiger als der eine, der für Elrohir keine wirkliche Gefahr mehr war. Elladans Zwilling zeigte auch bereits heftig in Richtung seines Bruders.
Legolas legte einen Pfeil ein und zielte sorgfältig auf den ersten Bogenschützen. Der Ork hatte ihn noch nicht bemerkt, regelrecht versunken in seine Aufgabe visierte er Elronds Erbe an, der gerade einem unvorsichtigen Ork unter ihm ein Ohr abgeschlagen hatte. Bevor der Elb sein Leben mit einem schwarzen Pfeil in der Kehle aushauchen konnte, hatte Legolas den Heckenschützen auch schon getötet.
„Elladan!" schrie Estel quer durch die Höhle und rannte mit gezogenen Schwert auf seinen Bruder zu. „Hör auf rumzuspielen."
Legolas konnte den anderen Bogenschützen nicht ins Visier nehmen. Der hatte durch den Tod seines Kumpanen die Gefahr erkannt und hielt sich hinter einer Säule versteckt. Legolas wollte Elladan eine Warnung zurufen, aber seine Stimme brachte nicht einmal ein verständliches Flüstern zustande. Mit einem stillen Fluch auf den Lippen lief auch er nun wieder weiter in die Höhle herein und gestikulierte dabei wild. Er sah den Pfeil, sah jeden einzelnen Meter, den dieses Ding durch die Luft flog. Als es in Elladans linkem Oberarm landete, hatte auch Elronds Sohn endlich verstanden, wovor Legolas ihn mit seinen aufgeregten Gesten warnen wollte.
Mit einem Schmerzensschrei verlor Elladan die Kontrolle über seine artistische Haltung und hing einen Moment von der Stange mitten zwischen den noch verbliebenen Orks. Es wäre sein Ende gewesen, wenn nicht gleichzeitig Estel, Legolas und auch Elrohir eingetroffen wären, um Mordors Geschöpfe davon abzuhalten, den Elb einfach abzuschlachten. Elrohir stürzte sich mit einem wütenden Schrei auf den Bogenschützen und trieb ihn nun seinerseits durch die Höhle vor sich her.
Legolas und Estel stellten sich schützend unter den verletzten Elb, der sich nur mühsam wieder hochziehen konnte. Zum Glück waren die restlichen Orks schon verletzt und es dauerte nicht lange, bis sie sie niedergemacht hatten. Dann standen sie beide nebeneinander und blickten hinauf zu dem über ihnen baumelnden Elladan.
„Lass dich fallen!" befahl Estel. „Wir fangen dich auf."
„Vielleicht", krächzte Legolas noch sehr leise.
„Was soll das heißen – vielleicht?" empörte sich Elladan stöhnend. „Ich bin verletzt."
„Wer ist das nicht?" meinte Estel achselzuckend. „Also, sollen wir dich jetzt auffangen oder willst du weiter von der Decke runterbluten?"
„Bemüht euch wenigstens", bettelte Elladan.
Die beiden nickten nur und stellten sich in Positur. Gerade als Elladan seine Beine von der Stange löste, stürmte mit lautem Gebrüll der letzte Ork zwischen ihnen durch. Erschrocken sprangen sie beide einen Schritt zurück. Der Ork ignorierte sie, Elrohir, der ihm dicht auf den Fersen folgte, schien ihm wichtiger. Elrohir kam nicht zu seinem Ziel. Estel stieß zwar noch einen Warnruf aus, aber im nächsten Moment landete Elladan auf seinem eigenen Bruder und beendete damit die Verfolgungsjagd.
Guter Plan! grollte Legolas erneut. Er nahm seinen Bogen wieder vom Rücken und verfolgte den Weg des flüchtenden Orks, der noch gar nicht bemerkt hatte, dass sein Verfolger gar nicht mehr hinter ihm war. Ein Pfeil genügte, als der einsame Flüchtling zwischen zwei Säulen auftauchte. Damit war auch die letzte der Ork-Wachen ausgeschaltet. Legolas fragte sich allerdings, was sie hier eigentlich bewachen sollten. In dieser Höhle war nichts außer zwanzig jetzt toten Orks und einer gleichen Anzahl Steinsäulen.
Eingedenk des Hintereingangs im Erdgeschoss beschloss er, diesmal sicher zu gehen. Er wanderte etwas umher, um auch den Bereich hinter der letzten Säulenreihe genau untersuchen zu können. Diesmal wurde er belohnt. Im Dunkel war schemenhaft ein schmaler Durchgang zu entdecken.
„Es gibt noch einen weiteren Raum", flüsterte er heiser, als er wieder bei seinen Freunden war.
„Wie schön", knirschte Elladan mit zusammengebissenen Zähnen. „Wenn ich Estels Behandlung überlebe, sehe ich ihn mir an."
Er lehnte mit dem Rücken an einer der Säulen unweit seines recht benommenen Bruders, der ungläubig seine Nase betastete, aus der unablässig Blut tropfte. Der Orkpfeil ragte auf wundersame Weise auf beiden Seiten von Elladans Arm hinaus. Er musste ihn bei seinem Sturz versehentlich durchgestoßen haben.
„Kein Gift", verkündete Estel.
„Ich bin ein Glückspilz", zischte Elladan. „Unternimm etwas, Estel!"
Sein menschlicher Bruder runzelte die Stirn. „Er muss raus."
„Du kannst ihn nicht rausziehen."
„Das habe ich auch nicht vor. Ich drücke ihn ganz durch."
Elladan starrte erst auf die schmutzige Befiederung am Ende des Pfeils und dann auf Estel. „Du machst Witze!"
„Nein. Ich schneide den oberen Teil ab, dann geht es." Estel zog seinen Dolch und setzte ihn an dem dicken Holzschaft an. „Elrohir, hilf mir. Du musst den Pfeil festhalten."
„Ich kann nicht", nuschelte Elladans Zwilling. „Meine Nase ist gebrochen. Ich verblute gerade und er ist Schuld daran."
Legolas kniete sich wortlos an Estels Seite und packte den Pfeil zu beiden Seiten des Arms. Estel nickte ihm kurz zu, dann begann er mühsam, das widerspenstige Holz durchzusäbeln. Elladan wurde immer blasser, Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn. Es war für alle eine Erleichterung, als das eine Ende endlich fiel. Estel zögerte nicht mehr lange. Mit einem kurzen Ruck zog er den Rest heraus. Dann angelte er ein halbwegs sauberes Tuch aus seiner Tasche und versorgte die Wunde mit einem festen Verband. Ein zweites Tuch warf er Elrohir zu.
„Drück es gegen deine Nase, dann hört die Blutung gleich auf", befahl er.
Mit einem leichten Heulen gehorchte Elrohir und kam wieder auf die Beine. Auch Elladan hatte sich wieder gefasst. Er streckte Estel die Hand hin und ließ sich hochziehen.
„Da ist ein Durchgang?" erkundigte er sich bei Legolas.
Der Waldelb nickte nur. Wenn Elronds Sohn jetzt wieder mit einem seiner genialen Pläne auftrumpfte, würde er den halben Ork-Pfeil nehmen und zwischen Elladans Augen versenken.
„Solltest du nicht eigentlich bei Galen sein?" Elrohir war nicht sehr gut durch das Tuch zu verstehen.
„Wir habe alles gefunden", erklärte Estel. „Es ist zuviel, um es wegbringen zu können. Ich habe Galen dort gelassen und ihm gesagt, er soll es anstecken, wenn ich nicht wiederkomme und dann verschwinden."
„Dann fehlt uns nur noch sein Jagdmesser", sagte Legolas. „Gehen wir es also holen."
„Vielleicht sollten wir zuerst-„ begann Elladan.
„Kein Plan!" warnte ihn Legolas. „Der letzte war genug für die nächsten hundert Jahre. Wir werden einfach dort reingehen und es holen. Punkt!"
„Du wirst deinem Vater immer ähnlicher."
„Im Moment nehme ich das als Kompliment. Leider kann ich das gleiche von dir nicht behaupten."
Estel rollte mit den Augen und setzte sich in Bewegung. Ihnen blieb nichts anderes übrig als ihm zu folgen.
***
Wie hatte es nur geschehen können?
Der Kampf war fast vorbei und sie hatten ihn alle gut überstanden. Die meisten Verletzten waren hinauf in die Baumkrone geschafft worden. Nur drei, deren Rückenverletzungen eine derartige Kletterpartie noch nicht zuließen, hatten auf dem Waldboden bleiben müssen. Die Brüche der Wirbel waren zu frisch erst verheilt, um sie jetzt einer besonderen Belastung aussetzen zu können.
Nur einen Moment war Varya vor Angst fast gestorben, als diese Ungeheuer den Angriff begannen. Sie kannte einige seltsame Geschöpfe, viele davon gefährlich, denn der Wald von Rhûn war wild und geheimnisvoll. Doch diese Kreaturen, die den Elben nun nach dem Leben trachteten, waren ihr nicht nur fremd, sie verbreiteten auch das Grauen einer Berührung durch die dunkle Hand.
Ihre Angst hatte sich sofort wieder gelegt, als Thranduils Männer bei ihnen auftauchten und den leichter Verletzten hinauf in die Baumkrone halfen, während andere dabei den Schutz am Boden übernahmen.
„Diese drei nicht", befahl Elrond, der wie aus dem Nichts mit gezogenem Schwert unter der Eiche erschien. „Es wäre ihr Tod. Wir müssen sie hier schützen."
Varya hatte zwar ihren Dolch gezogen und lächelte den drei Verletzten ermutigend zu, aber sehr viel half das nicht. Einer davon erwiderte wenigstens ihr Lächeln.
„Macht Euch keine Sorgen", meinte er dann. „Euch wird nichts geschehen, Heilerin."
Wunderbar. Sie runzelte leicht die Stirn. Wer von ihnen stand denn noch auf eigenen Beinen und hielt eine Waffe in der Hand?
Zumindest die Gegenwart des Herrn von Imladris verströmte Zuversicht. Unangefochten in seiner Autorität dirigierte Elrond diesen Verteidigungsring. Forlos stand ihm zur Seite, immer einen wachsamen Blick auf Varya, der überhaupt nicht der Sinn danach stand, diesen erfahrenen Kriegern wieder ins Gehege zu kommen.
Wahrscheinlich dauerte der Kampf nur wenige Minuten, doch Varya erlebte ihn wie eine ganze Ewigkeit. Wohin sie auch blickte, spielten sich die erbittersten Kampfszenen ab. Sie hätte es nicht für möglich gehalten, aber ausgerechnet die drei Elbenfürsten selbst gehörten zu denen, die noch die meisten Risiken eingingen.
Glorfindel konnte man gar nicht zuschauen, so blendend war das Schauspiel, das er bot. Die Krieger Rhûnars waren außerordentlich und selbst in ihrem kurzen Leben hatte Varya genug der Auseinandersetzungen in ihrer Heimat erlebt, um die Perfektion dieses Elben beurteilen zu können. Mit dem Schwert war er der goldene Tod selber. Nichts störte die pure Harmonie seiner Bewegungen und nichts nahm ihr die Endgültigkeit für seine Feinde.
Sein silbernes Gegenstück war der Waldelbenkönig. Beinahe wäre es ihr lieber gewesen, er hätte sich im Kampf als nur durchschnittlich herausgestellt. Doch den Gefallen tat er ihr einfach nicht. Kein Wunder, dass seine Krieger so unbedingt loyal waren. Allein dieser beängstigende Tanz, den er regelrecht mit einer der Kreaturen aufführte, erfüllte sie mit Entsetzen. Es schien ihm nicht in den Sinn zu kommen, sein Leben zu schützen. Er war der König der Waldelben, sich so in Gefahr zu begeben, sollte ihm verboten sein.
Noch etwas unterschied Glorfindel und Thranduil. Während der Vanya von einem inneren Feuer getrieben schien, verströmte Thranduil beinahe eisige Kälte. Varya ertrug es nicht, dann auch noch zuzusehen, als beide gemeinsam kämpften.
Lieber wandte sie ihre Aufmerksamkeit den Verteidigern in ihrer Nähe zu. Forlos war ihr vertraut, ihr Leben lag nicht zum ersten Mal in seinen Händen. Selbst mitten im Kampf fand er den Augenblick, ihr beruhigend zuzublinzeln. Es schien ihn noch zu beflügeln, an Elronds Seite zu sein. Sie konnte ihn verstehen. Der Herr von Imladris schien niemals zu zögern, die Quelle seiner Kraft war nicht der Kampf selbst sondern der Wille, die ihm anvertrauten Geschöpfe zu schützen. Er war brillant und dennoch beschränkte er seine Aktionen auf das Nötigste. Auch verlor er nie seine Mitstreiter aus den Augen.
Dieser Überblick war es auch, der ihnen schließlich allen das Leben rettete. Die Kreaturen waren nicht nur blutgierig, sondern auch mit einer gewissen Schläue beseelt. Einer der Keiler raste wie von Sinnen immer wieder gegen die Linie der Elben an. Nichts schien ihn aufhalten zu können. Egal, wie viele Elben auf ihn einstachen, er versuchte es erneut. Immer mehr konzentrierten sich auf das Tier. Mitten in einer neuen Attacke fuhr Elrond plötzlich wie von einer Ahnung gewarnt herum.
„Ein Ablenkungsmanöver!" rief der Elbenlord.
Varya folgte seiner Blickrichtung und erstarrte förmlich. Zu ihrer Linken hatte sich eines dieser Monster regelrecht herangeschlichen. Die Verteidiger konzentrierten sich jedoch auf der anderen Seite und so war die Flanke beinahe ungeschützt. Das Monster würde die Verletzten einfach niedertrampeln und Varya dabei in Stücke reißen. Bevor sie sich dem Tier mit Todesverachtung entgegenstellen konnte, nur diesen unnützen Langdolch in der Hand, war Elrond auch schon an ihr vorbei.
Sie sah einen Schatten, hörte die Geräusche und vielleicht schloss sie auch die Augen. Wirklich bewusst war es ihr nicht. Es mochten nur Sekunden gewesen sein. Als sich ihr Blick wieder klärte, ungläubig über das glitt, was dort vor ihr war, weigerte sich ihr Verstand zunächst, es wirklich wahrzunehmen. Es war einfach nur ein Bild, die Darstellung eines beendeten Kampfes, eines erlöschenden Lebens.
Das zuckende Monster, das auf der Seite lag, nur wenige Schritte von ihr und den Verletzen entfernt...das war nicht der Grund ihres Schreckens. Ihre Augen suchten und fanden des reglosen Körper des Elben, weit entfernt von der Kreatur. Er war durch die Luft geschleudert worden, Blut bedeckte ihn.
Dann kehrte das Leben in sie zurück. Mit einem Aufschrei rannte sie zu ihm, sank neben ihm auf den weichen Waldboden und erkannte mit wachsendem Entsetzen die riesige, klaffende Wunde in seiner Brust. Sie presste ihre Hände auf den zerstörten Brustkorb und nahm die Natur der Verwundung erst richtig wahr. Das Leben wich so schnell aus ihm, dass sie es kaum noch erfassen konnte.
Verzweifelt schlang sie ihre Arme um ihn, als könnte sie es dadurch in ihm verschließen. Sie konnte ihn nicht gehen lassen. Er hatte ihr Leben gerettet, nicht nur unter dieser Eiche sondern auch schon davor. Die sterbende Hülle in ihren Armen sammelte sie an Kraft, was die Kämpfe dieses Tages ihr noch übrig gelassen hatten. Sie würde ihn nicht den Weg beenden lassen, nicht heute.
„Die Verletzung ist zu schwer", hörte sie jemanden sagen. „Ihr könnt ihm nicht mehr helfen."
Was wusste die anderen schon von ihren Kräften? Enach hatte ihr mehr gegeben, als jemals ein Heiler ihres Volkes in sich gehabt hatte. Ein Gutes würde der Verrat der alten Heilerin jetzt noch hervorbringen.
Varya band sich an die entschwindende Seele. Wenn er wirklich starb, würde sie ihm eben folgen. Dann hätte sie es nicht anders verdient.
„Lasst ihn!" Wieder die Stimme, beschwörend diesmal. „Ihr werdet Euch verlieren."
Seine Worte waren verschwendet. Sie folgte der Spur in den Tod. Sie war ihr vertraut. Einmal bereits hatte sie diesen Weg betreten, als Caranir in der Quellstadt seinem Ende entgegen ging. Nur wenige Schritte waren es gewesen und selbst damals hatte sie die seltsame, verführerische Kraft gespürt, die den Hauptmann aus dem Leben gezogen hatte.
Varya wollte ihn nicht gehen lassen, nicht hier und nicht jetzt. Je näher sie ihm kam, desto mehr spürte sie, dass er selber nicht für den Weg bereit war. Er hatte zuviel zu verlieren und nicht genug zu gewinnen, wenn er sich vom Leben abwandte. Seine Bindung an die, die er zurückließ war zu stark, um den Abschied leicht zu machen.
Wenn es gelang, den zerstörten Körper soweit zu heilen, dass er dahin zurückkehren konnte, würde er ihr folgen. Schon jetzt war zu spüren, wie er gegen den Sog ankämpfte, der ihn in die Arme Mandos spülen würde.
Seinen Körper heilen und seine Seele halten. Sie zerriss sich fast zwischen diesen beiden Welten. Irgendwo unter dieser alten Eiche in der ihr vertrauten Realität presste sie eine Hand auf die tiefe Wunde. Sie spürte, wie ihre Finger zwischen den zertrennten Muskeln, gebrochenen Rippen versanken, Blut ihre Haut überspülte. Zwischen ihren Schulterblättern und auf ihrem Arm machte sich ein sengender Schmerz bemerkbar. Die Runen unter ihrer Haut sandten ein deutliches Zeichen, dass ihr nur noch wenig Zeit blieb.
Varya nahm das, was Enach ihr so widerwillig überlassen hatte und ließ es vollständig in die Zerstörung unter ihrer Hand strömen. Damit verlor sie die Kräfte, die die alte Heilerin in den Jahrtausenden in der Dunkelheit angesammelt hatte, doch es kümmerte sie nicht. Sie hatte sie ohnehin nicht gewollt. Ihr Leben für seins, sie schuldete es ihm.
tbc
@heitzi: Danke, danke und gleich so viele auf einmal. Da ich weiß, dass du auch so jemand mit dem dringenden Bedarf nach einem 36Stunden-Tag bist, hab ich mich echt gefreut.
@amlugwen: Erstmal meine Entschuldigung an den Ork. Jaja, ich weiß, sie kommen nicht so gut weg. Aber...überall gibt es solche und solche. Ich hab mir natürlich nur die ganz Depperten ausgesucht *smile* Du weißt schon, Ork, die Bekloppten, die keiner in seiner Truppe haben will, weil sie immer auf die Elben reinfallen. Welcher Ork, der etwas auf sich hält, latscht schon hinter einem schwebenden Teelicht her?
@Airihnaa: Das mit dem Hochbett ist aber echt gemein. Jetzt brauchen die Spinnen eine Therapie ‚Keiner liebt uns'. Obwohl das Hochbett ja eine kuschelige Höhle für den Nachwuchs abgibt und sogar Fernseher im Kinderzimmer.
Boah, so ein tolles Teil!!! Ich hab nur Einkanal, Schwarzweiß und wenn es interessant wird, schaltet er um auf Doc Elronds Gesundheitstipp des Tages. Hast Feanor wahrscheinlich den Tipp mit dem Verkaufsschlager Silmaril gegeben. Jeder will sie haben aber nur drei können sie bekommen *hihi*
@feanen: Jepp, ab nach Imladris! Bei Thranduils Leuten zieht das.
@Dani: Galen ist schwach, wird immer schwächer, und schwächer...*bös grins* Und Findel ist ein Held, jawoll, hilft ihm auch nicht viel. Jetzt könnten sie wohl besser noch ein paar Heiler brauchen.
@Atropos: Die Szene mit dem Hirtenstab hab ich gerade vor Augen, so cartoonmäßig *kicher*. Trocken, eh, das sagt die Meisterin der staubtrockenen Kommentare. Das Lob ehrt mich. Stiefmutter geht doch nicht, hatten wir doch schon mal...ob nun bei Mandos oder nicht, geheiratet wird nicht mehr bei Elbs (mit einer Ausnahme, aber die werde ich hier bestimmt nicht nochmal bemühen). Obwohl natürlich die Kombination ‚Alte Säcke und junges Gemüse' die Jahrtausende überdauert hat. Aber Liebesszenen gibt's hier nicht, nee. Und Elrond war nun mal fällig, außerdem hat Glorfindel mitgemacht. Er hätte ihn schließlich warnen können.
@Eowyn: Da ist das neue *duckt sich*. Sie konnten es ja nicht alle unbeschadet überstehen.
@Amariee: Hallooo *wink*. Mögen irgendwie schon, auch wenn sie wohl beide nicht den Friedensnobelpreis erhalten. Ob sie die Gegenstände zerstören? Immerhin hat Aragorn gerade Galen als Brandstifter engagiert. Bei dem etwas angeschlagenen Elb kann das nur zu einer Feuersbrunst führen.
@Amélie: Du hättest ihn noch länger pflegen sollen. Hm, oder vielleicht solltest du jetzt wieder damit anfangen *hüstel, räusper*. Ähja, ich mag ihn sogar sehr, merkt man das nicht? Ich bete quasi den Boden an, auf dem er schreitet. Was mich dann doch nicht davon abgehalten hat, eh... Jetzt bitte nicht die Elbenarmee in Marsch setzen, um die arme Autorin zu überfallen und ihrer gerechten Strafe zuzuführen.
